Es geht um die Diskurshoheit

von Elena Philipp

Berlin, 5. Oktober 2012. Selten krachen bei einer Diskussion die unterschiedlichen Positionen derart ungebremst aufeinander, dass auch der Zuhörer sich mehr oder minder erschüttert im Diskursgefüge noch einmal neu verorten muss. Geschehen ist (mir) das beim Symposium "Stages of Colonialism / Stages of discomfort" der Berliner "Foreign Affairs", in der Nachmittags-Session. Dort sprachen am Tag der deutschen Einheit Wissenschaftler und Aktivisten über postkoloniale Strategien in Politik und Ästhetik, anlässlich von Brett Baileys Produktionen Exhibit B und "MedEia".

Brett Bailey über historische Amnesie

Der südafrikanische Regisseur zeigt sich auf dem Podium verwundert, dass seiner international tourenden Installation "Exhibit B" in Berlin erstmals negative Reaktionen entgegengebracht würden. Selbst in seinem Herkunftsland Südafrika sei die Show nicht kritisch aufgenommen worden. Ihm erscheint seine Arbeitsweise korrekt: Er habe recherchiert, historische Stätten und Museen besucht, sich mit Herero- und Nama-Aktivisten getroffen. Ja, er habe wohl tatsächlich nach den grausamsten Bildern der europäischen Völkermorde in Afrika gesucht, wie ihm die Kritiker vorwerfen – aber dass er die ausgestellten Schwarzen zu Opfern mache oder sie zu Objekten degradiere, das könne er nicht sehen. Diese Bilder müssten vielmehr auf den Tisch, so Bailey, denn sie seien Teil einer historischen Amnesie: Über den Holocaust hinaus seien sich die Europäer ihrer Vergehen kaum bewusst.

Festivaltheater ohne Kontextbezug

Als wertvoll begrüßt er die Kritik, denn es habe sich offenbar eine gewisse Selbstgefälligkeit in sein Werk eingeschlichen ("a certain complacency has crept into this work"). Aber ganz oder auch nur teilweise in Frage stellen will er "Exhibit B" nicht. So beantwortet Bailey die Fragen des Politologen und Aktivisten Joshua Kwesi Aikins nur halbherzig: Nein, er wisse nicht, wie viel seine Performer im Verhältnis zu ihm verdienten. Wie die Berliner Erfahrungen seine Installation verändern würden? Mal sehen. Aikins, der schon am Vormittag einen Vortrag gehalten hatte, erklärt noch einmal seine Position: Bailey habe in "Exhibit B" nicht nur die Stimmen der Darsteller zum Verstummen gebracht, sondern ignoriere auch den politischen Kontext, in dem seine Arbeit gezeigt werde – Berlin und die Perspektiven seiner schwarzen Bewohner kämen in der Installation nicht vor. "It is not enough", klagt daraufhin Bailey – was fehle in seiner Show denn?

brett bailey exhibit b 1 c koen cobaert academie anderlecht-280Menschen als Schaustücke in Brett Baileys "Exhibit B" © Piet JanssenEs fehle nichts, bringt die Psychologin und Autorin Grada Kilomba ihre Einwände gegen "Exhibit B" sehr klar zum Ausdruck, sondern das Format sei grundlegend falsch gewählt. Sie wolle als schwarze Frau nicht mehr in koloniale Hierarchien gezwungen werden, um historische Ereignisse zu 'verstehen'. Mangelnde Empathie kennzeichne Baileys Re-Staging kolonialafrikanischer Geschichte: Wäre es möglich, so hätten sie und Kollegen sich anlässlich von "Exhibit A" in Braunschweig gefragt, dass ein deutscher Künstler mit jüdischen Menschen ein KZ-Szenario nachstellte? Wohl nicht. Statt sich der Vergangenheit durch reine Wiederholung zu nähern, gelte es vielmehr, gemeinsam neue Bilder zu schaffen und einen anderen Dialog zu initiieren, so Kilomba.

Der Ton der Kritik

Ein "neuer Dialog" kommt beim Symposium nicht wirklich zustande. Mit teils auch aggressiven Rechtfertigungen reagieren die weißen Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf die meist sachlich vorgetragene Kritik der schwarzen Diskutantinnen und Diskutanten. Als Aikins seine Fragen zur Allokation finanzieller Mittel stellt – "Foreign Affairs" fördere mit "Exhibit B" eine Außensicht und vergebe Gelder an einen weißen Südafrikaner, die schwarzen Deutschen oft nicht zur Verfügung stünden –, beschwert sich die eigentlich politisch hochkorrekte Festivalleiterin Frie Leysen über seine angeblich rassistische Fragestellung: Er solle (frei übertragen) nicht eine einzelne eingeladene Produktion aufs Korn nehmen, nur weil schwarze Menschen beteiligt seien.

Und weil Grada Kilomba den Anthropologen Klaus-Peter Köpping unterbricht, der sich in seltsam distanzlose Äußerungen über die Ambivalenz von Faszination und Abscheu verrennt, moniert der neue Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, ihre "Gewalttätigkeit". Die Emotionen kochen hoch – es geht um die Diskurshoheit. Wenn weiße Veranstalter den schwarzen Perspektiven auf ihren Festivals Raum geben, geben sie damit auch den Umgangston der Kritik vor, so will es scheinen.

Der Clash unterschiedlicher Visionen und Perspektiven, den Frie Leysen mit ihrem Programm intendierte – er findet bereits in der Eröffnungswoche statt. Die Wirklichkeit vor Ort hat das Festivaltheater auf frappierende Weise eingeholt. Mit der Blackfacing-Debatte um das Deutsche Theater und das Schlossparktheater in Berlin war die Diskussion, in welcher Weise Rassismen auf subtile Weise wirken, eröffnet worden. Und wenn dieses emotional aufgeladene Symposium bei den "Foreign Affairs" eines bewiesen hat, dann wie dringlich diese Diskussion ist.


