Repräsentativer werden

Hildesheim, 31. Oktober 2012. Die Kooperation mit neuen Akteuren und neuen Nutzern kann das Theater programmatisch und strukturell verändern und dazu beitragen, dass es mehr Relevanz im Leben breiter und sozial wie ethnisch diverser Bevölkerungsgruppen hat.

Von Birgit Mandel

Aber nur dann:

 – wenn das Ziel interkultureller Öffnung mit allen Mitarbeitern reflektiert, präzisiert und strategisch verankert wird in den Leitlinien eines Theaters, 

 – wenn alle überzeugt sind, dass sie auch persönlich von den inhaltlichen und ästhetischen Anregungen durch Menschen anderer Milieus, anderer Herkunft, anderen Alters profitieren, 

 – wenn die Abteilungen, die vor allem mit neuen Nutzergruppen zu tun haben (v.a. die Theaterpädagogik und Vermittlung) als gleichwertig in das künstlerische Team integriert sind und auch entsprechend gleichwertig mit Personal und Budget ausgestattet sind,

 – wenn auch im Haus Interkultur gelebt wird auf der Basis flacher Hierarchien, 

 – wenn es den Mut der Leitung und die Unterstützung durch Politik und Verwaltung gibt, neue Programme und Formate auszuprobieren statt am Repertoire-Spielplan festhalten zu müssen, damit interkulturell ausgerichtete Projekte nicht mehr die Ausnahme sind,  sondern Kontinuität in der Arbeit mit neuen vielfältigen Akteuren erzielt werden kann.

Für öffentliche, sogenannte Hochkultureinrichtungen sind interkulturelle  Veränderungsprozesse aufgrund ihrer langen Tradition besonders schwierig und darum nicht kurzfristig zu gestalten. Die größten Probleme bestehen in den klassischen Repertoirestrukturen, dem traditionellen Kanon, den traditionellen Produktions- und Rezeptionsformen, den Erwartungshaltungen an Theater und Museum und dem damit verbundenen Image.

Ein für neue Zielgruppen attraktives Programm ist der wesentliche Einflussfaktor, um diese als Publikum zu gewinnen.

Unter dem Begriff "Menschen mit Migrationshintergrund" befinden sich sozialstrukturell sehr heterogene Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Interessen und Zugängen zum Kulturbetrieb in Deutschland. Das Problem besteht nicht darin, Menschen anderer ethnischer Herkunft als Publikum zu gewinnen, sondern es erweist sich als schwer für öffentliche Einrichtungen, Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund, gleich welcher Herkunft, zu erreichen.

Auch mit einem interkulturellen Audience Development können nicht alle Bevölkerungsgruppen für Theater und Museum interessiert werden.

Durch Kooperation mit vielen verschiedenen Partnern und Multiplikatoren jenseits des Kultursektors kann es gelingen, Menschen aus bislang nicht kunstaffinen Milieus zu erreichen und in partizipativen Projekten zu involvieren.

Öffentliche Theater und Museen haben dabei nicht die Aufgabe Sozialarbeit zu machen, aber sie haben die Aufgabe, mit künstlerischen Mitteln interkulturelle Bildungsprozesse zu ermöglichen. Dadurch werden sich langfristig auch die Institutionen verändern und repräsentativer für die sich verändernde Bevölkerung.

mandel 107Prof. Dr. Birgit Mandel, geb. 1963, ist Professorin für Kulturmanagement und Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim. Sie berät diverse Kultureinrichtungen in Deutschland zu Strategien der Kulturvermittlung, des Audience Development und des Kulturmarketings und führt Forschungsprojekte in diesen Bereichen durch. Sie ist Herausgeberin der Forschungs-Website kulturvermittlung-online.de.

 

Mehr zur Vorlesungsreihe: www.uni-hildesheim.de

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Siehe auch: die Stadttheaterdebatte auf nachtkritik.de

 

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