Der Lack ist ab!

von Juliane Voigt

Schwerin, 31. August 2012. Ausnahmsweise muss man dieses Mal nicht nach ihm suchen. Es gibt ihn nämlich wirklich, den idealen Mann: Sir Robert Chiltern, Unterstaatssekretär im auswärtigen Amt London. Das findet nicht nur seine Frau. Nein, auch ganz objektiv gesehen ist dieser junge Politiker allem Anschein nach jemand, der es aus kleinen Verhältnissen nach hier oben geschafft hat und dabei anständig geblieben ist. Und das in der Politik!

der ideale mann 280h silkewinklerJochen Fahr als Sir Robert Chiltern und Katrin Heller als Mrs. Cheveley © Silke WinklerAm Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin hatte gestern Abend "Der ideale Mann" Premiere. Es ist eine Salonkomödie von Oscar Wilde, im vergangenen Herbst hatte es seit seiner Uraufführung 1895 in London am Akademietheater in Wien eine erneute Erstaufführung. Die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hatte nämlich mit "Der ideale Mann" zum zweiten Mal eine Wilde-Komödie überarbeitet.

So taufrisch kommt das Stück nun wie eine moderne Gegenwartskomödie daher. Jelinek hat die Oberfläche auf Hochglanz gebracht und ein wenig verschnörkelt. Offenbar hat es ihr in den Fingern gekribbelt: Moral in der politischen Elite, das Ehepaar Chiltern erscheint wie die Ur-Gussform für das österreichisches Ehepaar Horst Grasser und Fiona Swarowski. Sie millionenschwere Erbin, er eher als korrupter Politiker unablässig in den Schlagzeilen. Aber sowas gibt's ja zum Glück nur in Österreich ... Vielmehr als die Dialoge aufzupeppen und das Kanal-Projekt in "Hyper-Alpenkanal" umtaufen, musste sie gar nicht.

Untragbare Gesellschaftsform

Auf der Schweriner Bühne hat das Regieteam um Christian Weise scheinbar großen Spaß daran gehabt, die gelackte Oberschicht radikal abzufräsen und den demokratischen Kapitalismus als untragbare Gesellschaftsform zu karikieren. Die Ehe übrigens nicht. Aber das mit dem "ideal" vor Mann kann man, wenn man den drei jungen Männern glaubt, trotzdem vergessen. Die Bühne von Marc Brausack ist die Ausklappversion eines englischen Salons. Nicht mal der Versuch einer Pappfassade wurde hier unternommen. Die Rüschen und Kronleuchter sind nur mit einer dieser albernen grün/rot-3D-Brillen zu erkennen. Zufällig hat man aber leider keine dabei. Man läuft gar nicht Gefahr, sich in die Illusion einsaugen zu lassen.

Die vierte Wand ist ein Spiegel. Wir haben es schließlich mit einem Dandy zu tun. Und mit Lord Arthur Goring steht ein Denkmal Oscar Wildes vor dem Spiegel. Auf dieser Bühne grandios: Christoph Bornmüller in seinem Müßiggang, "blätter-süchtig" (Zeitschriften), mit Hang zu östlicher Esoterik, exaltierter Kleidung, dabei geistreicher Wortwitz, herber Frauenverschleiß. Trotzdem: irgendwie sympathisch, anständig. Er ist schließlich der Einzige, der bleibt, wer er ist.

Die Stärken der Schwächen

Robert Chiltern aber geht es an den Kragen, als Mrs. Cheveley in einer Abendgesellschaft auftaucht. Sie braucht politische Unterstützung für diesen Kanal, mit dem sie sich irgendwie verkalkuliert hat. Chiltern ist ein Gegner des Projektes. Aber erpressbar. Er hat in seiner Jugend einen politischen Verrat begangen. Für Geld. "Ja, wofür denn sonst?" Grundlage für seinen späteren Erfolg und das saftige Vermögen. Hinzu kommt die Verzweiflung einer verlebten Frau, die von Katrin Heller in erheblichem Maße selbstverletzend gespielt wird. Die Frau geht über Leichen. Möglicherweise auch über ihre eigene. Was soll er tun? Fragt er seinen Freund Arthur. Der ihn am Ende aus der Misere rettet. "Jeder hat eine Schwachstelle".

