Widersachertortenschlacht

von Tim Schomacker

Braunschweig, 11. November 2012. Im Grunde erfüllen die Texte von Elfriede Jelinek den mildernden Umstand der Notwehr. Was aus dem großen Da-Draußen an Schreck- und Wirrnissen heranschwappt an die stellvertretende Rezeptorin, ist in erster Linie Bild und Sprache. Und das muss sprachlich in Mangel und Schwitzkasten genommen werden. Darum auch die Kabarettismen im Wortwitz, derer man sich, zuschauend, gelegentlich mit einem leise gezischten "Autsch!" erwehren muss. Im Falle der "Kontrakte des Kaufmanns" müsste man sogar von Putativnotwehr sprechen. Denn das Trumm schreibt sich zwar von zwei österreichisch-finanziellen Real-Skandalen her, weist jedoch voraus auf reichlich Haupt- und Staatskrisen von Lehman Brothers bis Griechenland, von denen wir bisweilen glauben, sie lägen hinter uns. Nach einem Text über Förderungen (die von Öl nämlich, und wie man sie militärisch sichert: "Bambiland", 2003) entstand 2009 dieser über Forderungen. Fordern und Fördern.

kontraktekaufmann 560 karl-berndkarwasz u"Die Kontrakte des Kaufmanns": Theresa Langer, Philipp Grimm, Moritz Dürr,  Ursula Hobmair, Nientje Schwabe, David Kosel © Karl-Bernd Karwasz

Man tut gut daran, sich im Inszenierungsfalle zu entscheiden, was denn die Hauptforderung sein soll. Sonst rutscht der Abend auf jene Verliererstraße, von der er auch handelt. Denn diese Einheit von Form (der Aufführung) und Inhalt (des Textes) ist ihrerseits wenig förderlich. Marc Becker kann sich in Braunschweig nur schwer entscheiden, welche Behandlung er diesem dezidiert entindividualisierten, hochmusikalischen, bis zum Modischen aktuellen und gelegentlich auch programmatisch saublöden Textgebilde angedeihen lassen will: überwältigend-präzise Brachialchöre à la Einar Schleef? Trashiges à la Hamburger Pudel-Club? Schauspielerisch zurückhaltend eingerichtete Textlektüre? Vieles hätte man auch aus den "Kontrakten" machen können. Vielleicht sogar gleichzeitig – wenn man denn mutig genug wäre, den einen theatralen Aggregatzustand hart gegen den andern zu kanten.

Im Kindergeburtstagsmarsch

Das Schauspielersextett gestikuliert und macht viel Miene. Wenn einer sagt: "Ich spiele auf Ihnen wie auf einem Instrument", muss er seinem Nebenmann gleich auf der zugeknöpften Weste herumdrücken, als wär dieser Nebenmann, nun ja: ein Instrument eben. Wenn das Ensemble – als zynische Bankvertreter – ihren Anlegern jene pseudophilosophischen Lebensweisheiten (nochmals) um die Ohren haut, mit denen es ihnen zuvor mühselig Erspartes aus der Geldbörse gelockt hatte, treten Einzelne nach vorn, sprechen und gestikulieren wie in den seligen Urzeiten des Ensemblekabaretts. Da herrscht eine Unentschlossenheit, ob der Text denn zu einander oder frontal ins Publikum gesprochen werden möchte – was dessen Musikalität und Rabiatheit ein ums andere Mal aufhebt. Da pfeifen, wumpern und lippentröten die sechs im Kindergeburtstagsmarsch Abbas "The Winner Takes It All". Man fragt sich, ob man trashiges Theater nicht auch können muss – anstatt es bloß dar- und dadurch bloßzustellen. Nie sitzt man – und das wäre ja vielleicht eine Hauptforderung – vor diesem Jelinektext wie das nicht mehr aus noch ein wissende Kaninchen vor der Schlange.

Mit erhobener Faust

Dabei gibt es im Verlauf der pausenlosen neunzig Minuten einige Hinweise darauf, dass die gelungene Auseinandersetzung sich nicht im Konjunktiv hätte verlaufen müssen. Nadia Fistarol hat ein großes kugeliges, kunstverrostetes Ding auf die Bühne gebaut, irgendwo zwischen Globus, Observatorium und Apollo 13. Später offenbart sich im Inneren eine wie eine Weltkarte geformte Tafel, die – klanglich sehr eindrucksvoll mit Headsets verstärkt – mit Kreide beschrieben wird. Oder: Vorn am Bühnenrand verharrt einer mit der erhobenen Faust in einem Moment von Schweigen und Nicht-weiter-Wissen. Was (weil es nicht ein Jelinek-Wortspiel verdoppelt, sondern erweitert) mit minimalem Aufwand illustriert, dass die geprellten Kleinanleger vielleicht zu bedauern sind, als kollektives revolutionäres Subjekt aber mal so gar nicht taugen.

Oder: Der "Engel der Gerechtigkeit" verheddert sich im selbstentfaltenden (Himmels-)Zelt, um dann wie ein kleines Mädchen neben einer Michael-Schanze-Person zu stehen, die die Worte "progressive Steuer" im Loop wieder und wieder nicht verstehen will. Schließlich, und da ist er dann endlich, der harte Bruch: Die letzten zwanzig Minuten wird der Text an Notenpulten gesprochen. Im Chor ausgeführt eine Sequenz, die von der väterlichen Exekution einer unverschuldet unter Schuldenlast zusammengebrochenen Familie handelt. "Ja, es war nötig, schön zudecken danach, den Teddy danebenlegen, die Frau zu erschlagen mit der Axt, das billigste Modell". Geht doch! Ginge doch.

 

Die Kontrakte des Kaufmanns
von Elfriede Jelinek
Regie: Marc Becker, Dramaturgie:  Axel Preuß, Bühne und Kostüme: Nadia Fistarol, Musik: Peter M. Glantz.
Mit: Moritz Dürr, Philipp Grimm, Ursula Hobmair, David Kosel, Theresa Langer, Nientje Schwabe.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-braunschweig.de 

 

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Kritikenrundschau

Martin Jasper schreibt in der Braunschweiger Zeitung (12.11.2012, 19:03 Uhr): Schon heute wirke Jelineks Text "veraltet". Der "Wortschwall", blähe sich "vermeintlich sprachgewaltig" auf und triefe doch "geradezu lustvoll vor Trivialitäten". Er "stampft auf wie ein empörtes Kind, gefällt sich aber zugleich in Kalauern auf flachem Kabarett-Niveau". Wie man "so was" – "keine Handlung, keine Charaktere, bloß ganz viel Wortgeklingel" - inszeniere, fragt Jasper und urteilt, Marc Becker finde keine "klare Antwort auf diese Herausforderung". Die sechs "präzise agierenden Spieler" sprächen "oft" chorisch, zwischendurch müssten sie "immer mal wieder in Aktionismus ausbrechen". Aber: das wirke alles leider, "was es ja zwangsläufig auch ist: aufgesetzt". Es sei "weder ernst noch unernst, weder amüsant noch erschütternd". Im zweiten Teil verzichte Becker auf Aktionismus, belasse es bei "einer chorischen Lesung". Die aber wiederum der "szenischen Spannung" entbehre.

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