meldung
Ex-Intendant Klaus Pierwoß protestiert gegen Wuppertaler Theatertod
Destruktive Vorgehensweise
15. Oktober 2012. Klaus Pierwoß, Ex-Intendant der Theater Köln und Bremen, hat in einem offenen Brief an den Wuppertaler Kulturdezernenten Matthias Nocke (CDU) gegen die weitere Ruinierung der Wuppertaler Bühnen protestiert, "einstmals eine der exponiertesten Bühnen der Republik", so Pierwoß in seinem Schreiben.
Pierwoß, der vor zwei Jahren am Welttheatertag Mitorganisator des Wuppertaler Theaterprotestes war (nachtkritik.de berichtete), warf der Stadt außerdem vor, einen der schönsten Theaterneubauten der Nachkriegszeit verkommen zu lassen.
(sle)
Das Schreiben von Klaus Pierwoß im Wortlaut:
Offener Brief
Herrn Matthias Nocke
Geschäftsbereichsleiter Kultur, Bildung & Sport
Sehr geehrter Herr Nocke!
Was wir mit dem Theaterprotest vor zwei Jahren zu verhindern versuchten, nimmt jetzt seinen Lauf: die weitere Ruinierung des Wuppertaler Theaters, einstmals eine der exponiertesten Bühnen der Republik. Das ist das Theater, das eine Pina Bausch und ihre Compagnie hervorgebracht hat, die zum Weltkulturerbe deklariert werden müssten.
Fehler: Die Stadt lässt das Schauspielhaus verrotten, einen der schönsten bundesrepublikanischen Theaterneubauten. In diesem verkommenden Schauspielhaus wird ein Hinterbereich des Foyers einem reduzierten Schauspielensemble als Hauptspielstätte aufgenötigt. Welcher Stadtpolitiker hat sich von diesen Rahmenbedingungen eigentlich eine Zuschauer-Attraktivität versprochen?
Fehler: Nicht zufällig werden beiden künstlerischen Leitern (Opern- und Schauspiel-Intendant) gleichzeitig die Verträge nicht verlängert; die wirklichen Gründe dafür wären zu hinterfragen. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass eine weitere pflegeleichte Schrumpflösung angestrebt wird.
Wuppertal war in seinen besten Zeiten ein durch einen Generalintendanten geführtes Haus (Wüstenhöfer, Matiasek, Freytag). Richtig am Platz wäre ein tatkräftiger und findungsreicher Generalintendant, der zusammen mit der Stadt alle Sparten des Hauses gleichzeitig wieder zum Blühen bringt und dafür als Voraussetzung auch das Schauspielhaus wieder belebt. Das verkommende Schauspielhaus ist kulturell gleichbedeutend mit einer nicht fahrenden Schwebebahn.
Fehler: Aber die Oper soll jetzt geleitet werden durch eine Doppelfunktion von GMD und Operndirektor. Nach allen Erfahrungen wird dabei herauskommen ein dirigentenmäßig domestiziertes Musiktheater von unprätentiöser Langeweile. Dirigenten als künstlerische Leiter sind in der Regel ein struktureller Missgriff. Und der exzellente Stefan Soltesz aus der Nachbarstadt Essen bleibt eine bemerkenswerte Ausnahme und kein nachahmenswertes Beispiel. Auch die Leipziger Oper ist da nur ein verhängnisvolles Vorbild.
Das Wuppertaler Schauspiel wird noch einmal reduziert auf einen Schrumpfbetrieb an einem neuen Ort.
Die Weichen werden kulturpolitisch gestellt durch eine destruktive Vorgehensweise. Der Abbau der Kultur ist eine neoliberale Form der Barbarei. Schade, dass Wuppertal den Kulturinfarkt vorexzerziert.
Berlin, den 15. Oktober 2012
Prof. Dr. Klaus Pierwoß
1994-2007 Generalintendant des Bremer Theaters und am Welttheatertag 2010 Mitorganisator des Wuppertaler Theaterprotests
Nahezu zeitgleich wandte sich das Schauspielensemble der Wuppertaler Bühnen in einem Offenen Brief an sein Publikum.
