Frauen-Endlagerung

von Stefan Keim

Bonn, 15. Dezember 2012. Frau Töss trägt knallblonde Mähne zum faltigen Gesicht und ein tiefes Dekolleté. Frau Grau wird seit Jahrzehnten bei der Beförderung übergangen. Frau Merz-Dulschmann erwähnt nebenbei, dass sie ihren Gatten kaum noch sieht. Und dann gibt es noch Frau Luhmann, die man leicht übersieht. Vier Frauen um die 50 haben anlässlich des Weltfrauentages eine Einladung zu kostenlosen Wellnessangeboten bekommen. Da stehen sie nun und erwarten Typberatung, Massage, Hairstyling, Fitness. Womit man sich als Frau um die 50 so seine Zeit vertreibt. "Die Damen warten" heißt das neue Stück von Sibylle Berg, die selbst gerade 50 geworden ist.

Off-Off-Broadway auf Deutsch

Früher verband sie galligen, tiefschwarzen Humor mit selbstironischer Leichtigkeit. Sibylle Bergs Stücke waren intelligente Komödien, so etwas wie deutschsprachiger Off-Off-Broadway. Falls so etwas überhaupt vorstellbar ist. Ihr neues Werk ist garstig, böse, bitter. Zwar gibt es immer noch genau gesetzte Pointen und im Text angeregte Popmusikeinlagen. Doch wie die vornamenlosen Frauen ihre Lage analysieren, lässt kaum noch Luft zum Lachen: "Voller Ehrfurcht gefriert vielen Männern die Faust, die sie gerade eben noch in ihrer Gattin platzieren wollten, in der Luft. Der eine oder andere, der eben schnell noch seine Tochter lieben wollte, hält inne und denkt, auch sie wird einmal eine Frau werden, eine Verliererin." So charakterisiert die Gerichtsmedizinerin Frau Grau den Weltfrauentag.

damenwarten1188 560 thilo beu xFitness um die 50: Elisabeth Auer, Susanne Bredehöft und Cornelia Kempers auf den Matten. Falilou Seck schaut zu. © Thilo Beu

Die Wellnessoase ist eine Falle. Gas dringt ein, die Damen werden narkotisiert und unter die Erde verfrachtet, weg von den Straßen. Denn hier sollen sich die jungen Frauen tummeln und natürlich die Männer, die Leistungsträger, die Chefs. In einem Paradies aus Designerschuhen und Selbstverwirklichungsworkshops dürfen die nutzlos gewordenen Frauen ihre letzten Lebensjahrzehnte verbringen. Ein Mann umsorgt sie zunächst, spielt den Allround-Therapeuten und wird im Lauf des Stückes immer aggressiver. Der Mann sei eigentlich das unterdrückte Geschlecht, behauptet er. Und einige seiner Argumente lassen sich nicht so einfach zurück weisen. Schließlich sind die Schulabbrecher und Penner meistens Männer und Jungenförderung längst ein wichtiges Thema.

Im Science-Fiction-Labor

Sibylle Berg hat keine Charaktere entworfen, sondern Sprachrohre für ihre Thesen. "Die Damen warten" ist mehr Essay als Stück, hier und da noch ein bisschen Typenkomödie. Oft ist es egal, wer gerade welchen Satz sagt. Bonns Intendant Klaus Weise, der noch aus Oberhausener Zeiten eine intensive Arbeitsbeziehung mit Sibylle Berg pflegt, versucht nun, aus diesem Text ein well made play zu bauen, ein Konversationsstück im Stile Yasmina Rezas.

Martin Kukulies hat ihm dafür einen science-fictionähnlichen Raum entworfen, eine Art Labor mit Vorhängen und Videoprojektionsflüchen. Der Mann wird von einer kahlköpfigen Assistentin begleitet, die wie eine lebendig gewordene Schaufensterpuppe wirkt und im Hintergrund zwischen den Szenen offen umgekleidet wird. Weise entwickelt immer neue Spielsituationen, die Frauen bleiben weitgehend in ihren Rollen, während Falilou Seck als Mann mal sinisterer Bösewicht und mal pure Projektionsfläche ist. Ein Gestaltwandler, aus dem unterschiedliche Stimmen sprechen und der völlig ungreifbar bleibt.

damenwarten2324-560 thilo beu xStreckübungen: Susanne Bredehöft, Elisabeth Auer, Falilou Seck, Tatjana Pasztor und Cornelia Kempers. © Thilo Beu

Das alles wirkt ziemlich verkrampft und kommt beim Premierenpublikum überhaupt nicht an. Ein paar leise Schmunzler, kurzer Höflichkeitsapplaus – mehr kam nicht von den Zuschauern, obwohl sich die Akteure alle Mühe gaben, die Energie hoch zu halten. Tatjana Pasztor als neurotische Bürgerweibchen, die ihr Sackgassenleben gar nicht so schlimm findet, Elisabeth Auer als derbe Angestellte, Susanne Bredehöft als verzweifelt um die letzten Reste ihrer sexuellen Attraktivität kämpfende arbeitslose Anwältin, Cornelia Kempers als asexuelle Akademikerin – sie alle machen ihre Sache gut. Und dennoch spielen sie ins Leere.

