"Ich versuch' gerade, sexy auszusehen"

von Falk Schreiber

Hamburg, 25. Januar 2013. Die Bühne ist dunkel und leer, nur ganz hinten leuchtet eine Tür. Eine Tür, durch die Leporello tritt, Mirco Kreibich als charmant derangierte Rokokogestalt, Perücke, Puder, leicht runtergerittener Rock. Kreibich schlendert an die Rampe, und dort macht er sich erstmal locker: Er trällert. "Blablablablabla … Flaflaflaflafla", Stimmübungen zur Melodie von "Reich mir die Hand, mein Leben", dann fordert er das Publikum auf  mitzusingen, und dann dirigiert er einen riesigen Chor. Zehn Minuten geht das so, und das ist ungefähr neun Minuten über die Nervgrenze hinaus.

Antú Romero Nunes hat Mozarts "Don Giovanni" am Hamburger Thalia Theater inszeniert, eine Oper an einem Sprechtheater, was ungewöhnlicher klingt als es ist. Die Berliner Volksbühne etwa versuchte vor einigen Jahren, mit einer Hinwendung zur Oper der eigenen Kreativitätskrise zu entkommen, und auch das Thalia hat mit Woyzeck von Tom Waits, Kathleen Brennan und Robert Wilson einen Musiktheater-Versuch im Repertoire.

"Ich bin keine Witzfigur! Capito?"

Aber Mozart ist im Vergleich doch ein anderer Schnack, und Nunes tut nicht einmal so, als ob er in einer Liga mit spezialisierten Opernhäusern spielen möchte: Die Partitur ließ er von Johannes Hofmann radikal umschreiben, statt einem Orchester gibt es eine siebenköpfige Frauenband um die Hamburger Sängerin Catharina Boutari, die die bekannten Opernmelodien zu einem mal mitreißenden, mal platten Chanson-Punk-Vaudeville-Mozart gerinnen lässt. Und das Thalia-Ensemble, naja, das ist schon bei Stimme, aber natürlich ist es nicht bei Opernstimme, nimmt stattdessen die Vorlage als Anlass für hemmungsloses Geschrei und trifft damit eigentlich recht gut Nunes' Mozart-Verständnis. "Mozart zu singen macht glücklich!", verrät der Regisseur im Programmheft. "Und dabei ist es übrigens egal, ob man richtig oder falsch singt."

DonGiovanni 560 ArminSmailovic hWitzfiguren und erotische Posen: "Don Giovanni" am Thalia Theater © Armin Smailovic

Die Inszenierung hat also durchaus eine Vorstellung davon, was sie für ein Verhältnis zur Oper aufbauen möchte, allein: Im Zwischenreich zwischen Schauspiel und Gesang kommt sie nicht auf die Idee, auch ein Verhältnis zu ihren Protagonisten zu entwickeln. "Ich bin keine Witzfigur! Capito?" brüllt Masetto an einer Stelle, aber, Entschuldigung, so wie Bruno Cathomas den gehörnten Bräutigam anlegt, ist er eben genau das: eine Witzfigur.

Libertins und Liberale

Und nicht nur er, alle Figuren sind eigentlich nur bis zur nächsten Pointe ausgearbeitet. Mit Ausnahme vielleicht von Kreibichs Leporello, der gebrochen erscheint, als jemand, der tatsächlich unter den Eskapaden Don Giovannis leidet, sowie der im Grunde einzig echten Witzfigur des Stücks, Don Ottavio. André Szymanski lässt diese Nebenrolle so ergreifend ihre Liebe auseinanderdividieren, dass man sich schon fragt, warum Maja Schönes Donna Anna ihn eigentlich nicht will, sondern Don Giovanni verfällt. Sebastian Zimmler jedenfalls stolziert als Objekt der Begierde pfauenhaft über die Bühne und mault Leporello an, als klar wird, dass das mit den erotischen Posen vielleicht nicht so problemlos hinhaut, wie geplant: "Mann! Ich versuch' gerade, sexy auszusehen!"

Erotik ist ein zweischneidiges Schwert, das hat man insbesondere am Thalia schon mehrfach durchdekliniert, zuletzt in einem abgründigen Sommernachtstraum von Stefan Pucher. Dass die Grenzen zwischen Verführung, Anmache und Übergriff immer wieder neu verhandelt werden müssen, ist eigentlich auch ein Thema in "Don Giovanni", nur interessiert es diese Inszenierung anscheinend nicht. Sicher, Don Giovanni ist bei Mozart ein Libertin, und Rainer Brüderle ist nur ein Liberaler, das ist ein Gegensatz, den man gar nicht unbedingt thematisieren muss, nur: Wer Don Giovanni bei Nunes ist, das bleibt im Dunkeln. Er ist der Typ, der irgendwie alle Frauen ins Bett bekommt, aber wie er das schafft, ach, whatever.