ideale mann 3 silke winkler uChristoph Bornmüller als Lord Goring und Jochen Fahr als Sir Robert Chiltern © Silke Winkler
Nun, das Problem Sir Chilterns ist ja einerseits die Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung. Aber viel schwerer wiegt der Achtungsverlust, den seine Frau ereilen wird. "Du warst immer ein Ideal!" Sagt seine Frau (sehr präsent und wunderbar in ihrem späteren Absturz: Sonja Isemer), die auch als lebende Barbie durchgehen könnte, während er verzweifelt Bälle gegen die Kulisse kickt: "Gibt es in deinem Leben irgendeine geheime Schande oder Schuld?" Chiltern gibt so großartig sinnlose Antworten wie: "Es gibt Versuchungen, denen man nur mit Stärke nachgeben kann." Und dieser unglaubliche Jochen Fahr nimmt den Text, der eigentlich das Eingeständnis seiner Schwäche wäre, und dreht das so, dass es am Ende seine Gattin ist, die nach einem hysterischen Anfall wie ein Huhn da steht.

Es ist ein saftiges Plädoyer für Männer mit ihren Abgründen und Verbrechen, welches ihm einen johlend-zustimmenden männlichen Szenenapplaus einhandelt. Er buchstabiert das fast wie das 11. Gebot: "Frauen sollen aus Männern keine Ideale machen!"

Liebe und Verachtung

Nach der Pause renkt sich eigentlich alles ein. Die Ehe hat es überlebt, wenn auch mit schlechten Haltungsnoten, Chiltern hat den Kanal parlamentarisch nicht mitgetragen, Lord Doring heiratet Mabel, die Schwester des Politikers (mit Anja Werner eine derartig lustbetont hysterisch durchgeknallte Person) und die Intrigantin ist entschärft. Also, alles prima eigentlich.

Aber die Bühne sieht aus! Mutig zerlegt Christian Weise die freundliche Auflösung, die Wilde uns ja noch gegönnt hat, Jelinek allerdings schon weniger. Alkohol und Halbverdautes begleiten die Ausraster, in denen sich jeder selbst persifliert und entblößt. Nichts bleibt mehr verborgen. Und die Paare nehmen endlich den letzten Tango von Falk Effenberger, der im crazy-Lackkostüm als Haus- und Hof-Musiker das ganze Stück mit einer Art Stumm-Film-Musik überzeichnet. Sie tanzen sich durch Liebe und grenzenlose Verachtung endlich auf eine Art Augenhöhe. Und am Ende in die Unterbühne.

Ein ganz großer Theater-Abend mit wunderbaren Schauspielern und einem Butler-Slapstic, der immer wieder kreischend und grölend honoriert wurde. Das Schönste war der Applaus des Premierenpublikums für eine so junge und wilde Inszenierung.

 

Der ideale Mann
von Oscar Wilde
Deutsch von Elfriede Jelinek
Regie: Christian Weise, Bühne: Marc Brausack, Kostüme: Andy Besuch.
Mit: Jochen Fahr, Klaus Bieligk, Christoph Bornmüller, Dirk Audeh, Sonja Isemer, Anja Werner, Katrin Heller, Brigitte Peters, Falk Effenberger (Pianist).

www.theater-schwerin.de

 

Kritikenrundschau

In der Schweriner Volkszeitung (3.9.2012) schreibt Philip Schroeder, die Inszenierung sei eine "Mischung aus Horror-Kintopp, Stummfilm-Slapstick und Geschlechterkampf-Schlacht" geworden, ein "kurzweiliger Theaterabend", aber sei es mehr gewesen? Klar, schauspielerisch sei es "ein Fest". Jochen Fahr sei jederzeit bereit sich vom Täter in das Opfer zu verwandeln, Sonja Isemer spiele sich von der "makellos hochhackigen Politikergattin" zur ebenso besoffenen wie enttäuschten Ehefrau, Christoph Bornmüller gebe einen "formvollendeten Wüstling". Es folgt mehr Lob für die übrigen Darsteller und die Frage: Aber was sagt uns das Stück über das Gelächter hinaus? Ist es eine Komödie um die Moral der politischen Klasse?" Aber vielleicht gehe es auch um das Leben an sich. Oder um anderes. Sei es ein "Ausweis besonderer Qualität", wenn die Inszenierung "so viel Entschlüsselungsarbeit" verlange, dass zum "Nachdenken über den Gehalt kaum noch Energie" bleibe?

In der Ostsee-Zeitung aus Rostock (3.9.2012) weiß Dietrich Pätzold darauf auch keine Antwort, er notiert, das Inszenierungsteam habe viele "Gelegenheiten" frei gelegt, die "Doppelbödigkeit der Londoner Oberschicht" mit "schauspielerischen Glanzlichtern auszukosten". Es gehe um ein "allgemeines Sittenbild der Upper Class". Weise habe das Stück in "einzelne Performances" zerlegt – ein "tolles Panoptikum das Ganze".

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