Presseschau vom 5. Januar 2013 – Die Berliner Zeitung entwirft am Beispiel des Gorki Theaters das prekarisierende "Szenario eines Intendantenwechsels"

Noch mehr Flexibilität

5. Januar 2013. In der Berliner Zeitung beschreibt Birgit Walter das "Szenario eines Intendantenwechsels" am Beispiel des Maxim-Gorki-Theaters.

Die künftige Intendantin Shermin Langhoff habe in einer ersten Betriebsversammlung erklärt, dass sie sich über jeden freue, der mit ihr an dem Haus bleiben wolle. "Doch schon kurz darauf verschickte sie Kündigungen an 50 der 160 Theatermitarbeiter, an die meisten, die kündbar waren." Das habe im Haus Befremden ausgelöst. Birgit Walter schreibt, sie habe mit Shermin Langhoff über diese Irritationen am Theater gesprochen. "Aber bei der Autorisierung des Textes entschloss sie sich, die Verwendung jeglicher Zitate und Inhalte zu verbieten."

Es sei dieses falsche Versprechen, das den Intendantenwechsel von Armin Petras zu Shermin Langhoff in ein ungünstiges Licht rücke, nicht etwa die Kündigungen selbst. "Entlassungen sind üblich am Theater." Darum geht es dann auch im folgenden, dass Kündigungen in der Kunst zur Normalität gehören. "Sie sind so üblich wie in keinem anderen Bereich der Gesellschaft, wo es oft noch Lebensanstellungen gibt und Berechenbarkeit."

Am Theater sei das anders. "Flexibilität und Spielwut bis zum Sarg – dieses Mantra muss ein Schauspieler vor dem ersten Gedanken an diesen Beruf verinnerlichen. Ein Schauspieler hat glänzend dazustehen, auf eine großartige Spielzeit zurückzublicken, in Optimismus zu baden und niemals über schlechte Gagen zu klagen." "Es läuft nicht wie auf der Insel der Seligen, sondern es richtet sich nach den Regeln des Kapitalismus. Und wir hier machen einfach mit", zitiert Walter den Noch-Gorki-Intendanten Petras.

Und stellt dann mehrere, auf unterschiedliche Weise von dem Intendanzwechsel betroffene Gorki-Mitarbeiter vor:

Den Schauspieler Gunnar Teuber: "Er weiß, was er kann, weiß, dass er ohne Petras keinesfalls am Gorki bleiben will, nur was er stattdessen will, das weiß er noch nicht. Er sagt, so ein Endpunkt wie dieser sei gar nicht schlecht, zwinge zur Neuorientierung, er habe schon Lust auf etwas Neues."

Die Theaterpädagogin Jana Panskus, die nicht gekündigt worden ist und sagt: "Ich finde es toll, dass mal eine Frau Intendantin wird, zumal eine mit türkischen Wurzeln, ein gutes Signal aus Berlin." Trotzdem sei der Wechsel angstbehaftet, gerade weil es sich hier alles glänzend entwickelt habe, "weil wir so ein tolles Team geworden sind, kollegial, hochengagiert, freundlich". Als die Kündigungen gekommen seien, habe sie gedacht: "Was für ein grauenhaftes System, warum machen wir da mit? Aber es ist ein Dilemma, für das es keine Lösung gibt. Das System muss so sein, ein Intendant kann nur mit seinen Schauspielern arbeiten – sie sind der Stoff, aus dem die Kunst besteht."

Auch Jens Gebhardt, Chef der Requisite, ist nicht gekündigt worden - weil er unkündbar ist, geschützt durch mehr als 15 Dienstjahre. So habe er nur eine Kollegin aus seiner kleinen Abteilung eingebüßt und könne sich weiter "wie ein Fossil" fühlen an "seinem" Theater, "an dem er schon gelernt hat und das für ihn eine solche Heimat ist, wie sie es für die meisten nie werden kann".

Schließlich Maja Thiesen aus dem künstlerischen Betriebsbüro, alleinerziehende Mutter, die eine Kündigung erhalten hat und sagt: "Klar, am Anfang ist man jung und enthusiastisch, lebt den Job, arbeitet immer am Limit. Niemand schaut auf die Uhr bei der Arbeit. Und jetzt, wo ich weniger flexibel werde, sortiert mich das gerne so kapitalismuskritische Theater aus – auch aus finanziellen Gründen."

Am Ende weitet Birgit Walter den Blick ins Generelle: "Schauspieler, Künstler überhaupt, führen das Leben, das für uns alle vorgesehen ist." Gerade erst habe die Politik nach noch mehr Flexibilität und noch mehr befristeten Verträgen verlangt. Die Arbeit solle noch effizienter werden, damit noch leichter aussortiert werden könne.

(sd)

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