Im Leichensack ins Paradies

von Christian Baron

Jena, 26. Oktober 2012. Von zahlreichen Inszenierungen der Stücke Samuel Becketts ist überliefert, dass weite Teile des Publikums bereits zur Pause das Theater schon wieder verließen. Wie gut, dass es in der neunzigminütigen Uraufführung von Prem Kavis und Alexej Schipenkos "Ich bedanke mich für alles" keine Pause gibt, denn das in Jena dargebotene Spektakel ist eine besonders abstruse Demonstration des absurden Theaters. Das wiederum vermag kaum zu überraschen, hat das Theaterhaus doch seine gerade eröffnete Spielzeit mit dem Motto "Die Zeit wird kommen" überschrieben – eine Anlehnung an den Maya-Kalender, der den diesmal wirklich absolut endgültigen Weltuntergang auf den 21. Dezember 2012 datiert.

ichbedankemich 280h joachimdette uUnverkennbar eingetretene Katastrophe
© Joachim Dette
Am "Day After" spielt denn auch dieses Werk - und zwar an einem, der wider Erwarten doch am Morgen die Sonne begrüßt, auch wenn die Katastrophe unverkennbar eingetreten ist.

Wahnwitz und Satire

Zwei humanoide Astronauten (Folkert Dücker und Benjamin Mährlein) betreten eine Turnhalle und entdecken vierzig sorgfältig aufgereihte Leichensäcke samt entsprechendem Inhalt. Weder erfahren die Zuschauer im Laufe der folgenden neunzig Minuten, worin die Mission der beiden besteht, noch klärt sich auf, was die später auftretende Motorradfahrerin (Ella Gaiser) hier zu suchen hat. Und schon gar nicht offenbart sich dem Publikum, was genau es mit dem plötzlich aus einem der Leichensäcke hervorkriechenden Freak (Mathias Znidarec) auf sich hat. Dafür liefern die Akteure eine zwischen ernst zu nehmender Satire und völlig wirrem Wahnwitz changierende und gerade damit amüsante Show ab, deren künstlerischer Mehrwert aber freilich nicht auf dem Silbertablett serviert wird.

Da verortet das psychotische Maschinen-Duo etwa das Diesseits innerhalb und das Jenseits sehnsuchtsvoll außerhalb der Halle, und nur wer den ominösen Basketball im Korb versenkt, erhält Zutritt ins paradiesische Draußen. Sogar für eine gehörige Portion Kitsch ist in diesem Text Platz, wenn etwa einer der Astronauten säuselt: "Liebe ist das, was zurück bleibt, wenn jemand gestorben ist". Gleichzeitig aber pflegen die zwei Raumreisenden einen existenzialistischen Nihilismus, der sich am schönsten in Querverweisen zeigt wie einem Dialog zwischen der weinerlichen Frau und einem der genüsslich Hähnchenkeulen verschlingenden Humanoiden, der sich unschwer als Seitenhieb auf den Gutmenschen vom Schlage eines Jonathan Safran Foer entziffern lässt: "Bist du Vegetarier?" – "Ich esse keine getöteten Tiere" – "Auch keine getötete Möhre? Alles ist erleuchtet. Trotzdem verspeisen sie sich. Die Erleuchteten. Einer den anderen."

Sokrates im Goldslip

Immer dann, wenn in den rasanten Gesprächen philosophische Tiefe zu erreichen bevorsteht, wird sie sofort gebrochen und die Protagonisten nehmen entweder regen Gebrauch von den auf ihren Festplatten abgespeicherten Bibel-Zitaten, oder – was bezüglich der inhaltlichen Austauschbarkeit auf dasselbe hinausläuft – sie bedienen sich genüsslich der Fäkalsprache. Vor allem aus dem von Benjamin Mährlein famos verkörperten Hektiker brechen immer wieder in schrillem Ton abgestandene Verbalinjurien heraus wie aus einem Louis-de-Funès-Verschnitt mit Tourette-Syndrom ("Leck mich am Arsch!", "Halt die Fresse!", "Die Ficker ficken uns!"). Und Mathias Znidarec gibt nach seiner Auferstehung aus dem Sack den sich selbst für die heilige Dreifaltigkeit haltenden Sonderling derart drollig, dass er in seinem goldenen Slip wirkt wie ein zeitgenössischer Sokrates auf wildestem LSD-Trip.

