Die Politik der Zero Tolerance

von Andreas Schnell

Oldenburg, 13. September 2012. Das Stück "Willkommen in Theben" von der englischen Dramatikerin Moira Buffini wurde vor zwei Jahren in London uraufgeführt und ist gewissermaßen ein Update von Sophokles' "Antigone", ergänzt um Motive aus "Lysistrata" (Aristophanes) und "Hippolytus" (Euripides). Theben hat gerade einen verheerenden Bürgerkrieg überstanden und wird nun von Eurydike regiert, die um sich ein vorwiegend weibliches Kabinett gebildet hat. Sie warten auf Theseus, erster Bürger Athens, von dem man sich Hilfe beim Wiederaufbau erhofft.

Tydeus, einst Prinz und Warlord, hatte die Wahl gegen Eurydike verloren, will aber nicht aufgeben. Er wiegelt die Menge auf und dient sich Theseus an, der der Welt im Allgemeinen und Theben im speziellen Demokratie bringen will. Und dann ist da noch die Sache mit Polyneikes, Führer einer der Bürgerkriegsparteien, dessen Leiche gefunden wird. Eurydike befiehlt, ihn nicht begraben zu lassen, was ihre Nichte Antigone nicht zulassen will.

Eurydike alias Johnson-Sirleaf

Als Antigone ihren Bruder dennoch beerdigt, wird sie festgenommen, es kommt zum Eklat, ein Soldat wird vom Leibwächter des Theseus erschossen, der daraufhin beschließt, Theben zu verlassen. Eurydike gelingt es, ihn zum Bleiben zu bewegen, indem sie ankündigt, dann eben mit Sparta zu verhandeln. Tydeus wird als Kriegsverbrecher entlarvt, aber der Frieden, die Versöhnung scheinen noch weit entfernt zu sein. Megära beschließt, mit Sergeant Miletus nach Athen zu gehen. Ihre letzten Worte lassen das Stück auf einer beunruhigenden Note enden: "Wir fackeln alles ab – die ganze Stadt".

Dass das Vorbild dieser Eurydike ein reales ist, daraus macht Buffini kein Geheimnis. Erklärtermaßen stand Ellen Johnson-Sirleaf für die Figur Pate, die 2005 in Liberia zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, nach einem 14 Jahre dauernden Bürgerkrieg. Theseus ist unschwer als Präsident der USA zu entziffern, Tydeus steht für den ehemaligen und mittlerweile als Kriegsverbrecher verurteilten liberianischen Ex-Präsidenten Charles Taylor.

theben3 560 andreas j etter uWillkommen in Theben © Andreas J. Etter

Die Figuren sind beides: antik und zeitgenössisch, was gewissermaßen mit dem Grundwiderspruch des Stücks korrespondiert. In der griechischen Tragödie sind schließlich die Götter zuständig, das Schicksal. Eurydike will aber eben genau mit dem Prinzip Schicksal brechen, was nicht einfach ist, denn die Prophezeiungen des Sehers Theiresias treffen leider doch immer wieder zu. Und so drohen ihre Bemühungen, eine andere Politik zu machen, an den alten Fehden zu scheitern, den Narben, die der Bürgerkrieg auch in ihr hinterließ. Man kann Theseus verstehen, wenn er Eurydike fragt, wie sie denn Frieden schaffen will. Aber – Hoffungsschimmer – er lässt sich schließlich doch auf Verhandlungen ein. Während die traumatisierten Soldaten, wie bei Megära und Miletus gesehen, offenbar eher zum Terrorismus neigen.

Zähe Realpolitik

Das ist als Stoff nicht uninteressant, aber so einiges wirkt in der Inszenierung von Christina Rast aufgepropft, zu viele Nebengeschichten, zu viele Figuren, die in der Mehrzahl blass bleiben. Und nicht nur das. Weder das komische Potenzial wird pointiert ausgespielt, noch findet der Abend einen Duktus für die ernste Seite der Dinge. Stattdessen gibt es ein paar Anspielungen obendrauf: Da hängt an einer Stelle eine riesige 2-Euro-Münze als Mond vom Himmel – Griechenland lässt grüßen. Anna Steffens als Eurydike hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Julia Timoschenko, die dann eine von der Realpolitik verdorbene Idealistin wäre – oder ist die Ähnlichkeit ein Zufall?

Bühnenbild und Ausstattung verzetteln sich, finden keine klar Linie. Auch das Ensemble scheint da hilflos. Selbst verlässliche Kräfte wie Vincent Doddema findet nicht in eine Linie, Gilbert Mieroph als Theseus hat seine Momente, ist als eitler Präsident mit zu viel Testosteron unterhaltsam, wirkt aber nicht immer glaubwürdig als Polit-Profi. Anna Steffens als Präsidentin lässt nur erahnen, wie sie die Wähler für sich begeistern konnte.
Nicht, dass das Stück uns nichts zu sagen hätte. Aber auch das hat seine Schwächen, laviert auch stilistisch zwischen altertümlicher Sprache und Modernismen. Da tun sich selbst Patrick Schimanski und Raphael Clamer schwer, die neben zwei kleinen Rollen vor allem mit der Musik beschäftigt sind. Sie halten sich zurück, anstatt einmal beherzt hineinzugrätschen in diesen zähen, langen Abend.

Willkommen in Theben
von Moira Buffini, Übersetzung von Dorothea Renckhoff
Regie: Christina Rast, Bühne und Kostüme: Franziska Rast, Musik: Patrick Schimanski, Raphael Clamer, Dramaturgie: Jörg Vorhaben. Mit: Franziska Schubert, Denis Larisch, Rüdiger Hauffe, Anna Steffens, Eike Jon Ahrens, Hanna Franck, Juliana Djulgerova, Gilbert Mieroph, René Schack, Sarah Bauerett, Thomas Lichtenstein, Anna Kretschmer, Raphael Clamer, Vincent Doddema, Eva Maria Pichler, Caroline Nagel, Wieslawa Wesolowska, Kristina Bremer, Patrick Schimanski, Matthias Freude, Benjamin Huster, Christa Legner, Christine Lauritzen, Ilsedore Jelting.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten

www.staatstheater.de

 

Mehr vom Staatstheater Oldenburg: zuletzt besprachen wir Kabale und Liebe in der Regie von Jaspar Brandis, mit dem die Saison 2011/12 endete.

 

Kritikenrundschau

In der Nordwest-Zeitung (15.9.2012) findet Reinhard Tschapke Beschreibungen zwischen "anspruchsvoll" und "zäh bis länglich". Gelegentlich sehe man "Theater mit dem Holzhammer", auch der Gefahr, "die große Geschichte in einzelnen Dialogen zu zerfasern", begegne man nicht entschlossen. Dennoch werde eine Fülle an Themen angesprochen, wie "Demokratie und Macht, Liebe und Gerechtigkeit".

Ulrich Fischer schwärmt auf Deutschlandradio Kultur (13.9.2012) vom Stücktext: "'Willkommen in Theben' ist pures Theatergold - eine spannende Handlung, im Mittelpunkt eine plausible politische Analyse mit einer Fülle aktueller Anspielungen; plastische, blutvolle Figuren voller innerer Widersprüche, wie im Leben, und ein bis zum Funkeln geschliffener Dialog." Leider sei aber die junge Regisseurin unbeholfen und zu unerfahren, die Schauspieler "mehr bemühte als inspirierte Spieler", so dass der große Erfolg der Londoner Uraufführung ausbleibe.

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