Symposium "Stages of Colonialism / Stages of discomfort"
Mit: Joshua Kwesi Aikins, Brett Bailey, Joy Kristin Kalu, Grada Kilomba, Klaus-Peter Köpping, Christel Weiler, Katja Wenzel.
Initiiert vom internationalen Forschungskolleg "Verflechtungen von Theaterkulturen / Interweaving Cultures in Performance" der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit "Foreign Affairs".

www.berlinerfestspiele.de


Für nachtkritik.de besprach Matthias Weigel Exhibit B bei den Foreign Affairs.

mehr debatten

Kommentare  
"Foreign Affairs"-Debatte: schockierend
Vielen Dank Frau Philipp für diesen sehr guten Beitrag! Die (...) Entgleisungen von Frie Leysen waren wohl eins der schockierensten Momente des Symposiums!
Foreign Affairs-Debatte: Eindruck geteilt
Vielen Dank Frau Philipp für diesen so wichtigen Beitrag! Ihre Eindrücke des Symposiums teile ich absolut.
Foreign Affairs-Debatte: Rahmen
Die erste Frage sollte doch wohl immer sein, wer die Bilder rahmt und wer sie autorisiert. Und das gilt für jeden Diskurs bezüglich der Kategorien gender, race und class.

Das Setting von "Exhibit B" erinnert mich übrigens stark an die Performance "Two Undiscovered Amerindians" von Fusco/Gómez-Pena. Der entscheidende Unterschied dieser Performance zu "Exhibit B" liegt in der Form, welche bei Fusco/Gómez-Pena keine naturalistische ist, sondern vielmehr den Mythos des über bestimmte Blickrollen hergestellten "Exotischen" komisch überzeichnet. Fusco/Gómez-Pena transformieren und ironisieren das traditionelle Blickregime der Völkerausstellung, indem sie eine fiktive Setzung (sie gehörten einem noch zu entdeckenden Inselvolk im Golf von Mexiko an) als Konstruktion von Realität ausstellen. Damit irritieren sie die Realitätswahrnehmung über Stereotype des Eigenen und Anderen und öffnen den Diskurs für eine permanent verändernde Neugestaltung von Kultur und Identität.
Foreign Affairs-Debatte: ahnungslos
jetzt rächt sich, dass diese theaterfuzzis keine ahnung von dem haben, was sie tun. welche ironie, dass im nachhinein alvis hermanis' multi-kulti-kritik von frie leysen links überholt wird.
Foreign Affairs-Debatte: hysterischer Diskurs
Das ganze hier ist ein bisschen eine peinliche, in jedem Fall sehr deutsche Diskussion. Ich bin froh, Brett Bailey-Arbeiten auch in Südafrika erlebt zu haben. Vielleicht stimmen im hysterischen Diskurs hierzulande einfach die Bezugspunkte nicht mehr. Schade.
Foreign Affairs-Debatte: Erklären Sie sich!
Lieber "Besucher", ich finde es eigentlich schade, daß Sie nicht deutlicher werden. Was macht diese Diskussion peinlich? Welche Bezugspunkte stimmen nicht mehr? Ich würde das gerne genauer verstehen. So finde ich Ihre Einlassung unfair, denn Sie bleibt letztlich selbst im hysterischen Gezeter stecken, das Sie der Debatte ja vorwerfen.
Also: erklären Sie sich bitte.
Foreign Affairs-Debatte: weiße Nabelschau
Da haben wir wieder das Problem. Gut gemeinte Kunst kommt nicht in dem Maße an, wie es sich der Künstler vorgestellt hat. Brett Baileys Installation vergisst die, denen sie eigentlich nutzen soll. Sie ist nicht für schwarze, sondern rein für weiße Menschen gemacht, um sie zu beschämen. Das tut sie dann auch sehr effizient aber auch auf sehr einseitige Art und Weise. Man geht die ganze Zeit mit halb gesenktem Kopf und einem Klos im Hals durch die „Ausstellung“ und weiß nicht genau, wie man sich eigentlich dazu verhalten soll. Man soll sich als Teil der Installation begreifen, bleibt aber eigentümlich hilflos außen vor. Letztendlich sucht man entweder schnell wieder das Weite oder lässt seinen Gefühlen freien Lauf. Ich sah eine junge Frau herzergreifend weinen. Aber was ist damit gekonnt? Man kann das natürlich als den klassisch kathartischen Moment begreifen. Nur worin liegt nun die Schuld der Frau? Nur darin, dass sie weiß ist? Muss sie sich dafür schlecht fühlen? Geht es damit schwarzen Menschen dadurch besser?
Die Amerikaner haben nach dem zweiten Weltkrieg mit Bürgern von Weimar (vorrangig NSDAP-Mitglieder) durch das KZ Buchenwald geführt, damit sie sich die Leichenberge selbst vor Ort anzusehen. Ich will das natürlich nicht gleichsetzen, bei Bailey haben wir es immer noch mit Kunst zu tun. Auch der Holocaust ist auf verschiedenste Art künstlerisch verarbeitet worden. Trotzdem wirkt er immer noch sehr unterschiedlich in der Wahrnehmung der Menschen. Betroffen, und nicht nur im emotionalen Bereich, bleiben davon aber immer alle. Wo kommt nun aber der schwarze Mensch in Baileys Installation vor? Doch eben wieder nur als Opfer. Im Tableau Vivant kann er seine Geschichte nicht selbst erzählen, er stellt sie lediglich aus. Er ist nicht gestaltend beteiligt, sondern nur rein körperlich anwesend. Das ist vermutlich das Problem, das schwarze Menschen damit haben dürften. Die von Bailey beabsichtigte Vermischung oder sogar die Umkehr von Objekt und Betrachter kann so nicht stattfinden. Das ist reine Wunschvorstellung von Bailey und meiner Meinung nach auch sehr kurz gedacht. Es gelingt Bailey eigentlich nur in einem Bild eine scheinbare Interaktion herzustellen. Und zwar in der Installation Dr. Fischers Wunderkabinett. Ich glaube so hieß das Bild mit den vier schwarzen Sängern, deren Köpfe aus Kisten ragen und an abgeschlagene Herero-Häupter erinnern sollen. In der ganzen Drastik dieses Bildes wirken die Performer für mich dennoch würdiger und stolzer als in den stummen Mementos. Vermutlich spricht mich das aber auch nur deswegen stärker an, da hier christliche Choräle wie zum Beispiel das Ave Maria gesungen werden, und läuft somit wieder auf einer rein emotionalen Ebene ab.
