Dream a Little Dream of Me

von Kai Bremer

Frankfurt am Main, 4. November 2012. Als Käthchen die Feuerprobe bestanden hat, betritt sie in einem langen, mit schwarzen Pailletten besetzen Kleid die lila Glitzerbühne. Verwandelt vom bleichen Mädchen mit anmutig roten Lippen in..., ja, in was? Im ersten Moment erinnert sie, da ihr Gesicht hinter einer wie zerrissen wirkenden schwarzen Stoffmaske verborgen ist, an Madonna oder eine andere Pop-Ikone. Doch setzen keine pumpenden Beats ein.

Käthchen beginnt stattdessen, kaum merklich unterstützt vom vielköpfigen Chor, leise wie klar "Where is my Mind?" von den Pixies zu singen. Der den Chor dirigierende und an Synthesizer, Klavier und Mischpult begleitende Kornelius Heidebrecht loopt ihren Gesang und mischt ihn mit dem fast Bee-Gees-Niveau erreichenden Falsett des Grafen vom Strahl: "How deep ist your Love?" Das wird ergänzt um "Love will tear us apart", getragen von den tiefen Chor-Stimmen. Diese vielstimmige Gesamtkomposition ist vielleicht keine Feuer-, mindestens aber eine Nagelprobe musikalischen Vermögens. Alle Beteiligten meistern sie beeindruckend, was auch daran liegt, dass sie die Melodien allmählich entwickeln, ernsthaft, konzentriert – einfach schön. Pop-Romantik.

kaethchen4 560 birgit hupfeld uVideoträumer: Nico Holonics als Graf Wetter und Valery Tscheplanowa als Käthchen.
© Birgit Hupfeld

Keine Ritterromantik

Wem das nicht zusagt, der mag von Philipp Preuss' Inszenierung von Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" am Schauspiel Frankfurt enttäuscht gewesen sein. Auch wenn der Applaus premierentypisch anständig ausfiel, waren einige Zuschauer auszumachen, die demonstrativ nicht klatschten. Gründe dafür gab es eigentlich nicht. Wer etwa ein geradezu sakralisiertes "Käthchen" erwartet hat, wie das von Andreas Breth 2001, der hätte etwas aufmerksamer das Programm lesen sollen: "KEIN großes historisches Ritterschauspiel" war angekündigt – und dieser Anspruch wurde erfüllt.

Zunächst trägt der Graf einen an die Mode zu Kleists Zeit erinnernden Frack, später tauscht er ihn gegen einen grau-silbernen Pulli, der – mit viel Phantasie – an ein fein gearbeitetes Kettenhemd erinnert. Mehr Ritterschauspiel ist nicht. Obwohl die Frankfurter Bühne einer ganzen Streitmacht Raum geben könnte, beschränken sich Preuss und seine Bühnenbildnerin Ramallah Aubrecht meist auf die Vorbühne, der zur lupenreinen Showbühne nur eine anständige Treppe fehlt. Dadurch gewinnen sie den Vorhang als Fläche für Videoprojektionen (Konny Keller), die die Bühne von oben zeigen und durch verschiedene Fokussierungen mal ganz auf die Schauspieler konzentriert sind, mal die Glitzerbühne in Gänze wie einen Sternenhimmel erscheinen lassen. Doch wozu dermaßen viel Show und Kitsch?

Das Spiel der Zeichen

Schon während sich das Publikum setzt, singen Käthchen (Valery Tscheplanowa) und der Graf vom Strahl (Nico Holonics) "Dream a Little Dream of Me", eingekleidet wie Braut und Bräutigam. Preuss lässt Käthchen dem Grafen ein Giftfläschchen geben; er erbricht sich blutig und schmiegt sich schließlich wieder glückselig an sie, sie lächelt milde-verliebt. Ein hybrider Vorverweis auf Kunigundes letztlich scheiternden Versuch, Käthchen zu vergiften, und auf das Happy End. Wobei in diesem Moment die Rollen verwischen, der Mann als Käthchen, die Frau als Kunigunde anzuschauen ist. Derart dekonstruiert Preuss immer wieder zuverlässig scheinende Theaterzeichen.

kaethchen2 280 birgit hupfeld uHohe Braut: Valery Tscheplanowa. davor: Nico Holonics und Chor. © Birgit HupfeldKaum meint man, dass Tscheplanowa Kunigunde spielt, wenn sie sich eine blonde Perücke überzieht, da spricht sie mit Perücke als Käthchen – und bald ohne Perücke als Kunigunde. Zuletzt zischt Holonics das abschließende "Giftmischerin!" – zwei dumpfe Schläge, die beiden sinken zu Boden. Man glaubt, unvermittelt an den Kleinen Wannsee versetzt zu sein, wo Kleist Henriette Vogel und sich selbst tötete. Doch erstrahlt auf dem Vorhang ein Feuerwerk und die beiden singen noch einmal "Dream a Little Dream of Me" bis es dunkel wird. Ein Traumspiel, in dem nichts zuverlässig ist – außer der Gewissheit, dem Schein besser nicht zu trauen.

So drückt auch die beeindruckende Musikalität nicht nur romantische Liebe aus, die ihrerseits durch die zugegebenermaßen verspielte Lust an der Dekonstruktion gebrochen wird. Auf die Idee, das "Käthchen" vermeintlich wortgetreu zu inszenieren, ist im 19. Jahrhundert kaum jemand gekommen. Als Oper und Singspiel hingegen wurde es zum Erfolg. Indem Preuss dieses an sich hybride Stück mit seinen zu Beginn epischen Ausführungen zur Vorgeschichte in der Schmiede in Heilbronn und seinem eigentümlichen Schluss um aktuelle, eingängige Musik ergänzt, gibt er ihm seine Aufführungsgeschichte und seine zauberhaften Moment zurück, ohne dem Zauber zu verfallen.


Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe
Kein großes historisches Ritterschauspiel
von Heinrich von Kleist
Regie: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Katharina Tasch, Komposition: Kornelius Heidebrecht, Video: Konny Keller; Dramaturgie: Alexandra Althoff.
Mit: Kornelius Heidebrecht, Nico Holonics, Valery Tscheplanowa und Chor.
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause.

www.schauspielfrankfurt.de


Kritikenrundschau

"Wollte Preuss das Groschenhefthafte Kleists ins Heute übertragen? Traute er sich nicht, den Innigkeitsdiskurs ganz ernst zu nehmen? Möchte er am liebsten eine Glam-Rock-Band gründen?" Diese Fragen stellt sich Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau (6.11.2012). Regisseur Preuss suche einerseits das innere Drama statt dem großen Ritterschauspiel, andererseits pumpe er den "Kleinst-Kleist" zu einer "großbühnentauglichen Glamrock-Version" auf. So sehe man einen "merkwürdiger Zwitter" zwischen Liebesgeschichte, Bee Gees, Feuerwerk am Nachthimmel, ironischen Brüchen und Glitter.

Marcus Hladek schreibt in der Frankfurter Neuen Presse (6.11.2012): "Eine klingende Bühnenhalluzination erstellt diese Regie, hochfahrend wie der Dichter selber." Es werde "getigert, herzgeklopft", der Chor überzeuge, die Auswahl der gesungenen oder eingespielten Lieder jedoch werfe ein "allzu wohlfeiles Karaoke-Licht". Fazit: "Keine meisterhafte Regie, aber eine vielversprechende."

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