Das schmerzhafte Einmaleins der Liebe

von Harald Raab

Heidelberg, 14. Dezember 2012. "Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler …" Shakespeare-Texte eignen sich ganz fabelhaft als Chansons. Besonders wenn sich Georgette Dee mit rauchiger Stimme und großer Revuegeste ihrer annimmt. Neben Anne Schäfer als Rosalinde steht die Diseuse als Jaques in Heidelberg auf der Bühne: Zwei Frauenfiguren, zwei Leistungen, die dem chaotischen Mechanismus der Shakespeare-Komödie "Wie es euch gefällt" Drive und Witz in den Irrungen und Wirrungen der Liebe geben.

Diese menschlichste der ohnehin schon so nah am prallen Leben gebauten Shakespeare-Komödien soll zur Eröffnung des Globe-Theatres gespielt worden sein. Wenn das in London geklappt hat, so dachte man sich wohl am Neckar, warum soll das nicht auch zum Spielzeitauftakt im nagelneuen Heidelberger Theater zur Erfolgsstory werden. Für 60 Millionen Euro haben sich die Heidelberger ihr altes Bürgertheater saniert und gleich einen modernen Bühnen- und Zuschauertrakt dazu gebaut.

Wahre Theaterliebe

20 Millionen davon haben die Bürgerinnen und Bürger aus eigener Tasche gespendet. Das ist wahre Theaterliebe. Da kann man dem verehrten Publikum schon mal zeigen, was gefällt. Shakespeare allemal. Mit Elias Perrig hat man sich zudem einen Regisseur geholt, dem opulente Bilder und muntere Szenen zu Gebote stehen. Und der seine Darsteller zu Höchstleistungen zu motivieren weiß. Die Heidelberger Inszenierung steht so unter einem glücklichen Dreigestirn.

wie-es-euch-gefaellt04 1 560 florian merdes uUtopie in Rosa © Florian Merdes

In "Wie es euch gefällt" stehen sich zwei Welten gegenüber: die der lästigen Alltagspflicht, der Maloche und Intrige bei Hofe und die der Flucht in den Wald der Sehnsüchte. Dort bin ich Mensch, dort darf ich's sein. Alle Widersprüche und alle Zumutungen des Lebens lösen sich in Wohlgefallen auf. Eskapismus ist kein neues Phänomen stressgeplagter Menschen der Leistungsgesellschaft. Den Ort, wo die Lämmer bei den Löwen liegen, haben sich Menschen seit jeher zur Kompensation erträumt.

Hüpfburg und Plüschkissen

In einer Art Kasperltheater-Szenerie lässt Regisseur Perrig den Kosmos der Zwänge ad absurdum führen. Alles in tristem Grau (Bühne: Beate Faßnacht). Der Vorhang ist nur zu einem kleinen Teil geöffnet, der Bühnenboden abgesenkt. Wie Schachterlteufel schnellen die Figuren hoch, sind nur mit ihren Oberkörpern zu sehen und verschwinden plötzlich wieder in der Versenkung. Statt Charaktere Typen: Reduktion auf Abziehbilder. Orlando (Steffen Gangloff) prügelt sich mit seinem bösen Bruder Oliver (Benjamin Kempf). Rosalinde und Busenfreundin Celia (Karolina Horster) liegen sich als Kaugummi kauende Girlies in den Armen und bewundern mit Teenagergeschwätzigkeit Orlando, der mal so nebenbei den Ringer Charles (Clemens Döncke) krachend auf die Bretter schmettert.

Die Gegenwelt ist zwar kein Wald – genug deutsche Eiche gibt es ja an den Wänden des neuen Zuschauerraums. Das bühnenfüllende Paradies wird uns als Zwischending zwischen einer rosaroten Hüpfburg und einer Kuschelspielwiese für große Kinder vorgestellt. Teile des Bühnenbodens heben und senken sich im unregelmäßigen Rhythmus. Festen Halt gibt es nicht. Zwischen einer Landschaft aus Plüschkissen und -decken tummeln sich die Zivilisationsaussteiger im Schottenrock (Kostüme: Sara Kittelmann), stimmen ihr Lamento an und palavern über Lebenssinn und Liebesschmerz.

