Kreon versus Pussy Riot

von Simone Kaempf

Berlin, 9. September 2012. Wenn man sie geschickt zusammenfügt, passen die Texte wirklich erstaunlich zusammen: Kreons Reden vom Wohl des Staats, geschrieben von Sophokles in der "Antigone" vor 2000 Jahren, und die Schlussplädoyers der drei Mitglieder der regierungskritischen Gruppe Pussy Riot, vorgetragen von ihnen selbst am 13. August 2012 vor dem Chamowniki-Gericht in Moskau. Wie Antigone sprechen hier auf der einen Seite drei Frauen, die sich dem Gesetz widersetzen. Klagt eine an, dass das russische Schulsystem von klein auf lehre, gegen Andersdenkende intolerant zu sein, antwortet Kreon: Wo bleibt die Dankbarkeit? Sieht die zweite, Russland durch diesen Gerichtsprozess kollabieren, kontert Kreon, dass sie den Fehler nur bei anderen suchen will.

Lesung mit Moskauer Videoeinspielungen

Bei der Lesung der Textcollage "Pussy Right", die für einen Abend in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung stattfand, sind es die Schauspielerinnen Cristin König, Anne Müller und Regine Zimmermann vom Maxim Gorki Theater, die die Plädoyers vortragen. Dazu laufen Videobilder aus dem Moskauer Gerichtssaal sowie der Christi-Erlöser-Kirche, und aus dem Off spricht als Kreon Ulrich Matthes vom Deutschen Theater. Er schlägt hier einen eher jovialen Ton an, um das Mahnen der Frauen gönnerhaft zu entkräften, oder wird streng, um seine Härte zu verteidigen.

pussyright 560 kilian-davy baujard uLeser für die Freiheit: Anne Müller (stehend), Regine Zimmermann und Cristin König (am Tisch)
© Kilian-Davy Baujard

Es liegt eine informative Kraft in dieser Lesung in der Heinrich-Böll-Stiftung. Man erhält einen Einblick, worüber vor dem Moskauer Gericht gestritten wurde und kann bestens nachvollziehen, wie die drei Frauen ihre Aktion in den Schlussplädoyers (nachlesbar auf
www.freepussyriot.org) mit genauen Argumenten verteidigten und dass sie der Kunst eine wichtige Rolle beimessen, um etwas zu verändern.

Aber so argumentativ wie das Streiten in "Pussy Right" in Berlin abläuft, ist es in der Realität vor Gericht nicht gewesen. Dubiose Zeugen kamen zu Wort. Man weiß, welches Urteil im August in Moskau gesprochen wurde und dass die Pussy-Riot-Mitglieder kaum eine faire Chance hatten. Von einer ehrlichen Einsicht des Staatsobersten, zu der Kreon findet, ist bei Putin keine Spur. Und so führt "Pussy Right" eher in die Vergangenheit und verbrieft das Drama der "Antigone", aber erzielt wenig Gewinn für die aktuelle Situation.

Symbolpolitik im Durchgangsstadium

Was an diesem Abend versucht wird, ist vor allem Symbolpolitik: Man macht sich für politische Freiheit und für die Freiheit der Kunst stark. Dass dies in einer gearbeiteten Performance-Lesung geschieht, geht den Schritt über das Hissen einer Fahne hinaus, mit dem vor kurzem das Berliner Ensemble seine Solidarität mit den Pussy-Riot-Aktivistinnen bekundete. Dass "Pussy Right" in der Kürze der Erarbeitungszeit nicht zu einer eigenen Kunstsprache findet, muss man da nicht beklagen.

Der eindringlichste Moment lag dann aber auch vor der Lesung. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck appellierte in einer kurzen Rede, dass man die Frauen nicht alleine lassen dürfe. Der Schrecken gehe für sie jetzt erst los, weil die Gewalt in russischen Frauengefängnissen noch größer als in Männergefängnissen sei.

Nein, allein lassen will man sie nicht. Es werden andere Verarbeitungen der Geschehnisse folgen. An diesem Abend wohnte man einem Durchgangsstadion bei, dem größere Schritte folgen werden. Sicherlich auch abhängig davon, was die Berufung ergibt, die die Anwälte von Pussy Riot gegen das Urteil eingelegt haben.


Pussy Right
Eine Textcollage zum Moskauer Punkprozess gegen Pussy Riot
zusammengestellt von Andreas Hillger
Mit: Cristin König, Anne Müller, Regine Zimmermann, Stimme aus dem Off: Ulrich Matthes.
Produziert von Work it. art inklusive in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung, unterstützt durch das Maxim Gorki Theater.

www.boell.de


Die Debatte um die Verurteilung der Pussy-Riot-Aktivistinnen wird derzeit auch im Forum von nachtkritik.de geführt: im Thread unter der Meldung über die BE-Aktion und im Thread über Elfriede Jelineks Diskussionsbeitrag.

mehr debatten

Kommentare  
Pussy Right, Berlin: Solidarität in Deutschland
Ich glaube einfach nicht, dass ein Punkgebet in einer deutschen Kirche, für oder gegen wen auch immer, je eine solche Art von Solidarität erzeugen könnte. Warum?
Pussy Right, Berlin: denkfaul
Mmmh,...irgendwie bin ich noch nicht fertig mit dieser Debatte,pardon...die ganze Zeit über spüre ich, dass ich mich kaum wage zu sagen, dass ich die Aktion der Pussy Riot nicht gut fand. Ich bin nicht sehr solidarisch mit solchen Handlungen. Ich finde sie denkfaul, unterkomplex und auf eine aggressive Art Wirkungen erzwingend. Ich bin tatsächlich zu einer Zeit aufgewachsen, als niemand ahnen konnte, dass es einmal eine Punk-Bewegung geben würde. Ich bin als Jugendlicher von ihr erfasst worden und wurde mitgerisen. Es war eine authentische Bewegung, auch wenn dies Wort heute anders klingt. Selbst, wenn ich abrechne, dass sich Russland historisch in einer anderen Situation befindet, empfinde ich die Mittel der Pussy Riot als Rückgriff, und die Solidarität mit ihnen als animiert. Ich schätze Cristin König sehr, konnte aber diesen Peter Weiss Ermittlungs-Ton kaum ertragen.

Auch der Zusammenhang zur Antigone finde ich nicht schlüssig, denn die Leiche des Polineikes ist ein offenes Zeichen, wobei die Missverhältnisse in Russland erst immer wieder transparent gemacht werden müssen.

Ich glaube nicht, dass Putin unmittelbar in die Urteilssprechung eingegriffen hat. Ich finde es wird zu wenig gewürdigt, dass eine Richterin das Urteil sprach, dass drei Richerinnen die U-Haft verlängerten, dass sich dies Urteil auf eine Mehrheit in Russland stützen kann.
Pussy Right, Berlin: neutral
@Martin Baucks:
Sie glauben ja gar nicht, wie sehr Sie mir in diesem Punkt aus der Seele sprechen. Ich denke, die Diskussion unter dem Jelinek-Thread ("andere Tänze") hat gezeigt, wie einerseits unsachlich diese Debatte selbst unter den gebildeten Köpfen geführt wird, und wie andererseits sehr ein (zumindst künstlerisch) schier unbedeutender Sachverhalt zum Instrument der Meinungsmache und Hetze gegen etwas anderes umfunktioniert wird.
Ich glaube, es geht hier bei den Meinungsmachern primär mehr um Politik und die machtpolitishe Rollenverteilung in der Welt. Erst als Begleiterscheinung dürfen sich Künstler wie Jelinek oder Hertha Müller ihren Senf dazugeben, schlagen sie doch genau passend in die richtige Kerbe.
Ich frage mich, wieso es nicht eine Person des öffentlichen Lebens gibt, die sich zu dem "PuRi"-Thema kritischer äußert? Der Fall und seine Folgen in- und außerhalb Russland sist kompliziert genug, dass er mindestens mannigfaltige Positionen erfordern muss.

Ach, und eines noch: Falls es aufgrund meiner Position in dem Fall anders erscheinen mag, möchte ich Ihnen gerne versichern, dass ich - politisch gesehen - gegenüber Putins Russland neutral bin.
Pussy Right, Berlin: fromme Mehrheit
@ 2;

1. Es würde mich interessieren, ob man Ihren "Glauben", dass Putin nicht "unmittelbar" in die Urteilssprechung eingegriffen, irgendwie veri- oder falsifizieren könnte. Ebenso Ihre Aussage zu den Richterinnen.

2. Dass Christin König in den "Peter Weiss Ermittlungs-Ton" verfiel, könnte einen vielleicht auch hoffnungsvoll stimmen. In dem Sinne, dass Politik und Ästhetik (Show) doch noch nicht ganz deckungsgleich geworden sind. Die Politik widersteht dem Schönheits- oder Unterhaltungbedürfnis. Oder? Wie seht Ihr das?

3. Die Aktion sollte eine Provokation sein, glaube ich. Es scheint mir unangemessen, von Provokationen eine komplexe Darstellung der Verhältnisse zu verlangen. Die Provokation soll den Schneeball ja erst ins Rollen bringen. Wenn sie glückt, entwickelt sich eine komplexe Lawine daraus (oder eigentlich ein Rhizom).

4. Zur Authentizität der Punk-Bewegung. Authentizität ist sicher EINE Option, und eine ehrenwerte dazu. Aber gerade das Prinzip Pop hat uns doch beigebracht, dass man alles umwerten und anders benützen kann. Hat doch schon der alte Brecht und der junge Shakespeare getan... (Man kann Shakespeare verändern, wenn man kann.)

5. Die Mehrheit in Russland fordert das Bauernopfer. Ja, da kann ich nicht widersprechen. Ich musste während dieser Riot-Diskussion immer wieder an den Reformator Jan Hus denken, der sich dafür einsetzte, die Lage des einfachen Volks zu verbessern und dann doch mit dessen Hilfe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde: "Anecdotally, it has been claimed that the executioners had some problems scaling up the fire. An old woman came closer to the bonfire and threw a relatively small amount of brushwood on it. Hus, seeing it, then said, "Sancta Simplicitas!" (Holy Simplicity!) This sentence's Czech equivalent ("svatá prostota!", or, in vocative form "svatá prostoto!") is still used to comment upon a stupid action."

Fromme Einfalt ist rührend, macht das Leben aber nicht besser.
Ich meine damit übrigens wirklich nicht Diskutanten mit anderer Meinung, sondern einfach diesen Bezug auf die Frommen überall auf der Welt, in deren Namen man so oft das Gute wollte und das Böse schaffte.

6. Ich frage alle, die sich die fromme Mehrheit berufen: Darf man drei Frauen PER PLEBISZIT aus ihren Familien reißen und in Frauengefängnisse schicken, wo sie ihres Lebens nicht sicher sind. Widerspricht das nicht rechtsstaatlichem Denken? Der Deklaration der Menschenrechte von 1789? Und gesetzt den Fall, man nimmt daran Anstoß, dass die Frauen einen schlechten Geschmack an den Tag legten und schlechte Künstlerinnen sind: Darf man sie dafür einsperren?
Martin Mosebach und Sibylle Lewitscharoff hatten vor dem RIOT-Skandal Strafe für schlechte Kunst gefordert. Jetzt erleben wir, wie so etwas in praxi aussieht.

