Schulstunden in Afghanistan

von Hartmut Krug

Berlin, 5. Oktober 2012. Sie joggen um eine kleine Sandfläche, grüßen zackig, robben durch den Sand, machen Fitnessübungen: drei Schauspieler, unter der Tarnuniform ihre Alltagsshirts, versuchen vergeblich, sich und uns die physische Situation von Soldaten zu versinnlichen. In einem offenen kleinen, hellen Theaterraum, distanzlos vor den Zuschauern. Was uns fremd sein könnte, soll uns nah gebracht werden. Und der Musiker (Daniel Mandolini) am Rand der Spielfläche liefert dazu die deutsche Nationalhymne auf der E-Gitarre und illustriert das Geschehen beatboxend.

Bomben und Bastelmaterialien

Esther (Katrin Hansmeier) ist als Soldatin nach Afghanistan gekommen. Im Camp teilt sie sich die in den offenen Spielraum gestellte Doppelliege mit einer Kampfmittel-Beseitigerin (Tanya Erartsin). Und langweilt sich. "Ich dachte, Krieg ist laut?", wundert sich die Neue. Worauf ihre Kollegin sie mit zur Sprengung von Minen nimmt. Da zerplatzen weiße Luftballons im Sand und goldener Flitter fliegt durch die Luft – der von einem Afghanen sorgfältig aufgesammelt wird. Denn mit dem Szenenwechsel sind wir in einer Schule, zu deren Schutz sich Esther melden konnte, weil die auf Rügen aufgewachsene Soldatin Russisch spricht. Der Afghane ist der einheimische Direktor (Sinan Al-Kuri) und nimmt den Flitter als Bastelmaterial der Kinder auf.

kriegsbraut 560a milanbenak uFrauen im Kampfeinsatz: Katrin Hansmeier und Tanya Eratsin © Milan Benak

In Gesprächen tasten sich die fremde, emanzipierte Frau und der sensibel-kluge afghanische Mann aufeinander zu. Dazwischen spielt Esther im Camp mit ihren deutschen Kollegen Billard, wobei mit den Queues wie mit Gewehren hantiert wird. Sie trifft einen amerikanischen Soldaten in der Bar des Camps, – der keine Figur, sondern ein wildes, heftig Kaugummi kauendes GI-Klischee mit enorm viel Coolheit hinter der Sonnenbrille ist.

Bei ihrer regelmäßigen Betreuungsfahrt zur Schule entdeckt sie eine scheinbare Topfmine, doch die entpuppt sich als Kochtopf mit Linsensuppe. Was, wie so viele Situationen ohne Einheimische, zu Reflexionen und zu Diskussionen über die Menschen des Landes führt, die man fast nie zu Gesicht bekommt. Ihre Kollegin, die an einer Burka stickt, stellt diese wie ein Altarbild hinter brennenden Teelichten auf, und dann paffen die beiden Opium und phantasieren sich eine einheimische Familie zusammen: eine Fiktion voller Klischees und Ängste, zwischen liebevollem Familienleben und Terrorismus.

Natürlich, so muss man leider sagen, nähern sich Esther und der afghanische Lehrer in scheuer Zuneigung an. Doch zu mehr als einem Walzer-Tanz und einem Kussversuch kommt es nicht. Denn die Taliban machen einen Angriff, worauf die Amerikaner ein Anwesen bombardieren und eine afghanische Frau mit ihren zwei Kindern dabei umkommt.

kriegsbraut 280 milanbenak uZielschießen beim Billard © Milan Benak

Ein flacher Holzschnitt des Romans

Es ist ein redlich engagierter Abend, der alle Probleme, die der Krieg in Afghanistan mit sich bringt, im Schnelldurchlauf anspielt. Als demonstrierendes Vorführtheater. Mit Schauspielern, die angenehm zurückhaltend agieren. Doch Raum und Spielweise erinnern an Schultheater. Die Figuren besitzen weder Eigenleben noch überhaupt Leben.

Das hat auch mit der Textfassung zu tun. Denn während der Journalist Dirk Kurbjuweit, Leiter des Berliner Spiegel-Büros, in seinem Roman gerade über das Journalistische hinaus geht, indem er den Figuren Biographien und Emotionen gibt, hat Regisseurin Nicole Oder daraus wieder ein journalistisches Flachbild geschnitten. Über Esther erfahren wir in ihrer Version nichts Wesentliches, während der Autor meinte, er käme in seinem Roman, der auch Esthers Vorleben und -lieben vor ihrem Eintritt in die Bundeswehr schildert, "tief in ihre Seele hinein."

Wie schuldig sind wir?

Doch Nicole Oder nimmt den Figuren ihre Seelen und lässt ihnen nur Konturen. Es ist eine ungeschickt verkürzte Bühnenfassung des Romans, die nur Redebilder liefert, statt, wie der Autor, auch deutsches Alltagsleben in Rückblenden zu zeigen. Die Inszenierung kommt weder in die Seele der Figuren noch in die des Kriegs im fernen Afghanistan hinein. Sie erzählt uns nur das, was wir hundertmal in Presseartikeln beschrieben bekommen haben. Weder findet der Abend eine ästhetische Form für sein Thema, noch geht er inhaltlich über ein Referieren hinaus. Er hangelt sich so zwischen Nachspiel und Vorspiel dahin. Weder berührt er mich noch informiert er mich neu.