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr meldungen
meldungen >
- 26. März 2024 Günther-Rühle-Preise vergeben
- 26. März 2024 Mülheimer Theatertage: Preisjurys berufen
- 26. März 2024 Theatertreffen der Jugend 2024: Auswahl steht fest
- 26. März 2024 Schauspieldirektor Maik Priebe verlässt Neustrelitz
- 25. März 2024 Dramatikerpreis für Correctiv-Autor:innen L. Lax und J. Peters
- 22. März 2024 Auswahl Schweizer Theatertreffen 2024
- 20. März 2024 Alfred-Kerr-Darstellerpreis: Ursina Lardi Alleinjurorin 2024
- 20. März 2024 Lola Arias erhält Internationalen Ibsen Award
neueste kommentare >
-
Medienschau Volksbühne Avantgarde und Klassenkampf
-
Orpheus steigt herab, Wien Kassenschlager
-
Auswahl Mülheim Strukturproblem?
-
Preisjury Mülheim Abwechslungsreichtum
-
Don Carlos, Frankfurt/Main Ein Thriller!
-
Medienschau Volksbühne Fenster öffnen
-
Auswahl Mülheim Rotation?
-
Medienschau Volksbühne Neuerfindung
-
Der große Wind der Zeit, Stuttgart Frontalunterricht
-
Reise des G. Mastorna, Heidelberg Faszinierend
Ich unterstütze Ihren Protest und danke für diesen offenen Brief!
Patrick Schimanski
Kaum war Pina Bauch unter der Erde, wurde an Wuppertal genagt und gebissen, dass es kaum zum Aushalten war. Macht man Spielstätten in Wuppertal, Oberhausen, Moers etc.pp. dicht, kann man gleich die ganzen Städte einsargen. Es ist kaum auszuhalten. Als könnte sich eine Kommune nicht ein etabliertes Theater halten... Zahlbar wäre so etwas aus der Portokasse. Oder man fragt eben bei Red Bull und Konsorten ob eines Sponsorings an. Das kann ja wohl nicht wahr sein alles... !!
Liest man die Kommentare zu den entsprechenden Artikeln in der Westdeutschen Zeitung, ist diesesmal mit einem Engagement der Wuppertaler Bevölkerung für den Erhalt des Schauspielhauses (oder gegen ein endgültiges Kaputtsparen des Schauspiels) nicht zu rechnen. Der Tenor ist dort eher hämisch: Selbst Schuld, und wenn keiner mehr kommt, dann kann man auch schließen.
Ein paar Zahlen zum Niedergang.
Schauspielensemble 2000: 28
Schauspielensemble 2001: 13
Schauspielensemble 2014: 10
Damit kann man natürlich die Aufgabe des Schauspielhauses auch gut begründen, schon mit 13 Schauspielerinnen und Schauspielern war ein Haus dieser Größe nicht mehr vernünftig bespielbar. Mit Grauen erinnere ich eine "Fräulein Julie" (in den insgesamt grauenhaften Kuck-Jahren), die auf einem kleinen Podest auf der Vorbühne spielte, und dem gegenüber der Saal für 750 Zuschauer.
Kein Wunder, dass soetwas irgendwann keiner mehr sehen wollte.
Dass es in Wuppertal aber ein Publikum gibt, dass sich für Kultur interessiert, beweist das Museum, beweist sogar die Oper. Das Schauspielpublikum existiert ebenso - nur muss man den Zuschauern auch ein Theater anbieten können, in das man gern geht. Jahrelange Provisorien vergraulen die Zuschauer - und übelnehmen kann man es ihnen auch nicht.