Es fehlt der Hammer

Sibylle Berg ist scharfkantiger, jeline(c)kiger geworden. Dieser Text verlangt danach, aufgebrochen, weiter gedacht und auf die Bühne gerotzt zu werden. So wie es Nicolas Stemann, Karin Beier und Hermann Schmidt-Rahmer in den vergangenen Jahren mit den Stücken Elfriede Jelineks getan haben. Klaus Weise baut einen ordentlichen Rahmen, in dem sich alles säuberlich sortieren lässt. Das funktioniert in diesem Falle nicht. Die Gesangseinlagen auf die eingespielten Popsongs von Milva bis Marilyn Monroe wirken stolpernd und uninspiriert. Niemals wird es auf der Bühne existentiell, alles bleibt Verabredung, Umspielen eines Themas. Auch Sibylle Berg trifft keine klaren Aussagen. Ihr Stück wirkt wie eine Thesensammlung, ein Steinbruch, aus dem sich manche Diamanten heraus hauen ließen. Aber dafür braucht man schon einen dicken Hammer.


Die Damen warten (UA)
von Sibylle Berg
Regie: Klaus Weise, Bühne: Martin Kukulies, Kostüme: Fred Fenner, Licht: Thomas Roscher, Dramaturgie: Almuth Voß.
Mit: Tatjana Pasztor, Elisabeth Auer, Susanne Bredehöft, Cornelia Kempers, Falilou Seck und Anna Möbus.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-bonn.de



Kritikenrundschau

Sibylle Berg sei "das ironische Tänzeln vergangen", schreibt Hartmut Wilmes im Bonner General-Anzeiger (17.12.2012). Ihre Protagonistinnen "spucken Gift und Galle". Aber auch wenn das Stück "durchaus vor bösem Witz funkeln" möge, "so taugt es kaum zum abendfüllenden Drama. Die Figuren bleiben beliebige Litfaßsäulen für Thesenpapiere, eine Handlung findet nicht statt." Mit seinem Ensemble, dem "wenig vorzuwerfen" sei, leiste Uraufführungsregisseur Klaus Weise eher "eine verzweifelte Schönheitsoperation: Seine gefälligen Einfalls-Implantate helfen wenig, wo Gesellschaftschirurgin Sibylle Berg den Trümmerbruch zwischen Mann und Frau diagnostiziert."

Bergs Stück "erörtert alle möglichen Frauenleiden kurz vor oder nach der Menopause in aller Ausführlichkeit, was ein wenig nervt und wohl auch nerven soll", sagt Henning Hübert auf SWR 2 (17.12.2012). Es gebe weder "echte Dialoge" noch eine "dramatische Handlung", ausgenommen die "Frage, wer wen am Ende umbringt". Klaus Weise habe das Stück "mit Unversöhnlichkeit" umgesetzt. "In Bonn kann man darüber staunen, was reife Männer und Frauen heute alles übereinander denken und auch sagen können, und dabei wohl leider nicht mal lügen", sagt Hübert. "Solidarisierendes Mitfühlen" mit den Figuren werde unmöglich. Weise "fällt auch kein Gegenentwurf mehr ein, er deutet leider keinen Ausweg, keinen Hoffnungsschimmer an".

Sibylle Berg habe "Kolumnen zu einer Szenenfolge arrangiert und mit misogynen Aphorismen prominenter Autoren von Börne bis Beckett garniert", schreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.12.212). "Was die kleine Farce langweilig und auch ein wenig klebrig macht, ist die enge Festlegung ihrer Figuren." Indem sich die Protagonistinnen "ganz auf ihre äußerliche Erscheinung und angeblich schwindende Attraktivität fixieren, bestätigen sie jene gesellschaftlich vermittelte Reduktion zum Sexualobjekt, gegen die sich die Autorin vermeintlich wendet. Pseudokritik statt Psychologie." Regisseur Klaus Weise sei "die Anstrengung anzumerken, den Thesenschwall spielbar zu machen und mit Popsongs und Fotoprojektionen in eine Revueform zu überführen."

