Schlupfwespe am Mittelmeer

von Marcus Hladek

Frankfurt, 19. Januar 2013. 1954 von Patricia Highsmith erdacht, ist Tom Ripley, Highsmith' Held in fünf Romanen, ein Zeitgenosse Felix Krulls, mit dem er die Hochstapelei, das Aufsteigertum, die sympathische Amoral und den homosexuellen Subtext teilt. Wer ihn charakterisiert, bekommt Probleme, ist er doch mehr Virus als Charakter.

Von einem amerikanischen Werftbesitzer als vermeintlicher Freund zur Rettung des untalentierten Künstlerbohemien-Sohnes nach Italien entsandt, schleicht sich Ripley wie ein chamäleongleicher Körperfresser ins Leben dieses Dickie Greenleaf und seiner Freundin Marge ein. Dann, in seiner Chance auf ein besseres Leben bedroht, tötet er ihn kurzerhand und ersetzt ihn mit Hilfe von Pass und Geld und Anonymität. Sein Schlupfwespen-Verhalten weist aus heutiger Sicht weniger auf Thomas Manns Ironie zurück, als vielmehr auf die Alien-Erfahrungen von Sigourney Weavers dritter Offizierin Ripley auf dem Raumschiff "Nostromo" voraus.

mr ripley 02 560 birgit hupfeld uChristoph Pütthoff als Tom Ripley und Marcus Hoscha als Double © Birgit Hupfeld

Drahtseilakt in Wort und Bild

An der Bühnenvision von Bastian Kraft und dessen Ausstatter Ben Baur fällt die junge Besetzung in Ensemble und Team auf, die dem Material der Geschichte so konform ist wie das Jazzige der musikalischen Bildertrenner (Musik: Björn SC Deigner) und des szenischen Rhythmus im Ganzen. Weckt Ripleys Drahtseilakt zwischen Anpassung und Verbrechen, Einfühlung und Soziopathie schon Sympathien, so finden Kraft/Baur die überzeugendste Umsetzung hierfür, indem sie den Großteil des Geschehens auf einem fußbreiten, erhöhten, in wechselnden zirkusmäßigen Farben leuchtenden Balken stattfinden lassen, der Teil des rechteckigen Bühnen- und Theaterrahmens in der Bühnenmitte ist.

Das ständige Gleichgewichthalten auf dieser Anti-Spielfläche, zwischen dem Vorhang zum Saal und dem hinteren Pendant vor der das Publikum doppelnden Sitzreihe, kennt nur einen Meister: Ripley. Christian Pütthoff, äußerlich ein wenig an Klaus Maria Brandauer erinnernd und als unauffälliges Schauspiel-Chamäleon an sich schon Ripley-esk, zeigt seine Figur im Prozess der Selbstentdeckung: in der Spanne zwischen demütigem Papagei auf der Stange, Kletterkünstler und Seiltanzvirtuosen im sozialem Drahseilakt. Linker- wie rechterseits, zwischen eigenem und angeeignetem Ich, Recht und Verbrechen, Duckmäusertum und Kühnheit, immerzu vom Absturz bedroht, hat er als einziger den Auf- und Durchblick durch den Rahmen sozialer Konventionen und ist den anderen darin so überlegen wie ein dreidimensionales Wesen in einer zweidimensinalen Welt. Pütthoff zeigt das gekonnt.

mr ripley 12 280 birgit hupfeld uMaren Eggert am Mikro © Birgit Hupfeld

Mit Yachtclub-Flair

Eröffnet und beschlossen wird dies Spiel, das zusätzlich als solches markiert wird, weil Darsteller beiseitetretend aufs Stichwort warten oder sich an Garderobespiegeln links und rechts umkostümieren, von Maren Eggert als Sängerin, die im langen Abendkleid und roter Perücke ihre musikalischen Erfahrungen mit "Erdmöbel" fruchtbar machen kann. Natürlich ist sie vom Deutschen Theater Berlin an die Koproduktion entliehen und einem breiteren (Fernseh-)Publikum durch "Tatort"-Krimis bekannt. Noch mehr denn als Sängerin glänzt sie in der Rolle der Marge, Dickies junge schlanke Schriftstellerfreundin an der Schreibmaschine und im sommerlich-leichten weißen Hemdchen. Gemeinsam mit dem Greenleaf von Daniel Hoevels (ebenfalls vom DT und JFK-haft als reicher Sohn mit Yachtclub-Flair kostümiert) verkörpert sie das sonnig-mittelmeerische Bohèmeleben der fünfziger Jahre. Und als einzige durchschaut sie Ripley, ist ihm aber gleichwohl nicht gewachsen – Eggerts zaudernde Art macht das sinnfällig.

