Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern - Annegret Hahn inszeniert Peter Hacks' Dichter-und Denker-Schwank in Neubrandenburg
Geben Sie Räume für Kunst, Sire
von Christian Rakow
Neubrandenburg, 26. Januar 2013. "Provinz … Mich kann das Wort nicht stören. / Manche zwar möchtens ungern hören. / Plundersweilern ward oft schon hingestellt / Als langweiligste Stadt der Welt." In einer kleinen Kreisstadt wie Neubrandenburg, in einem gerademal 200 Plätze fassenden Schauspielsaal haben solche Verse ihren eigenen Charme. Hier im äußersten Nordosten kann man der Provinz-Frotzelei aus Peter Hacks' Goethe-Bearbeitung "Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" noch hinterher zwinkern, es gebe auch noch langweiligere Städte: Neustrelitz. Das ist der Ort, mit dem das Neubrandenburger Theater seit geraumer Zeit fusioniert ist. Die neue Schauspielleitung dieses Verbunds bekleidet seit dieser Saison der altgediente Anklamer Intendant Wolfgang Bordel in Personalunion. Multitasking auf Mecklenburgisch.
Künstler gegen die Mächtigen
1975 kam Peter Hacks' Bearbeitung des gleichnamigen Schwanks von Goethe "Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" am Deutschen Theater Berlin zur Uraufführung. Hacks bietet in seinem Jahrmarkt-Setting einen bunten Aufmarsch von Plebejern, die in winzigen Episoden mal mehr, mal weniger deutlich bei der kommunalen Obrigkeit anecken. Nebenher bestaunt das Volk eine Schausteller-Truppe, die einen Bibelstoff (AT, Buch Esther) auf die Bühne bringt: Es geht um eine Intrige am Hofe des persischen Königs Ahasveros. Haman, der Berater des Königs, will den Juden Mardochai aus dem Weg schaffen. Sein Argument gegen den zur Poesie begabten Juden: "Auf Dinge, die nicht sind, geht stets des Dichters Trachten. / Wie soll man derlei Volk für zuverlässig achten?" Idealisten sind dem höfischen Strategen verdächtig.
In allem Possenhaften hat Hacks also eine Apologie für Schriftsteller, Intellektuelle und Utopisten gegen die Übergriffe der politischen Macht versteckt. Ein "Geben Sie Gedankenfreiheit!" weht durch seine Reime, anno 1975 der SED-Führung entgegen. Gute drei Dekaden und einen Systemwechsel später ist aus dieser Forderung bei Regisseurin Annegret Hahn in Neubrandenburg ein "Geben Sie Räume für Kunst!" geworden. In zwei Texteinschüben wird auf die verheerende Kulturkürzungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern und – darüber hinaus – auf die bundesweite neoliberale Kulturinfarkt-Kampagne angespielt. Hahn weiß, wovon sie redet. Das Thalia Theater Halle, dem sie bis 2012 als Leiterin vorstand (Meldung vom Mai 2012), ist jüngst als eigenständige Spielstätte abgewickelt worden.
Mehr Kostümfest als Comedia
Leider hat die Inszenierung diesen ganzen Ballast nicht in einen reichen Köcher voll gefiederter Giftpfeile verwandeln können. Amanda Fiedermann, Florian Schmiemann und Christian Sengewald verkörpern das gute Dutzend Rollen, stecken mal unter Schwellkopfmasken, reiten ein andermal auf Stoff-Flamingos daher. Aber selten wird das Spiel so grell wie der Kostümplunder von Ausstatterin Cornelia Ohlendorf. Nach zwei Dritteln des zweistündigen Abends reißt Florian Schmiemann das Publikum erstmals zu echten Begeisterungswallungen hin: als ein verhinderter und leicht behinderter Studierzimmer-Poet mit Sprachfehler, dem irgendwie die Zunge hinter den Schneidezähnen festgeklebt zu sein scheint.
Mehr "Comedia" ist dann aber auch nicht. Stattdessen Stochern im Nebel der diversen Figurenauftritte; das Thema "Die Künstler gegen die Mächtigen" verliert sich im Vagen, Hacks' klappernd-klassizistische Reime rauschen im Stile der Büttenrede vorüber. Und das, wo die Faschingszeit noch gar nicht begonnen hat.
Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern
von Peter Hacks nach Johann Wolfgang Goethe
Regie: Annegret Hahn, Ausstattung: Cornelia Ohlendorf, Musikalische Einstudierung: Philipp Pleßmann.
Mit: Amanda Fiedermann, Florian Schmiemann, Christian Sengewald (Premierenbesetzung) / Michael Goralczyk (alternative Besetzung)
Dauer: 2 Stunden, eine Pause
www.theater-und-orchester.de
Annegret Hahn inszeniere Hacks' Text "als Huldigung an den Formen- und Sinnesreichtum des Theaters", schreibt Susanne Schulz im Nordkurier (28.1.2013). Die Hinzufügung von Anspielungen dürfe dem Stück "allemal zuteil werden – lässt es doch schon der Meister geschliffener Sprache nicht fehlen an Anspielungen auf all die Scheinheiligkeit, die seinem Metier zuteil wird." Doch vor allem sei das "Jahrmarktsfest" "eine Aufgabe für spiellaunige Mimen", von denen vor allem Christian Sengewald sein "spielerisches Spektrum einzusetzen wisse". Als "Herz der Inszenierung" entpuppe sich "die von Ausstatterin Cornelia Ohlendorf in Kostüme und Masken gesetzte Opulenz", die "nicht nur für den doppelten Boden manch launiger Spiel-Idee, sondern auch für Seh-Genuss" sorge.
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