"Die Damen warten" sei eine Versuchsanordnung mit zynisch-weiblichem "Shit, wir sind 50 geworden und nix geht mehr"-Sprechblasen-Material, von dem sich ganze Industrie- und Medienzweige nähren, schreibt Marion Ammicht in der Süddeutschen Zeitung (19.12.2012). Die schlimmstmögliche Wendung, die von einer weiteren unmittelbar getoppt werde, sei bestes Schweizer Dramaturgiehandwerk. "Man kann das bei Friedrich Dürrenmatt nachlesen. Daraus sollte sich was machen lassen." Aber "nichts davon in der Halle Beuel des Bonner Schauspiels." Klaus Weise versuche das Stück offensichtlich durchzubuchstabieren "wie ein well-made Wellness-Play". "Mit der Folge, dass Sibylle Bergs kleine, boshafte Farce implodiert. Wie ein zur großen Oper aufgeblasener Popsong."

"Die Damen warten" durchschreite in vier Akten die Höllenkreise geschlechtlicher Demütigung, schreibt Hans-Christoph Zimmermann in der Neuen Zürcher Zeitung (19.12.2012). Sibylle Berg schlage ihren düsteren Witz aus der Erkenntnis, dass richtige Erkenntnis und Verfangensein in der sozialen Konstruktion des Geschlechts sich nicht ausschließen. "Doch trotz den Pointen im Übermass ('Heinz ist so normal, dass ich ihn manchmal mit der Matratze verwechsle') tritt das Stück auf der Stelle seiner eigenen Thesenhaftigkeit – und darin verfängt sich die Inszenierung des Bonner Intendanten." Klaus Weise wolle Realismus, er wolle Ironie, und er wolle Figuren – finde sie aber nicht. Weises Versuch, dem Stück Spurenelemente von Psychologie und Dialog nachzuweisen und es zur düsteren Screwball-Comedy umzudeuten, laufe ins Leere. "Groteske Überformung wäre die bessere Lösung gewesen."

 

Kommentare  
Die Damen warten, Bonn: Proseminar Women Studies
Den Nagel auf den Kopf getroffen, hat Stefan Keim mit seiner Kritik an Stück und Inszenierung, wobei er auch noch konziliant formuliert. Der Text des Stücks eignet sich vielleicht für ein Proseminar im Studiengang "Women studies". Die Aufführung ist gähnend langweilig. Ob der Regisseur Klaus Weise daraus etwas entweder untergründiges und/oder spritziges hätte machen können, sei dahin gestellt. Der Intendant Klaus Weise hat sich jedenfalls mit dem Auftragswerk in der Erwartung an ein für das Bonner Schauspiel nötiges, überregionales, enthusiastisches Echo verspekuliert. So schafft sich Theater selbst ab.
Paul Tostorf
Die Damen warten, Bonn: der Knecht schockiert den Herrn
Ja. Und man kann mit den Gender-Studies ja auch andere Themen bearbeiten, wenn man nur will. Zum Beispiel das Thema "Philosophie in den Humanwissenschaften" oder auch das "Herr-Knecht-Verhältnis":

