Nazis raus ?

18. Oktober 2012. Das Deutsche Nationaltheater Weimar (DNT) hat kurzfristig entschieden, seine Spielstätte E-Werk nicht für die für morgen abend geplante Uraufführung von Milo Raus neuer Performance "Breiviks Erklärung" zur Verfügung zu stellen.

Das Stück, in dem Teile des Plädoyers reenacted werden sollen, das der Rechtsterrorist zu Beginn seiner Gerichtsverhandlung in Oslo hielt, wird im Rahmen des von Milo Raus "Institute of Political Murder" (IIPM) und dem DNT gemeinsam veranstalteten "szenischen Kongresses" "Die Moskauer Prozesse. Power and Dissent" aufgeführt, der morgen startet.

"Die Lecture Performance hat sich konzeptionell zu weit vom Ursprungsgedanken der Koproduktion zwischen dem IIPM und uns entfernt", begründet die Theaterleitung ihre Entscheidung, aus der Koproduktion der Performance auszusteigen. "Von den Aussagen der für die Öffentlichkeit gesperrten Erklärung möchten wir uns als Haus distanzieren."

"Breiviks Erklärung" wird morgen Abend trotzdem zur Aufführung gebracht – und zwar im 30 Meter vom E-Werk entfernten Lichthaus-Kino.

(Deutsches Nationaltheater Weimar / sd)

 

Mehr zu: Die Theatralisierung des Gedankenguts des rechtsradikalen Massenmörders ist äußerst umstritten – erst neulich äußerte sich Peter Kümmel in einem Essay in der "Zeit" ausführlich dazu. Zur Presseschau.

