The Black Rider - Friederike Heller und Kante bitten an der Berliner Schaubühne zum Teufelspakt-Musical
Im Beat der Finsternis
von Matthias Weigel
Berlin, 24. November 2012. Friederike Hellers Arbeitsbeziehung zur Hamburger Band Kante währt nun schon etliche Produktionen lang. Nach Der gute Mensch von Sezuan und Antigone tritt die aktuell fünfköpfige Band einmal mehr bei Heller in der Berliner Schaubühne auf: "The Black Rider" ist angesagt, und das legendäre Musical von William S. Burroughs (Text), Robert Wilson (Uraufführungs-Regie) und Tom Waits (Musik) lässt einen insgeheim auf einen Höhepunkt dieser Zusammenarbeit hoffen.
Freischützen und ihre Frauen
Vor 22 Jahren hat Jürgen Flimm am Thalia Theater Hamburg sechs Millionen D-Mark (!) für die Entstehung dieses "Black Rider" ausgegeben, der seitdem unablässig nachgespielt wird. Grundlage der Geschichte ist die Freischütz-Sage, nach der auch Carl Maria von Weber seine Oper komponierte: Es geht um einen fatalen Pakt zwischen dem erfolglosen Nachwuchs-Jäger Wilhelm, der ohne Beute nicht bei seiner Geliebten landen kann, und dem Teufel, der Wilhelm ein paar Schuss zielsichere Munition anbietet, aber im Gegenzug den letzten (und entscheidenden, wie sich herausstellen wird) Treffer selbst bestimmen will. Er wird damit die Geliebte töten. Dazu strickte Autor Burroughs einige Fäden, die für Heller eigentlich ideal passen könnten. Burroughs webte sein eigenes Schicksal ein: Als 38-Jähriger erschoss er unter Drogen seine Frau bei dem Versuch, die Apfel-Szene aus "Wilhelm Tell" nachzustellen.
Wie seine Freunde Allen Ginsberg und Jack Kerouac zählt Burroughs zur Beat-Generation. Und tatsächlich atmen Bühne und Kostüme von Sabine Kohlstedt auch die Zeit der Beat-Generation: Petticoat, Dreiteiler, Samtvorhänge, Revue-Podeste für die Musiker. Man wartet sehnsüchtig auf den Beginn einer der großartigen Heller-Shows, in der sie aus ihren Stoffen (Handke, Brecht, Sophokles) gender- oder psyochoanalytische Motive herausschält und auf ihre schnoddrig-glamouröse Art ausweidet, mit androgynen Verführer_innen, die gerade noch durchs Mikro das Publikum um den Finger wickeln und sich schon im nächsten Moment vor der eigenen Erbärmlichkeit ekeln.
Diener des Notentextes
Aber es geht nicht los, es müssen ja erstmal die Songs von Tom Waits absolviert werden (die seinerzeit als Album erschienen). Dabei empfehlen sich nur wenige der Ensemblemitglieder als Musicalsänger. Aber auch inszenatorisch schnüren sich die Gesangsnummern zunehmend zu Zwangsjacken, die – so scheint es – Heller daran hindern, sich zu entfalten. Alle Energie und Aufmerksamkeit fließt in die Bewältigung der komplexen Komposition und aufwändigen Instrumentation, was zu akuter Szenenarmut führt.
Und dabei kommen noch nicht mal die Mannen von Kante richtig zum Vorschein, die diesmal ja nur reine Diener des vorhandenen Notentextes sind (unterstützt durch Bass-/Klarinette und Posaune/Sousaphon). Sehnsüchtig schweift der Blick zum musikalischen Leiter und Kante-Sänger Peter Thiessen in Gedenken an seinen großartigen Antigone-Auftritt als Gruppentherapieleiter, was ihn aber auch nicht hinter seinem Kontrabass hervorlocken wird.