Die Fieberkurve der Anne Schäfer

Rosalinde mischt die Zurück-zur-Natur-Party auf. Anne Schäfers Rosalinde, im blauen Overall als Knabe Ganymed verkleidet, lehrt Orlando, das Opfer ihrer Begierde, das schmerzhafte Einmaleins der Liebe und zappelt doch selbst heillos verstrickt im Netz ihrer Triebe. Einer wild ausschlagenden Fieberkurve folgend, liefert sie ein Meisterstück: mal grausame Domina des liebeskranken Tropfs, mal selbst ohnmächtig Getriebene in ihrem eigenen Spiel. Sie macht Orlando die Hölle heiß, kokettiert auf Teufel komm raus und ist dann wieder ganz unschuldiges Mädchen, ein Wechselbalg mit geschlechterübergreifender Triebhaftigkeit obendrein.

Und als das Verwechslungsspektakel aufgeklärt wird, legt sie noch einen lasziven Striptease hin. Bevor der Slip abgestreift ist, erlischt das Licht. Ob sie, wie ihre Freundin Celia mault, eine Schande für ihr Geschlecht sei, wird wohl aus tradierter Macho-Sicht etwas anders beurteilt werden. Shakespeares Kunst der Menschenerfindung hat jedenfalls in Anne Schäfers facettenreicher Rollengestaltung eine großartige Entsprechung.

Ein Hauch von Brecht

Das Spiel als unverzichtbares Element der Liebe führen uns auch die um Rosalinde herum gruppierten Figuren vor, vergröbert, burlesker, Verliebtheit, die den, der sie befällt, zum Gespött macht: die törichte Schäferin Phebe (Katharina Quast) und ihr Tölpel Silvius (Friedrich Witte) sowie der Narr Touchstone (Andreas Seifert) und sein Bauerntrampel Audrey (Natalie Mukherjee). Bizarres und Skurriles wird von ihnen in Funken sprühender Spiellust schier auf die Spitze getrieben.

"Wie es euch gefällt" ist die Shakespeare-Komödie mit den meisten Liedern. Georgette Dee fügt ihnen noch einen Hauch von Brecht, harte Rocktöne und auch Volkslied-Rührseligkeit hinzu: "Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb …" Die Sängerin als Engel der theatralischen Melancholie: Diese Ausdeutung der Rolle des Jaques löste beim Publikum Beifallsstürme aus. In Heidelberg gelang eine Komödien-Produktion auf dem schmalen Grad zwischen heiter-absurdem Spaß und wohldosiertem Tiefsinn – Shakespeare, dem Regisseur und den Schauspielerinnen und Schauspielern sei Dank.

 

Wie es euch gefällt
von William Shakespeare
Deutsch von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: Elias Perrig, Bühne: Beate Faßnacht, Kostüme: Sara Kittelmann, Musik: Biber Gullatz, Dramaturgie: Jürgen Popig.
Mit: Georgette Dee, Clemens Dönicke, Hans Fleischmann, Steffen Gangloff, Karolina Horster, Benjamin Kempf, Heinz Kersten, Florian Mania, Natalie Mukherjee, Katharina Quast, Stefan Reck, Anne Schäfer, Andreas Seifert, Friedrich Witte. Musiker: Jojo Büld, Clemens Dönicke, Benjamin Kempf, Florian Mania, Lukas Pfeiffer, Stefan Reck.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.theaterheidelberg.de


Andere Lesarten von Wie es euch gefällt boten in jüngerer Zeit Sebastian Nübling in Zürich und David Mouchtar-Samorai in Bonn.

 

Kritikenrundschau

"Wie es euch gefällt" sei ein "Ensemble-Stück, in dem die Heidelberger Akteure ihr beachtliches Talent unter Beweis stellen können", und endlich stehe ihnen "im Neuen Saal dafür auch der nötige Freiraum zur Verfügung", meint Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (17.12.2012). Elias Perrigs Inszenierung zeichne "eine klare Regie-Handschrift aus": Nicht nur die Wahl der Übersetzung überzeuge, "sondern auch das ausbalancierte Verhältnis zwischen nuanciertem Spiel und chargierender Komödiantik." Anne Schäfers Rosalinde und Steffen Gangloffs Orlando "schmachten, schwelgen und begehren um-, nach- und miteinander, dass den beiden und erst recht dem Publikum Hören und Sehen vergeht", und Georgette Dee sei "für den singenden Melancholiker Jacques eine Idealbesetzung".

