Auf die Plätze – fertig

von Michael Laages

Bremen, 11. Oktober 2012. Das kann doch nicht alles gewesen sein, auch wenn der Rest schon Schweigen ist. Er hat ja nichts wirklich getan, der Dänenprinz, und noch der Tod, den er da vergiftet im Duell erleidet, ist das Ergebnis der Durchstechereien anderer. Nicht mal den letzten, tendenziell selbstmörderischen Gedanken des berühmten "Sein oder Nichtsein"-Monologs hat er wirklich realisieren können. Und weil das so ist, weil er auch am Schluss noch nicht vom Zaudern zur Tat gefunden hat, beziehungsweise die wirkliche Tat (den Beinahe-Schwager Laertes im Degen-Duell zu töten) nicht wirklich von Bedeutung war, darf das Ende nicht das Ende sein. Also steht Hamlet wieder auf in Alexander Riemenschneiders Bremer Fassung – und geht im Eiltempo noch einmal all die Positionen durch, an denen er zur Tat hätte schreiten können … und wir ahnen: Dies ist eine Zeit- oder Lebensschleife. Und ewig grüßt das Murmeltier.

Diesen hintersinnigen Epilog hat Riemenschneider der Shakespeare-Version verpasst, für die er keine zwei Stunden braucht. Großzügig ist gestrichen worden; kein Rosenkrantz, kein Güldenstern, kein Totengräber weit und breit – und wenn der Brudermörder und Schwägerinnenverführer Claudius beten geht, so geschieht das zwar auch im Original während Hamlets Gang zu den Gemächern der Mutter Gertrud. Aber so beiläufig wie hier hat vermutlich noch kein König die Unfähigkeit zur Beichte entdeckt: im kleinen Kniefall zwischendurch.

Im Blumenmeer einer monströsen Beerdigungsfeier
Wobei nicht unterschlagen werden darf, dass Guido Gallmanns Rapid-Beichte einen der nachhaltigsten Eindrücke der Aufführung hinterlässt. Die rast nämlich zuweilen derart voran, dass Abschalten, Abwarten oder wenigstens mal ein kleines Nachdenkpäuschen fürs Publikum absolut nicht drin ist. Zumal Nikolai Plath, der kraftvolle Bremer Hamlet, ziemlich laut und ranschmeißerisch das Interesse dauerhaft auf sich zieht. Und es braucht schon einige kühle Untertreibung wie bei Gallmann oder forciertes Clownieren wie Alexander Swobodas Polonius, um da mithalten zu können.

Hamlet3 560 JoergLandsberg hFast allein auf weiter Flur: Hamlet (Nikolai Plath) © Jörg Landsberg

Das ist prinzipiell gar nicht so einfach auf und vor Rimma Starodubzevas Bühne. Die besteht nämlich fast ausschließlich aus dem Blumenmeer einer monströsen Beerdigungsfeier; es sieht aus wie vor dem Dienstsitz der Princess of Wales nach dem Tod von Lady Di: lose Blumen, Sträuße in Hülle und Fülle, kleinere und größere Herzen, Teddybären. Vielleicht ist ja Trotz aus Trauer der Antrieb für den Racheplan des Dänenprinzen. Riemenschneiders Aufführung konzentriert die Fabel ganz und gar auf diesen Hamlet; als spielte sie drinnen im Kopf des überforderten jungen Mannes. Sie ignoriert konsequent fast alle Requisiten; unendlich viel Text wird von dem Nudelbrett vor der ersten Zuschauerreihe frontal ins Volk geworfen. Einige der Ideen am Rand wirken wie die eines mehr oder minder dezent delirierenden Kindskopfes – Staatsrat Polonius, der dienstbare Schwätzer, trägt immer dann, wenn er auf Lausch-Tour ist bei Hofe, eine Micky-Mouse-Maske; was ein bisschen blöde wirkt bis zum Augenblick, da Polonius zufällig ermordet wird: "War da eine Ratte hinter'm Vorhang?", fragt Hamlet, sinngemäß. Entgegen fällt ihm Micky.