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Kommentare  
Kein Breivik-Reenactment am DNT Weimar: wenn es zu politisch wird...
Das immerhin ist typisch - wenn es zu politisch wird, dann zuckt das Stadttheater zurück. Dann hört das Wohlfülen auf und die Kunstbürger sind am Ende.
Kein Breivik-Reenactment: was ist daran politisch?
die große frage ist: was ist eigentlich politisch daran, rechtes gedankengut zu reproduzieren? hier stehen wir vor ganz ähnlichen problemen wie bei dem gerade erst heftig dsiskutierten "exhibit B".
Kein Breivik-Reenactment: widersprüchlich
Dass man sich über die Ausrichtung bestimmter Stücke mal nicht einig ist, kann ja vorkommen. Ich verstehe dabei nur nicht, wie man Milo Rau als künstlerischen Leiter eines dreitägigen Szenischen Kongresses bestellen kann, und ihn dann mit seiner eigenen Produktion vor die Tür setzt. Das andere Programm läuft ja weiter unter dem Dach des DNW. Was ist das denn für ein Stil in Weimar? Jetzt läuft das Stück als Voraufführung in einem Kino und am 27.10. als Premiere in Berlin. Na das hatte ich doch schon so im Urin, dass das nicht ohne Querelen abgeht. Das Stück passte wohl nicht ganz zum Dissidentencharakter des übrigen Programms. Künstlerische Dissidenz vor und nach 1989, Schauprozess und Inszenierung. Das da Breivik nicht ganz ins Muster passt, hätte auch vorher jemandem auffallen können. Aber es geht ja auch um Totalitarismus und Terror. Nur ist Breivik eben kein typischer Fall des gewohnten Terroristen, wie wir ihn gerne hätten und Norwegen kein totalitärer Staat. Oder ? Wer weiß, wer da aus der Landespolitik bei der DNW-Intendanz angerufen hat.
Kein Breivik-Reenactment: typischer Verdrängungsmechanismus
Liebes unpolitische Fragezeichen,
wo wird in Exhibit B rechtes Gedankengut reproduziert? Stand da jemand und hat rassistische Parolen geäußert? Ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. Zur falschen Ästhetik und zu vermeintlichem Rassismus in der Kunst kann man sicher diskutieren. Sie können aber nicht ignorieren, was Milo Rau und Brett Bailey zu ihren Produktionen im Vorfeld gesagt haben. Jedenfalls bestimmt nicht, dass sie Rassismus und rechten Terror toll finden. Sich mit den Dingen aus Rücksicht vor den Opfern nicht auseinander zu setzten, bringt uns auch keinen Schritt weiter. Das ist der typische Verdrängungsmechanismus des Bösen ins Pathologische. Und nur einfach antifaschistisch und antirassistisch zu sein, hat die Welt noch kein Stückchen besser gemacht.
Kein Breivik-Reenactment: undifferenzierte Überschrift
...die überschrift "nazis raus" ist dazu aber etwas übertrieben und undifferenziert, oder nicht?
Kein Breivik-Reenactment: banale Reproduktion
@ stefan: im film wie auch im theater sollte die regie sich im zweifelsfall fragen: wo ist der erkenntnissgewinn, wenn man rassismus oder rechtsradikales gedankengut reproduziert. kann ich baileys fakten über kolonialistische greultaten auch ohne spektakuläre menschenschau vermitteln, kann ich mich mit breivik auseinandersetzen, ohne dessen widerliche aussagen durch banale reproduktion weiter zu verbreiten und zu promoten. habe ich einen künstlerischen ansatz, der das thema abstrahiert, verfremdet und damit einen neuen, anderen blick auf die dinge ermöglicht, und versucht solche fallen zu umgehen, oder mache ich eigentlich nur dokumentation. im letzteren fall wäre vielleicht ein arte-filmchen angebrachter, inkl. kritischen kommentar.
Kein Breivik-Reenactment am DNT Weimar: PS
@stefan nachtrag: nun stellen sie sich mal einen hitler monolog im DT vor. das würden sie doch wohl auch nicht befürworten?
Kein Breivik-Reenactment am DNT Weimar: Figuren
@politisch?
Wie schon beim Potsdamer EISVOGEL wird jetzt von der Breivik-Performance behauptet, sie reproduziere rechtes Gedankengut.
Gehts noch? Warum sollen sich Otteni oder Rau entschuldigen für Figuren und Texte, die die Gesellschaft in Frage stellen? Es sind FIGUREN. Muß dann in Zukunft auch jeder Regisseur von Macbeth oder Richard Der Dritte eine Vorrede vorlesen, dass er sich von diesen schlimmen Mördern distanziert? Albern, diese Diskussion.
Kein Breivik-Reenactment: Zapatka, Weiss, Jago
@7:
Doch, das gibt es: Manfred Zapatka hat Himmlers Posen-Rede (und noch etliche andere Hass-Reden) filmisch re-enacted.
Es gibt Dokumentar-Dramen wie "Ermittlung" von Peter Weiss, wo Nazis eine Stimme und eine Öffentlichkeit gegeben wird.
Beide Beispiele haben viel Zustimmung gefunden und sind mehr oder weniger klassisch geworden.
Außerdem verbietet man ja auch nicht Richard III. oder Jago oder Franz Moor wegen Hass-Propaganda.
Und Hitler-Monologe sind der Bestseller des Geschichts-Fernsehens.
Theater soll Dinge sichtbar machen. Wahrheiten zu verdrängen und zu negieren, ist Herrschaftssicherungstechnik von Diktaturen. Unter den Teppich gekehrte Wahrheiten kehren als Perversion zurück. Es war wichtig für die Bundesrepublik, 1966ff. das Schweigen über den Nationalsozialismus zu brechen.
Andererseits: Wenn ich mir vorstelle, ich spreche so einen Text auf einer Bühne und im Publikum sitzen lauter Neo-Nazis und Wutbürger, da würde mir das Herz auch in die Hose rutschen. Noch schlimmer: wenn Leute dadurch erst auf "den Geschmack" kommen oder bestätigt würden... Das ist keine alberne Diskussion, sondern ein altes Dilemma, in das auch die USA durch den Terrorkrieg reingerutscht sind: Mehr Sicherheit bedeutet weniger Freiheit...
Heute wird die Diskussion unter dem Label "Rückkehr der Politik" (als Führungshandeln) oder Neo-Liberalismus geführt. Und sie bleibt aporetisch (sorry für das Fremdwort, aber man braucht hier einfach die historische Perspektive. Den Begriff kann man ja ergoogeln.)

