Presseschau vom 5. Januar 2013 – Die taz interviewt Andres Veiel zu "Himbeerreich"

Schärfer als die Occupybewegung

Schärfer als die Occupybewegung

5. Januar 2012. "Am Anfang war es mühsam, sie zum Reden zu bekommen", erzählt Andres Veiel im Interview mit Stefan Reinecke von der taz über sein Bankerstück "Himbeerreich", das am 11. Januar in Stuttgart uraufgeführt wird. "Aber das kippte: Manche wollten dann mehrmals mit mir sprechen, weil sie sich rechtfertigen und erklären wollten." Die meisten seiner Gesprächspartner seien mehr als 20 Jahre in Vorständen oder Abteilungsleitungen gewesen und seien heute äußerst kritisch. "Sie urteilen über die Banken schärfer als die Occupy-Bewegung." Ihm sei es darum gegangen herauszufinden, welchen Anteil sie persönlich an dem hätten, was sie jetzt attackieren.

Natürlich spiele individuelle Verantwortung die Schlüsselrolle in diesem System, "nehmen wir konkret den aktuellen Skandal in der Deutschen Bank. Jürgen Fitschen hat die Umsatzsteuererklärung unterschrieben und die Steuerhinterziehung damit gedeckt. Damit trägt er die Verantwortung, egal ob er um die kriminellen Geschäfte wusste oder nicht." Die Justiz könne ermitteln, die Politik könne Regulierungen für Banken beschließen oder abschaffen. "Dieses Finanzsystem wurde mit politischen Entscheidungen bewusst von der Leine gelassen. Es gibt immer Akteure, Entscheidungen, Verantwortung."

Es gebe in den Banken allerdings "unversöhnliche Kulturen". Ihm gehe es in "Himbeerreich" nicht um die Idealisierung der schuldbewussten "Elder Statesmen", die einen Großteil seiner Interviewpartner ausmachen. Die seien nicht moralischer – "sie verkörpern ein anderes Geschäftsmodell mit langfristigen Renditen und Kundenbindungen. Das Kurzfristige, Schnelle, die Bonikultur ist ihnen fremd." Was es früher nicht gegeben habe, sei die die Praxis gewesen, mit Kunden Geschäfte zu machen "und hinterrücks Geld zu verdienen, indem man auf das Scheitern dieses Geschäfts wettet."

Generell gelte in der Finanzwelt: "Man weiß nicht, wem man trauen kann." Schon diese Verunsicherung sei ein Herrschaftsinstrument. Natürlich gebe es kein Superhirn, das die Fäden ziehe, und keine Verschwörung. "Aber es gibt handfeste Interessengruppen, und es geht immer um sehr, sehr viel Geld." Es gebe die Methoden der Mafia, um Störfaktoren loszuwerden, und es gebe "die deutsche Methode". "Die ist subtiler, aber dient dem gleichen Zweck. Pension, Chauffeur und Schweigeverpflichtung sind die Omertà des deutschen Bankensystems. Das ist ziviler und nachhaltiger als das Mafiasystem."

Auf einen "moralischen Aufstand" gegen diese Strukturen hoffe er nicht, aber er glaube, man könne mit vielen kleinen Entscheidungen große beeinflussen. "Wir sind Teil des Systems und daher eben nicht ohnmächtig, wie viele meinen."

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