Das ist natürlich meine ganz persönliche Sicht und sicher nicht repräsentativ, oder in ihrer Art vielleicht doch auch wieder typisch weiß. Wer weiß? Für mich sehr wichtig war, dass ich vorher die Black-Bismarck-Previsited-Vorstellung von andcompany&Co gesehen habe, die auf eine ganz andere Art, Wissen vermittelt und verarbeitet. Sie ist sicherlich künstlerisch noch nicht vollkommen ausgereift. Die Macher arbeiten ja noch daran. Aber sie ist politisch interessanter, weil sie den Brückenschlag aus der Geschichte ins Heute macht, auch ohne krasse Schockbilder. Natürlich bleibt das alles weißes Theater für weißes Publikum. Ich sehe keinen Beitrag, außer besagten von Brett Bailey, der direkt aus Afrika kommt und somit auch ein schwarzes Publikum ansprechen würde. Das dieses Publikum sich unterrepräsentiert und falsch dargestellt fühlt, obwohl bekannt ist, dass auch in Europa die Zahl der schwarzen Bürger nicht nur aufgrund der kolonialen Geschichte wächst, bleibt ein Problem des etablierten, vorherrschend weißen Theaters in Europa. Nun ist Kolonialismus, abgesehen von der Sklaverei, kein rein afrikanisches Phänomen. Asien und Amerika sind genauso betroffen. Die Festivalleitung muss sich aber dennoch vorwerfen lassen, wenn sie Kolonialismus als Thema setzt und vorher behauptet, Europa ist nicht mehr genug, dass schwarze Positionen hier einfach fehlen. Da bleibt das dann eben doch eine eher weiße Nabelschau.
Foreign Affairs-Debatte: Dringlichkeit des Diskurses
zu Kommentar von 'Besucher':
Was Sie schreiben, ist, im Bezug auf Inhalt und Form der Debatte, Unsinn. Ich weiß nicht, ob Sie am Mittwoch während des Symposiums anwesend waren. Ich weiß auch nicht, ob Sie 'Exhibit B' hier in Berlin gesehen haben oder während der dort geführten Gespräche anwesend waren. Sachlich richtig ist, daß sich (fast)alle Menschen, die sich auf den verschiedenen Veranstaltungen und während verschiedener Gelegenheiten zu Wort meldeten bzw. eingeladen waren, zu sprechen, dies ruhig, inhaltlich äußerst konkret und detailliert und sehr ernsthaft getan haben. Emotionale Unruhe, eher sanft geäußerte Empörung (vor allem im Auditorium) ist sicherlich nicht der Hinweis auf eine neurotische (dissoziative) Störung, sondern vielmehr ein Hinweis auf die Dringlichkeit des Diskurses darüber, wer warum wo über wen und für wen spricht und wer (sich) das Recht (heraus nimmt)hat historische und gegenwärtige Ereignisse und Prozesse zu deuten und wer (wem) nicht (es systematisch entzogen bzw. vorenthalten wird). Vielen Dank darum an Sie, Elena Philipp, für Ihre sehr genaue Beschreibung dessen, was (u.a.) am Mittwoch im Haus der Berliner Festspiele stattfand.
Foreign Affairs-Debatte: behutsame Diskussion statt Herumgekeule
theater ist da zum diskutieren. theater ist da für furore und theater soll diskurse hervorbringen, die zu oft marginalisiert oder verdrängt werden. ich wundere mich, dass um die in szene setzung von exhibit b ein derartig aufgeladener und hitziger streit entbrennt. ja, ganz bestimmt gibt es an diesem tableau vivant viel auszusetzen und, ja, es ist wahrscheinlich nicht der große, erhellende beitrag zu der blackness/whiteness-debatte. ich werde nur leider den eindruck nicht los, dass hier auf einem diskursiv wirklich höchst komplexen niveau so lange auf herrn bailey bzw. auch auf frau leysen eingedroschen wurde, dass es nur eine frage der zeit war, bis in der hitzigkeit des streits eine verbale entgleisung stattfindet. man muss nur lang genug jemanden anklagen, irgendwann hat man denjenigen soweit. und dann setzt ein mechanismus ein, den ich höchst bedenklich und auch gefährlich finde: es entsteht ein wirklich gewaltiger shitstorm. wie in der öffentlichkeit dann in gut und böse unterteilt wird, in welch hemmungsloser form einzelne personen öffentlich verunglimpft werden, macht einem durchaus angst. vergleichbares war ja bei der blackfacing-debatte in der causa am dt auch schon zu beobachten. wenn diese debatte nicht schnellstmöglich ruhiger, sachlicher und auch von allen seiten wohlwollender geführt wird, sehe ich eine große gefahr, dass diskussionsforen, wie jetzt bei foreign affairs, in zukunft nicht mehr von veranstalterseite aus initiiert werden. wenn am ende des versuchs eines gemeinsamen (!) gesprächs nur noch emotional aufgeladenes herumgekeule stattfindet, kann das erstens nicht sinn der veranstaltung sein, sondern es beschädigt zweitens den diskurs und gesellschaftlichen verständigungsversuch. so entstehen keine gemeinsamen perspektiven und denkweisen, die der komplexität der fragestellung angemessen sind. das halte ich wie gesagt für sehr gefährlich und hoffe, dass diese debatte insgesamt mit mehr vorsicht, demut und respekt geführt wird. nur so kann ein gemeinsames denken und sprechen entstehen.
Foreign Affairs-Debatte: selbstzentrierter Berliner Diskurs
Das Interessante finde ich, dass hier - meist ziemlich unreflektiert - eine sehr spezielle, deutsche Diskussion, die nach der Blackface-Debatte entsanden ist, auf eine Produktion umgelegt wird, deren Kontext ein völlig anderer ist. Stefan schreibt, dass "Brett Baileys Installation die vergisst, denen sie eigentlich nutzen soll. Sie ist nicht für schwarze Menschen gemacht." Wer aber sagt überhaupt, dass die Installation dafür gemacht ist, jemanden zu nutzen - und was ist das überhaupt für ein seltsames Wort? Und weiter: "Dass dieses Publikum sich unterrepräsentiert und falsch dargestellt fühlt (...) bleibt ein Problem des etablierten, vorherrschend weißen Theaters in Europa." Die Produktion enstand nun aber nicht für dieses weiße, europäische Theater. Oder nicht nur.