Also, wenn die Stadt Wuppertal ihr Schauspiel wirklich behalten will, dann muss es auch auskömmlich finanziert werden. Dann braucht die Sparte eine angemessene Spielstätte. Und wenn nicht ... dann wäre eine Schließung der Sparte ehrlicher, als alles was jetzt vorgeschlagen wird.
Ach ja hier der Auszug aus dem Haushaltssanierungsplan der Stadt Wuppertal:
"Außerdem soll der Betriebskostenzuschuss an die Wuppertaler Bühnen von derzeit rund 10,8 Mio. € nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Verwaltung hält Kürzungen von 0,6 Mio. € und 1,2 Mio. € in den Jahren 2013 und 2014 sowie ab dem Jahr 2015 von jährlich 2 Mio. € für notwendig.
Die Geschäftsführung der Bühnen wird die sich aus der Kürzung ergebenden Konsequenzen für künftige Struktur und Spielbetrieb bis zur Sommerpause gegenüber Aufsichtsrat und Rat der Stadt darstellen.
Unabhängig davon ist aus wirtschaftlichen Gründen sowie wegen des baulichen Zustandes eine weitere Nutzung des Schauspielhauses durch die Wuppertaler Bühnen nicht mehr finanzierbar. Bisher mussten je nach Intensität der Nutzung gebäudebezogene Betriebskos- ten von bis zu 400.000 € pro Jahr aufgebracht werden.
Die Verwaltung wird bis Mitte 2012 alternative Nutzungsmöglichkeiten für das Gebäude prüfen und die Ergebnisse den Ratsgremien im Herbst 2012 vorlegen."
Gute Nacht dann.
Ja, viele Städte und Kommunen sind bankrott und wissen nicht mehr ein noch aus. Aber warum sind sie bankrott? Weil der Bund sie fiskalisch seit Jahren ausblutet.
Und anstatt den Aufstand der Kommunen gegen den Bund auszurufen - das heißt in diesem Fall gegen die eigene Partei - treten sie lieber christdemokratisch nach unten durch. Das ist ekelhaft. Gleichzeitig wird natürlich in Sonntagsreden der Wert von Abendland, Kultur und Bildung proklamiert. Das ist eine weitere Schmutzfinkerei.
Und die dritte ist, daß man das Schauspiel ja gar nicht schließt, sondern nur "restrukturiert", jetzt halt mal mit sieben Schauspielern - feige ist man also auch noch.
Und es steht zu fürchten, daß das Theater nicht besser ist als der Rest der Welt und irgendein alerter Mensch den Stadtvätern erklären wird, daß er als Intendant besonders geeignet ist, weil er auch mit sieben Schauspielern Theater mit Ausstrahlung weit über die Region hinaus bis tief ins bergische Land fabrizieren wird.
Joachim Lux
Intendant Thalia Theater Hamburg
Ein für das Theater in Wuppertal unangenehmer "Verwaltungschef" schießt plötzlich gegen seinen Intendanten! Was läuft denn da ab. Der Ton macht die Musik. Ich bitte, den Bericht genau zu lesen. Was ist das für ein Bürgermeister? Warum hat das der Intendant zugelassen. Somit bleibe ich dabei: seit vielen Jahren hat das Wuppertaler Theater keinen starken Theaterleiter gehabt. Die Stadt-Oberen konnten ihren Theaterleiter wie einen Deppen durchs Dorf scheuchen. So niveaulos das alles!
Ein Theater hat abgewirtschaftet. Und?! - Überall schließen Büros von Filmern, Architekten, Galeristen! Wen kümmert´s?!
(...)
Wuppertal braucht einen absoluten Neustart. Und dafür sind seine Fürsprecher die Falschen. Denn sie haben den Niedergang zu verantworten. - Und jetzt dürfen sie meinetwegen loshacken!
Die nächste Bedingung: der finanzielle Rahmen muss für die nächsten Jahre gesichert werden.
Natürlich ändert das nichts daran, dass die Schließung des Schauspielhauses eine schmerzhafte Wunde hinterlassen wird, aber vielleicht ist das alles noch nicht das Ende.