P.S.: Theoretisch finde ich es falsch vom DNT, auszusteigen. Aber ich kenne ja die konkrete Performance nicht, um die es geht.
Kein Breivik-Reenactment: Kümmels Bauchschmerzen
@ politisch?
Nun, es ist natürlich noch keine politische Kunstaktion, wenn man sich auf die Straße oder ins DT stellt und aus Hitlers „Mein Kampf“ vorliest. Aber Hitler und Shakespeare sind tot, Breivik lebt. Und mit ihm seine Ideologie. Das ist wohl das Unerträgliche daran. Auch Hitler lebt in seiner Ideologie weiter. Das bekommen Sie nicht weg, auch wenn Sie es totschweigen wollen. Man muss sich eben immer wieder damit auseinandersetzen. Peter Kümmel schreibt darüber in seinem Artikel in der Zeit: „Ich lese gern Literatur über Mörder (und manchmal sogar von Mördern). Aber erst dann, wenn die Mörder tot sind – wie ihre Opfer. Breivik aber ist unter uns.“ Es kommt nicht klar heraus, ob Kümmel die Projekte von Rau und Lollike tatsächlich ablehnt. Er erörtert nur lang und breit seine Bauchschmerzen damit. Das ist legitim und auch gut. Er setzt sich eben kritisch damit auseinander. Karmakars Himmler-Projekt von 2000 über die „Posener Rede“ hat man sicher ähnlich kritisch gesehen. Letztendlich ist es ein Erfolg geworden, weil eben nicht nur einfach nationalsozialistisches Gedankengut reproduziert wurde, sondern der Kontext war, sich mit den Gedanken kritisch auseinandersetzen zu können. Manfred Zapatka liest das im Film eben ganz unspektakulär und emotionslos, ohne den Ideologen direkt nachzuahmen. Man muss sich dem natürlich nicht aussetzen, und dass sich Neonazis die DVD davon zu Hause als Devotionalie in den Schrank stellen, ist auch nicht wirklich zu vermuten. Wie Rau in Weimar und Lollike in Dänemark das angehen kann noch keiner genau sagen. Man muss es sich ansehen. Schimpfen kann man danach immer noch.
Kein Breivik-Reenactment: politisch korrektes Verlangen
Wieso bezieht ihr euch alle auf Karmakars Himmler Projekt und nicht auf seinen späteren Film mit Texten des Hamburger Hasspredigers, die immerhin indirekt den Tod von fast 4000 Menschen am 11. September motiviert haben. Da wird die Argumentation schon schwieriger, denn soweit ich weiß, lebt dieser noch! Es kann also gar nicht um Kontext, politischer Ausrichtung, tot oder lebendig gehen. Es kann eigentlich nicht um Verbote oder Einschränkungen gehen, nur die künstlerische Präsentation ist entscheidend. Nach Blackfacing und Post Colonial Debatte also nun diese Diskussion, die wieder über Erlauben und Verbieten geht. Woher kommt nur dieses neue Verlangen, Theater und Kunst politisch korrekt machen zu wollen?
Kein Breivik-Reenactment: Brei macht blind
Die Auseinandersetzung mit dem rassistischen Rechtsradikalen Anders Breivik ist das eine. Natürlich kann es da auch legitim sein, sich mal seine Texte anzuschauen. Aber was hat Breivik mit dem Staatsterrorismus der Sowjetunion zu tun, dem Thema dieses Re-enactment-"Kongresses"? Nichts, einfach nichts. Terror ist eben nicht gleich Terror und kann sehr unterschiedliche Ursachen haben und Zwecke erfüllen. Und alles unter Aktualisierungszwang in einen Brei zuu rühren, ist dann eben auch nicht aufklärerisch, sondern macht nur blind für die unterschiedliche Gründe, die hinter verschiedenen Phänomenen der Vergangenheit und Gegenwart stehen.
Kein Breivik-Reenactment: spießig