Natürlich wird sie als Gastspiel in Berlin in einen neuen, deutschen Kontext transferiert - aber eine Debatte zur deutschen Rassismus-, oder Schulddiskussion wird sie so eben auch nicht völlig. Sie schreiben, es ginge darum, "wer warum wo über wen spricht", und haben damit sicherlich Recht. Aber wenn Aikins laut obigem Artikel sagt, "Berlin und die Perspektiven seiner schwarzen Bewohner kämen in der Installation nicht vor" - dann frage ich mich schon, wie selbstzentriert der Diskurs geworden ist. Ja, die schwarzen Bewohner Berlins mögen hier nicht vorkommen, aber es soll ja tatsächlich auf der Welt noch andere Blickwinkel und Sichtweisen geben als die der Berliner, welche Hautfarbe sie auch haben mögen.

Die Aussage von Grada Kilomba, die "als schwarze Frau nicht mehr in koloniale Hierarchien gezwungen werden" will, erinnert mich an eine Diskussion nach der Wiener Aufführung im Völkerkundemuseum, nach der eine Besucherin ebenfalls sinngemäß meinte: Sind diese kolonialen Strukturen nicht längst überholt, müsse man sie nicht brechen, anstatt sie zu reproduzieren. Und ein anderer Zuschauer ziemlich emotional entgegnete, für ihn seien die Auswirkungen dieser "kolonialen Hierarchien" (Das hat er nicht gesagt, ich verwende nur Kilombas Worte) keineswegst vorbei und das müsse man jetzt bitte mal aushalten, und sei es nur für eine halbe Stunde, und nicht dauern wegdrängen. Und das sind für mich die Themen, die hier drängend sind.

Ich habe nur das Gefühl, sie werden nicht wirklich zugelassen, weil man lieber "Rassismus, Rassismus" ruft, und sich so politisch korrekt vorkommt. Das Unbehagen, das die Installation ja unbestreitbar auslöst, müsste man eben auch aushalten. Die vorschnelle Abkanzelung und Kritik ist da aber der leichtere, sicherere Hafen, habe ich das Gefühl ...
Foreign Affairs-Debatte: es geht um Dekonstruktion
zu Kommentar 10:

Sie fragen, "Wer aber sagt überhaupt, dass die Installation dafür gemacht ist, jemanden zu nutzen ..." Nun das sagt Brett Bailey selbst. Lesen Sie dazu hier: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1878258/ - Brett Bailey stellt fest (hat gehört), daß es in Europa und speziell in Deutschland wenig Aufarbeitung der eigenen Kolonialgeschichte gäbe und sagt: "Vielleicht öffnet meine Arbeit ein bisschen die Augen - und macht den Leuten bewusst, wie gut es Ihnen heute geht!" Und das genau war das Thema der Vorträge von Joshua Kwesi Aikins und Dr. Grada Kilomba: Die Perspektive Schwarzer Menschen wird unsichtbar gemacht, koloniale Strukturen werden wiederholt. Und bitte, schauen Sie sich die Arbeit von (nicht nur) Joshua Kwesi Aikins und Grada Kilomba an! Von "vorschneller Abkanzelung" zu sprechen, verkürzt in diesem Zusammenhang auf unlautere Art und Weise. Und "Rassismus, Rassismus" hat niemand gerufen. Vielmehr geht es um Kritik an und Dekonstruktion von 'epistemischer Autorität'.
Foreign Affairs-Debatte: Strukturen sind Fesseln
Liebe Nummer Zehn: was war denn bitte an der Blackfacing-Debatte "speziell deutsch"? Daß sie erst mit enormer Verspätung geführt worden ist, weil man sich hierzulande noch so wohl in seinen alten Klischees gefühlt hat?
Gut, ich verstehe Ihren Einwand gegen Aikins: wer in einen Film über Pinguine geht, soll sich nicht beschweren, daß er nicht von Leoparden handelt.
Aber gerade Grada Kilomba war nun doch eine sehr reflektierte Teilnehmerin der Debatte und hat doch völlig recht. Denn die Debatte wird sich so lange im Kreis drehen, wie diese kolonialen Strukturen nicht überwunden sind. Und deren Folgen funktionieren eben auch am besten in den alten Mustern, die Sie hier - und ich bin sicher, noch nicht einmal in böser Absicht - so vehement verteidigen; bzw. ihr oder Baileys Recht, in diesen Strukturen zu denken und ihr Anliegen zu verhandeln. Aber bitte verstehen Sie doch: diese Strukturen, das sind genau die Fesseln, an denen die Veränderungsversuche dann scheitern. Zumindest ich bin davon sehr überzeugt.
Foreign Affairs-Debatte: Rechtfertigung für Ausstellungsbesuch
Das hört sich sehr dannach an als will man sich rechtfertigen, nicht eingegriffen zu haben, und genau wie die Menschenzoo Besucher von damals, einfach nur die Ausstelung angeschaut zu haben.
Foreign Affairs-Debatte: Dank
Vielen Dank für diesen sehr differenzierten und detaillierten sowie informierten Artikel!
Foreign-Affairs-Debatte: widerständische Perspektiven
Liebe Nummer 10, liebe Anna Log,
sorry, aber der Pinguine-und-Leoparden-Vergleich hinkt. Es geht nicht darum, etwas anderes in Baileys Ausstellung sehen zu wollen, sondern darum, dass die Arbeit eben nicht das tut, was Herr Bailey behauptet gerade WEIL er Geschichte unvollständig erzählt und damit widerständische Perspektiven unsichtbar mache. Darüber hinaus wird die Arbeit und das Wissen Schwarzer Aktivist_innen hier vor Ort, die sich schon sehr viel länger und häufig unbezahlt mit diesem Thema beschäftigen, als Bailey ebenfalls ausgeklammert beziehungsweise Quellen nicht benannt.
Foreign-Affairs-Debatte: Nennen Sie die Quellen
"dass die Arbeit eben nicht das tut, was Herr Bailey behauptet" - Ich finde es mehr als anmaßend, eine Arbeit, die offenbar so gegensätzliche und emotionale Reaktionen hervorruft, auf nur eine - nämlich Ihre - Sichtweise festzulegen und mit einem einfachen Satz bestimmen zu wollen, was die Arbeit nun "tut" oder nicht. Offenbar "tut" sie ganz verschiedenes für verschiedene Zuschauer, und gerade diese Ambivalenz finde ich spannend an "Ehibit B".