Was Perrig zu Beginn "mit wenigen konzentrierten Mitteln amüsant und nachdrücklich als kurzes Kammerspiel zur Besichtigung freigibt, lässt hoffen auf das, was sich nun im Exil des Herzogs ereignen wird", schreibt Alfred Huber im Mannheimer Morgen (17.12.2012). "Doch irgendwo zwischen Ouvertüre und thematischer Durchführung auf der Bühne muss Perrig bei den Proben der Mut verlassen haben. Anstatt die sanften Töne des Anfangs durch leise Schwermut und Melancholie im Zauberwald zu ergänzen, setzt er bald unverblümt auf grelle showartige Effekte. Ein überrumpelndes Spektakel, dem man längere Zeit wehrlos-fasziniert zuschaut, bis man etwas vermisst: Shakespeare." Perrig unterziehe "sich kaum der Mühe, den möglichen Tief- und Widersinn der Figuren auszuloten. Das Naturerlebnis einer höfischen Gesellschaft wird bei ihm nicht als Kontrast zur dekadenten Zivilisation gedeutet, sondern zu einem Picknick-Abenteuer im entspannten Hier und Jetzt."

 

 

 

Kommentare  
Wie es euch gefällt, Heidelberg: von der Regie im Stich gelassen
Ich bin nach der Lektüre dieser Kritik ratlos: denn obwohl ich ebenfalls in der Premiere saß, ist meine Meinung über diesen Abend eine komplett andere als die des Kritikers. Ich habe hilflose Schauspieler gesehen, die von der Regie im Stich gelassen worden sind. Kein Situationswitz, kein Wortwitz, kein Zugriff auf das Stück. Es fehlten Dynamik und Rhythmusgefühl. Um mich herum schliefen die Zuschauer ob der seicht vor sich hinplätschernden Story - und immerhin reden wir hier von Shakespeare.
Georgette Dee wirkte wie ein Fremdkörper. Ein Clou, der keiner ist, weil er sich inhaltlich nicht einlöst.
Ich war eigentlich sehr gespannt und offen für einen guten Schauspielabend - das war jedoch keiner!
Die Fahrt von Mannheim in das neue Haus in Heidelberg hat sich leider nicht gelohnt. Schade!
Wie es euch gefällt, Heidelberg: langweilig und altbacken
..es war langweilig und altbacken, obwohl es unbedingt etwas Anderes sein wollte....aber in seiner Bemühung um etwas Eigenständiges, kam nur eine sehr bürgelich-spießige , um Humor ringende Arbeit heraus...schade.
Wie es euch gefällt, Heidelberg: altbacken
Sooo altbacken, leider. Mit Perrig ist Basel schon untergegangen, da hilft auch ein bekannter teurer Name nichts!!! Einziger Lichtblick des Abends ist Friedrich Witte!
Wie es euch gefällt, Heidelberg: Tiefsinn tief in den Plüschkissen
hum, um mit schiller zu sprechen. da holen sie sich in gestalt von georgette dee eine fantastische künstlerin, um mit dem ensemble zu spielen - und was passiert: es geht nicht zusammen. was für eine gute idee, die frage nach dem geschlecht mit der dee auf die bühne zu stellen. das bleibt sie aber leider auch, solistisch, als die dee, die sie ist - und nicht und nie als figur.
stattdessen sitzt man in der pause da, fragt sich, worum es geht, fragt sich, ob man nicht besser geht, wie es dann doch der eine oder die andere tut, bleibt dann doch und fragt sich, wie es wohl mit all diesen figuren weitergeht, die hier und da sinnloserweise auftreten - und wird im zweiten teil von anne schäfer und steffen gangloff daran erinnert, dass es echt gute schauspieler gibt in FULL HD, leute, die spaß haben können zusammen, spaß an auch blöden scherzen, vor allem: aber zusammen.
zu der kritik: der wohldosierte tiefsinn muss sich in den plüschkissen versteckt haben, tief unten, vielleicht auch zwischen den hubpodien - oder hinter den fadenvorhängen?
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