Und die Frauen?
Die Schauspielertruppe besteht dann aus drei wunderlieblichen Knirpsen und einer (schon etwas größeren) Knirpsin; weil deren zartes Spiel aber nicht recht genügt, um Claudius' hartes Gewissen ins Wanken zu bringen, versucht Hamlet des Vaters Tod danach mit dem in drei Gruppen aufgeteilten Publikum nach zu spielen. Jetzt erst greift Claudius ein – als Hamlet ein Drittel des Publikums nach Hause schicken will: "Sie müssen jetzt gehen, Sie sind doch tot!" In solchen (und vielen anderen) Momenten gibt sich Riemenschneiders Inszenierung weitaus verspielter, als sie gedanklich eigentlich sein will. Und nicht immer bekommt ihr diese Differenz wirklich gut.

Vor allem die Frauen-Figuren bleiben weit unter ihren Möglichkeiten; in jedem Fall Irene Kleinschmidt, eine der Bremer Säulen seit der Intendanz von Klaus Pierwoß. Für sie und für die junge Lisa Guth, neu in Bremen und gleich Ophelia, ist dem Regisseur wirklich nicht viel eingefallen; bei Guths Schnell-Sterben, während Beinahe-Schwiegermutter Gertrud von ihrem Wasser-Fall erzählt, wird unübersehbar, dass die Inszenierung die Bedeutung der Frauen für den Fortgang der Handlung anscheinend beinahe vergessen hätte.

Das bleibt halt das Risiko für alle, die Mut und Lust verspüren, einzugreifen in Shakespeares ziemlich durchdachtes Gefüge. Mit der kernigen Titelfigur und den meisten Männern drum herum kommt Riemenschneider ziemlich weit auf der Rennstrecke, die er im Geschwindschritt durchmisst. Aber manches fehlt – und sei es ab und zu das Atemholen.

Hamlet
von William Shakespeare
Regie: Alexander Riemenschneider, Ausstattung: Rimma Starodubzeva, Musik: Tobias Vethake, Licht: Christopher Moos, Dramaturgie: Viktorie Knotková.
Mit: Peter Fasching, Guido Gallmann, Lisa Guth, Irene Kleinschmidt, Johannes Nehlsen, Nikolai Plath und Alexander Swoboda.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theater-bremen.de

Mit Hamlet hat Alexander Riemenschneider sich schon einmal auseinandergesetzt: Vor knapp zwei Jahren inszenierte er in Berlin Ewald Palmetshofers hamlet ist tot. keine schwerkraft.

 

Kritikenrundschau

Riemenschneiders Inszenierung zeige "eine höfische Kultur, die Authentizität behauptet, wo sie Anpassung befiehlt", schreibt Johannes Bruggaier in der Syker Kreiszeitung (13.12.2012). "Hamlet giert darin nach der wahrhaftigen Empfindung, nach dem großen Auftrag für dieses eine Leben: nach jenem erhabenen Gefühl, das sich einfach nicht einstellen will in einer Wohlstandsgesellschaft, deren größte Abenteuer sich in Freimarkt und Stadionbesuch erschöpfen." In der Strichfassung Riemenscheiders sei "eine packende Erzählung von der Identitätstragödie unserer Zeit" übrig geblieben. Wie die Inszenierung "Hamlets Fantasie in der Wirklichkeit" reflektiere, "wie sie Nebensächlichkeiten unversehens das große Ganze erklären lässt, wie sie Vernunft und Gefühl in einen unauflöslichen Widerspruch bringt: Das ist alles in allem großartiges Theater, wie man es in Bremen lange, ach nur allzu lange nicht gesehen hat."

Verschiedenste Genres fänden sich in Riemenschneiders Inszenierung des "Hamlet" wieder, meint Rainer Mammen im Weser-Kurier (13.10.2012); "nicht nur eine schulbuchmäßige Tragödie, sondern zum Beispiel auch ein Musical (Hamlet singt) und ein Passionsspiel (Hamlet hängt sich ans Kreuz)." Die Bremer Aufführung mache Hamlet zu einem Mann, der weder leben noch sterben kann". Nikolai Plath als Hamlet komme "im Laufe des Abends immer besser in Schwung", neben ihm blieben allerdings die meisten anderen Figuren "eher blass". Insgesamt verleihe "Riemenschneiders Stilmischmasch" seiner Inszenierung "etwas Unentschlossenes und Halbfertiges", und das sei manchmal "doch ein bisschen langweilig."

 

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