Schuften für die Lebensironie
Ersatzweise kann sich das Ohr zwar an der tollen Stimme von Franz Hartwig (als Wilhelm) laben, der als streberhafter ADHS-Besserwisser über die Bühne stolpert und sich in Rolle wie Gesangsnummern gleichermaßen mit Haut und Haar hineinwirft. Allein bei ihm scheint das Heller-Rezept aufzugehen: Je größer die Ernsthaftigkeit, mit der er vom Hänfling zur Schicksalsfigur wird, je mehr er sich abrackert, umso erbärmlicher tritt die Lebensironie zu Tage.
Aber auch er kann nicht über die elendslangen zwei Stunden hinweghelfen, die das Premierenpublikum herzlich kalt lassen. Wie der Spielraum von den Musiker-Podesten überragt und eingeklemmt wird, so schnürt sich das Korsett der Musicalvorlage um das Bühnengeschehen und quetscht ihm das Leben aus. Hatte Friederike Heller im letzten Jahr die Freiheit bei ihrer Antigone-Bearbeitung zum großen Glanz verholfen, so zieht sie das starre Gerüst des "Black Rider" in die Finsternis.
The Black Rider
Von William S. Burroughs, Tom Waits, Robert Wilson
Deutsch von Wolfgang Wiens
Regie: Friederike Heller, Bühne und Kostüme: Sabine Kohlstedt, Musikalische Leitung: Peter Thiessen, Dramaturgie: Nils Haarmann.
Mit: Jule Böwe, Franz Hartwig, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew, Tilman Strauß, Lucy Wirth. Musiker: Peter Thiessen, Alex Paulick, Felix Müller, Sebastian Vogel/Andi Haberl, Michael Mühlhaus/Thomas Leboeg, Silke Eberhard, Gerhard Gschlößl.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schaubuehne.de
Mehr Indie-Pop on stage? Im Dresdner Hamlet von Roger Vontobel sieht man Musiker von Polarkreis 18 als Backup-Combo für den rockenden Dänenprinzen.
Es ist "wirklich ein toller Abend," schreibt Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (26.11.2012) über diese Freischütz-Tom-Waits-Adaption, "flott" eingerichtet und genauso "schwiegermutter- wie teenagerkompatibel". "Welch Vielfarbigkeit! Welch Abwechslung! Und wie viele Schrammelpfade die Musiker der Band Kante finden!" so der Kritiker, der die "fesche Unbekümmertheit des ganzen Abends" hervorhebt. Auch der produzierenden Schaubühne gilt seine Gratulation. "Und ach, die Keckheit, derart konsequent dem Geist des Musicals zu huldigen und sonst nichts weiter zu wollen."
Friederike Heller befreie das Stück von Ort und Zeit, weshalb es aus Sicht von Stefan Kirschner in der Welt (26.11.2012) mitunter etwas orientierungslos im Raum schwebt. Doch werde der Abend "verlässlich" durch die Musik zusammengehalten. Gesanglich jedoch sei das Schaubühnen-Ensemble mitunter etwas überfordert, aber die Band reiße "das glücklicherweise locker wieder raus".
Unterm Strich bleibt für Christine Wahl vom Berliner Tagesspiegel (26.11.2012) "bei alledem die Erkenntnis, dass Tom Waits' Songs immer noch rocken. Nicht weniger, aber auch nicht wesentlich mehr."
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Ich fand die ganze Regie beliebig und hab auch die Musik kaum wieder erkannt - ohne Singende Säge, ohne Anspielung auf Music Hall und 20er Jahre Cabaret-Songs. "Und dabei kommen noch nicht mal die Mannen von Kante richtig zum Vorschein, die diesmal ja nur reine Diener des vorhandenen Notentextes sind". - Äääh? Der Vergleich des "vorhandenen Notentextes" mit dem von Kante ergibt eine Relation wie die von Brechts „Mutter Courage“ zu Grimmelshausens Courasche.
Komischer Abend. Im Grunde: tief langweilig. Ich habe alle drei Berliner Arbeiten dieser Regisseurin gesehen und frage mich, wieso die Schaubühne sie immer wieder engagiert. Ich sehe keinerlei Begabung. Den Orden für Ulrich Hoppe verstehe ich auch nicht. Sein Beitrag beschränkte sich auf ein Mainzelmännchen-Grinsen als Erbförster Cuno, einen tatsächlich sehr hinterfotzig vorgetragenen Song, der für mich musikalisch der Höhepunkt war, und 3. auf die ausgiebige Präsentation seines blanken Hinterteils, das meinen Vorlieben weniger entspricht.