"weil er Geschichte unvollständig erzählt" - Ich habe Geschichte - egal welche - noch nie vollständig erzählt gesehen/gehört/erlebt.

"die sich schon sehr viel länger und häufig unbezahlt mit diesem Thema beschäftigen als Bailey" - Ich habe keine Ahnung, wie lange sich Bailey schon mit dem Thema beschäftigt. Immerhin arbeitet er seit den 1990er Jahren mit seiner Gruppe in Südafrika an Werken zum Thema Kolonialismus. Aber natürlich wissen die unbezahlten Aktivist_innen "hier vor Ort" - und das scheint wichtig zu sein - besser als er, wie man dieses Thema anpacken muss.

"Quellen nicht benannt" - Das immerhin fände ich spannend. Nennen sie die Quellen doch, ich würde gerne mehr darüber wissen!
Foreign-Affairs-Debatte: Unbezahlt?
"Darüber hinaus wird die Arbeit und das Wissen Schwarzer Aktivist_innen hier vor Ort, die sich schon sehr viel länger und häufig unbezahlt mit diesem Thema beschäftigen als Bailey ebenfalls ausgeklammert (…).". Sehr viel länger und häufiger unbezahlt? Was wird denn hier in einen Topf geworfen? Ich habe mich auch schon mit vielen Themen unbezahlt beschäftigt… Was wollen Sie damit sagen?
Foreign-Affairs-Debatte: stummes Zurückschauen
Liebe Wohlgesinnte,
ich habe den Eindruck, dass der künstlerische Aspekt der Arbeit "Exhibit B" vollständig zugedeckt wird von den ehrenwerten Absichten, die ich aus Euren Äußerungen herauslese. Meiner Meinung nach ist die Tiefenwirkung dieser Arbeit zunächst auf der Ebene zwischen Objekt- und Subjektverhältnissen zu suchen. Ein anklagendes Tableau Vivant funktioniert sicherlich nicht so, dass jemand mundtot gemacht wird, sondern durch die Einbettung in den historischen Kontext wird m.E. die Frage virulent wer bin ich der das anschaut, wer schaut zurück!, wie ist die Gewalt in Blickverhältnissen konstruiert. Die entscheidende Qualität liegt ja im stummen Zurückschauen, welches pornographisches Wegkonsumieren unmöglich macht und selbstverständlich Dialog herstellt.
Das geht natürlich weit über naive Anforderungen a la: der ist gut und darf sprechen hinaus sondern reflektiert die reale Gewalt der Bildabstraktion mit - wird somit bedrohlich für den Zuschauer, der ja auch expressis verbis konstitutiver Teil der Arbeit ist.
Diese Arbeit ist für mich genau das, was diese Debatte braucht, nämlich intelligent, offen und dynamisch. Hier muß sich jeder positionieren zu einem Kunstwerk, welches nicht die altbekannten Antworten liefert sondern aufwühlt, was man gerne geordnet abgelegt hätte. Wenn ich einen Vortrag über politische Gewissheiten haben möchte, dann trete ich eine entsprechende Partei oder Gruppierung ein - zum Beispiel in die Bühnenpolizei (wenn das die richtige Übersetzung ist für stage watchers)
Foreign-Affairs-Debatte: Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft
16, 17 und 18 haben absolut Recht. Die Bühnenpolizei in Berlin sollte erstmal lernen, Arbeiten richtig zu beschreiben, bevor ihre haarscharfen Urteile gefällt werden. Es gibt einen Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft, und nicht jeder Wissenschaftler kann Kunstkritik leisten, nur weil er sich in den Post Colonial Studies oder sonstwo gut auskennt. Zudem gehen einem diese "Vielen Dank Frau Philipp" Kommentare auch auf die Nerven. Ich will nichts unterstellen, aber es beschleicht einen das Gefühl, dass die geäußerte Kritik nur dem einen Ziel nützen will - nämlich eigene Interessen durchzusetzen.
Foreign-Affairs-Debatte: Funktionsweise kultureller Aneignungsprozesse
Ich hab mal eine Frage zur so genannten "Blackfacing"-Debatte.

In allen Opernhäusern der Welt sind zahllose asiatische und farbige Solisten und Chorsänger engagiert, die in europäischen Opern Europäer singen.
Um nur drei Beispiele aus dem Bayreuth der letzten Jahre zu nennen: der Koreaner Kwangchul Youn sang den Gurnemanz, die Japanerin Mihoko Fujimura die Kundry, Schlingensief besetzte den Bösewicht im Parsifal mit dem farbigen Sänger John Wegner usw.
Fordern die Forschungsergebnisse der post-colonial-Studies, dass die das jetzt nicht mehr dürfen?

Und vollziehen sich kulturelle Aneignungsprozesse nicht meist in beide Richtungen (auch wenn das die "herrschenden" Kulturen nicht immer in Echtzeit merken): Sind nicht Gospels und Spirituals eine farbige Aneignung ehemals weißer Kirchenlieder? Und dominieren nicht deren Weiterentwicklungen (Rhythmen, Blue-note etc) nicht die heutige globale Rock/Pop-Musik?
Foreign-Affairs-Debatte: Verknüpfung zwischen Kunst, Politik, Wissenschaft
zu 19)
Sie haben sicher schon bemerkt, daß Sie, in dem Sie konstatieren "16, 17 und 18 haben absolut Recht", nichts wesentlich Verschiedenes tun, als "Vielen Dank Frau Philipp" zu sagen. Warum soll 'ich mich' in einer Debatte nicht (auch) auf andere (vorangegangene) Beiträge beziehen?