7. Eine letzte Frage:
Ist eigentlich allen bewusst, dass diese Performance angeblich ganze 40 Sekunden gedauert hat?
2 Jahre Lager für 40 Sekunden Show?
Wieviel Jahre haben die Auftraggeber der Mörder von Anna Politkowskaja oder Alexander Litwinenko (z.B.) bekommen?
Die rechten Dinge, mit denen eine solche Justiz zugeht, scheinen mir doch sehr rechts zu sein. Egal ob mittelbar oder unmittelbar.
Pussy Right, Berlin: zu hoch
Naja, lieber Guttenberg,

in diesem Video können sie die drei Richterinnen besichtigen.Fr die Urteilssprechung dürfen sie mir vertrauen, dass sie von einer Richterin gehalten wurde, beinahe drei Stunden, wenn ich mich recht erinnere, und im TV durfte ihr Geicht nicht gezeigt werden.

@ 1.

Ist es nicht andersherum, muss man nicht Putin nachweisen, dass er direkt Einfluss genommen hat?

@ 2.

Jede Darstellung erfordert ihren eigenen Ton.

@ 3.

Pussy Riot setzen sich nur auf eine Stimmung und vergröbern sie.

@ 4.

Jeder historische Moment verlangt nach seinen eigenen künstlerischen Mitteln.

@ 5.

Einen spirituellen Raum schützen, ist nicht gleichzusetzen mit Einfalt.

@ 6.

Es bleibt anzunehmen, dass sich die Frauen ihrer Unrechtshandlung innerhalb der russischen Gesetze bewusst waren. Sie haben eine Strafe billigend in Kauf genommen. Dies ist ihr gutes Recht.

@ 7.

Selbstverständlich gibt einem fast jede Justiz weltweit Fragen auf, hiervon ist auch die russische Justiz keinesfalls auszunehmen.

Abschliessend möchte ich sagen, selbstverständlich ist die Strafe aus deutscher Sicht und auch aus meiner Sicht zu hoch. Aber die höhe der Strafe bemisst eben nicht den Wert dieser Kunst, im Gegenteil. Künstlerisch ist es eine minderwertige Arbeit, wie man noch deutlicher an den Folgeaktionen ablesen kann.
Pussy Right, Berlin: Video
http://www.n-tv.de/mediathek/sendungen/auslandsreport/Kreml-sperrt-Musikerinnen-ein-article5902436.html
Pussy Right, Berlin: neutral?
@3:
Lieber Herr Gubenko,
wenn Sie neutral sind, warum referieren Sie dann in Ihren Jelinek-Posts ab Nr. 1 passim Punkt für Punkt die Urteilsbegründung der Moskauer Riot-Richterin Marina Syrowa?
(Ohne Ihre Quelle anzugeben. Wollen Sie suggerieren, dass das Ihre persönliche Meinung ist?)
Pussy Right, Berlin: Verharmlosung
jetzt wird hier schon über den "wert von kunst" diskutiert. wie weit wollen sie herr baucks, gubenko & co. denn noch gehen? kunst ist frei, ob gute oder schlechte, ob auf der straße, auf der bühne, in der kirche. kirche ist kein rechtsfreier raum - so rum oder anders rum nicht. und wenn schon eine abwägung ansteht zwischen den rechten und interessen der kirche und den rechten und interessen der kunst, dann ist russland da in sachen gerechtigkeit und politischem uneigennutz sicher nicht die speerspitze der verhältnismäßigkeit. das schönreden zu wollen ist eine verharmlosung sondersgleichen und so gesehen fast schon gefährlich. man kann sich auch zu tode differenzieren und huch! darüber völlig vergessen, dass drei frauen recht chancenlos im knast sitzen.
Pussy Right, Berlin: große Oper
Ich weiss nicht, was das Bild der 3 Richterinnen in Ihrem schönen Video über deren Unabhängigkeit aussagen sollen.
Verwechseln Sie schon wieder Ethik (bzw. Politik) und Ästhetik? Nach dem Motto: Können diese Augen lügen?
Andreas Baader von der RAF war auch ein schöner Mann.
Übrigens sind die Bilder von den orthodoxen Zeremonien hinreißend! Ganz große Oper. Unbedingt schützenswert.
Pussy Right, Berlin: neurotische Kulisse
@Guttenberg

Ich wollte lediglich feststellen, dass es Frauen waren. Das Video sagt nichts über ihre Unabhängigkeit, aber auch nichts über ihre Abhängigkeit. - Es ist doch für Putin gar nicht nötig gewesen, in dieses Urteil einzugreifen. Die Rechtslage in Moskau war doch weitgehenst klar; dies war wahrscheinlich auch den drei Frauen bekannt, deshalb griffen sie zu solchen Mitteln, die uns allen bekannt sind. - Große Oper!? Herrje, das nehme ich ihnen nicht ab. Das simulieren sie.

@olymp

Ich lebe noch und möchte auch keine großen Löcher in meine Feinde machen. Am ausdiffernzieren von Inhalten stirbt man nicht. Man sitzt immer recht chancenlos im Knast. Warten wir, was die Berufung bringt.

Und natürlich ist Kunst frei. Ja ja ja. Aber wenn sie so schlecht ist, dass man sie kaum als Kunst erkennen kann? Und selbstverständlich darf man über den Wert von Kunst sprechen, ohne gleich gefährlich zu sein. Hier zeigt sich doch in ihrer Empörung die ganze Grobmechanik dieses Vorgangs. Niemand ist gezwungen mit ein paar Punk Mädchen, einer Punk Girl Band solidarisch zu sein, die U-Bahnhöfe, öffentliche Plätze und Kirchen unsicher und spontan zur Plattform ihrer Auftritte machen. Olymp sie bauen da eine neurotische Kulisse auf. Ich darf das blöd finden, so wie ich auch das Urteil unangemessen finde, ohne gleich von ihrem Tugendterror überzogen zu werden.
Pussy Right, Berlin: hohle Phrase?
Lieber Herr Baucks, ich kann Ihr Bauchgefühl bei der Beurteilung der Punk-Gebets-Aktion und ihrer Nachahmer ja verstehen. Aber warum klammern Sie sich so an ein rein ästhetisches Empfinden? Wenn Sie die Plädoyers der Frauen gehört haben, spricht daraus doch ein unglaublich kluger und wacher Geist, der sich hier eben in seiner Jugend auch ungestüm äußern kann. Man gewinnt in der Kunst und politischen Aktion das Gehör oder die Aufmerksamkeit nicht nur mit wohldifferenzierten Volksreden. Die sind den Mächtigen vorbehalten. In der Antigone haben Sie die Entsprechung dessen. Lösen sie sich hier einfach mal von Sophokles und nehmen Sie z.B. Brechts Hölderlin-Bearbeitung von 1947. Übrigens hat es immer wieder Bearbeitungen des Antigone-Stoffes gegeben. Nach dem 2. Weltkrieg war es Brecht wichtig, einer heranwachsenden Jugend zu zeigen, dass man sich immer zweifelnd gegenüber totalitären Autoritäten verhalten sollte. Der Anlass ist da doch eher zweitrangig. Und muss es wirklich erst eine Leiche sein, um die es da geht. Nun will ich Putin nicht mit einem faschistischen Diktator vergleichen, Brecht hat auch Kreon nicht mit Hitler gleichsetzen wollen.
Es geht um den Widerstand oder die Opposition gegen ein politisches System, dass der Jugend eine selbstbestimmte, freie Entfaltung verwehrt. Ich weiß wovon ich da rede. Dass nämlich der Sozialismus/Kommunismus auch eine totalitäre Haltung gegenüber der Opposition eigenommen hat, hat ihm letztendlich die Legitimation für alle zu sprechen genommen, obwohl er doch auch nur das Wohl des Volkes im Sinn hatte. Die Obrigkeitshörigkeit hat genau wie das Dissidententum in Russland eine besondere Tradition. Das geht vom Zaren über Stalin bis zu Putin. Und Putin wird auch im Großen und Ganzen das Wohl Russlands im Blick haben. Aber ein politisches System (auch das der Demokratie) ist immer nur so gut, wie es sich gegenüber Andersdenkenden verhält. Das Putin direkt auf das Gericht Einfluss genommen hat, glaube ich übrigens auch nicht. Das funktioniert in hierarchischen Strukturen ganz anders. Dem vorauseilenden Gehorsam der Judikative kann sich Putin nach über 20 Jahren Machtausübung gewiss sein. Daher ist es auch so wichtig in der Demokratie, dass sich Machtstrukturen nicht von der Kontrolle eines unabhängigen Parlaments abkoppeln und mit anderen Strukturen verfilzen.
Ich fand übrigens die gelesenen Prozessszenen nicht als Zumutung. Das war noch relativ moderat. Es wurde versucht relativ emotionslos zu bleiben. Es ist immer ein Problem, Fakten dokumentarisch in Kunst zu übersetzen. Das war hier auch nicht vordergründig das Ziel. Wenn es da an manchen Stellen mangelt, ist das wohl der kurzen Zeit der Vorbereitung geschuldet. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass die Stimme von Ullrich Matthes verfremdet wurde. Sie klang sehr hart, das ist normal nicht seine Diktion. Selbst als Göbbels hatte ich ihn so nicht in Erinnerung. Dass das Ganze in den Räumen einer parteinahen Stiftung staatfindet, ist auch immer ein Problem. Hier hätten die Theater viel schneller reagieren und ihre Räume zur Verfügung stellen müssen. Ich will da Frau Beck nicht zu nahe treten, aber ihre Rede vor der Lesung, auch wenn sie in diesem Falle sicher gut gemeint war, als Sprecherin der Grünen für Osteuropa-Politik hatte doch etwas sehr Verallgemeinerndes. Ich hoffe sie setzt sich auch vor Ort so direkt für die Betroffenen ein. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass die Böll-Worte „Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben", mit der die Stiftung sich schmückt, keine hohle Phrase sind.
Pussy Right, Berlin: Hysterie
Herr Guttenberg,
Weil ich das Strafmaß von 2 Jahren zwar zu hart, aber angesichts bestehender Rechtsprechung vertretbar finde.

Die Quelle hatte mein Vorredner in dem Jelinek-Thread bereits angegeben. Das beste an dieser Quelle war, dass sie von der Gegenseite eingebracht worden ist, d.h. von jemandem, der die Rechtsmäßigkeit des Strafmaßes angezweifelt hatte. Und es ging in dieser Quelle um äquivalente Tatbestände nach deutschem Recht. Diese Quelle lieferte mir eine gute Vorlage, um klarzustellen, dass die um das Urteil aufgebaute Hysterie unangemessen und aufhetzerisch ist.

