Skepsis eines Luftschloss-Meisters

von Andreas Klaeui

Zürich, 13. September 2012. Ein echter Kotzbrocken ist dieser Halvard Solness. Der kleine König in seinem Reich, kurz angebunden, despotisch, im Blick nichts als Provokation: eine einzige humpelnde Herausforderung an die Welt. Robert Hunger-Bühler spielt ihn mit der ihm zur Verfügung stehenden Eitelkeit und Harschheit. Diesem Baumeister – zuvörderst seines eigenen Erfolgs – gegenüber stehen alle Konkurrenten a priori auf verlorenem Posten: der alte Brovik, den Siggi Schwientek erloschen zeigt, schon lang nicht mehr der Herr in seinem eigenen Haus. Und erst recht Broviks Sohn Ragnar, der sich nicht das Maul aufzumachen traut – und dabei doch die Jugend hätte und die künstlerische Begabung, um Solness nachzufolgen, und der sich bei Milian Zerzawy hübsch verschüchtert in seinen Architektur-Plänen vergräbt, im wahrsten Sinn.

Phantastisches Königreich

Mit ihnen hat Solness leichtes Spiel. Auf der Karrierestrecke geblieben sind auch seine Kinder – ums Leben gekommen bei dem Unglück, das für ihn zum ökonomischen Glücksfall wurde, die geerbte Villa seiner Frau brannte ab und er konnte das Terrain lukrativ überbauen. Seine Frau selber, Aline, hat ihn längst abgeschrieben und nur noch Zynismus für ihn übrig, bei Friederike Wagner bekommt das eine furchterregende Sanftmut, die beherrschteste Verbindlichkeit und stacheligste Pflichtbeteuerung.

solness3 560 matthias horn hRobert Hunger-Bühler als Solness © Matthias Horn

Aber wirklich auf Augenhöhe begegnet ihm einzig Hilde, die ein Recht auf ihn hat, seit er ihr als Mädchen – in einer sexuell zumindest aufgeladenen Situation – ein "Königreich" versprochen hat. Nun will sie das Versprechen einlösen, mit fordernden Troll-Augen, aber auch schon Kratzern an den Beinen. Franziska Machens ist das Epizentrum des Abends. Mit jugendlicher Selbstverständlichkeit, selbstbewusster Unbefangenheit bringt sie die Dinge ins Rollen, hilft Aline so gut wie Ragnar Brovik auf die Beine und hält stur an dem versprochenen phantastischen Königreich fest, in dem sie von Solness ein Luftschloss gebaut will. Die wahre Künstlerin ist wohl sie.

Risse im Panzer

Immer härter wird das Licht (von Rainer Küng), immer weicher wird der harte Solness. Unversehens zeigt sein Panzer feine Risse, macht sich eine große Angst Luft, vor dem Verlust, vor der nachdrängenden Jugend, fast schon zutraulich sucht Hunger-Bühler dann die Bestätigung – und ebenso unversehens kippt die Zutraulichkeit wieder in Totalstarre, Unnahbarkeit, dreckiges Gelächter.

Hunger-Bühlers Solness verbarrikadiert sich und öffnet sich im Rückzug, er humpelt in seinen Neurosen herum und klammert sich dabei an den großen Zeichentisch auf der Bühne von Bettina Meyer, die im Übrigen nur zwei Türme zeigt, hoch wie das Baugerüst, von dem Solness zuletzt abstürzt, eine deutlich sprechende Kletterwand aus Architekturmodellen. Am Ende fegt er in einer letzten großen, selbstverliebten Geste sein ganzes Lebenswerk vom Tisch, Pläne, Bücher, Baumodelle, und phantasiert sich darauf als sein eigener Leichnam, Blumen auf der Brust.

Zweifel und Verunsicherung

Es hat etwas Irritierendes, ihm zuzuschauen – denn Hunger-Bühler zeigt bei Barbara Frey nicht den grandiosen Solness-Wahn und den brillanten Aufsteiger-Absturz. Er zeigt den Zweifel, die Inkohärenz, das Selbstmitleid, eine sehr innerliche Verunsicherung, die durchaus auch etwas mit einer Selbstbefragung des Schauspielers als Künstler zu tun hat.

Die Schauspielhaus-Intendantin, die soeben ihre Verlängerung bis 2016 unterschrieben hat, eröffnet ihre vierte Zürcher Spielzeit mit einem Stück über die Künstlerschaft selber, über einen alternden Künstler und seine Not, sich für das falsche Leben entschieden zu haben, seine Liebe, die sich einzig im Kunstraum eines Luftschlosses erfüllt. Der Baumeister und das Luftschloss – Ibsen liebt das Symbol. Barbara Frey erdet es mit schon fast beängstigender Alltäglichkeit. Ihre eigene künstlerische Geste ist nicht die Solness-Grandeur. Sondern die Skepsis.

Baumeister Solness
von Henrik Ibsen, deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Barbara Frey, Bühne: Bettina Meyer, Kostüme: Bettina Walter, Licht: Rainer Küng, Dramaturgie: Katja Hagedorn.
Mit: Robert Hunger-Bühler, Friederike Wagner, Roland Kenda, Siggi Schwientek, Milian Zerzawy, Yanna Rüger, Franziska Machens.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.ch

 

Kritikenrundschau

Martin Halter bescheinigt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.9.2012): "Frey hat Ibsens doch schon etwas verstaubten Baumeister mit handwerklichem Geschick auseinander genommen und stilsicher und klar wieder zusammengebaut." Sie mache aus dem Stück das Seelendrama eines "alternden Künstlertrolls". "Solness ruft eine gute Märchenfee", doch es komme eine Naturgewalt, die ihn in den Abgrund reiße und triumphierend zerschmettere.