Nun aber zu Ihrer Forderung: "Die Bühnenpolizei in Berlin sollte erstmal lernen, Arbeiten richtig zu beschreiben, bevor ihre haarscharfen Urteile gefällt werden." - Woran erkennen Sie, daß die Menschen, die sich u.a. bei BÜHNENWATCH engagieren, nicht in der Lage wären, Arbeiten (Sie meinen offensichtlich künstlerische Arbeiten) richtig zu beschreiben? Was bedeutet in diesem Zusammenhang 'richtig'? Und wie kommen Sie darauf, daß in den (z.B.) 'Post Colonial Studies' Kunst und Wissenschaft nicht Hand in Hand gingen? Und warum soll, wer Kritik äußert, nicht auch eine Ansicht und eine Absicht haben? Und da es Ihnen um „richtiges Beschreiben“ geht, hier ein link zur Begriffsklärung (der Einfachheit halber zu Wikipedia): http://de.wikipedia.org/wiki/Polizei

Gerade im vorliegenden Fall ist es doch so, daß eine direkte Verknüpfung von Kunst, Politik, Wissenschaft(Forschung) hergestellt werden sollte und soll. Erstens hat Brett Bailey mehr als einmal darauf hingewiesen, daß er seine Themen wählt, in dem er sich das anschaut, was "auf dem Tisch" liegt. Und das war hier für ihn eben Rassismus, Kolonialismus, die Verantwortung für beides auf Seiten seiner Familie und die Verantwortung Europas im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen. Er nennt seine Arbeit eine 'Investigation' - eine Forschung, oder auch Erforschung. Er will ankämpfen gegen "kollektive Amnesie". Er sagt dazu z.B. das Folgende: "Vielleicht öffnet meine Arbeit ein bisschen die Augen - und macht den Leuten bewusst, wie gut es Ihnen heute geht!" (- Das ist weiter oben schon zitiert.). Weiterhin sagt er, daß sein Anliegen universell sei und persönlich (subjektiv) zugleich. Weiterhin sagte er, daß er dies eben als Künstler tue.

„Exhibit B“ und andere zum Festival ‚foreign affairs‘ eingeladene Arbeiten haben Kolonialismus und Rassismus und deren Ursachen zum Thema. Deswegen gab es die Idee, die künstlerischen Arbeiten (u.a.) durch ein Symposium zu flankieren. Eben um die Möglichkeit zu einer weiterführenden Debatte zu geben. Titel und Thema: „STAGES OF COLONIALISM/STAGES OF DISCOMFORT ist eine Initiative des internationalen Forschungskollegs VERFLECHTUNGEN VON THEATERKULTUREN/INTERWEAVING CULTURES IN PERFORMANCE der Freien Universität Berlin in Zusammenhang mit Foreign Affairs -- Die theatrale Installation Exhibit B sowie die Performance medEia von Brett Bailey werfen Fragen von postkolonialen Strategien in Politik und Ästhetik auf – gerade in Deutschland, wo ein Bewusstsein für die koloniale Vergangenheit nur sehr langsam zunimmt. Wir nehmen dies zum Anlass, verschiedene Perspektiven zum Thema zu präsentieren.“

Das Podium während dieser Veranstaltung war besetzt mit Menschen, die in folgenden Bereichen arbeiten: Literatur, Theater-Regie, Dramaturgie, Psychologie, Anthropologie, Ethnologie, Bildender Kunst, Politologie, Soziologie, Theaterwissenschaft, Kulturwissenschaft – also Wissenschaftler_innen und Künstler_innen „Hand in Hand“ (oder zumindest gleichberechtigt nebeneinander). (Genauso divers oder auch multiperspektivisch setzt sich auch die Gruppe der Menschen zusammen, die sich unter dem Label BÜHNENWATCH (http://buehnenwatch.com/) von Zeit zu Zeit zusammenfinden.)

Wer ist also, Ihrer Meinung nach, in der Lage (oder auch) berechtigt, oder sollte es sein, „Kunstkritik zu leisten“? Und warum sind (oder waren) es die Menschen auf dem Podium (und im Auditorium) nicht?
Foreign-Affairs-Debatte: Antwort
zu Guttenberg - 20)

Ihre Frage ist sehr leicht zu beantworten. Nein die "Forschungsergebnisse der post-colonial-Studies fordern" das nicht.
Und aus der "Hautfarbe" eines Menschen oder anderer die Physiologie eines Menschen bestimmenden genetischen Merkmale mit einer spezifischen kulturellen Identität zu verknüpfen, wird im Allgemeinen Rassismus genannt.
Foreign-Affairs-Debatte: ganze Debatte rassistisch?
@22:
Ergo wäre Ihrer Meinung nach die ganze Blackfacing-Debatte rassistisch?
Foreign-Affairs-Debatte: nicht Berechtigung, Fähigkeit
zu 21 - nicht in der Lage Kritik zu leisten, ist derjenige, dem zum Thema Tableau Vivant reflexartig einfällt, dass hier jemand entmündigt und zum Objekt degradiert wird, nur weil er nicht spricht. Das wurde von Gustav Ente sehr gut dargestellt.

Und, wenn auch in verschiedenen Wissenschaften über Kunst reflektiert wird, so kann das immer noch nicht heißen, dass jeder der z.B. Post Colonial Studies studiert, auch fähig ist, Kunst oder Theater oder sonstwas zu beschreiben. Wer nichts wird, wird Kritiker. Das ist eben ein fataler Irrtum.

