Kampf der Kulturen

von Hartmut Krug

Greifswald, 30. September 2012. Das Stück ist vergessen. Selbst in meiner großen Hauptmann-Ausgabe ist es nicht enthalten. Uraufgeführt 1920 in Berlin, erlebte es seit 1944 nur vier Inszenierungen, die letzte vor fünfzig Jahren im Landestheater Dessau. Das hat Gründe. Denn das Stück geriet Hauptmann, nach dem schockhaften Erleben des 1. Weltkrieges, zum tief gedachten Passionsspiel in Form eines redseligen Denkspiels. Sein gleichnishaftes Thema, der Eroberungskrieg von Cortez gegen Montezuma in Mexiko um 1500, wird von Hauptmann zur Befragung der Legitimation von Macht und Gewalt genutzt.

heiland2 280 gunnar luesch uCharaktermasken ohne Charakter? 
© Gunnar Lüsch
Doch Hauptmanns Sprache plustert sich dabei auf, und sein Text wirkt bräsig poetisierend. Schon die Kritiker der Uraufführung monierten, dass das von Hauptmann hier verwendete Versmaß des spanischen Trochäus ihm nur so dahin stolpert. Die Lektüre war durchaus anstrengend.

Griff in den Losbeutel

Am Theater Vorpommern, wo man das Stück dennoch (aus thematisch nachvollziehbaren Gründen) ausgegraben hat, beginnt dagegen alles locker, bleibt dabei aber angestrengt. Das Publikum sitzt im kleinen Rubenowsaal eng an der ebenerdigen leeren Spielfläche, auf der ein geschlossener, schlichter Holzkasten mit goldbewehrten Zinnen den Palast des Montezuma darstellt. In Freizeit-Schlabberlook schlendern die Schauspieler nacheinander herein und setzen sich in eine Stuhlreihe an der Bühnenseite. Das Spiel beginnt mit dem Griff in einen Losbeutel: wer darf hier welche Rolle spielen? Ein bisschen Gemurmel und Getue, wer spielt wen und wie spricht man die Namen aus. Klar, man zeigt uns, hier wird Theater gespielt. Doch nicht nur mit der Lockerheit, das Gezeigte als Gemachtes vorzuführen, indem man mal kurz vor Publikum in Rollen schlüpft, fehlt den Darstellern jedes Gefühl. (Auch nach der Pause, wenn Cortez Anhänger Montezumas, die mit Gummibärchen auf seine Seite lockt (Achtung: Eingeborene!), ist das eine, auch spielerisch, völlig verkrampfte Szene.) Der gesamte Spielstil der Inszenierung wirkt angestrengt vorzeigend und eindimensional.

Polterer in Montezumas Palast

Die Aufführung will Vieles und Naheliegendes, wie ein Dramaturgentext verkündet. Natürlich den Kampf der Kulturen, aktuell und universal, thematisieren. Dazu die medial vermittelten Bilder von Übergriffen und Selbstdarstellung der GIs in den letzten Kriegen kritisch wiederspiegeln.
All dies gelingt allenfalls im beiläufigen Ansatz. Was wir sehen, ist unsinnliches didaktisches Erklär-Theater. Schulfunk ohne Rhythmus und Spannung. Gekleidet in eine Mischung aus Militärklamotten und Touristendress, Cortez trägt seine Schutzweste über weißem Hemd und Krawatte, poltern die Darsteller der spanischen Eroberer in Montezumas Palast. Sie sind Charaktermasken ohne Charakter, die dies ständig typisierend vor sich hertragen. Jeder ein anderes Klischee: Machtgierig und voller Lust an der Gewalt der eine, gewitzt und goldgierig ein anderer, ein dritter bewegt von folgenloser, nachdenklicher Menschlichkeit. Sie sind nicht mehr als funktionierende Bedeutungsträger. Dabei nutzen die Schauspieler Hauptmanns Verse nicht etwa als Verfremdungsmittel, sondern lassen sie in ihrem klischeehaft ausgestellten Spiel ein- und untergehen.

heiland3 560 gunnar luesch uPalaststürmer © Gunnar Lüsch

Montezuma wird anfangs in undeutlichen Live-Filmaufnahmen gezeigt, die aus dem Palast auf dessen Außenwand übertragen werden. Montezumas große Sinnsuche, sein Kampf mit seiner religiösen Überzeugung und mit seinen Untertanen über die Frage, wie man den Fremden begegnen solle, verliert in dieser Schatteneffekt-Form die tragische Vielschichtigkeit der Gedanken und Gefühle, wie sie Hauptmann entwickelt. Montezuma kommt in Greifswald mit goldener Weste über weißer Unschuldskleidung von Beginn an wie ein gequälter Denker und Büßer daher. Ein wie sediert wirkender Herrscher mit reichem Seelenleben, der dieses auf dem Schauspieler-Tablett vor sich her trägt, – und natürlich einem hinterhältig aggressiven Cortez, gezeigt als Macher mit zackiger Befehlshaltung, nicht gewachsen ist.

Gedanklich kluger Versuch

Wo Hauptmann Vorwände und Rechtfertigungsklischees für die Ausübung von Gewalt untersucht, wo er politische Haltungen und sentimentale Gefühligkeit gegeneinander setzt, wo er die Religion als Machtmittel oder Empfindung befragt, da liefert Jan Steinbachs Inszenierung des, notwendigerweise, gekürzten Textes nur die Handlungskonturen des Stückes und seiner Probleme. Eine klare inszenatorische Linie ist kaum auszumachen. Allenfalls die Parallelen zu heute werden angedeutet. Nicht immer gelingt das handwerklich überzeugend. Wenn Gewalt gegen Montezuma nicht gnädig hinter der Bühne passiert, dann wirkt sie wie szenisch gebastelt. Und die Schändung und Plünderung eines Tempels (in Form eines Pappmaschee-Baues) wirkt in ihrer optischen und darstellerischen Ungeschicklichkeit urkomisch, wenn auch unfreiwillig. Schade, dass dieser gedanklich kluge Versuch mit Hauptmanns vergessenem Stück szenisch doch weitgehend gescheitert ist.