Hinterm Eisernen Vorhang passiert's

Was nicht heißen soll, dass dieser "Don Giovanni" nicht handwerklich tadellos wäre, im Gegenteil. Nunes baut mit minimalen Mitteln (Florian Lösches Bühne besteht eigentlich nur aus raffiniert angeordneten Scheinwerfern) beeindruckende Bilder, und wo einen die Geschichten der Protagonisten nicht bei der Stange halten, da machen es die klug eingestreuten Respektlosigkeiten. Mit Charme und Chuzpe lässt die Regie selbst die Pause überspielen – zwar senkt sich der Eiserne Vorhang, aber man ahnt: Dahinter passiert was, dahinter werden die wirklich spannenden Dinge angegangen.

Und vielleicht ist dieses Bild symptomatisch für die gesamte Inszenierung: Man ist gut unterhalten, aber etwas fehlt. Irgendwie scheint Nunes zu wissen, dass sich in diesem Stück wichtige Fragen verbergen, aber er gibt höchstens Hinweise auf diese Fragen, konkret stellen will er sie nicht. Geschweige denn Antworten geben.

 

Don Giovanni. Die letzte Party
nach Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo da Ponte
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Johannes Hofmann, Dramaturgie: Sandra Küpper.
Mit: Bruno Cathomas, Mirco Kreibich, Karin Neuhäuser, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne, Cathérine Seifert, André Szymanski, Sebastian Zimmler sowie Live-Band
Dauer: 2 Stunden 25 Minuten, eine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

"Manchmal denkt man einer Animation in einem Touristenclub folgen zu müssen", sagt Bernhard Doppler im Deutschlandradio Kultur Fazit (25.1.2013). Insgesamt würden aber viele vertraute Szenen aus Mozarts Oper "überraschend prägnant" und zeigten eindrucksvoll theatralische Komik. Etwas unfertig scheinen dem Radiorezensenten noch der zweite Teil und das schnelle Finale zu sein – "aber die große komödiantische Energie der Darsteller reißt mit." Und wenn man auch zunächst staune, wie schnell und bereitwillig das Publikum in Nunes Mitmachtheater mitspielt – "gehört am Ende ein Teil des Publikums zur Inszenierung?" –, am Ende sei das Vergnügen über eine große lustvolle Theaterparty allgemein.

"Es braucht für einen 30 Jahre jungen Regisseur ohne Angst vor Fallhöhe nur die Aufrichtigkeit, über den Genius des damals Gleichaltrigen zu staunen und zu sagen: Mozart. Alter, woher weißt du das alles? Woher holst du das alles?", schreibt Joachim Mischke im Hamburger Abendblatt (28.1.2013). Nunes' "Freestyle-Textfassung" sei "ebenso amüsant wie direkt", die Inszenierung eine "Trieb-Jagd", ein "Stellungsspiel sehr frei nach Mozart". "Herz und Schmerz waren in den zweieinhalb Stunden raffiniert verteilt auf das zu Recht gefeierte Ensemble." Die seichten Stellen des Abends allerdings seien so gut erkennbar gewesen, "dass man sich nur wundern kann, wieso sie diesem lässig-scharfsinnigen Regisseur nicht auch direkt aufgefallen sind." Hier und da sei die Witzelfreude mit Nunes durchgegangen; "und auch das seltsam unausgegoren weggewedelte kurze Finale wirkte eher wie ein erster Entwurf für ein tragendes Konzept."

"Nunes' Inszenierung hat tatsächlich die Leichtigkeit eines Festes, das bei allem Einfallsreichtum nie sein Thema aus den Augen verliert," schreibt Samuel Moon in der taz (30.1.2013). Der Zuschauer könne an sich selbst etwas von der ambivalenten Kraft der Verführung erfahren. Umgehend nämlich verwandele sich das Hamburger Publikum zu einem lautstarken Chor und singe Don Giovannis Einsingübungen nach. Damit stellt sich für den Kritiker "eine gesangliche Gleichstellung" ein und auch "eine entwaffnende Augenhöhe zwischen Darsteller und Publikum. Die Schauspieler werden nicht viel besser singen als ihr Publikum, aber sie werden es genauso lustvoll tun. Inszenatorisch ist das eine simple, aber keineswegs banale Idee." Nunes' Inszenierung habe viele Kunstgriffe dieser Art parat. "Als Don Giovanni kurz vor der Pause 100 Frauen aus dem Premierenpublikum auf die Bühne lud, um seine letzte Party zu feiern, standen die Damen tatsächlich Schlange."

In der Süddeutschen Zeitung (31.1.2013) rechnet Till Briegleb aus gegebenem Anlass mit der Ironie auf den Bühnen ab. Denn sie werde nur noch eingesetzt, "um sich selbst vom Stoff, den man spielt, zu distanzieren und möglichst jede Aussage oder inhaltliche Festlegung zu vermeiden." Merkbar würde dies vor allem am ironischen Tonfall. "Diese nervtötende Manier, bereits mit der ersten Silbe zu betonen, dass bitte nichts ernst zu nehmen sei, wird umso schmalspuriger, je größer der Stoff ist, den man damit erniedrigt." Und so also auch bei Nunes, bei dessen Inszenierung eine "kapitale Unterversorgung mit Text, Tragik und Tiefsinn aber offensichtlich Konzept ist". Diese Art von ironischer Unterhaltung sei wie eine Welt, in der alle nur noch in Unterwäsche herumlaufen: "Jede Handlung, egal welche Schwere sie eigentlich besitzt, wirkt plötzlich ordinär."

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