P.S. @ Matthias Weigel: Sie referieren im 2. Absatz die Handlung des "Freischütz" von Weber. Bei Apel/Laun bzw. Wilson/Burroughs ist Wilhelm Amtsschreiber, nicht Jäger und das ist auch der springende Punkt des "Black Rider": dass der Intellektuelle in eine Welt der Gewalt (Jäger/Försterei) fällt, der er als Kopfmensch nicht gewachsen ist. Iss nich schlimm - jeder kann sich irren -, aber bezeichnend für die Inszenierung, dass nicht mal der Rezensent den Inhalt des Stücks mitbekommt.
Ihr Post und Ihr Eindruck, an dem ich garnicht rummäkeln will, ist ein guter Beitrag zur "Was ihr wollt"-Kritikerdebatte. Ich war nämlich auch gestern in der Black Rider-Vorstellung, in der vorderen Hälfte des Saals (Reihe 4), wo sich lange Gesichter, betretenes Schweigen, Enttäuschung breit machten. Hinten wurde - wie Sie richtig schreiben - gejubelt, getrampelt und EINE überraschend leise, kleine Stimme rief einmal "Zugabe".
Dieser Schlussapplaus (und der letzte Blick von Jule Böwe), dieses "Nord-Süd"-Gefälle im Applaus-Verhalten des Publikums waren für mich der spannendste, überraschendste Moment des Abends.
Schade, dass Johanna Schall nicht neben mir saß. Wir hätten bestimmt eine tolle Debatte mit einander geführt.
Tilman Strauß war übrigens auch süß: er bekam ein Bravo für einen seiner Songs, wofür er sich artig bedankte. Und im Gesicht von Lucy Wirth ging regelrecht die Sonne auf, als das Stück beim normalen Publikum hinten ankam. Applaus ist doch ein faszinierend komplexes Phänomen. Ich hätte Lust, eine Geschichte des Applauses zu schreiben.
Es gibt auch keinen Plot, keine Geschichte, die sich entwickelt. Der Abend läuft immer wieder auf die Gesangsnummern zu, derer sich das Ensemble auch ganz gut entledigt. Aber wozu, das wird nicht klar. Es gibt ein paar Insiderwitze, über die man schmunzeln kann. Das Drogenthema wird dadurch gelöst, das Franz Hartwig immer mal wieder eine Kugel einwirft und Jule Böwe die Schnapsdrossel gibt. Das Getrieben sein der Sucht ersetzt durch Rennen auf der Stelle. Bei Burrougghs geht es aber um den Schuss, die Suche nach dem absoluten Kick, nicht um Zauberpillen oder einen Bourbon zuviel. Er hat doch nun wirklich ausführlichst seine Drogenerfahrungen reflektiert.