die Performance unbedingt machen! Alles andere ist Murks. Dass das DNT jetzt einen Rückzieher macht, ist nicht gut. Sehr unangenehm, was da in Weimar passiert ist. Spießig!
Kein Breivik-Reenactment: wenn das ästhetische "Mehr" fehlt
Nach Besichtigung der Performance (die peinlicherweise in einen technisch unzureichend ausgestatteten Kinosaal verlegt wurde) kann man mehrere Dinge festhalten:
1. Das Erschrecken über die ästhetische Unbefangenheit, einen TEXT zu sprechen (explizit wurde von LESUNG gesprochen, nicht von Inszenierung), der nur aus banalen Versatzstücken rechter bis rechtsradikaler Propaganda besteht. Der Nicht-Applaus am Schluss war weder einer bedrückenden Befangenheit des Publikums geschuldet, den Kontext (also dutzendfachen Mord) mitzudenken, noch aber einer Einlullung, quasi rhetorischen Glanzleistung beigewohnt zu haben. Nein, es war allein die Ratlosigkeit einem politisch-apologetischen Text gegenüber, der in einem performativen Rahmen eine Ästhetik behauptet, die er nicht einlösen kann.
2. Was trotzdem inhaltlich interessant war: Die wahnwitzigen Rationalisierungen von irrationalen Elementen in Breiviks Denken ("kriminalpsychologisch"), das bunte Geschwafel aus Versatzstücken der rechten und linken Szene, vermischt mit Gemeinplätzen und Stammtisch-Chuzpe ("rhetorisch-politisch") und die eindrückliche Bestätigung, dass Theater (oder meinetwegen Performance) mehr ist als der semantische Gehalt. Und wenn dieses ästhetische "Mehr" fehlt, ist es einfach Nicht-Kunst.
Kein Breivik-Reenactment: den Regisseur interessant machen
@stefan: sehen sie, und genau das war eben bei kenntis anderer arbeiten von milo rau zu befürchten. wenn die texte eines massenmörders nur dazu dienen, den regisseur interessant zu machen, dann hat das nichts mit politischen theater zu tun.
Kein Breivik-Reenactment: Täter und Bühnentäter
Wenn man sich dieses Komplexes annimmt, macht man sich ohnehin schuldig, weil man von diesem Komplex nur erfahren hat über die "Medien" - und gerade diese mediale Vermittlung der Tat ist ja die Hauptbühne, der Hauptschauplatz des Täters. Um in diesen Medien vorzukommen, in der Weise, wie er nun vorkommt, war einer der wichtigen Gründe seiner Tat. Und wir reflektieren und reden nun auch wieder in diesen Medien über diese Tat, wir Theatermenschen, die so abhängig sind von diesen Gräueln ( über was könnten wir denn sonst Stücke machen? ). Diese schlimme und unheimliche Verbindung von uns "Bühnentätern" mit den echten "Tätern" erfordert aber erst recht die reflektierte Auseinandersetzung - mit uns - mit unserem Haupt-"Medium". Und diese Auseinandersetzung macht das Milo Rau Team nun. Und die Form dieser Lesung scheint mir eine sehr intelligente zu sein. Himmeltraurig nur, dass das Nationaltheater den Blick in den eigenen Abgrund nicht zu wagen scheint. Man sollte sich immer wieder gegenwärtigen, dass das Agitpropstück "Wilhelm Tell" von dem bekannten Weimarer Autor Friedrich Schiller von 1933 bis 1939 der meistgespielte Klassiker in Deutschland war. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Gefährlichkeit nach reaktionären Revolutionen schreienden "Schriften" ( wie eben diesem "Wilhelm Tell" ) wäre gerade am Weimarer NATIONALTHEATER zwingend notwendig. Dass man da aber an dieser furchtbaren Begrifflichkeit des NATIONALTHEATERS festhalten will, sagt aber schon einiges aus. Wir leben längst nicht mehr in NATIONEN, das machen höchstens noch die B.'s dieser Welt.