Der Wortlaut des Urteils der Pussy-Riot-Mädels ist mir natürlich bekannt. Wenn Sie des Russischen mächtig sind, liefere ich Ihnen gerne die Transkribtion des Urteilsspruchs nach - sofern Sie anzweifeln, dass mir der Gegenstand unserer Diskussion bekannt sei:
http://www.bg.ru/stories/11662/

Bezeichnend ist außerdem Folgendes: Obwohl der Urteiltext im Wortlaut (russisch) offen zugänglich ist, fand ich nach einer halben Stunde "Googeln" keine ausführliche deutschsprachige Übersetzung. Mein Fazit daraus: Die deutsche Presse scheint nicht allzu interessiert daran zu sein, über dieses Urteil textnah, unaufgeregt, sachlich und transparent zu berichten. Zumindest muss man sich schon sehr anstrengen, um solche Voraussetzungen für Nicht-russisch-sprechende zu schaffen. Muss das so sein? Beanspruchen Sie kein Recht darauf, zu wissen, was im Prozess genau gesagt wurde und wie das Urteil genau lautete? Reicht Ihnen der Slogan "Rowdytum aus religiösem Hass"? Etwa, weil man sich darüber besser empören kann?..
Pussy Right, Berlin: gerührt
Lieber Stefan,

ich arbeitete Anfang der Neunziger mit rumänischen Schauspielern zusammen. Einer von ihnen, der heute am jüdischen Theater in Bukarest spielt, berichtete mir davon, wie wichtig es für ihn war die Hinrichtung von Ceauscu zu sehen. Er befand sich zu der Zeit in einem Elite-Sportlager als Fussballer und schwamm mit ein paar Baletttänzerinnen in einem Pool, als ihnen die Aufnahmen im Fernsehen präsentiert wurden.

Dort wurde ein totalitäres System zu Fall gebracht und die jungen Leute hätten es nicht geglaubt, hätte man ihnen nicht diese Hinrichtung gezeigt.

Ihr Text hat mich gerührt, auch wenn man dies heute nicht gerne zugibt. Ich sehe all dies Widerliche der russischen Justiz: und doch ist die Situation heute eine ganz andere. Vor allem, wenn ntv darüber berichtet.

Ich bin politisch ganz auf der Seite dieser Frauen. Ihre Handlungen kann ich nicht schön finden. Dazu bin ich zu alt. Sorry.
Pussy Right, Berlin: Kategorien
lieber herr baucks,

auch ihnen: ich heisse "olympe"! und nicht "Olymp". das ist wer anderes.

und sonst? sie vermischen ja recht fröhlich die kategorien. klar können sie blöd finden, wen oder was sie wollen. das ist ihre persönliche meinung, als solche leicht zu erkennen und damit kein problem in der auseinandersetzung damit. anders ist es mit ihren ausführungen zum wert der kunst. "Aber die höhe der Strafe bemisst eben nicht den Wert dieser Kunst, im Gegenteil. Künstlerisch ist es eine minderwertige Arbeit, wie man noch deutlicher an den Folgeaktionen ablesen kann." Hier tun sie so, als wäre das was sie denken eine unanfechtbare wahrheit, als könnte man den wert von kunst wirklich bemessen und schlimmer noch damit relativieren, was mit den frauen passiert. an dieser stelle finde ich sie übrigens ganz schön zynisch: man sitzt immer recht chancenlos im knast, die wussten vorher, dass sie bestraft würden ... ". wie sind sie denn drauf? wenn ihnen nicht deutlich wird, dass das kunst ist, dann kann man die auch ruhig bestrafen, oder was? wieviel bekämen die damen denn von ihnen, wenn sie kunst von ihrer gnaden machen würden?
tugendterror? eigentlich eine gute idee. vielleicht sollte ich mal unter dem pseudonym in einer deutschen kirche ein lesung aller riot-threads machen, punkmäßig natürlich. macht wer mit?
Pussy Right, Berlin: westliche Propaganda?
Herr Gubenko, Ihnen gehen wohl langsam die Argumente aus. Jetzt disqualifiziert uns also alle die Tatsache, dass wir das Urteil nicht im Wortlaut gelesen haben. Dann berichten Sie uns bitte davon. Das dürfte allerdings die Grenzen dieses Forums sprengen. In der Urteilsverkündung wurde auch nur stundenlang die gesamte Prozessfarce mit allen Zeugenaussagen etc. noch mal durchgekaut. Wozu das? Am Ende stand das Resultat doch bereits am Anfang fest. Die mildernden Umstände ergaben ein Jahr weniger. Von Hysterie ist hier keine Spur, nur von sehr viel Sorge um die Frauen. In der Lesung, von der oben berichtet wurde, konnte man sehr gut einen Eindruck über die Atmosphäre des Prozesses und seine politische Motivation gewinnen. Ich glaube auch nicht, dass alle orthodox gläubigen Russen den Prozess im Detail verfolgt haben und trotzdem wünschen viele die Frauen für Jahre ins Lager oder gleich zu den Kosaken. Das nenne ich Hass nicht Vergebung. Diese Atmosphäre macht mir Angst, so würde ich nicht leben wollen. Übrigens Ihre Auslassung von weiter oben, in Russland würde es Rechtsextreme nur auf dem Land geben und es würde hart gegen sie durchgegriffen, ist hanebüchen. Besonders rassistische Übergriffe auf die von Ihnen erwähnten Russen kaukasischer und asiatischer Abstammung oder Zuwanderer aus Zentralasien, die sich vorwiegend wegen der Arbeit in den großen Städten Russlands aufhalten und teils unter menschenunwürdigsten Bedingungen leben, sind an der Tagesordnung. Putin hat 2004 den „Tag der nationalen Einheit“ ausgerufen, um den Jahrestag der Oktoberrevolution aus dem Gedächtnis der Russen zu streichen. An diesem Tag marschieren nun die neuen Rechten. Dagegen sollten Sie sich vielleicht mal empören. In Deutschland gehen jedenfalls immer mehr Menschen gegen rechtsextreme Gewalt auf die Straße. Aber das ist wahrscheinlich auch alles wieder nur westliche Propaganda und ein Ablenken vom Thema. Sie beginnen sich in Ihrer vermeintlichen Opferrolle hier zu gefallen, schade Herr Gubenko.
Pussy Right, Berlin: gute Kunst
@ 10:
"Hier zeigt sich doch in ihrer Empörung die ganze Grobmechanik dieses Vorgangs. Niemand ist gezwungen mit ein paar Punk Mädchen, einer Punk Girl Band solidarisch zu sein, die U-Bahnhöfe, öffentliche Plätze und Kirchen unsicher und spontan zur Plattform ihrer Auftritte machen. Olymp sie bauen da eine neurotische Kulisse auf."

Lieber Baucks, das versteh ich nicht. Wo hätte olympe denn Solidaritäts-Zwang für Pussy Riot oder den Zwang, Punk- oder Anti-Putin-Gebete in Kirchen zu beten, gefordert?
Ist nicht eher diese Ihre Angst etwas neurotisch?

Und noch etwas, um Ihnen auch auf diesem Gebiet den Wind aus den Segeln zu nehmen, das eigentlich nicht hierher gehört, weil man sich über Geschmack streiten kann:
Ich halte das Anti-Putin-Gebet von Pussy Riot für erstaunlich gute Kunst.
Es spielt an auf ein Gedicht von Apollinaire, das auf deutsch „Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel“ (in der Sammlung „Alcool“, 1912) heißt und seinerseits auf das berühmte Bild von Repin anspielt. Dort wird der Sultan von den Kosaken so wie Putin von den Pussies zotig und blasphemisch beschimpft. Und, lieber Herr Gubenko, weil Sie fragen, was an dem „Patriarchen-Köter“ des Pussy-Gebets Kunst sein soll, ihm wird unter anderem der „Arsch der Stute, Schnauze vom Schwein“ angedichtet.
Dieses sehr eindrucksvolle Gedicht ist große Kunst. Und, das wissen auch Sie Herr Gubenko (Herr Baucks wahrscheinlich eher nicht), von Schostakowitsch auch als solche herausgestellt: In seiner 14. Sinfonie gegen Stalin nämlich.
Das Anti-Putin-Gebet stellt sich also in eine sehr komplexe Tradition: über Schostakowitsch zu Stalin, Apollinaire, Repin, die seit der russischen Romantik (nicht erst seit Putin) idealisierte russische Nationalgeschichte (Stichwort: Kosaken) bis hin zur idealisierten russischen Seele (Stichwort: Glauben, Gebet) und meinetwegen auch bis zum Jurodivij, der bekanntlich von Boris Godunow vor der Basilius-Kathedrale fordert: „Befiehl, dass man die Kinder schlachtet, so wie du einst geschlachtet hast den Zarewitsch“ und „Man darf nicht beten für den König Herodes“ und „Weine, weine armes Land“. Meines Erachtens würde schlechte Kunst eine solche Komplexität raffinierter Bezüge nicht herstellen: Das Anti-Putin-Gebet warnt vor dem neuen Stalinismus „mit menschlichem Antlitz“, ohne dieses Reizwort auszusprechen – rein immanent.
Ich finde sprachlich wie inhaltlich grandios:

Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!
Vertreibe Putin, vertreibe Putin! [Die göttlich-magische Dreizahl]

Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen – [Ton des Expressionismus]
Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung
Das Gespenst der Freiheit im Himmel [Kommunistisches Manifest]
Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.

Der KGB-Chef ist euer oberster Heiliger,
Er steckt die Demonstranten ins Gefängnis.
Um den Heiligsten nicht zu betrüben
Müssen Frauen gebären und lieben. [Feminismus]
usw.

Das ist waschechter Majakowski-Ton.
Pussy Right, Berlin: Putin
Und noch etwas zu der Frage, ob Putin(-Anhänger) hinter dem Urteil steckt (stecken) oder nicht.
An erster Stelle wird Putin angegriffen.
Wer ist also die meist interessierte Partei dieses Prozesses?
Pussy Right, Berlin: Putin zuwenig zugetraut
Herr Guttenberg,
Sie trauen der Gruppe "Pussy Riot" eine tiefgreifende Kenntnis russischer Kunst- und Kulturgeschichte zu, Putin jedoch nicht das simple Bewusstsein dessen, dass eine Verurteilung dieser Frauen unweigerlich negative Resonanz und Politmord-Vorwürfe nach sich zöge. Ein Machtinhaber mit märchenhaften Beliebtheitsquoten profitiert am allerwenigsten davon, sich als despotischer Unterdrücker darzustellen. Auch in Russland.

Auf Ihre Frage bezüglich der interessierten Partei antwortete ein Vorredner im Jelinek-Thread: "Als Medienprodukte verkaufen sich besonders gut negative Vorkommnisse, ganz besonders dominant ist hier alles, das Angst schüren kann."
Pussy Right, Berlin: auch die Kunst unterliegt der Rechtsprechung
Wenn ich eines in meinem Dasein als Philologe gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass man - wenn man denn möchte - jeden mir bekannten Text so rezipieren kann, dass er dem eigenen Weltbild äquivalent ist. Das ist keine allzugroße Kunst.