Von einer Berechtigung Kritik zu leisten, habe ich übrigens nichts geschrieben - nur von einer Fähigkeit, liebe(r) Begriffsspalter(in). Es amüsiert mich übrigens, dass ich bei ihren Ausführungen das Gefühl habe, Theaterwatch habe tatsächlich mehr mit der Polizei als mit dem Theaterzu tun.
Foreign-Affairs-Debatte: am Thema vorbei
@guttenberg: beim black facing geht es ums gesicht schwarz anmalen und nicht um die besetzung irgendwelcher bestimmten darsteller. daraus ergibt sich das ihre frage am thema vorbei geht.
Foreign-Affairs-Debatte: was ausgeklammert wird
@ sarah u.a.: ich kann einen kritikpunkt an baileys arbeit wirklich nachvollziehen: die problematik der reproduktion von solchen gewaltbildern, gewaltverhältnissen. das ist ein schwehrwiegender punkt, aber viele andere argumente hier sind meiner meinung nach leider an den haaren herbeigezogen. würde es nicht reichen den fokus auf das wesentliche zu lenken anstatt bei einem kunstwerk in dem pausenlos gesungen wird von fehlenden stimmen zu sprechen, oder bei einer international tourenden inszenierung eines südafrikanischen regisseurs das ausklammern der arbeit von einer handvoll berliner aktivistinnen zu beklagen. genauso richtig ist es, das bühnenwatch in ihrem statement die mitarbeit der herero und nama aktivisten (sowie aller beteiligten performer) ausklammert. unmöglich aufzulisten was diese (und jede andere) arbeit noch so alles ausklammert. solche schwehr nachvolziehbaren angriffe nehmen den entscheidenden argumenten die kraft und vermitteln einem das gefühl, das sich die berliner aktivistinnen persönlich zu wichtig nehmen.
Foreign-Affairs-Debatte: Beharrlichkeit der Bühnenwatchler
@ Guttenberg
Also bei der Ablehnung von Blackfacing besteht das Problem von Bühnenwatch meiner Meinung nach nicht vordergründig darin, dass kulturell schwarze Identitäten von weißen Schauspielern übernommen werden, oder umgekehrt, sondern es geht einfach rein um das Anmalen als einen Akt der Reproduktion von rassistischen Ressentiments. Die Bühnenwatchaktivisten fühlen sich durch die schwarze Farbe einerseits an die amerikanischen Minstrel Shows erinnert oder andererseits an weiße koloniale Kreationen wie den Sarotti-Mohr, Straßenbezeichnungen wie Mohrenstraße in Berlin (hat beides sogar unmittelbar miteinander zu tun) oder ähnliche Darstellungen rassistischer Klischees. Gerade der Streit um die Umbenennung der Mohrenstraße ist ja ein ganz ähnliches Problem. Natürlich besteht Bühnenwatch auch auf der Besetzung schwarzer Rollen mit schwarzen Schauspielern, was von den Theatern meist aus Mangel an qualifizierten Kräften abgelehnt wird. Dass dann der weiße Schauspieler eine andere Identität annimmt, ohne sich direkt dafür zu schminken, ist dabei wohl für die Theaterregisseure die erste Alternative. Dea Loher empfiehlt ja, wenn es nicht anders geht, in ihrem Stück „Unschuld“ die beiden Asylbewerber z.B. mit Masken auftreten zu lassen. Das Fremdsein also mit künstlichen Mitteln darstellen, oder ganz realistisch mit authentischen Personen arbeiten. Da scheiden sich wohl die Geister. Ich meine beides muss weiterhin möglich sein. Wie sich dieses Problem letztendlich lösen lässt, wird die Zeit zeigen. Beharrlichkeit besitzen sie ja, die Bühnenwatchler.

An Kolja habe ich da noch eine Frage. Was meinen Sie jetzt mit dem Verknüpfen von genetischen Merkmalen mit einer „spezifischen kulturellen Identität“? Die Frage ist da für mich, ob es eine schwarze oder weiße Identität, Kultur oder auch ein Selbstverständnis gibt. - Was ich natürlich nicht genetisch oder rassisch begründen würde. - Und wenn, wäre das jetzt als rassistisch zu überwinden? Und von wem? Was wäre dann mit Steve Biko und „Black Consciousness“? „Die mächtigste Waffe in den Händen der Unterdrücker ist der Geist der Unterdrückten.“ (Steve Biko). Befreie deinen Geist und besinne dich auf deine eigenen Werte. Das muss der Weiße natürlich nicht machen und daher ist sein Selbstverständnis auch wesentlich ausgeprägter und er tut sich schwer mit seinen liebgewordenen Vorurteilen. Aber ist nicht erst die Verdeutlichung eines Unterschieds ob nun genetisch oder anderweitig begründet und die Herabwürdigung des Anderen wirklich Rassismus? Meinen Sie daher nicht eher die Reduzierung auf genetisch bedingte Merkmale, wie eben die Hautfarbe? Ich möchte natürlich auch nicht ständig im Ausland oder auch hier in Deutschland mit Weißwürsten und Blasmusik in Verbindung gebracht werden, obwohl ich natürlich nicht genetisch auf diese Kost reduziert bin. Scheiß Vergleich, schwieriges Thema. Das sich Kulturen heutzutage mischen, oder aus einander hervorgegangen sind, hat Guttenberg ja schon versucht zu erklären. Es kann natürlich nicht rassistisch sein, wenn Weiße plötzlich den Blues haben, genau wie nicht jeder Schwarze nur Bluesmusik oder Jazz mag, weil das aus der schwarzen Kultur stammt. Kulturell gesehen gibt es da ja auf dem Gebiet der Kunst (Musik, Theater, etc.) Gott sei Dank kaum noch Grenzen. Fusion und Cross over sind in der Kunst Gang und Gebe. Ob nun die Blackfacing-Debatte rassistisch ist, weil Schwarze nur von Schwarzen gespielt werden sollen, ist von Guttenberg natürlich als recht provokative Frage in die Runde geworfen worden. Aber kann denn nicht auch das gestiegene schwarze Selbstbewusstsein mit einem bestimmten Selbstverständnis oder auch Gelassenheit einhergehen? Was natürlich kein Freibrief für die weiße Gesellschaft bedeutet, so weiter zu machen wie bisher. Ich will damit nicht für Nachsicht werben, aber vielleicht dauert das mit der Einsicht eben ein bisschen länger als Bühnenwatch sich das so vorstellt.
Foreign-Affairs-Debatte: auf Kontexte bezogen
zu 24 - Mir scheint, sie waren beim Symposium selbst nicht anwesend, denn die meisten Podiumsteilnehmer haben ja gerade keine immanente Kritik betrieben, sondern Exhibit B gerade auf die historisxchen und gegenwärtigen Kontexte bezogen, die Bailey nach eigener Aussage thematisieren möchte. In diesem Sinne ist der Zusammenhang zwischen Theater, Erinnerngspolitik, Berlin als kolonialem Stadtraum und de-kolonialer Kritik (die auf dem Podium auch in Abgrenzung von postkolonialer Kritik betrieben wurde) dann doch etwas komplexer als Sie es hier darstellen. Warum bezieht isch eigentlich kaum einer der Kommentierenden, die die Beiträge von Grada Kilomba und Joshua Kwesi Aikins (m.E. zu Unrecht) als theaterfern kritisieren, auf die Beiträge von Joy Kristin Kalu und Katja Wenzel, die sich minutiös, analytisch genau, aber eben sehr kritisch mit der Berliner Theaterszene und konkreten Inszenierungen beschäftigt haben? Dieses Auslassen scheint mir ebenso tendentiös wie das Verhalten, das sie den PanelistInnen vorwerfen...
Foreign-Affairs-Debatte: Wirkabsichten, -mechanismen und Ergebnisse
zu 19 u. 24) Jeder Mensch, der die Wirkabsichten, Wirkmechanismen und Ergebnisse von Kolonialismus erkennen und benennen - d.h. dekonstruieren kann, kann auch die Wirkabsichten, Wirkmechanismen und Ergebnisse von künstlerischen Arbeiten erkennen und beschreiben - d.h. dekonstruieren, die Kolonialismus zu ihrem Thema machen.
Foreign-Affairs-Debatte: vorbei am Thema des Theaters?
@25:
Liebe Nachhilfe,
worin besteht der Unterschied, zwischen einem Schauspieler, der sich schwarz anmalt und einem, der sich eine Krone aufsetzt?
Sind nicht beide eben nicht das, was sie vorstellen? Sondern Repräsentationen?