Gespielt wird verknappt realistisch, wobei Stefan Schießeder in der geckenhaft-bunten Streifenjacke mit Fliege und Freundschaftsritualen Dickies Kumpel Freddie gibt, aber auch als italienischer Polizist im Fünfziger-Mantel und Hut und lockerer US-Privatdetektiv Ripley auf den Leim geht. Das atemlose Staunen darüber, wie letzterer mit allem durchkommt, verdankt sich nicht zuletzt Schießeder, der es von beiden Polen her ermöglicht: zutiefst argwöhnisch als Freddie, arglos als doppelter Ermittler. Eine routinierte, handwerklich gute, darstellerisch überzeugende Regiearbeit aus der ewigen Liste von Romanbearbeitungen nach populären Stoffen, die freilich nie zu ganz großen, meteorhaften Erleuchtungszuständen der Bühnenkunst hinreißt.


Der talentierte Mr. Ripley
nach Patricia Highsmith
In einer Fassung von Bastian Kraft, aus dem Englischen von Melanie Walz
Regie: Bastian Kraft, Bühne und Kostüme: Ben Baur, Musik: Björn SC Deigner, Dramaturgie: Martina Grohmann, Anika Steinhoff.
Mit: Christoph Pütthoff, Maren Eggert, Daniel Hoevels, Stefan Schiessleder, Marcus Hosch.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

Eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin
www.schauspielfrankfurt.de
www.deutschestheater.de


Zuletzt sah nachtkritik.de Der talentierte Mr. Ripley 2011 an der Berliner Schaubühne, inszeniert von Jan-Christoph Gockel.


Kritikenrundschau

Man könne "diesem kalten, unterhaltsamen Abend höchstens vorwerfen, zu plausibel zu sein", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (21.1.2013), wobei dieser Vorwurf auch auf den Roman zutreffe. Krafts Inszenierung überzeugt die Kritikerin vor allem durch die Besetzung der Hauptfiguren mit Pütthoff, Eggert und Hoevels. Zweckmäßig zweidimensional sei das Bühnenbild als "schmaler Grat, auf dem sich Ripleys Leben vornehmlich abspielt". Kraft zeige Ripley "in erster Linie als einen Bedrängten und Gepressten und mit Mühe Entrinnenden". Dass der Inszenierung die "Tiefendimension fehlt, stört noch weniger als in Krafts gedrosselter Frankfurter 'Traumnovelle'. Eine Auslotung bringt nichts, wenn es um Fassaden geht". Im Ganzen zeige dieser Abend "auch in einem 1980 geborenen Regisseur schon den Routinier".

In der Gießener Allgemeinen Zeitung (21.1.2013) schreibt Marion Schwarzmann: Kraft müsse gegenüber den Filmbearbeitungen des Mr.-Ripley-Romans "zwangsläufig den Kürzeren ziehen, dürfte doch vielen Zuschauern der Stoff hinlänglich bekannt sein, sodass das Ende sie nicht mehr überraschen kann." Gleichwohl nutze Kraft "geschickt das Medium Film" durch seine Videoarbeit und lasse die Akteure im "überdimensionalen Bilderrahmen" einen "Balanceakt durchs diffizile Geschehen" vollführen. Björn SC Deigner habe dazu "einen stimmigen Klangteppich" entworfen.

"Ein kluges Verwirrspiel, dem man sich gern aussetzt", habe Kraft mit seiner filmischen Bühnenarbeit geschaffen, schreibt Shirin Sojitrawalla in der Allgemeinen Zeitung der Rhein Main Presse (21.1.2013). Christoph Pütthoff spiele den Ripley "mit Schalk und Witz, ohne die traurigen Momente dieser Existenz zu vergessen". So gelinge es dem Abend, "abgesehen von ein paar langen Momenten, vom fabelhaften Aufstieg dieses unverwüstlichen Mannes zu erzählen, ohne die psychologische Raffinesse und den hohen Unterhaltungswert des Romans zu vernachlässigen".

 

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