Wir können uns zwar darüber unterhalten, inwiefern der vorliegende Text etwa Elemente der Majakovskij-Poetik trägt oder nicht, dies wäre dennoch für unsere hiesige Debatte irrelevant. Der Tatbestand der Kunstfertigkeit der Performerinnen beantwortet nun mal nicht die Frage nach ihrer Strafbarkeit. Die Frage ist doch viel mehr, ob sich das, was ihnen vorgeworfen wird, nämlich Beleidigung und Deskriminierung, welche sich gegen eine Glaubensgemeinschaft und ihre Vertreter richten, in dem konkreten Text belegen lässt. Dies ist zu bejahen.
Auch die Kunst unterliegt einer Rechtsprechung. Überall auf der Welt. Viele PR-Befürworter wollen das nicht wahrhaben und fordern Freispruch, weil sie in der Verurteilung einen Akt der Willkür vermuten. Diese kann dem PR-Prozess aber nicht nachgewiesen werden. Und das obwohl der Prozess vollständig dokumentiert und dessen Ergebnis öffentlich zugänglich ist.
Pussy Right, Berlin: wieder ein wenig Propaganda
@ Mihails Gubenko
Eigentlich würde ich mich auch lieber wieder mehr mit der Kunst auseinandersetzen. Da Sie das aber partout für obsolet halten, hier wieder ein wenig Propaganda. Peter Franck, ehrenamtlicher Russlandexperte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und Sprecher des Arbeitskreises JuristInnen hat in der taz von heute zur Behauptung, dass Pussy Riot auch in Deutschland zu Gefängnis verurteilt worden wären, Stellung genommen. Hier der Link zum Artikel, der den Verfechtern dieser These etwas den Wind aus den Segeln nehmen dürfte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2012/09/12/a0072&cHash=d9bbca991b2e816540f58c0a3030483f

Und noch etwas aus Brechts Antigonemodell:

Kreon:
Dich heißt die Heimat nicht mehr die ihre
Sondern verworfen bist du wie beißender Dreck,
der besudelt. (...)
Immer nur die Nase neben dir siehst du, aber des Staats
Ordnung, die göttliche, siehst du nicht.
Antigone:
Göttlich mag sie wohl sein, aber ich wollte doch
Lieber sie menschlich, Kreon, Sohn des Menökeus. (...)
Und doch hab ich nur Heiligs
Heilg betrieben. (...)
Aber gewiss. Zum Hasse nicht, zur Liebe leb ich.
Pussy Right, Berlin: rechtmäßig
@Stefan:
1) Der Autor geht lediglich auf §167, nicht jedoch auf §166 ein (http://dejure.org/gesetze/StGB/166.html)

2) Hier wird in dem Beitrag Nr.5 erläutert, inwiefern der Straftatbestand gem. §167 vorliegt:

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7205:Presseschau-vom-5-september-2012--elfriede-jelinek-ueber-pussy-riot-in-der-russischen-zeitung-qthe-new-timesq&catid=242:Presseschau&Itemid=115

3) Die Rechtmäßigkeit der Verurteilung nach russischem Recht wird von keinem mir persönlich bekannten Juristen bestritten. Und ich habe, glauben Sie mir, nicht nur dumme Freunde!

4)"Es verbietet sich aber, die in Moskau tatsächlich verhängten Strafen mit einer Maximalstrafe im deutschen Recht zu vergleichen."
- Stimmt. Aber da kein Bereuen der Tat vorlag, die Tat zugegebenermaßen langfristig geplant wurde und es sich dabei um keine einmalige, sondern eine zum 3. Mal wiederholte Aktion handelte, wird es der Strafverteidigung auch nach deutschem Recht schwer fallen, von der Maximalstrafe fundamental abzuweichen. Ja, die Strafe wäre milder ausgefallen. Darauf dürfen wir in Deutschland stolz sein. Aber daran, dass sie verurteilt worden wären, scheint auch Ihr Experte nicht wirklich zu zweifeln.
Pussy Right, Berlin: Störung des öffentlichen Friedens/Volksverhetzung
Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Herr Gubenko.
§ 166 StGb: Störung des öffentlichen Friedens. Der Punkt würde in Deutschland kaum zum Tragen kommen. Jedenfalls nicht wenn drei Frauen in einer Kirche tanzen. Ich hatte das übrigens hier ebenfalls schon stark in Zweifel gezogen. Hier konstruiert die russische Justiz etwas. Man stellt Pussy Riot als eine Art verbrecherische Vereinigung dar. Das ist den Protokollen und den Berichten von Beobachtern des Prozesses zu entnehmen. Nur so geht es überhaupt, Rowdytum in diese besondere Schwere nachzuweisen. Es spielt dabei eigentlich keine Rolle, wie oft Pussy Riot bisher solche Aktionen durchgeführt hat. Meines Wissen in einer Kirche noch keine dieser Art. Aber korrigieren sie mich da ruhig. Der Jurist Franck geht vermutlich daher auch gar nicht näher auf den Paragrafen ein. Das ist der Unterschied zur deutschen Rechtssprechung, was die Störung des öffentlichen Friedens betrifft oder den Tatbestand der Volksverhetzung, der mit Sicherheit Gefängnis nach sich ziehen würde.
Pussy Right, Berlin: Putin-Show I
@ 18:
Lieber Herr Gubenko,
"Auf Ihre Frage bezüglich der interessierten Partei antwortete ein Vorredner im Jelinek-Thread: 'Als Medienprodukte verkaufen sich besonders gut negative Vorkommnisse, ganz besonders dominant ist hier alles, das Angst schüren kann.'" - Sorry, das ist Küchenpsychologie. Kann ich nicht ernst nehmen.

"Ein Machtinhaber mit märchenhaften Beliebtheitsquoten profitiert am allerwenigsten davon, sich als despotischer Unterdrücker darzustellen." - Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil er sich als despotischer Unterdrücker darstellt, hat er märchenhafte Beliebtheitsquoten. Was ihn an die Macht brachte, war das Chaos der Jelzin-Liberalisierung: Hier hat er aufgeräumt. Und der Tschetschenienkrieg: Hier hat er den Terminator gespielt.
Oder wozu ist das ganze Show-Biz seiner Selbstinszenierungen da? Nebenbei in den Ferien antike Vasen im Meer finden. Mit nackter Brust Bären schießen. In Krisensitzungen finster blicken und wenige, markige Worte sprechen. Putin spielt den Russen den Schwarzenegger vor und erhält dafür hohe Einschaltquoten. Wenn man nichts zu fressen hat, muss man wenigstens stolz auf sein Land sein und die Tschtschenen hassen. Prinzip Potemkin.

Ja, ich finde die Putin-Show dümmlicher als die Pussy-Show. Nur dass Putin leider ein Clown mit Macht ist.

Zu Ihrem Philologie-Begriff: Schade, dass Sie so niedrig von der Philologie denken. Ich bin auch Philologe. Pluralismus ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Beliebigkeit. Wenn viele Interpretationen triftig sind, heißt das nicht, dass alle Interpretationen triftig sind. (Eselsbrücke: "Viele Russen sind gläubig" ≠ "Alle Russen sind gläubig".)

Mit Ihrem Majakowski-Einwand haben Sie recht. "Majakowski-Ton" ist falsch. Ich hätte vom Geist Majakowskis schreiben sollen, der in diesem Gedicht steckt. Sie können nicht behaupten, dass Majakowski je vor der Macht gekuscht oder auf Seiten der Kirche gestanden oder für den "guten Geschmack" gekämpft hätte. Sie kennen seine Polemik "Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack" (1912).
Pussy Right, Berlin: Putin-Show II
Fortsetzung @18:

"Auch die Kunst unterliegt einer Rechtsprechung." Nein. Das tut sie nur in totalitären Regimen, im 19. Jahrhundert und in Gottesstaaten. Die Französische Revolution hat ausdrücklich die Trennung von Kirche und Staat in der Französischen Verfassung festgeschrieben.
"Die Gedanken sind frei" lautet das berührende Fallersleben-Lied, mit dem die deutschen Revolutionäre in den 1840er Jahren gegen deutsche Despoten für Freiheit kämpften, die im 19. Jahrhundert so handelten wie ihr Herr Putin heute. Sie kennen das alles: Büchner, Weidig, der Hessische Landbote, Herwegh, Marx, Engels, Bakunin usw. Wir alle, die wir gegen Sie argumentieren, flehen zu Gott, dass Russland endlich aus dem 19. Jahrhundert (Putin) bzw. aus dem Mittelalter (Orthodoxie und deren Mütterchen- und Kosaken-Armee) heraus- und zur Ruhe kommt.

Sie wiederholen immer wieder, was Herr Putin Ihnen vorgebetet hat: "Auch in Deutschland, Österreich oder den USA gilt der religöse Raum als geschützt; ähnliches Verhalten wäre in jedem Land der Welt, in dem ein solcher Raum überhaupt existiert, vor Gericht gekommen und verurteilt worden."
Nennen Sie mir 1 Künstler in der zivilisierten Welt, der in den letzten 20 Jahren von Gerichten der zivilisierten Welt wegen seiner Kunst verurteilt wurde.

Ich warte.

So, dann komme ich mit Gegenbeispielen:

1. 18.8.2012: 5 Kölner Pussy-Sympathisanten randalieren während des Gottesdienstes im Kölner Dom. Auf Video hier zu besichtigen: https://vimeo.com/47813091 (Danke Herr Baucks). In welchem deutschen Straflager, Herr Gubenko, sitzen sie?

2. August 2012: Ulrich Seidl zeigt auf der Biennale Venedig seinen Film "Paradies: Glauben" in dem eine Frau mit einem Kruzifix masturbiert. In welchem Lager sitzt er?

3. Bozen, 2008: Das Kunstmuseum zeigt Martin Kippenbergers gekreuzigten Frosch. Welches österreichische Gericht hat die Kuratorin verurteilt?

4. 1987ff.: Andres Serranos "Piss Christ" wird in verschiedenen amerikanischen Museen und in Neuseeland ausgestellt. In welchen amerikanischen oder neuseeländischen GULAG wurde er gesteckt?

usw.

Lieber Herr Gubenko, was hauen Sie uns immer ihre Paragraphen um die Ohren. Schrieben Sie uns nicht selbst: "Wenn ich eines in meinem Dasein als Philologe gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass man - wenn man denn möchte - jeden mir bekannten Text so rezipieren kann, dass er dem eigenen Weltbild äquivalent ist. Das ist keine allzugroße Kunst." Zu dieser Gesamtheit der ihnen "bekannten Texte" gehören doch die Gesetzestexte auch? Damit hätten Sie uns in schöner Unmissverständlichkeit erläutert, wie ein Kenner des Landes einem Fremden (Deutschen) die Geheimnisse der russischen Rechtsprechung erklärt.

"Viele PR-Befürworter wollen das nicht wahrhaben und fordern Freispruch, weil sie in der Verurteilung einen Akt der Willkür vermuten. Diese kann dem PR-Prozess aber nicht nachgewiesen werden." OK. Ich gebe nach. Putin steckt meinetwegen nicht dahinter.
Aber warum ist Putin politisch nicht mal auf dem Stand von 1811, als Kleist den Großen Kurfürsten den Prinzen von Homburg am Ende doch begnadigen lässt?
Putin macht sich mit diesem läppischen Law-and-order-Gehabe nur lächerlich:
2 Jahre Lager für 40 Sekunden Gegröle in der Kirche.
"Bedecke deinen Himmel Zevs

Mit Wolckendunst!