@politisch? Ihr Argument trifft total daneben. Wieso sollte das die Absichten eines Regisseurs diskreditieren, wenn er mit einer Performance auch sich selber "interessant" macht. Es geht bei Theater immer auch um Positionierung, Hinstehen, Stellungnahme, Sich-selber-ins-Gespräch-bringen. Gerade dieser Akt - auch jener von der "Leserin" - ist eben dann ein politischer, Oeffentlichkeit generierender Akt. Wenn man sich mit einem solchen Typen wie diesem B. beschäftigt, ist es ein Muss, sich selber auch ins Gespräch zu bringen, als Individuum, als "Regisseur", als "Schauspielerin", als Mensch, der sich diesem Komplex annimmt.
Kein Breivik-Reenactment: PR-Aktion
Es ist interessant zu beobachten, dass die Menschen hinter dem Vorgang nicht die Inszenierung einer gut gedachten P&R-Aktion erkennen (seitens Intendanz oder Regie, oder beiden)

1. Zum Breivik-Text zustimmen
2. M.Rau ans Haus holen
3. Einen Tag vor der Premiere absagen
4. Bundesweit garantierte Presse- und Kommentatoren-Aufmerksamkeit ernten
5. Prima. Theater reibt sich und bleibt (un-)kritisch...schnarch*
Kein Breivik-Reenactment: Wilhelm Tell kein reaktionäres Stück
@16:
"Und wir reflektieren und reden nun auch wieder in diesen Medien über diese Tat, wir Theatermenschen, die so abhängig sind von diesen Gräueln.
Nein, Samuel Schwarz: Diese Gräuel gäbe es auch, wenn es kein Theater gäbe.
Sie engen den Theaterbegriff ein: Gräueltheater ist nur eine von vielen Varianten des Theaters. Sie suggerieren so eine Komplizenschaft zwischen Theaterleuten und Verbrechern.

Und Ihre Interpretation von "Wilhelm Tell" war mal zu Zeiten der RAF-Debatte, auch bei Heyme beliebt, wo dann Germanisten "Weimar liegt bei Buchenwald" raunten, blendet aber aus, dass Wilhelm Tell Ende des Dritten Reichs verboten war (als er nicht mehr opportun war) und der Hitler-Attentäter Georg Elser sich auf ihn berief, worauf Rolf Hochhuth permanent hinweist.
Die nationalistische Interpretation im Gefolge des Versailler Vertrags 1919, auf die Hitler & Co sich draufsetzten, war schon damals nur durch tendenziöse "Bearbeitungen" möglich. Man strich die Johannes Parricida-Szene (V, 2), in der Tell den Vatermörder = lat. Parricida, der aus gekränktem Ehrgeiz mordete, aus seinem Haus weist, weil er sich nicht gemein machen will mit Mördern. Propaganda sagen die Propagandisten. Aber Tell wird nach dem Mord an Gessler Pazifist:
"Wilhelm: Wo aber hast du deine Armbrust, Vater?
Tell: Du wirst sie nie mehr sehn.
An heilger Stätte ist sie aufbewahrt;
Sie wird zu keiner Jagd mehr dienen."
Das ist keine Waffenweihe und keine Mythenstiftung, die hier vorgenommen wird, sondern die Absage an Gewalt. Denn Tell (siehe den berühmten Gassen-Monolog) entschied sich erst in dem Moment zum Tyrannenmord, als Gessler ihn zwang, auf seinen Sohn zu schießen = zum Mord zwang. Hätten die Deutschen (und ihre Sympathisanten in den besetzten Ländern) 1941ff. wie Tell gehandelt, hätte es keine KZ-Wärter, kein Buchenwald gegeben.

Und man könnte sowohl am Tell als auch an anderen Schiller-Stücken zeigen, dass sie dem Widerstand mit Recht dazu dienten, die Bevölkerung zum Widerstand gegen das NS-Reich zu bewegen: 1942 am Berliner Schiller-Theater z.B. (Braut von Messina) oder 1944 in Metz (Kabale und Liebe). Sogar in Breshnevs Sowjetunion diente Schiller noch dazu.