„Der Kick läßt einen alles aus einem anderen Blickwinkel sehen. Kick bedeutet, dass man für eine Weile die Fesseln des alternden, vorsichtigen, lästigen, ängstlichen Körpers abstreifen kann. Vielleicht finde ich in Yage, was ich in Junk und Gras und Coke vergeblich gesucht habe. Vielleicht ist Yage der endgültige Fix.“ W. S. Burroughs aus „Junkie“
Hier geht der Schuss aber einfach voll nach hinten los. Finster ist hier gar nichts. Obwohl man zugeben muss, dass die zynische Gleichgültigkeit Burroughs in der Inszenierung durchaus durchscheint. Fürs Novemberfeeling oder den richtigen Beat kann man sich aber auch zu Hause eine Tom-Waits-Platte auflegen. Am besten aber Burroughs lesen. Ich empfehle „Auf der Suche nach Yage“, was hauptsächlich aus Briefen an Allen Ginsberg besteht und Burroughs Suche nach der Wunderdroge Yage im Südamerikanischen Urwald beschreibt. Ob dann noch Tom Waits oder härtere Drogen nötig sind, wage ich zu bezweifeln. Interessant wäre auch mal, das BE- gegen das Schaubühnenpublikum auszutauschen. Auf das Ergebnis wäre ich gespannt.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2012/11/29/mit-tom-waits-im-schauerkabarett/
Wie meinen Sie das? Ein Musical nicht zur Erbauung sondern zur Unterhaltung. Zu was denn sonst? Selbst "Jesus Christ Superstar" soll unterhalten und nicht erbauen. Und dann kritisiere ich gleichzeitig den Unterhaltungswahn, indem ich ironisiere? Das geht nach hinten los. Entweder wird es Klamotte wie bei Katharina Thalbach, oder öde wie bei Friederike Heller. Es ist ja schön, dass sie nicht Wilson kopiert und höchstens mal einen ironischen Seitenhieb austeilt. Aber dazu müsste man eben eine Alternative bieten. Und auch Wilson Inszenierung selbst war ja keine bloße Unterhaltung. Sein Theater der grell geschminkten, wie ferngesteuert wirkenden Zombis war nie wieder so treffend und intensiv wie hier. Man kann sich ja Videos dazu ansehen. Das war noch ein echtes Gruselkabinett und auch witzig und hintergründig zugleich. Das man das nicht beliebig kopieren kann ist natürlich klar, dann wird reine Unterhaltung daraus, ohne eigenes Profil.
Der Text von Burroughs z.B. kommt bei Heller überhaupt nicht zur Geltung. Da steckt schon eine interessante Story dahinter. Es geht ja nicht nur um die Drogensucht, sondern auch um Liebe, die Kunst, den Erfolg, auch ein großer Kick. Eine Sucht für die man bezahlen muss. Da steckt viel Autobiografisches im Text.
Das Gorki Theater hat mal versucht den Shockheaded Peter von Phelim McDermott mit der Musik der Tiger Lillies auf die Bühne zu bringen. Auch so ein misslungenes Beispiel. Zu harmlos, es zündete einfach nicht. Den Spagat zwischen einfacher Unterhaltung und ironisierender Unterhaltungskritik zu schaffen und sich vom Original abzuheben, ist eben gerade bei solchen Unternehmungen extrem schwer. Ich sah da an der Schaubühne eben nicht nur Begeisterung, sondern auch ein paar lange Gesichter.
Selten etwas so belangloses gesehen. Ich fands jetzt zwar nicht zwingend langweilig, es gibt ein paar gute songs, aber das ganze wird einfach ohne jede Idee runterinszeniert.
Und dann im Vergleich dazu Bahnwärter Thiele am Gorki- welch Unterschied!
letztlich zwar auch belanglos, aber liebevoll inszeniert, dabei aber mit viel weniger aufwand als an der Schaubühne, zu herzen gehend, mit einer fantastischen schauspielerischen leistung von peter kurth.
@Zensur Machine (7): Na, dass'ja ma'n Ding! Da haben Sie doch glatt wieder eine Unwissende zurechtgewiesen, die offenkundig keine Ahnung hat und nicht weiß, dass der Film "Barfly" über das Leben des Herrn Bukowski dreht! Als ob das an irgend einem einigermaßen wachen Menschen vorübergehen könnte, der oder die ihn gesehen hat... Doch weit gefehlt, mein lieber Herr Machine (denn leider nur die Herren der Schöpfung maßen sich derlei unwissend zurechtweisende Selbstgefälligkeiten der Ahnungslosigkeit an): Sie übersahen, dass ich zuletzt nicht mehr von Burroughs, sondern von Tom Waits sprach. Der ebenfalls mit dem Film "Barfly" nichts zu tun hat. Sondern ebenso als Personifikation des Lebensstils "Barfly" gilt wie Herr Bukowski. Zum gefälligen Nachschlag eines zufällig gewählten Treffers im Internet zu diesem Thema: http://www.ink19.com/issues/february2007/printReviews/wildYears.html
Nichtsdestotrotz: es ist die Stimmung im Film "Barfly", die für mich atmosphärisch sehr wohl das wiedergibt, was Tom Waits (generell gesehen und auch in diesem speziellen Fall) mit seiner Musik evoziert und was Heller hier mit dem Black Rider angestellt hat.