Und übe Knabengleich

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn!" (Goethe, nicht ich)
Aber welcher Gott kann ihm vergeben, dass er die internationale Staatengemeinschaft daran hindert, das hunderttausendfache Schlachten in Syrien zu beenden?

Wenn Putin wie ein Despot des 19. Jahrhunderts glaubt, denkt und regiert, soll er auch wie ein Despot des 19. Jahrhundert behandelt werden. Sergej Netschajew (Revolutionärer Katechismus, 1869) und Boris Savinkov (Memoiren eines Terroristen, 1911/14) haben beschrieben, wie man mit solchen Typen zeitgemäß und rein russisch verfahren soll.
Pussy Right, Berlin: Strafe auch hier
Seien wir doch einmal ehrlich, für eine solche Handlung, vor allem, wenn sie mehrfach wiederholt wurde, wenn auch nicht in Kirchen, so dann doch in U-Bahnhöfen oder auf öffentlichen Plätzen, Modegeschäften und anderswo, kann man auch in Deutschland nicht auf Straffreiheit hoffen. So ist es doch.
Pussy Right, Berlin: sehen, was man sehen soll
@Guttenberg:
Woher wollen Sie wissen, wie Putin sich in Russland inszeniert, wenn Sie hier nur eine durch bewusste Selektion künstlich zusammengestellte, lächerlich anmutende Persiflage seines Auftretens vorgesetzt bekommen?

In etwa so: http://www.liveleak.com/view?i=836_1255800528

Oder frei nach Agent Mulder: "Sie sehen nur, was Sie sehen sollen."
Pussy Right, Berlin: Deckmantel Kunst
@Martin Baucks:
Nach Guttenberg offensichtlich nicht. Er wirft mit Akten stupider Provokation und Geschmacklosigkeit derer um sich, die - versteckt unter dem Deckmantel der "Kunst" - davongekommen sind. Es ist nämlich ein höchst sensibles Thema. Vor allem, wenn sich was gegen die Kirche richtet (Dawkins' Kreuzzug). Sofort ist der mediale Fokus drauf. Und da wird man als verantwortliche Administration (muss ja nicht alles eine Staatsaffäre werden) in jedem Fall geschlachtet:
Lässt man Gnade walten, hat man es mit Konservativen zu tun, die "Werteverfall" ausrufen. Zieht man getreu dem Motto "gleiches Recht für alle" das StGB hinzu, schreien beleidigte Demofans "Diktatur" oder "Faschismus". War das nicht immer so, Herr Guttenberg?

@Guttenberg:
Können Sie uns hier und jetzt Ihr Wort geben, dass Sie immer - ganz egal in welchem Land - auf der Seite jener Personen sein werden, die ihre Handlungen als "Kunst" manifestieren und gegen was auch immer protestieren? Ungeachtet ihrer Handlungen?
Bezüglich des Meinungspluralismus sehe ich hier keinen Widerspruch. Sie können in jedem Fall zu Ihren Gunsten argumentieren, egal auf welcher seite Sie sind. So schlängeln sich nicht wenige Geisteswissenschaftler durch ihre Karriere. (Davon gehe ich bei Ihnen natürlich NICHT aus) Ähnlich kann man auch - Sie sehen es richtig - auch mit Gesetzestexten verfahren. Doch steht hier auf der einen Seite (nämlich zugunsten meiner Position) immerhin ein Gesetzestext, auf der anderen jedoch nur Ihr persönlicher Kunstgeschmack.
Pussy Right, Berlin: Beispiele bitte
@25
beispiele herr baucks. pseudo-fakten-geschwätz reicht nicht. es ist nämlich nicht so, sonst hätte sich das, was sich oft unter dem begriff "theatrale intervention" verbirgt, nicht entwickelt. jetzt sind sie dran. ich bin gespannt, ob es zu mehr reicht als zum "basta".
Pussy Right, Berlin: konformistische Phrasen
@olympe:
Eigentlich müssen Sie und ihre Mitstreiter nachweisen, weshalb das StGB in bestimmten Fällen keine Anwendung finden darf. Weshalb die Trennung von Kirche und Staat als Parole für die Beliebigkeit und Unverantwortbarkeit bestimmter Handlungen herhalten soll. Weshalb politischer Protest der PR keine hohle Phrase sei, aber die Kritik an dessen Beschaffenheit nur aus solchen bestünde.
Am Ende dreschen wir doch hier alle hohle Phrasen, nur die Ihrigen sind konformistisch und von der Mehrheit für gut befunden.
Pussy Right, Berlin: das Reich der Kunst
Meine Wahrnehmung ist: Hier beharken sich offenbar zwei (oder mehr) Parteien. Dabei bleiben auf der einen Seite die tatsächlich Verantwortlichen (PR-Agenturen und/oder Lobbyismus) im Hintergrund sowie auf der anderen Seite die (körperlich) Betroffenen auf der Strecke. Um die geht es - wie so oft im globalen Geschehen der Mächtigen und Namhaften - wohl den Wenigsten hier. MIT denen redet kaum einer. Kunst hin oder her. Zitat Hegemann: "Die Kunst kann als Kunst ihr Reich oder ihren Bereich nicht verlassen, sie verwandelt sich beim Überschreiten der Grenze in Kriminalität oder Wahnsinn." Oder man(n) erklärt Frauen für wahnsinnig. Und deshalb noch was für ALLE von Abini Zöllner: "Es ist immer dasselbe: Die Nichtbetroffenen erklären den Betroffenen, sie sollten nicht so betroffen sein."

@ Mihails Gubenko: Was hat Agent Mulder (FBI) aus "Akte X" jetzt damit zu tun? Glauben Sie an Ausserirdische? Und es reicht auch nicht aus, etwas als Kunst zu deklarieren. Denn manchmal ist es eben doch Realität bzw. bitterer Ernst. Oder: Bis eine/r weint.

@ olympe: Was genau hat sich unter dem Begriff "theatrale Intervention" entwickelt? Wie kann sich unter einem Begriff (!) etwas entwickeln? Meinen Sie Manipulation?
Pussy Right, Berlin: wahres Gesicht Persiflage
@ 26:
Woher wollen Sie wissen, dass die Persiflage nicht sein wahres Gesicht ist?
Pussy Right, Berlin: kein Mitleid für Putin
@ 27:
Auch dieses Argument kann mich nicht zu Mitleid mit Putin bewegen.

Ein Staatsmann sollte sein Fähnlein weder nach dem Wind der Konservativen, noch nach dem "beleidigter Demo-Fans" drehen, sondern gerecht und verhältnismäßig handeln.
Ergo: Wenn die konservative Kirche oder beleidigte christliche Demo-Fans 2 Jahre Lager für 40 Sekunden "stupide Provokation" fordern, muss er Manns genug sein zu sagen, dass diese Forderung überzogen ist.

Im Übrigen: Mein Mitleid ist für die Putin-Opfer aufgebraucht. Für Putin ist im Moment nichts mehr übrig.
Pussy Right, Berlin: Peymanns übernehmen Sie
@27:
"Guttenberg (...) wirft mit Akten stupider Provokation und Geschmacklosigkeit derer um sich, die - versteckt unter dem Deckmantel der "Kunst" - davongekommen sind."

Soso: Davongekommen!
Die Justiz hier ist Ihnen also zu lasch?
Man sollte auch im Westen Jagd auf Künstler machen?

Als Kenner des Deutschen Strafgesetzbuches wissen Sie, welche Strafe auf Volksverhetzung steht.

Aber im Ernst: Was für eine Logik:
1. Im Westen würden die Pussies nach § 166 oder 167 auch verurteilt.
2. Dass keine Künstler im Westen verurteilt werden, liegt nur daran, dass sie "unter dem Deckmantel der Kunst" noch einmal davongekommen sind.

Ich glaube, Sie sind ein Künstler, ein Dissident: Sie haben uns die ganze Zeit wie Daniil Charms an der Nase herumgeführt und wollten eigentlich nur die Absurdität einer bestimmten russischen Denkschule, die im Moment das Sagen hat, vor Augen führen. Und da Sie nicht ins Lager wollten, mussten Sie sich der äsopischen Sprache bedienen.

Lieber Herr Peymann: Hier ist es, das aktuelle Stück zu Putin! Übernehmen Sie!
Pussy Right, Berlin: Kölner Prozess steht aus
https://vimeo.com/47813091

Hier also extra nochmal für sie Olympe das Kölner Video. Der Prozess steht noch aus.

Auch bei uns kann man nicht einfach Kirchen zum Zweck eines Punkgebetes erstürmen.
Pussy Right, Berlin: und der NSU?
Wann kommt das erste Stück in Deutschland über den NSU? Alle regen sich über Putin auf und in Deutschland werden unter Verfassungsschutz Türken erschossen - seit 13 Jahren.
Aber sowas hat ja in unserem Land Tradition...
Pussy Right, Berlin: Opium für Völker
@ 35: Nee, das ist dasselbe in braun.

@ 30: Was sollen wir tun, Inga, um die Körper der Betroffenen frei zu kriegen?

Ist es nicht ein schöner Zug der Mächtigen (auch der global Mächtigen), für die Schwachen einzutreten? (Selbst wenn es nur wenige Mächtige tun?)

@ Gubenko/Baucks:
In der arabischen Welt können wir gerade wieder sehen, wohin religiöser Fanatismus führt: Zu Mord und Totschlag.
Marx scheint recht zu haben. Religion ist das Opium der Völker. Sie führt dazu, dass die Menschen ihren Verstand und ihre Menschlichkeit verlieren. Man sollte sie wie alle Drogen verbieten.
Pussy Right, Berlin: Köln ist anders
@34
"der prozess steht noch aus". sie vergleichen zwei vorgänge, die sich in einem jeweils völlig unterschiedlichem stadium befinden, um damit zu belegen, dass man in deutschland ebenso hart und unverhältnismäßig reagieren würde. das wissen sie noch gar nicht. das bleibt abzuwarten. wo also ist ihr argument, wo ihre beispiele? sind die kölner sympatisanten in u-haft? wird gedroht ihnen ihre kinder wegzunehmen? müssen sie mit 2 jahren lagerhaft rechnen? und jetzt bitte nicht wieder ausweichen, sondern einfach mal auf fragen eingehen. ihre antworten darauf würden mich nämlich wirklich interessieren. allgemeine ausflüchte gab es schon genug zu lesen.
Pussy Right, Berlin: nicht schön
Liebe Olympe,

mmmh, ich verstehe ihren Ton manchmal nicht richtig. Ich habe gar nicht vor auszuweichen. Wieso auch? - Natürlich ist die Strafe gegenüber Pussy Riot unangemessen und zu hoch. Ich wollte lediglich feststellen, dass man auch in Deutschland bei einer solchen Aktion nicht mit Straffreiheit rechnen kann. Wie hoch die Strafe in diesem Fall ausfällt wird die Zukunft zeigen. In nehme an es wird bei einer Ordnungswidrigkeit oder einer Bewährungsstrafe bleiben. Und das ist gut so.

Nur bekomme ich ein Problem, wenn sich andere Nationen in einem russischen Zerrbild positiv wiederspiegeln wollen und dabei ein falsches Selbstbildniss von sich erzeugen.