Und nicht vergessen: Die nächsten OB- und Kommunalwahlen sind 2014!!
Auch, aber nicht nur wegen Pina Bausch, wegen des gesamten Theaterbetriebes war Wuppertal eine Kulturstadt in die man gefahren ist, über die man gesprochen hat. Wenn man heute über Wuppertal redet, dann über die kulturelle Selbstdemontage, die sich die Stadt leistet, die seit über einem Jahrzehnt deutlich absehbar ist und die mitnichten verhindert, sondern vorangetrieben wird.
Die Verantwortlichen begreifen nicht, dass Wuppertal es sich nicht leisten kann sich sein Theater nicht mehr zu leisten. Sich kulturell zu entkernen ist keine Sparmaßnahme, sondern ein Armutszeugnis.
Bei den Wuppertaler Theater-Tötern, die sich selbstverständlich als Theaterbewahrer camouflieren (Leserbrief von Mathhias Nocke an die FAZ), gehst Du jetzt als Erfüllungsgehilfe in Dienst. Ich hätte von Dir erwartet, dass Du als Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft die neue Lösung, für die Du einen Schauspielintendanten suchen sollst, durchschaust als Konstruktion, die einen weiteren Verfall nach sich zieht. Das ist nichts anderes als eine verhängnisvolle Fortsetzung des bisherigen Theaterabbaus, der unter und mit Kuck begann.
Wie kann eine Stadt so mit ihrem Theater umgehen? Mit einem halbierten Ensemble, einem weiter reduzierten Etat und einer peripheren Spielstätte kann man kein vitales Theater in einer mittleren Großstadt entwickeln. Aber so wie Du als Findungskommissionär werden sich viele verantwortungslose Kollegen als künftige Intendanten andienen: sie versprechen es besser, billiger und reibungsloser als ihr Vorgänger zu machen. Was sie im Gepäck haben, sind lediglich Sargnägel.
Angesichts Deiner Rolle in Wuppertal werde ich sofort aus der Kulturpolitischen Gesellschaft austreten.
Klaus Pierwoß
(Anm. Redaktion: Dieser Offene Brief stammt von dem Kölner und Bremer Ex-Intendanten Prof. Dr. Klaus Pierwoß und richtet sich an Prof. Dr. Oliver Scheytt, der zum Berater der Findungskommission für die Intendanz des Wuppertaler Schauspiels berufen wurde)
und was machen wir jüngeren in puncto wuppertal?
Herr Scheytt also ein verantwortungsloser, sich andienender Sargnagel für die Gemeinschaft aller Theater-Töter. Und gleich in einem Aufwasch werden alle sich bewerbenden Intendanten sofort mit barbiert.
Warum lassen sie als Redaktion solche Beleidigungen durchgehen, von einem, der offensichtlich nicht in der Lage ist, die komplexe Lage in Wuppertal hinreichend zu würdigen? Wo sind da ihre berühmten Klammern mit drei Punkten?
Herr Scheytt ist alles andere als der Hammer für Sargnägel.
Und woher will er wissen, dass sich nicht jemand findet, der unter den miserablen Bedingungen in W-tal nicht trotzdem gutes Theater machen kann. Auch Treskow hat es geschafft, und der war nun wirklich kein Sargnagel.
Mit Oliver Scheytt ist jedenfalls ein Berater in der Kommission, der die Kulturszene in NRW (und darüber hinaus) gut kennt, der auch mal über den Tellerrand schauen kann. Himmel es hätte doch schlimmer kommen können: Die Politik verzichtet auf eine Kommission und bestimmt den Intendanten einfach selbst. Oder man nimmt einfach den, der die niedrigste Gage für sich selbst verlangt...
Also einfach mal abwarten wers wird, danach ist noch ausreichend Zeit zu jammern. Einfluss auf die Entscheidung wird ohnehin niemand nehmen können... (Und das sage ich mit Bedauern - und eingedenk der Realität).