"Sie erinnern sich doch, der Knecht schockiert den Herrn, indem er zu ihm zurückschaut und damit ein Bewusstsein bezeugt, von dem nicht vermutet wird, dass er (oder sie) es hat, und zeigt so dem Herrn, dass dieser sich selbst zum Anderen geworden ist. Der Herr hat sich vielleicht nicht mehr unter Kontrolle, aber für Hegel ist dieser Selbstverlust der Anfang von Gemeinschaft [...]."
(Judith Butler, "Die Macht der Geschlechternormen")
Die Damen warten, Bonn: Klischee und Langeweile
Das Stück ist leider typisch für ein tödlicher Trend zu kopflästige Thesen als Theaterstücke. Das Ergebnis: Clichés und Langeweile. Sind Intendanten und Dramaturgen wirklich so modisch-dumm?
Die Damen warten, Bonn: das Theater als Fabrik
begreift man das theater in seiner derzeitigen verfassung als eine fabrik, dann wäre der autor so etwas wie ein freier zulieferer. dieser kann allerdings nur passgenau liefern, wenn er von anfang an in die produktionsabläufe eingebunden wird. dafür wäre es notwendig, die gesamte produktion in ihren abläufen und notwendigkeiten für alle nachvollziehbar darzustellen. das gesamte textmaterial muss als rohstoff für jeden zugänglich sein. das stück entsteht nicht am schreibtisch, sondern auf der probebühne durch die sublimation des textes zum spiel. auch wäre es wichtig, dass der autor eine rückmeldung aus der produktion erhält, die über das übliche austauschen von befindlichkeiten hinausgeht
Die Damen warten, Bonn: der Autor als freie Hure
zu 4 @ Jens
Was Sie schreiben klingt eher als "der Autor als freie Hure, der/die als Rohstoff gefickt werden darf wie es alle andere gefällt". Danach kommt die Rückmeldung und scheisse auf der Befindlichkeit - und auch auf dem Publikum.
Die Damen warten, Bonn: Praxis des Verschiebens
planung, vermarktung, kauf: das theater möchte produzieren wie ein industriebetrieb, bedient sich aber mechanismen, wie sie in der verwaltung anwendung finden. nehmen wir die praxis des verschiebens von verantwortung: ein autor schreibt einen text. dem regisseur fällt ein, dass man vielleicht ein paar figuren umbenennen könnte, vielleicht die schauspieler etwas aus ihrem eigenem erleben erzählen lassen könnte. der dramaturg, der gerne die werke eines bestimmten philosophen liest, ergänzt den text um einige zitate. schließlich stellt die intendanz zwei tage vor der uraufführung fest, dass die inszenierung möglicherweise sowohl förderverein als auch kultursenatorin missfallen könnte, weshalb weitere striche, ergänzungen, zitate notwendig sind. heraus kommt nun ein bastard von einem text, für den weder dramaturgie noch regie durch das publikum haftbar gemacht werden, sondern einzig der autor, der auf die bühne gezerrt wird wie ein idiot. eine nachbearbeitung, möglicherweise zur frage der verständlichkeit des rohmaterials, eine auswertung des produktionsergebnisses mit allen beteiligten, wie sie in der industrie üblich ist, findet nicht statt. das lernen des autors organisiert sich daher nicht über den austausch, sondern über den ausschluss und die beobachtung. hinzu kommt für ihn eine dauerhaft vorhandene existenzbedrohung, die als nie enden wollende krise zum normalzustand wird. ziel der bedrohung ist es, die machtstrukturen innerhalb des theaterbetriebs zu festigen. insbesondere die dramaturgen, die ein sekundärgewerbe betreiben, haben ein interesse daran, zumindest einen prozessbeteiligten unter sich zu haben, wo ihnen sonst nichts bleibt als zu katzbuckeln. der so genannte hausautor, der schreiber im einweckglas, ist nur eine möglichkeit, die sich daraus ergibt
Die Damen warten, BN: Folge Deiner Einstellung
@ Jens. Endlich kapierst du, was jetzt als Folge deiner Einstellungen in 4. passiert: "heraus kommt nun ein bastard von einem text, für den weder dramaturgie noch regie durch das publikum haftbar gemacht werden, sondern einzig der autor, der auf die bühne gezerrt wird wie ein idiot".
Die Damen warten, BN: ... bleibt nicht folgenlos
die produktion am theater wird über das arbeiten in gruppen organisiert. insbesondere die einbindung jener kräfte, deren gruppenzugehörigkeit augenscheinlich fragwürdig ist, ist entscheidend für die frage des erfolges. selbst wenn diese direkt nicht zur gruppe gehörenden, freien arbeiter es möglicherweise gewohnt sind, als "nutte" bezeichnet zu werden, so kann diese art des umganges miteinander tatsächlich nicht ohne folgen bleiben. auch hier unterscheidet sich das theater von der industrie, wo eine qualifikation grundsätzlich als einen wert begriffen wird
Die Damen warten, Bonn: selber machen
Jens, es hilft nichts, Du musst die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen.
Die Damen warten, Bonn: Jens sollte ...
Absolut richtig! Der Jens sollte Intendant werden.
Die Damen warten, Bonn: abwegig
11. Auf Abwegen
Leider haben die Beiträge von Jens&Jens nichts mit dem Stück und seiner Inszenierung in Bonn zu tun. Weder ist das Stück von Sibylle Berg "kopflastig" (ein Schimpfwort, das man von Liebhabern des Boulevard-Theater kennt), noch ist Frau Berg "Hausautorin" des Bonner Theaters. Weder gibt es in Bonn solche Fördervereine noch eine Kultursenatorin, deren Reaktion der Intendant vor der Endabnahme zu antizipieren hätte. Auch wurde die Autorin weder physisch (sie war bei der Premiere gar nicht präsent), noch telepathisch "auf die Bühne gezerrt". Schließlich erscheinen auch die Verallgemeinerungen von "Fabrik" und "Sekundärgewerbe" abwegig.
Paul Tostorf
Die Damen warten, Bonn: Langeweile
@Paul. Nenn es wie du willst: im Stück keine einzige These, die es wert ist, weiter verfolgt zu werden. Der gesamte Abend war verkopft und blöde, zwei Reihen vor mir schlief eine Frau. Die Langeweile war das einzige Thema der Veranstaltung, sie wird von den Kollegen in Bonn seit Jahren erfolgreich gepflegt.
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