Offensichtlich hat diese Band eine Fixierung auf Herrn Putin. Und die ausländischen Beoabachter zeichnen diese Fixierung in Teilen nach, ohne sehen zu wollen, dass die Frauen ofensichtlich von Richterinnen verurteilt wurden und eine Mehrheit der Russen laut Umfragen diese Strafe begrüßt. Das ist nicht schön. Aber ebenso in bestimmten amerikanischen Staaten eventuell vorstellbar. Im Kölner Dom sogar sehr real, wenn auch hier die Starfen moderater ausfallen, weil niemand mehr einer solchen Gruppe durch überhöhte Strafen zuviel Aufmerksamkeit zukommen lassen würde.

Ich bedaure die Strafen in Moskau aufrichtig. Aber meine Solidarität hält sich in Grenzen, da ich nicht einer aggressiven Gesinnung, die sich von einer Fixierung speisst, gelenkt werden möchte.

Darüberhinaus mag ich es nicht, wenn sich westliche Demokratien als überlegen über andere Staaten beugen, ohne sich selber kritisch zu reflektieren. Denn dies sind genau die Vorgänge, an welche die Peymanns dieser Welt gedankenlos anknüpfen.
Pussy Right, Berlin: Lager
Da ich zum x-ten Mal das Wort "Lager" oder "GULAG" lese, muss ich wohl mit einem weiteren Russlandmythos aufräumen:
Die Frauen werden nicht nach Sibirien gehen, auch nicht nach Kamtschatka. Sie werden keine Gewichte an den Füßen tragen und auch nicht mit Sektflaschen vergewaltigt.
All das gibt existiert in Russland nur in der kranken Fantasie in Russland ansässiger Verschwörungstheoretiker, prinzipieller Regierungshasser (weil sie nix vom Kuchen abbekommen) und westlicher Medienvertreter. Das ist lange vorbei.
Die Frauen von PR sind zu 2 Jahre Haft verurteilt worden. Sie werden es warm und satt haben (allein weil alle 2 Wochen der Spiegel antanzt, aber nicht nur deshalb). Sie werden zwischen Frühstück und Mittagessen bei irgendeinem Straßen- oder Hausbau an irgendeiner Betonmischmaschine stehen. Das ist auch schon alles, was die Empörten Arbeitslager schimpfen.

@Guttenberg:
Wenn Sie Philologe sind, ist es unter Ihrer Würde, mir die Worte im Munde umzudrehen und die von mir geäußerten Inhalte bis zum Gehtnichtmehr zu polemisieren. Ich habe meine Position in mehreren Beiträgen unmissverständlich erläutert. Und Sie verhalten sich so, als hätten Sie mich bei einem Tippfehler ertappt und machen mir einen Strick daraus.
Ich erkläre es gerne kurz noch Mal: "davonkommen" meint eine zu einfache Auseinandersetzung mit einem wie auch immer gearteten Sachverhalt. Verfahren nach der Formel "Es gilt als Kunst, daher Finger weg". So funktioniert ein Rechtstaat und eine westlich-demokratische Zivilgesellschaft dann doch nicht. Ob ich Streichhölzer verkaufe oder Gedichte schreibe - ich darf nicht mit Backsteinen um mich werfen, wenn um mich Menschen sind. Ist das für Sie nicht logisch?
Pussy Right, Berlin: Manipulation
@Inga: Was Agent Mulder damit zu tun hat, entnehmen Sie jedem zweiten meiner Beiträge. Da geht es nicht um Außerirdische, sondern um Manipulation, Meinungshetze und Selektion bei der Wahrnehmung - alles zum Zweck einer bestimmten Russland-Ikonographie, die düsterer ist, als jene von Mordor :-)

Und hier haben Sie sowas von Recht: "Dabei bleiben auf der einen Seite die tatsächlich Verantwortlichen (PR-Agenturen und/oder Lobbyismus) im Hintergrund sowie auf der anderen Seite die (körperlich) Betroffenen auf der Strecke."
Allein das ist Grund genug, die Legitimierung des PR-Prozesses zu verteidigen.
Pussy Right, Berlin: Erleuchtung?
@Langweilig:
Willkommen in unserer allseits beschossenen Minderheit, bestehend aus jenen, deren Hände nicht zu kurz sind, sich an die eigene Moralin-verseuchte Nase zu fassen! Noch sind wir Wenige, aber vlt. ereilt den einen oder anderen olympischen Guttenberg die Erleuchtung darüber, dass sie unwillentlich zu ihrem richtigen Denken uniformiert werden.
Klingt altklug, ist aber so!
Pussy Right, Berlin: Präzedenzfälle
@ Guttenberg: Es geht nicht allein darum, die Körper frei zu bekommen. Es geht auch um die Klärung der Frage, wie es überhaupt dazu kommen kann, dass diese Frauen eingesperrt werden. Es geht darum, ob man hier bloß Präzedenzfälle schaffen und damit über den Gnadenakt die eigene Macht sogar noch stärken will. Oder ob man verstanden hat, dass dieser Kampf ein grundsätzlicher ist, dass es diesen Frauen um die Kirche als Institution geht, welche mit autoritären Kapitalisten wie Putin paktiert, um die Schwachen schwach zu halten. Es geht um die Hinterfragung der narzisstischen Mitleidsmoral. Ich habe dazu zufällig gerade wieder etwas gelesen, was vielleicht ganz gut zu dieser Situation passt, nachzulesen bei Slavoj Zizek (in: "Demokratie? Eine Debatte"):

"Walter Benjamins Name für jenen 'demokratischen Terror' ist göttliche Gewalt [...], die nicht rechtsetzend, sondern rechtsvernichtend ist. [...] Dasselbe Argument bringt auch Hegel vor. Wenn er betont, daß die Gesellschaft - die bestehende Sozialordnung - der ultimative Raum ist, in dem das Subjekt seinen Substanzgehalt und seine Anerkennung findet, daß sich also subjektive Freiheit nur innerhalb der Logik einer allgemeinen ethischen Ordnung verwirklichen kann, so ist die implizite (wenn auch nicht expilzit geäußerte) Kehrseite dieser Aussage, daß diejenigen, die diese Anerkennung NICHT finden, das Recht haben zu rebellieren. Wird eine Klasse systematisch ihrer Rechte und werden Personen systematisch ihrer Würde beraubt, sind sie eo ipso auch von ihren Pflichten gegenüber der Sozialordnung befreit, da diese Ordnung nicht länger ihre ethische Substanz ist: 'Wenn eine Sozialordnung es versäumt, ihre eigenen ethischen Grundsätze zu verwirklichen, kommt dies der Selbstzerstörung dieser Grundsätze gleich.'"

Abgesehen davon, muss man meines Erachtens auch nicht zwanghaft aktiv werden, indem man Revolutionsspektakel so inszeniert, dass die kapitalistische Ordnung letztlich unangetastet bleibt. Viel sinnvoller wäre es, das Funktionieren des Kapitalismus über eine Art passiven Widerstand (Beispiel Ghandi) zu durchbrechen: Bewegungen des zivilen Ungehorsams, Boykott kapitalistischer Konsumprodukte usw.
Pussy Right, Berlin: komisch
"In der arabischen Welt können wir gerade wieder sehen, wohin religiöser Fanatismus führt: Zu Mord und Totschlag."

Sie meinen in Lybien? Komisch, und ich dachte, eine militärische Intervention führe dazu..
Entscheidend ist allerdings auch, wer die Kamera gerade in der Hand hält.
Pussy Right, Berlin: eigener Mist
ja, danke sehr @ langweilig! - wann kümmern wir uns eigentlich mal um unseren eigenen mist - ich schwöre, kein theater traut sich gerade an das thema NSU - warum schreibt frau jelinek nicht einen text zu beate schäpe? - und über die herren vom "verfasungsschutz" das würde ich gern mal lesen, aber das ist wohl zu nah an der realpolitik.
Pussy Right, Berlin: Backsteine
An die nachtkritik-Redaktion: Mit welcher Begründung senden Sie einen hier von mir geposteten Kommentar nicht?

@ Mihails Gubenko: Es besteht für mich persönlich schon ein entscheidender Unterschied, ob jemand mit Backsteinen um sich wirft oder mit Farbbeuteln/Wasserbomben. Zudem entstanden die verbalen Entäußerungen von Pussy Riot ja auch nicht aus dem Nichts heraus.

Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Tolkiens "Herrn der Ringe". Wie alt bzw. wie klein (tschuldigung) sind Sie eigentlich, dass sie sich in solche Fantasy- bzw. Heldenwelten hinwegträumen müssen?

Und was meinen Sie mit der Kamera?

(Werte Inga,

Ihr Žižek-Zitat ist ziemlich lang geraten, da musste ich mich erst mal informieren, ob wir das in Sachen Copyright veröffentlichen dürfen. Sollte der Text online existieren, wäre in solchen Fällen ein Link die sichere Alternative.

MfG,
Georg Kasch / Die Redaktion)
Pussy Right, Berlin: Medien können lügen
@Inga:
Ich merke, dass es Ihnen immer wieder schwer fällt, meinen Ausführungen zu folgen, obwohl meine Beiträge immer kürzer werden. Nein, verzeihen Sie, ich glaube eher, dass Sie nur so tun, als verstünden Sie meine Äußerungen nicht.
Hier die Rechtfertigung meiner Erwähnung von "Mordor":

Tolkien (sollte er Ihrer Meinung nach grundsätzlich als nicht zitabel eingestampft werden?:-) zeichnet eine düstere und einseitige Ikonographie seines Bösenreiches. Im Fantasy- und Märchenbereich ist ja alles überhöht und metaphorisiert, wie Sie wissen. Das erwähnte Land ist in diesem (von mir aus Kinder- bzw. Jugend-)Buch fast ausschließlich negativ repräsentiert. An diese einseitige, unauthentisch-Negative per se, denunzierende Darstellung eines fiktiven Staates erinnert mich die derzeitige Konstruktion eines Russland-Bildes. Wenn Sie Orwell lieber mögen, ziehen Sie den Vergleich zu 1984 vor: Und das ist wiederum nicht vereinbar mit dem Berufsethos eines Journalisten.
Wenn also seriöse Berichterstattung und unabhängige Auseinandersetzung verlangt wird, aber nur "Mordor" rauskommt, hat der Journalist etwas falsch gemacht. Ob er das tun wollte oder musste, ist dann die nächste Frage.