Dieser in jeder Hinsicht saubere Theaterabend ist redlich gedacht und brav gemacht. Man sitzt davor, langweilt sich bald und denkt: Was eigentlich soll diese Inszenierung? Was sie unter vielem anderen nicht liefert, ist eine Antwort auf Dirk Kurbjuweits Frage, die der Programmzettel zitiert: "Wie schuldig sind wir, wenn wir in einen Krieg gehen, und wie schuldig sind wir, wenn wir nicht in den Krieg gehen?"


Kriegsbraut
nach einem Roman von Dirk Kurbjuweit
Text und Regie: Nicole Oder, Ausstattung: Stephan Fernau, Musik: Daniel Mandolini, Dramaturgie: Inka Löwendorf
Mit: Sinan Al-Kuri, Tanya Erartsin, Katrin Hansmeier
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.heimathafen-neukoelln.de


Mehr über die Theaterarbeit am Heimathafen Neukölln erfahren Sie im Hausporträt von Anne Peter und in der Rezension zu Nicole Oders Erfolgsinszenierung ArabQueen.

 

Kritikenrundschau

Es gebe Momente, so Christian Rakow in der Berliner Zeitung (8.10.2012), die beeindruckten durch ihre "direkte, klare Erzählweise". Dennoch falle dieser Abend zu schlank aus. Oder streiche "alle Ambivalenzen der Figuren, kürzt interkulturelle Gespräche und überhaupt die im Roman so wichtige Figur des Schuldirektors Mehsud auf ein Minimum. Übrig bleiben choreographierte Militärtrainings, Schlaglichter vom Kampfeinsatz, Skizzen der Traumaverarbeitung."

Kommentare  
Kriegsbraut, Berlin: das krasse Gegenteil
Kann nur zustimmen. Ich bin nach dieser Aufführung noch in den unteren Saal des Heimathafens gegangen. Dort begann grad ein Stück der Performancegruppe Weinkörper. Das war das krasse Gegenteil: 10x politischer, intelligenter aufwühlender (was ich bei dem Thema Wein im Gegensatz zum Thema Afghanistan nun wirklich nicht erwartet hätte).
Kriegsbraut, Berlin: wirft Fragen auf
Sehr geehrter Herr Krug,
ich war in der gestrigen zweiten Vorstellung - ein anderer Abend, was Theater betreffend nicht ganz unwesentlich ist - und war zu keiner Zeit gelangweilt, noch fand ich mich mit seelenlosen Figuren konfrontiert. Mit einfachen Mitteln gelang der Produktion ein atmosphärisch dichter Raum, gestützt von den einfallsreichen Ton- und Musiksequenzen. Die Frauenfiguren wirkten zunehmend vertraut, nachvollziehbar wohingegen die Männerfiguren distanziert und fremd blieben, das der aufgemachten Problematik meines Erachtens zugute kam. Das Vertraute trifft auf das Fremde, das trotz aller (journalistischer) Klischees fremd, unverständlich und daher gefährlich bleibt. Wie sollte ein Theaterabend Antworten liefern über die menschenalte Monstrosität Krieg, die selbst der unmittelbar Beteiligte nicht fassen kann. Die Inszenierung wirft Fragen auf und vermittelt die unklare Sehnsucht nach einem anderen Zustand der Welt und das intensiv und berührend ungeschützt, so sich der Zuschauer dem Thema zu öffnen weiß. Und darin sehe ich die gefundene ästhetische Form.
Den militärischen, als humanitär bemäntelten, Einsatz Deutschlands in Afghanistan zum Gegenstand einer theatralen Aufbereitung zu wählen, birgt die Gefahr eines didaktischen bzw. moralisierenden Fingerzeig, zumal der deutsche Durchschnittszuschauer auch einer Mars-Inszenierung beiwohnen könnte, weil ähnlich fremd. Doch der KRIEGSBRAUT gelang es, das belehrende / aufklärende 'Schultheater' zu umgehen und mittels der Protagonistin, Esther, und ihrer unscharfen Gegenspieler - verzerrten Spiegelungen vorherrschender Meinungen gleich - die 'einfache Geschichte' eines Einzelschicksals behutsam darzustellen und sich einem Thema zu stellen - ohne jeglichen Anspruch einer Absolution, die Theater nicht liefern kann / sollte - das auf den Bühnen kaum aufgegriffen und von der Politik nur mit spitzen Fingern tangiert wird.
Das gestrige Publikum honorierte die ausverkaufte Vorstellung mit langem Applaus nach dem das Schlussbild Schweigen im Black nach sich zog. Letztlich sollte sich der Zuschauer selbst einen Eindruck verschaffen und sich nicht von der verallgemeinernden Kritik eines Einzelnen abhalten lassen. Empfehlenswerter Abend, der zum Gespräch einlädt.
Kommentar schreiben