ichbedankemich 560a joachimdette u"Hol den Basketball. Sonst sind wir am Arsch!"   © Joachim Dette

Uns trennt nichts vom Paradies außer unserer Angst

Auch hier wird die bisweilen aufkeimende geistige Tiefe schnell wieder dekonstruiert, zumal seine permanent in ein Megaphon gebrüllten philosophischen Versatzstücke ohnehin allesamt klare Fälle fürs Phrasenschwein sind. So ist es sicher nicht jedermanns Sache, was der dem Kollektiv O-Team angehörende Regisseur Simon Hof da theatralisiert hat. Eine stringente Handlung sucht man hier ebenso vergeblich wie ein Auflösung bietendes Ende. Eine Klammer bildet lediglich die schwarzseherische Grundhaltung, die sich im düster-beklemmend gehaltenen Bühnenbild konsequent widerspiegelt.

In Rasanz werden Themen abgehandelt wie die Angst vor dem Tod, Macht und Untertänigkeit oder wer wen fickt. Als die Schauspieler am Ende bereits abgegangen sind, ertönt noch der Klassiker Schritt für Schritt ins Paradies und Rio Reiser trällert einen Satz, der dann vielleicht doch am ehesten als Quintessenz haften bleiben könnte: "Uns trennt nichts vom Paradies außer unserer Angst". Die vordergründige Sinnlosigkeit allen Seins und die tatsächliche Unzulänglichkeit menschlichen Strebens finden in diesen anderthalb Stunden also zu einer Synthese, die sich zwar sicher viel weniger chaotisch, aber wohl kaum unterhaltsamer auf die Bühne bringen ließe. Simon Hof und sein Team würden das sicher unpathetischer ausdrücken und mit ihren Astronauten schlicht sagen: "Hol den Basketball. Sonst sind wir am Arsch".

 

Ich bedanke mich für alles (UA)
von Prem Kavi
aus dem Sanskrit übertragen von Alexej Schipenko und Anna Langhoff
Regie: Samuel Hof, Dramaturgie: Simon Meienreis und Jonas Zipf, Bühne/Kostüme: Nina Malotta, Musik/Video: Pedro Pinto.
Mit: Folkert Dücker, Ella Gaiser, Benjamin Mährlein, Mathias Znidarec.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause.

www.team-odradek.de
www.theaterhaus-jena.de

 


Kritikenrundschau

Was hier auf die Bühne gebracht worden sei, "lässt sich kaum greifen", schreibt Stefanie Bühlchen in der Thüringischen Landeszeitung (29.10.2012). "Weder gibt es eine stringente Handlung noch ein Ende, das all die Fragen auflöst." Die Dialoge "bewegen sich zwischen philosophischer Tiefe und absolutem Trash"; "Bibelzitate und vulgäre Sprüche wechseln sich ab", notiert die Kritikerin. "Was genau da auf der Bühne erzählt wird, ist nur schwer fassbar. Komisch ist es allemal."

Ein "fast schon an Ästhetizismus grenzendes Bild von Geschlossenheit, eines verblüffenden In-sich-Kreisens von Welt und Weltwahrnehmung", entstehe an diesem Abend, schreibt Tatjana Mehner für die Ostthüringer Zeitung (29.10.2012). Es gehe um die "Frage nach dem Jüngsten Gericht", "nicht nur als Glaubensfrage im eschatologischen Sinne, sondern im existenzialistischen, aus differenztheoretischer Perspektive und und und". Der Abend "lebt vom Paradoxen. Von der Absurdität. Davon, wie mit Erwartungshaltungen umgegangen, wie mit Ritualen gespielt wird." Die Künstler hätten eine "dichte Textur aus Zitaten der verschiedensten Medien" geschaffen. "Das mag Geschmackssache sein. Dennoch entwickelt es eine eigenartige ästhetische Faszination. Ein Eigenleben."

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