Zu Ihrer Frage nach der Kamera: Je nach Blickwinkel kann eine andere "Wahrheit" evoziert werden. So wird Meinung gemacht. So hat etwa ZDF zur Zeit des Lybien-Krieges irgendwo eine unterbelichtete Ortsansässige gefunden, die uns vorlog, Gaddafi habe die Unterdrückung der Frauen und einen Sharia-Staat vorangebracht bzw. etabliert. Leider gelogen. In Bezug auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau war Lybien Afrikaweit ein Vorzeigestaat. Das war bekannt. Das lesen Sie selbst bei Wikipedia. Warum man also nicht eine andere Frau vor die Kamera gestellt hat, ist unklar. Wahrscheinlich, um dem grausamen Gaddafi-Regime ein Paar weitere grausame Züge hinzuzufügen.
Ich möchte hier keine Lybien-Diskussion entfachen. Aber die Kernthese ist nun mal die: Es ist nichts neues, dass Medien lügen können, wenn sich dahinter ein politisches Interesse ihrer Auftraggeber verbirgt. Oder ist es für Sie auch etwas neues, dass der Springer-Verlag CDU-nah oder die taz links ist? Außenpolitisch gelten nun mal die selben Regeln.
Pussy Right, Berlin: Ghandi?
@Inga:
Abgesehen von Ihrer Haltung gegenüber Fantasy- bzw. Heldenwelten, haben Sie meinen übrigen Ausführungen etwas entgegenzusetzen? Vlt. etwas Žižek oder Ghandi?
Pussy Right, Berlin: Grundgesetz-Keule
@Guttenberg:
"Aber im Ernst: Was für eine Logik:
1. Im Westen würden die Pussies nach § 166 oder 167 auch verurteilt."

Sie haben Recht, ich hatte abgesehen davon etwas noch offensichtlicheres übersehen: Art. 4(2)GG:
Art 4
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Glauben Sie mir, mit der Grundgesetz-Keule hätten unsere Konservativen die Pissies schon platt gekriegt.
Pussy Right, Berlin: Schrecklich, Russland zu ähneln?
Allmählich nähern wir uns also der Erkenntniss, dass auch in Deutschland die Störung einer Religionsausübung nicht straffrei ist. Wenden wir uns der wichtigeren Frage zu: Was für ein Fazit ziehen wir daraus?

Etwa, dass sich viele Staaten in diesem Punkt ähneln? Und es kein Alleinstellungsmerkmal für Russland in diesem Punkt gibt?

Was wäre daran so schrecklich, an dieser schlichten Erkenntniss? Mmmmh?!
Pussy Right, Berlin: Pupuismus = Putin und Pussies
So Kinder, ich steig jetzt aus aus aus diesem Thread, kümmere mich nur noch um die Neonazis vor meiner eigenen Haustür, überlasse Russland dem Pupuismus (Putins + den Pussies), lege die Beine hoch, lese Dostojewskis "Dämonen" und höre mir zur Entspannung meine schönen CDs mit dem Moskauer Patriarchatschor an.
Poká!
Pussy Right, Berlin: Immer da, wo die Kunst ein Problem bekommt
ganz schön verrückt, dass in einem thread über die riots, auch über sie geschrieben wird. das sagt nix über den umgang mit dem nsu, obwohl da sicherlich viel zu wenig passiert (lassen sie frau jenlinek doch ein bisschen zeit, ist ja keine serien-schreiberin). das eine mit dem anderen auszuspielen kommt mir eher schräg an. scheisse ist scheisse ist scheisse, egal in welcher facon und sollte wo und wie auch immer so benannt werden.
noch komischer, was für merkwürdige annahmen unterwegs sind, wenn man sich dafür einsetzt, dass die riots eine möglichst moderate strafe bekommen - wenn schon vor lauter StGb, bla, bla, eine sein muss. wer sagt, dass es in den usa oder in der brd keine probleme gibt? wer findet denn, dass allein russland mitsamt putin ein reputationsproblem hat? was soll denn dieser ganze relationsmist? da wo die kunst - scheiss auf den geschmack - ein problem bekommt, da wo religion und staat rumküngeln, da wo juristisch exempel statuiert werden, wo geschlampt wird, billigend in kauf genommen wird ..., und man bekommt es sogar noch mit, da muss man protestieren - finde ich. das ist ja schon wenig genug, was man da tut, aber immerhin. und den rest finde ich ehrlich gesagt oftmals ganz schön bemüht, um nicht zu sagen irgendwie herbeizitiert/-parliert, um mal zu zeigen, was man alles so drauf hat (oder auch nicht).

tugendterroristin (gefällt mir wirklich mister baucks)
Pussy Riot, Moskau: mehr Subtilität ist gefordert
@Olympe/Tugendterroristin

Nun, ich bin mit einem Feindbild Russland aufgewachsen. Es gehörte zum guten Ton antikommunistisch und gegen die Russen zu sein. Alles andere war undenkbar. Russen waren keine Befreier, sie waren die "Vergewaltiger". - Heute habe ich keine Lust mehr, mir von einer Punkband, die immer recht verkleidet aussieht, und deren Mitglieder sich vor Gericht als ganz "normale" Frauen entpuppen, ein vereinfachtes und grobes Russlandbild aufzwingen zu lassen. Putin ist zu kritisieren. Kein Zweifel. Die Korruption in Russland, die Angriffe auf die Presse, die Freiheit an sich, ist zu kritisieren. Aber bei den Pussy Riots handelt es sich meines Erachtens um recht schlichte Protestaktionen, die durch Begriffe, wie "Punkgebet" zu einer Kunstform erhoben werden sollen. Das ist soweit in Ordnung. Die klassische Konfrontation zu suchen, indem man Staat und Kirche herausfordert, finde ich nicht so spannend. Und natürlich relativiert so eine Aktion in Köln den Vorfall in Moskau. Denn plötzlich erkennen wir hier vor Ort auch die Banalität und Trivialität solcher Vorgänge. Es handelt sich bei den Pussy Riots weniger um exsistentielle Außenseiter, sondern vielmehr um intentionelle, die mit Absicht die Grenzen eines Staates kalkulierbar austesten, um zu polarisieren. Ich möchte mich aber nicht zwischen von außen gesetzten und erzwungenen Polen geistig bewegen.

Auch leide ich nicht unter relativierenden Betrachtungen. Ich leide eher an Vergröberungen, die durch solch einfache und aggressive Handlungen erzwungen werden. Ich freue mich nicht, wenn ein Putinbild in einem Video verbrannt wird. Solche Formen von Protest empfinde ich als rückständig. Letztendlich spielen solche Protestformen in die Hände derer, die überwunden werden sollen. Mehr Subtilität ist hier einfach gefordert. Eine Herausforderung an die Kunst sich auszudifferenzieren. Da muss man sich nicht gleich, wie Guttenberg in die Hängematte schmeißen, oder sich, wie sie Olympe, beleidigt in den Tugendterror zurück ziehen.

Gruss

Mister Baucks
Pussy Riot Fahne BE: Sentimentalität
Ich kann Peymanns Bedürfniss nach einer Jugendrevolte in dieser Form nur als lächerliche Sentimentalität empfinden. Opposition geht heute anders.
Pussy Right, Berlin: Ende
lieber guttenberg,
rutsch rüber. ich kopier mich mal eben in deine hängematte rein. mein vorschlag: direktschalte ins be. da gibt es "herr baucks befiehlt peymann nullmast und kommt damit nicht durch". herr gubenko schreibt darüber einen aufsatz auf nk, den keiner liest. die schauen alle "beleidigte und erniedrigte in der hängematte", was wiederum von einem russischen verschwörungstheoretiker heimlich gefilmt wird.
nk schliesst derweil den thread und schüttelt chorisch den kopf. ende.
Pussy Right, Berlin: solidarisch mit der Solidarität
@olympe

Das finden sie cool, solche Kommentare, nicht wahr? Schauen sie doch mal auf die Seite vom BE im Internet. Da finden sie nicht mal das Wort "Pussy Riot". Fragen sie mal jemanden wie Dietmar Böck aus der Dramaturgie, mit dem ich am DT zusammenarbeitete, wo seine künstlerischen Berührungspunkte zu der Arbeit der "Riots" in seiner Laufbahn aufzufinden sind. - Das BE ist doch in der Hauptsache solidarisch damit, dass man jetzt aber bitte mal solidarisch sein muss. Die Inhalte des BE in Bezug auf die "Riots" bewegen sich gegen null.

Und da soll ich mir die Mühe machen denen eine Flagge zu verbieten. Spinnen sie?!

Die können sich meinetwegen die Flagge von den "Sex Pistols" aufs Dach hängen, wenn sie mir nur erklären, was das mit ihnen zu tun hat.
Pussy Right, Berlin: die Mehrheit?
@ Mihails Gubenko: Ich empfinde Ihre Gleichsetzungen als merk-würdig und sprunghaft (von Russland über Tolkien nach Libyen). Ich würde auch sagen, dass man das Russlandbild unbedingt kontextualisieren muss. Zur Zeit des Kalten Kriegs bzw. nach dem Ende des deutschen Faschismus wurde das Russlandbild in den westlichen Medien möglicherweise absichtlich verfälschend einseitig präsentiert, besonders im Hinblick auf die deutsche Teilung. Das westliche Zerrbild des "Russen als Vergewaltiger" ließ sich ideologisch leicht gegen den Sozialismus bzw. Kommunismus instrumentalisieren. Darauf verweist zum Beispiel Thomas Braschs Stück "Lovely Rita". Brasch zeichnet darüber ein (historisches) Bild, wie es im Moment der Gefahr aufblitzt, der Gefahr der dogmatischen und personellen Machtkonzentration (sowohl im Faschismus als auch im Kommunismus). Es kommt also stark auf die Inszenierung drauf an, ob diese einseitig "den Russen" verurteilt oder nicht. Braschs Anti-"Vater Unser" lautet folgendermaßen:

"Herr Cäsar Meier Neumann Derundder
der du hockst im Wohnzimmer Schlafzimmer Dienstzimmer
und Capitol und Führerhauptquartier und Daundda
durchgestrichen sei dein Name
dein Reich verschwinde
dein Wille geschehe weder im Himmel noch in Deutschland
noch in
Rußland noch in Amerika noch im Bett noch Daundda.
Unser täglich Brot fressen wir selber
und vergeben dir keine Schuld
wie auch du nicht vergibst deinem Volk, deiner Frau, deinem Kind.
Und führe uns nicht nach Sibirien, nach Sing Sing, auf die Galeere, noch
in dein Bett
sondern erlöse uns von dir, du Übel.
Denn dein sei der Strick und der Fußtritt und der Dreckshaufen.
Im ewigen Feuer brate auf immer.
In Ewigkeit. Nieder."

Heute dagegen ist wohl kaum anzuzweifeln, dass auch in Russland längst der autoritäre Kapitalismus die Oberhand gewonnen hat. Zizek (bitte sehr!) schreibt dazu:

"Sowohl Putin als auch Berlusconi regier(t)en in einer Demokratie, die zunehmend zur leeren, ritualisierten Hülse ihrer selbst wird, und beide erfreu(t)en sich trotz der sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Situation großer Unterstützung im Volk (über zwei Drittel der Wähler)."