"Solange die Vorstellung von 'Familie', 'Paar', 'Ehe' weiterbesteht, wird der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen das bleiben, was man 'aktuell' nennt", eröffnet Barbara Villiger Heilig ihre Besprechung in der Neuen Zürcher Zeitung (15.9.2012). Frey konzentriere sich auf die Dreiecksgeschichte zwischen Solness, seiner Frau und der "blutjungen Draufgängerin Hilde Wangel" ("eine Wucht"). Es werde das "emotionale Frühlingserwachen nach seelischem Winterschlaf als einzige Befreiung" vorgeführt, ein Happy End trotz tragischem Ausgang.

In der Badischen Zeitung (15.9.2012) resümiert Bettina Schulte: "So wie Ibsens Figuren nicht artikulieren können, was sie im Inneren bewegt [...], so schweigsam gibt sich Freys Regie". Es herrsche Leere, Stummheit, Pausen. Während Ibsens Baumeister nicht nochmal neu anfangen kann, sei Frey eine andere Baumeisterin: vor allem "menschen- und das heißt: schauspielerfreundlich".

Frey biete "eine ernsthafte Auseinandersetzung mit gesammelten Angstblütenalbträumen ohne einen Hauch von Süffisanz und ironischer Brechung", sagt Cornelia Ueding in der Sendung "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (15.9.2012). Solness, dessen "Hölle" aus "Einbildungen" bestehe, erscheine bei Robert Hunger-Bühler in "facettenreicher Verlangsamung" als ein "Meister" eines "selbstquälerischen Virtuosentums". Freys Inszenierung "entstaubt" dieses späte Ibsen-Stück nicht, "sie friert es ein". Im Ganze sei das: "Tiefkühl-Ibsen, zur Besichtigung, nicht zum Einfühlen empfohlen."

"Äußerlich geschieht nicht viel in diesem symbolbeladenen Beziehungsdrama", schreibt Klara Obermüller in der Welt (19.9.2012). Und dieses Wenige werde von der Regisseurin zusätzlich reduziert, indem sie alle drei Akte im Atelier des Baumeisters wie in einem Versuchslabor spielen lasse. "Da erscheinen die Figuren seltsam losgelöst von ihrer realen Lebenswelt, ausgesetzt einem analytischen Prozess, der sich bis zum Schluss nicht entscheiden kann, ob er in die Katharsis oder in die Vernichtung führen will." Den Hauptdarstellern Robert Hunger-Bühler als Solness, Friederike Wagner als Aline und Franziska Machens als Hilde falle es in diesem artifiziellen Ambiente nicht leicht, ihre Rolle psychologisch glaubhaft zu machen. "Etwas konstruiert wirkt das Ganze, legt aber dadurch das Gedankengebäude Ibsens bloß."

"Barbara Frey reduziert die Rahmenhandlung, damit Franziska Machens und Robert Hunger-Bühler ganz ins Zentrum eines pas de deux der verschollenen, plötzlich aber doch heftig formulierten Lebensträume rücken", schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (20.9.2012). "Da ein Mann, ausgelaugt von der Anstrengung, immer der Beste sein zu wollen. Dort ein zorniges Mädchen, für das der ältere Herr eher Märchenkönig ist denn potenzieller Lover." Ibsen habe sich die junge Hilde höhnisch vorgestellt, Franziska Machens dagegen setze ganz auf die unbändige Kraft einer jungen Frau, die das Leben wolle, "und zwar subito". Ein Solness wie Robert Hunger-Bühler schleiche verschreckt um den großen Tisch in seinem Atelier, auf dem sich Modelle und Zeichnungen wie ein Himalaja häuften. "Zum Klettern ist der Architektur-Sisyphos aber bereits zu müde." Barbara Frey habe zwar zurückhaltend inszeniert, im Zentrum des späten Ibsen-Stückes aber doch die feine Mechanik eines unterdrückten Begehrens frei gelegt.

Kommentare  
Baumeister Solness, Zürich: also ob Langeweile im Theater normal sei
Eine so dermaßen konventionelle Inszenierung, ein so entsetzlich eindimensional gelesener "Ibsen", ein so allgemeines irgendwie-chaotische-Kreativität heuchelndes Bühnenbild respektive Tisch, ein solches da-wo-wir-glauben-wären-jetzt-wohl-große-Gefühle-deshalb-brüllen-wir-von-Zeit-zu-Zeit Theater, eine solche lähmende Langweile....
Tatsächlich kommt der große Unmut daher, (den ich übrigens besonders in Zürich verspüre) das ich das Gefühl habe, solange einem Publikum, genau diese Art Langweile im "Bildungsbürger-guten-Geschmack-Kostüm" verkauft wird, wird ein Publikum weiterhin glauben, es sei völlig normal, das man sich im Theater immer ein bisschen langweilt, sie werden weiter glauben, das das ja schon immer so war, das es nun mal leider dazu gehört, denn; wer gescheit sein will muss halt a bisserl mehr leiden als die Dummen die zu blöd sind für's Theater...
Dieser Züricher "Baumeister Solness" ist ein Theater, das weit davon entfernt ist ein Realität des Zwischenmenschlichen aufzusuchen, die uns als Publikum in Atem hält weil wir Dinge verstehen die wir geahnt haben, oder eine Ahnung bekommen von dem, was es zu verstehen gilt...
Mitunter gar im Krebs-Gang bewegen sich die Schauspieler nahezu Rampenparalell über die Bühne und die Klaviatur der Emotionen und Töne, scheint vertraut aus dem ein oder anderen guten alten Derrick...
Worum es (außer dem armen alten "Künstlertroll") in einem Stück wie "Baumeister Solness" eigentlich gehen könnte, sollte und müsste bleibt Zürich fein verborgen.
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