"Bin Laden, komm her, schmeiß eine Bombe"

von Nikolaus Stenitzer

Hamburg, 16. August 2012. Während eines No Border-Camps wurde das Schwabinggrad Ballett seinerzeit gegründet – als "eine Kapelle für antizyklische Umzüge zur Unterstützung umstürzlerischer Aktivitäten", wie es Mitbegründerin Bernadette La Hengst formulierte. Für das Kampnagel-Sommerfest hat die Gruppe ihre Zelte in St. Pauli aufgeschlagen.

Im Februar 2012 war das "Ballett" nach Athen gereist, um die Proteste gegen die von der EU-Troika verordneten Sparmaßnahmen zu begleiten. Das Kollektiv habe von dort "viele Einsichten mitgebracht", weiß das Editorial des Kampnagel-Sommerfestes zu berichten; unter anderem die, dass man "manchmal einen Platz besetzen muss, um etwas zu erreichen." Die Einsicht, die vom ersten Abend am "Platz der unbilligen Lösungen" mit dem Programm "Stop saving us" bleibt, ist, dass mit dem Besetzen eines Platzes die Schwierigkeiten erst beginnen. Vor allem, wenn mit "Besetzen" nicht die bloße physische Anwesenheit gemeint ist.

Speaker's Corner und rote Lampions

Park Fiction, der kleine Park mit den metallenen Palmen am Hamburger Hafen, ist in diesem Fall der fragliche Platz, und die Besetzung drückt sich durch ein paar Zelte aus, die locker über den Rasen verteilt sind und auf denen Parolen wie "Jetzt Systemfrage stellen" zu lesen sind; aber auch durch eine kleine, aber glitzernde Bar unter roten Lampions und eine Bühne. Die Bühne ist als Mittelpunkt konzipiert: Hier sind die helle Beleuchtung und die große Filmleinwand, hier sind die Musikinstrumente aufgebaut, und hier tummeln sich die vielen weißgekleideten Ballett-Mitglieder. Hier, so suggeriert das Ambiente, wird die tatsächliche Besetzung stattfinden – die Besetzung des Ortes mit Inhalten.

platz1 560 antonia zennaro uPlatzbesetzer-Romantik am Hamburger Hafen © Antonia Zennaro

Ob man den Platz auch schlicht mit einer weiteren Bar hätte besetzen können, könnte ein Thema für den Speaker's Corner sein, der in den kommenden Tagen auf dem "Platz der unbilligen Lösungen" eingerichtet wird. Zunächst aber das Schwabinggrad-Ballett: Zum Einklang tragen vier Ballett-Mitglieder zu Improvisationsmusik Texte aus internationalen Zeitungen vor, die sich mit Erscheinungsformen der Krise in Griechenland befassen. Der Vortrag ist eine Collage, die einzelnen Stimmen überlappen sich; das wirkt wie der Auftakt zu einer politischen Performance älteren Datums, ist aber etwas anderes, nämlich eines von vielen Bruchstücken, aus denen der Abend mit einiger Mühe zusammengesetzt werden wird.

Agitatorische Fundstücke

Was dann folgt, ist nämlich keine Fortsetzung, sondern eine weitere Einleitung, konkret eine kleine Begrüßungsansprache mit längeren Ausführungen über die Entstehung der Gruppe, die Wahl von Park Fiction als Austragungsort und die Reise nach Griechenland. Nach neuerlicher Einmoderation wird mit Performance fortgesetzt: Margarita Tsomou präsentiert, wie sie erläutert, journalistische Fundstücke aus Griechenland, die in ihre Arbeit für konventionelle Medien aufgrund ihres kontroversen Inhaltes keinen Eingang finden konnten.

Die Fundstücke sind Parolen, die während der Proteste skandiert wurden und die die Künstlerin nun ebenfalls, begleitet von elektronischer Musik, skandiert und gleichzeitig auf die Leinwand projiziert, Parolen wie "Das Bordell, das Parlament soll brennen" oder "Bin Laden, komm her, schmeiß eine Bombe ins Parlament und geh wieder". Das ist nicht ohne Bedrohlichkeit, und man beginnt, sich über die agitatorischen Ziele der Performerin Gedanken zu machen. Aber nur ein paar Minuten lang. Denn so lange dauert die Performance, und während des anschließenden politischen Diavortrages mit Bildern und Videos vom Syntagma-Platz in Athen verflüchtigt sich jede Aufregung. Um in Verlauf des Abends niemals wiederzukehren.

Entschuldigung, aber wo ist die Form?

Obwohl das Anliegen, dem Publikum die Auswirkungen der Sparpolitik auf die griechische Bevölkerung auseinanderzusetzen, durchaus erkennbar ist, sinkt die Spannung unaufhaltsam, die ZuschauerInnen bleiben tapfer, lassen sich aber ablenken, der Geräuschpegel steigt. Das mag daran liegen, dass Tauschkreise und die griechische Gewerkschaftsarbeit nicht die Themen sind, die ein sommernächtliches Open Air-Publikum bezaubern; das Schwabinggrad Ballett lässt aber auch, obwohl performanceerprobt, jeden Sinn für Formfragen vermissen.

Anstatt sich dafür zu entscheiden, die Ereignisse in Griechenland entweder dokumentarisch, theoretisch oder performativ-künstlerisch zu fassen, werden hier Rohversionen all dieser Varianten nebeneinandergestellt; auf verbindende Elemente wird verzichtet. "I can feel a big oppression taking me down", singt der "Butt Chor" zum Ausklang des Abends.

Vielleicht war es auch nur eine große Müdigkeit?

 

Platz der unbilligen Lösungen
Camp mit dem Schwabinggrad Ballett
Ein Projekt von Schwabinggrad Ballett und dem Internationalen Sommerfestival Hamburg 2012 mit Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung.

www.kampnagel.de

 

Mehr lesen? Bernadette La Hengst präsentierte vor drei Jahren in den Berliner Sophiensaelen das Bühnen-Hörspiel Der innere Innenminister und im Freiburger Theater ihre zeitangepasste Version einer Bettleroper.

Kommentar schreiben