Genau darum geht es. Um das russische Volk. Steht tatsächlich die Mehrheit auf der Seite Putins? Wie kann das sein bzw. aus welchen Gründen geschieht das?
Pussy Right, Berlin: Frauenbild der UdSSR
Ich denke, Putin ist austauschbar, er könnte auch Stalin, Lenin oder sonst wie heißen. Es geht letztendlich darum, wie das russische Männer- und Frauenbild ineinander greifen. Man müsste ganz woanders ansetzen, wenn man die Anfeindung der "Riots" begreifen wollte. Man müsste sich mit dem Frauenbild der Sowjetunion beschäftigen und seiner Kontinuität bis in das heutige Justizwesen Russlands.
Pussy Right, Berlin: die russische Frau und ihr Führungsoffizier
@ martin baucks: Ach, ja? Stimmt. Ich erinnere - zum wiederholten Mal - an einen Text im Programmheft zu "Schuld und Sühne" an der Volksbühne: "Geliebte der Partei" von Eduard Limonow. Zitat:

"Ich wusste, dass du nicht nur mit mir offen und unkompliziert bist. Du ziehst halt ruhig die Jeans runter und gibst dich hin. Ich wusste, dass du es mit anderen Genossen machst und war nie eifersüchtig. Ich hab nie verlangt, dass du es nur mit mir machst. Ich wusste, wenn ich dir befehle 'Du lebst jetzt mit mir', hättest du brav mit mir gelebt und mich niemals betrogen, ich war ja dein Kommandeur, dein Führer und du warst immer ein zuverlässiger und braver Parteigenosse."

Nee nee nee, das geht ja gar nicht. Entweder das "alte Mütterchen Russland" oder dann gleich die Nutte für alle oder was?! Die russische Frau wird nicht als autonom betrachtet? Sie soll bloß Befehle ausführender "Mitsoldat" (Peter Weiss) sein und sonst nichts? Klar, da muss ein Punkgebet her. Oder besser noch die reflektierende Haltung einer Intellektuellen:

"Sie sah den Zwiespalt, hier den Willen der Männer, im Dienst der Partei zu stehn, die die fortschrittlichsten Kräfte sammeln solle, dort das Karrierebedürfnis, die Geltungssucht. Hinter dem Kampf gegen Unrecht und Ausbeutung stand der Kampf der Männer untereinander, und dieser Kampf wurde ebenso rasend geführt wie der gegen den äußern Feind." (Peter Weiss, "Ästhetik des Widerstands")
Pussy Right, Berlin: verurteilte Männer
@58:
Warum werden dann auch Männer in Russland verurteilt?
Pussy Right: Männer und Männer und Filmtipp
Wie warum? Welche Männer meinen Sie jetzt? Den Oligarchen Chodorkowski, zum Beispiel? Männer verurteilen Männer, wenn sie sich in ihrer alleinigen Macht gefährdet sehen. Filmtipp: "Die Oligarchen - Aufstieg und Fall einer russischen Elite" von Alexander Gentelev.
Pussy Right: Lehrjahre
Soweit ich mich "erinnere", hieß die Richterin (!) im Pussy-Riot-Prozeß Maria Syrova. Vladimir Putin konnte derweil große Geste vortragen (die Gelegenheit dazu durch die "Punk"-Aktion, ich erwähnte das in einem anderen Pussy-Thread) und sogar eine milde Behandlung (Prozeßurteil) "wünschen" (und Propaganda für eine freie Gerichtsbarkeit in Rußland betreiben) ; die von Stefan erwähnten gelasseneren Kommentare seitens der ROK (Russisch-Orthodoxe-Kirche) -siehe "Butterwochenbild"- wurden teilweise wieder als Reaktion auf Putin
gedeutet (und als "Fahne in den Wind hängen" angegriffen): es war nahezu unmöglich für einen Vertreter der ROK, hier irgendetwas "richtig" zu machen bzw. anzumerken .
Auch die ROKA (Russisch-Orthodoxe-Kirche-im Ausland) hat sich zu Wort gemeldet (was im Blätterwald hierzulande nahezu nicht vorkommt) seinerzeit und ein wenig verwundert darüber gezeigt, wie einhellig hier in ein Horn geblasen wurde bishin zu Kanzlerin Merkel (obwohl doch mancherlei wie eine "konzertierte Aktion" aussah und weniger wie die Tat eines "Narren in Christo", es nach Hochmut aussah, was jetzt zu Demut beinahe umgeschrieben wird- Pierre Besuchov ! Wenn dieser, dann aber noch in der Phase der Überlegung, Napoleon niederzustrecken ...- und nicht nach (!) seiner Wandlung). Stefan proklamiert fast schon "Herrenjahre", aus der Pussy-Aktion aber sprechen eher "Lehrjahre", die nötig sein werden, daß die Akteurinnen in Reife überblicken, welchen sinnlosen, eher Putin zuspielenden Unfug sie vom Zaun gebrochen haben. Inga mag ganz beruhigt sein: immerhin steht im "Spiegel", daß eine der Pussy-Aktivistinnen sich nunmehr der Lektüre von Slavoj Zizek widmet..
Pussy Right: Witz?
@ Inga

Sie wollen also tatsächlich die Situation dieser drei Punkerinnen vor ihren Richterinnen und Aufseherinnen mit Peter Weiss und einem Programmheft illustrieren. Soll das ein Witz sein?

Nehmen sie mal ihre Literaturbrille ab und schauen auf das, was heute geschieht. Kommen sie gar nicht auf die Idee, das diese drei Punkerinnen auch für viele russische Frauen "unerwünschte Elemente" sind. Die brauchen doch keinen Putin, um Punkerinnen unmöglich zu finden. Da hilft auch Herr Weiss nicht und dies ganze flache Gerede von Hure und Mama.
Pussy Right: Schonung!
Ich hab schon mal an anderer Stelle gebeten,dass Inga und Herr Baucks ihre endlosen Diskussionszwistigkeiten zur Schonung meiner und nicht nur meiner Nerven unterlassen,sonst muss ich leider nachtkritik.de verlassen.Das wird denen zwar egal sein,mir aber eigentlich nicht.Also bitte: Schonung!!
Pussy Right: anmaßend
@martin baucks, ich möchte mal zusammenfassen welchen eindruck ihre kommentar bei mir hinterlassen: ein in deutschland lebender mann, der in jungen jahren mal als punk verkleidet war, möchte politisch aktiven feministinnen und aktivistinnen in russland erzählen, was authentisch ist, und welche form des protestes gegen eine frauenfeindliche kirche angemessen ist. dies scheint mir schlichtweg anmaßend zu sein, allein weil man davon ausgehen kann, das sie nicht die geringste ahnung haben können, wie es denn so ist, als feministin in russland zu leben. nun machen sie bitte mal einen besseren vorschlag, wie man sich denn in putins russland (von dem sie glauben das sie es besser einschätzen können als diese frauen) gegen die orthodoxen patriarchen zur wehr setzt. haben sie eigentlich mal die interviews mit der verteidigerin von pussy riot gelesen, oder wissen sie vielleicht eher gar nicht wovon sie reden?
Pussy Right: Gegenschonung
Och Herr oder Frau Salz,

wir tun ihnen doch gar nichts, verlassen sie einfach diesen thread und verschonen sie uns und sich. Es gibt noch soviel Schönes auf dieser Seite zu lesen.
Pussy Right: Männer in Moskau
@kirillov

Ungefähr so wie ihren Kommentar habe ich das autoritäre Gehabe der Männer in Moskau empfunden, als ich dort war. Immer wenn man etwas sagte, was ihnen nicht passte, war man gleich ein Vollpfosten.

Danke. - Natürlich werde ich keiner russischen Feministin sagen, wie sie zu protestieren hat und trotzdem fand ich die Aktion der "Riots" nicht gut. Damit können sie doch leben Herr Kirillov? Oder etwa nicht?
Pussy Right: Ichweißallesduweißtnix
@kirillov-Leider weiss Herr B. das wirklich nicht. (...) Er kann ja das alles zu Hause aufm Sofa denken, aber bitte nicht niederschreiben. Meinungsäußerungen sind ja nicht verboten, Gottseidank, aber gibt es denn bei Ihnen überhaupt keine Bescheidenheit, keine Selbstkritik, nur Ichweißallesduweißtnix?
Pussy Right: weitaus interessanter
@ martin baucks: Nein, das soll kein Witz sein. "Dies ganze flache Gerede von Hure und Mama", das ist doch gar nicht so falsch. Liest man Dostojewskijs "Verbrechen und Strafe", so taucht dort eine Frauenfigur (Sonja) auf, die zugleich Heilige und Hure (Maria Magdalena?) ist. Das kann und muss man natürlich kritisch betrachten, denn darüber wird ein sehr traditionelles Bild zementiert, wonach der Frau die stereotypen Eigenschaften der Demut, Güte und Selbstaufgabe zugeschrieben werden. Und sonst nichts. Dagegen erscheint mir die von Peter Weiss gezeichnete Frauenfigur der intellektuellen Widerstandskämpferin Lotte Bischoff weitaus interessanter.

Und grüßen Sie Marius von Mayenburg von mir! Den (und/oder David Gieselmann) kennen Sie doch persönlich, stimmt's?
Pussy Right: Tipp
http://videos.arte.tv/de/videos/putins-kuss--6929888.html

Ich mag diesen Film über Masha Drokova. Hier erfahre ich eine Menge über das System-Putin. Der Film gewährt mir Einblicke, die mir sonst verwehrt blieben. Von einer guten Dramaturgie erwarte ich ähnliche Arbeiten in anderer Form. Die bleiben beim BE aus. Fahnen habe ich genug gesehen.

Liebe Inga, es würde mich interessieren, wie sie den Menschen Masha Drovoka in ihrem Frauenbild einsortieren würden.
Pussy Right: es wird nicht aufhören bis ...
@ martin baucks: Warum betonen Sie das "den Menschen"? Was genau meinen Sie damit? Diesen arte-Film über die Entwicklung von Masha Drovoka finde ich klasse. Zumal die darin geschilderten Probleme ja nicht ganz neu sind. Es fing bereits 2006 mit der Ermordung der Kreml-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja an. Und es wird nicht aufhören, solange sich niemand gegen solche Massenbewegungen bzw. kriegsähnlichen Marschierereien wendet.
Pussy Right, Berlin: extrem schlüssig
herr baucks, vielleicht verwechseln sie einfach nur die pussy riots mit peymann? das scheint mir die einzige erklärung. es geht im gegensatz zu ihren ausführungen bei einem kampf marginalisierter Frauen gegen ein frauenfeindliches, korruptes staats/ kirchen system nun mal nicht um die geschmacksfragen gutsituierter, männlicher deutscher mittelstands bürger.
und wenn sie deren schlagkräftige, extrem öffentlichkeitswirksame aktion als "denkfaul" und "unterkomplex" empfinden, dann bleiben sie uns seit etlichen kommentaren jeden vorschlag schuldig, mit welchen mitteln die verfolgten eine größere aufmerksamkeit hätten erziehlen sollen. zudem verkennen sie in ihrem urteil komplett, wie extrem schlüssig die aktion inhaltlich war. die kombination putin-gebet als feministisches punk konzert in einer orthodoxen kirche ist eine geradezu perfekte künstlerische verdichtung des themas, richtete sich doch der protest gegen die ungeheure verquickung beider mächte. das alles lässt sich nicht mit hiesigen verhältnissen vergleichen, alleine der versuch zeigt schon eine gewisse ahnungslosigkeit ihrerseits. zum thema zerrbilder (hallo herr Mihails Gubenko) hier mal folgende erhellende nachricht als beispiel wie es in russland derzeit so aussieht: http://www.queer.de/detail.php?article_id=17654
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