 

Der weiße Heiland
von Gerhart Hauptmann
Regie: Jan Steinbach, Ausstattung: Franz Dittrich, Dramaturgie: Sascha Löschner.
Mit: Marco Bahr, Jan Bernhardt, Ulrich Blöcker, Sören Ergang, Lutz Jesse, Susanne Kreckel, Felix Meusel, Ronny Winter.
Dauer: Zwei Stunden, eine Pause

www.theater-vorpommern.de

 

Mehr lesen? Der Regisseur Jan Steinbach, 1976 geboren, war 2010 für den Faustpreis nominiert. Im Oktober 2011 inszenierte er an der Landesbühne Nord in Wilhelmshaven die Deutsche Erstaufführung von Edouardo Erbas Wirtschaftssatire Verkäufer.

 

Kritikenrundschau

Jan Steinbach inszeniere das Stück "als einen Kampf der Kulturen", so Uwe Roßner im Nordkurier (2.10.2012). Steinbach wage "einen spannenden Ansatz. Keine originalgetreue Ausstattungsschlacht bringt er auf die Bühne, sondern er setzt dem Zuschauer eine aufschlussreiche Experimentieranordnung vor."

Auch Thorsten Czarkowski zeigt sich in der Ostseezeitung (1.10.2012) angetan. Man assoziiere US-Soldaten im Irak und auch die Folterbilder von Abu Ghuraib. "Die Inszenierung des Theaters Vorpommern ist eine gelungene Aktualisierung des Stoffes, eine atemlos-bedrückende Parabel von Eroberung und Unterwerfung. Das ganze Ensemble spielt grandios auf den Punkt." Kurz: Man erlebe den "Kampf der Kulturen".

Kommentare  
Der weiße Heiland, Greifswald: nicht gescheitert
Ich war selber bei der Premiere vom "Weißen Heiland" am Theater Vorpommern und ich muss sagen, dass ich nicht in allen Punkten mit der vorhergehenden Rezension mitgehen kann. Ja, es erforderte viel Konzentration dieses Stück zu verfolgen. Das lag, meiner Meinung nach, am schwierigen Text. Es ist ja auch irgendwo der Sinn von Theater, dass der Zuschauer gefordert wird und sich nicht einfach nur berieseln lässt.
Außerdem möchte ich auch noch hinzufügen, dass selbst mir als Noch- Schülerin der Bezug zur Gegenwart sehr deutlich wurde. Wenn es nicht schon allein aus der Thematik ersichtlich wurde, dann verstand man es ja spätestens durch den Einsatz der Kamera, die das Innere des Palastes nach außen projizierte und dadurch den Wink zur Moderne gab.
Alles in allem bin ich nicht der Meinung, dass die Inszenierung als "gescheitert" bezeichnet werden kann.
Der weiße Heiland, Greifswald: in sich stimmig
Derartige Kritik wäre wohl eher nach der Premiere von der "Ballade vom traurigen Café" angebracht gewesen.
Ich bin mit möglichst geringen Erwartungen in die Premiere vom "Heiland" gegangen und muss gestehen, dass ich überrascht war. Origineller Einstieg, gekonnte Verbindung von modernen und altertümlichen Elementen (z.B. Projektionen, Kostüme, etc.), trotz des schwierigen Inhalts gute Verständlichkeit, vom Zeitumfang her passend, gute schauspielerische Leistung; alles in allem ein gelungener Theaterabend. Die Inszenierung habe ich als "in sich stimmig" und harmonisch empfunden. Die einzige Stelle, die meiner Ansicht nach nicht ins Bild passte, war die Einspielung der Musik von "Wir sind Helden". Ich stimme meiner Vorrednerin zu; diese Inszenierung als gescheitert zu bezeichnen finde ich äußerst unpassend.
Der weiße Heiland, Greifswald: Bezug zum Heute?
Auch ich habe den "Heiland" gesehen und möchte nur eine Frage aufwerfen, die, so hoffe ich, in Richtung des Kerns der Inszenierung geht: Wo war, abgesehen von der Videokamera und einem s/w-Beamer-Bild für kurzzeitige Portraitumrisse, der Bezug zum Heute? Die Macher meinen hoffentlich nicht im Ernst, dass der Imperialismus heute so funktioniert (so ist es ja im Ankündigungstext zu lesen gewesen). Folterszenen zu kopieren und Gold aus Styropor als Gegenstand der Begierde von befehlsempfangenden Soldaten zu zeigen - dafür gehe ich eigentlich ins Kino. Außer dem technisch sauberen Spiel des Montezuma wurden wir doch tatsächlich nur Zeuge eines sehr allgemeinen und dadurch tatsächlich "in sich stimmigen" Oberflächenglanzes. Theater hat Aufgaben, denen es sich stellen sollte. Bei dieser Inszenierung, so darf ich nach diesem Abend vermuten, schlug selbst der Versuch fehl, die Aufgabe für sich deutlich zu formulieren - dann wäre vielleicht auch die Helden-Musik da geblieben, wo sie hingehört - in der Flimmerkiste. Schaupielkunst, ich drück Dir die Daumen!
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