Ich distanziere mich von den Anpöbelungen, die Sie aufgrund Ihrer Tell-Inszenierung erfahren haben und bin gegen jede Art von Verboten. Aber Schiller nationalistisch zu verkürzen (und sei es auch in kritischer Absicht) halte ich für brandgefährlich.
kein Breivik-Reenactment: Parallelen von Tell und Breivik
@Guttenberg. Ja,sicher. Ich gebe ihnen durchaus recht, dass sich Schiller ebenso eignet für die Propaganda des Widerstandes gegen eine Diktatur. Nur ist die Propaganda-Technik bei Schillers Tell so perfide, dass in der Story dem Hüttenbauer Tell am Ende nur noch der Griff zu Waffe hilft. Das Stück hat seinen stärksten Furor in dem Beschrieb dieses auswegslosen Situation, und genau diese Propaganda-Technik ist der Glutkern des Stücks, die es für reaktionäre nationalistische Bewegungen so tauglich werden lässt - es lässt sich nur bedingt für einen linken Widerstand nutzen, weil der Nonkonformist und sich nach Ruhe sehnenden "Familienvater" Tell sich nicht wirklich eignet für die Instrumentalisierung durch ein "Kollektiv". Natürlich: Auch die Nazis mussten Stellen streichen in dem Stoff - aber der Typus Tell ist viel passender für eine rechte Bewegung als für eine Linke. Die DDR Instrumentalisierungen waren konstruierter als jene der Nazis. TELL war nicht grundlos Lieblingsstück der NS-Propaganda. Das ist nicht nur eine "Instrumentalisierung", sondern hat direkt mit dem Stoff zu tun und dem Typus des "Helden", wie er bei Tell beschrieben wird. Der norwegische Nationalist - um den es hier geht - greift zu ähnlichen Gedankenbilder wie "Tell". Ihm blieb - aus seiner paranoiden Selbstsicht - nix anderes übrig als der Widerstand gegen den Besatzer, sein Griff zur Waffe ist mit einer ähnlichen Wehleidigkeit verbunden. Im Sinne von: "Mir blieb nichts anderes mehr übrig, auch wenn es wehtut". Genau deshalb wäre eben eine Auseinandersetzung des NATIONALTHEATERS mit dieser Propagandatechnik des wehleidigen "Helden" so wichtig, aber es geht eben letzlich nicht. Letzlich ist es hochinteressant: An dem vorliegenden Falle merkt man dann eben schon, dass die Widersprüche zu gross werden. Eine Institution, die das NATIONALE im Namen trägt, muss letzlich die wirklich tiefgründigen Auseinandersetzungen, die Produktionen wie jene von Milo Rau am Kern der Problematik vornehmen, von sich stossen. Aehnlich wie Oel Wasser abstösst. Das NATIONALTHEATER bezieht sein Selbstverständnis - auch wenn das die Mitarbeiter dieses Theater sicher von sich weisen würden - letzlich eben doch von dem Stoff aus dem die Helden sind - von der Abgrenzung gegen Aussen - diese Abgrenzung ist eine der wichtigtsten Defintionspfeiler der NATION. Deshalb ist Milo Raus Einschätzung, dass die Gedanken eines B. im Maintsream verwurzelt sind, nicht von der Hand zu weisen - und für die Protagonisten dieser Zensurmassnahme ( damit meine ich die Distanzierung des NATIONALTHEATERS von der Performance ) ein schmerzhaftes Lehrstück. Man kann nicht beides zugleich sein. NATIONALTHEATER und ANTI-NATIONALTHEATER. Das könnten höchstens Theaterleitungen, die stark genug wären, diese Widersprüche zu ertragen. Diese Protagonisten würden aber eben ihr Theater auch umbenennen. Vielleicht liege ich auch falsch in meiner Einschätzung. Aber eine differenzierte Pressemitteilung von Seiten NATIONALTHEATER wäre hier am Platz. Warum distanziert man sich von einer solchen Performance? Erst recht, da sie ja ( laut Rezension ) differenziert und sensibel zu sein scheint - und nicht pseudo-provokant oder effekthascherisch.
Kein Breivik-Reenactment: Greuel ausschlachten
@samuel schwarz: ein politischer regisseur muss sich nicht um das stück herum ins gespräch bringen, sondern in dem stück selber sichtbar werden. und das stück selber reflektiert wohl eben gerade überhaupt nicht diese verbindung, die tatsache, das es die gefahr gibt, das es einfach nur breivigs greultaten für sich ausschlachtet. da liegt das problem. da waren leute wie schlingensief schon mal lichtjahre weiter, und auch um einiges mutiger. man sollte nicht zuletzt diese kleine, künsterlisch uninteressante inszenierung hier nicht überschätzen/ überbewerten.
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