Geht nicht die Blackfacingdebatte somit am Thema des Theaters vorbei?
Foreign-Affairs-Debatte: unumgängliches Selbstbewusstsein
zu Stefan) (und auch zu Guttenberg)
Zuerst bitte ich um Verzeihung, dass ich in der Eile meinen Satz grammatikalisch falsch konstruiert habe. Heißen muß es selbstverständlich:
Von der "Hautfarbe" eines Menschen oder anderer die Physiologie eines Menschen bestimmende genetische Merkmale eine spezifische kulturelle Identität abzuleiten, wird im Allgemeinen Rassismus genannt.
Danke, dass Sie das 'übersehen' haben.
Ich denke, Steve Biko oder auch Stokely Carmichael und Charles V. Hamilton (u.v.a.) setzten sich in Ihrer Arbeit, ihrem Kampf mit den für Kolonialismus und Apartheid notwendigen Konstruktionen von 'weiß' und 'schwarz' auseinander. Sie erkannten, dass es unumgänglich sein wird, um sich aus der strukturellen Unterdrückung zu befreien, ein Selbstbewußtsein zu entwickeln. Sie bezogen sich damit aber nicht auf die von weißen Wissnschaftlern und Politikern als Herrschafts-Tool entwickelten Rassentheorien und -ideologien, sondern vielmehr auf den sozialen Aspekt rassiesierender Konstruktionen.
Alles andere, was Sie erwähnen im Zusammenhang mit Musik, Theater etc. ist, denke ich wesentlich komplexer und, wie Sie auch schreiben, grenzenloser. Es gibt jedoch Formen von kultureller Aneignung die ich ablehne. Aber da sind wir eher bei 'Mode-Trends', Selbstbehauptungen usw. - das führt hier zu weit.
Foreign-Affairs-Debatte: Hybris
zu 29) auch wenn sie das pathos des menschseins (gleich jeder soll bei ihnen mitmachen) im munde führen, muß ich ihnen leider widersprechen. nein. die wissenschaftliche auseinandersetzung mit der konstruktion und dekonstruktion von kolonialistischen praktiken beinhaltet nicht notwendigerweise eine angemessene reflektion über das medium theater oder theatralität.
die menschen (sic) die sich mit theater o.Ä. schon mal eingehender beschäftigt haben, wohlmöglich sogar praktisch, können unter umständen eine andere tiefenschärfe in der auseinandersetzung erreichen als es der vermeintliche adlerblick des dekretierenden wissenschaftlers vermag, der sich nicht ein mal in die niederungen des beschriebenen feldes herabsenken mag. es handelt sich m.E. um diesselbe art der hybris, die auch einer selbsternannten polizei innewohnt.

die frage nach repräsentanz ist sicherlich interessant und es lohnt sich bestimmt über nuancierungen zu streiten, was wünschenswert ist und was nicht. dennoch stellt sich für mich die frage ob der rassismus nicht vollkommen ist, wenn nur noch hautfarbe x über hautfarbe x künstlerisch arbeiten darf. hautfarbe y hautfarbe y darstellen darf. wollen wir alle menschen(!) auf das augenfällige festschreiben?
Foreign-Affairs-Debatte: deutscher Kolonialismus
Um in den Ich-danke-Elena-Philipp-Chor einzustimmen: diese genaue Beschreibung des Symposiums und ihre Kritik der im Anschluß stattfindenden Performance von andcompany&Co. vermitteln sehr gut auch für Menschen, die nicht dabei waren, worum es hier geht. Was ich mich jedoch frage ist, wie es kommt, dass wir statt über den deutschen Kolonialismus zu sprechen derart ausführlich über issues of colour sprechen. Ist das nicht eine merkwürdige Verschiebung - ist das gar: eine Verdrängung? Mich wundert die "Entgleisung von Frie Leyssen" - ist es nicht sehr mutig, auf so einem Festival dermaßen stark auf das Thema Kolonialismus zu setzen? Ich erinnere daran, dass man sie dafür vor 2 Jahren bei Theater der Welt schwer angefeidet hat - sinngemäß: "wenn eine Belgierin hier nach Deutschland kommt und uns was über Kolonialismus erzählt, dann ist das selbst kolonialistisch." Und was macht sie, zwei Jahre später in der Kolonialmetropole Berlin - erst recht das Thema auf die Agenda setzen! Wer würde das sonst machen? Welche deutsche Festivalleiter? Wo passiert das sonst? Bitte: Lasst uns endlich über den deutschen Kolonialismus reden! Über 100 Jahre nach dem Kolonialkrieg, dem Vernichtungsbefehl gegen die Herero. It's about time!
Brett-Bailey-Debatte: Link aus London
Brett Bailey "never faced kritics" about his work? Well, now he has to ... http://www.youtube.com/watch?v=tZV-6t8j16o&feature=youtu.be
Brett-Bailey-Debatte: Link aus London II
And some more ... http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/sep/12/exhibit-b-human-zoo-boycott-exhibition-racial-abuse
Kommentar schreiben