Sogar in Afrika

von Willibald Spatz

Augsburg, 4. Februar 2013. Wenn dieses Brechtfestival so weiter macht, wird es zu einem Meta-Festival. Seit man in Augsburg der Meinung ist, man müsse den berühmten Dichter, der hier geboren ist, feiern, wird gemault: Den einen ist die Veranstaltung zu teuer, den anderen kommen zu wenig Besucher, den nächsten zu viele. Manchen ist das Fest zu regional und manchen zu international. Und dann gibt es diejenigen, die sich erst recht darüber freuen, weil sich so viele darüber dermaßen ärgern können. Für die ist das wichtigste Thema des Festivals das Festival selbst.

Das Sensemble Theater

Sebastian Seidel ist ohne Übertreibung einer der wichtigsten Macher der Augsburger freien Szene. Seit 2000 existiert das Sensemble Theater Augsburg. Unter seiner Leitung hat er dort unermüdlich selbst geschriebene Stücke herausgebracht, fremde inszeniert und darüber hinaus eine Plattform geschaffen für diverse experimentelle Formate. Seine Werke werden auch von anderen Bühnen gespielt, auf diese Weise vernetzt er sich mit Theatermachern weit jenseits der Augsburger Stadtgrenzen. Als wichtiger lokaler Kulturschaffender ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er auch 2013 einen Beitrag zum Brecht-Festival abliefert.

"Enemy Alien Brecht" wurde nur ein einziges Mal gezeigt und auch diese Aufführung wäre beinahe nicht zustande gekommen, denn Sebastian Seidel, auch hier Autor und Regisseur, wurde krank. Anne Schuester, seine Frau, und Regieassistentin Gianna Formicone sprangen ein und führten die Proben weiter. Kurz vor der Premiere musste dann noch der Brecht-Forscher Jan Knopf, der einen wichtigen Part als Gast übernehmen sollte, ins Krankenhaus. Auch hier fand sich eine Lösung.

Ein Dichter-Verhör

Überhaupt sind der Inszenierung die widrigen Umstände nicht anzusehen. Im Gegenteil. Die Darsteller legen eine unbändige Energie an den Tag, so als ob sie es jetzt erst recht allen zeigen wollten. Ralph Jung spielt einen Vorsitzenden, der einen über die gesamte Spieldauer dasitzenden Florian Fisch als Brecht verhört. Doch je mehr er den toten Dichter in die Zange nimmt, je mehr er sich in Rage bringt, desto mehr entzieht dieser sich – dem Vorsitzenden und auch uns Zuschauern. Ralph Jung zerfetzt die auf einer Tischplatte aufgereihten Bücher Brechts, will Brecht als Kommunisten entlarven. Und der entgegnet nur: "Lesen Sie meine Bücher." Der Vorsitzende verzweifelt, er schreit und tobt. Es hilft ihm nichts.

EnemyAlienBrecht2 560 SensembleTheater uIm Ausschuss für unliterarische Umtriebe: Florian Fisch und Ralph Jung © Sensemble Theater

Das Verlesen kritischer Press'kommentare zum letztjährigen Brechtfestival verschafft eine gewisse Genugtuung. Da regt sich ein Kritiker über einen Bücherstand bei einer Festivalveranstaltung auf, weil das verstaubt sei. Der Buchhändler, der den Stand seinerzeit aufgestellt hat, heißt Kurt Idrizovic; er wird als Zeuge auf die Bühne gestellt, er findet es nicht falsch, einen Bücherstand aufzustellen bei einem Festival, das einem Dichter gewidmet ist. Er findet es sogar so selbstverständlich wie das Reichen von Wurstsemmeln bei einer Metzgerversammlung.

Bis zur Radikalverniedlichung

Mit diesem Auftritt beginnt eine Rechthaberei auf der Bühne, die auch aufs Publikum überspringen soll, weil ja alle, die hier sind, schon mehr von Brecht verstanden haben als die anderen, die immer noch motzen. Auch dem Brecht-Biographen Jan Knopf sollten live Fragen gestellt werden, er hat sie schriftlich beantwortet, der Schauspieler Jörg Schur liest die Antworten vor nach einem kurzen Hin und Her, ob er denn nun als Jan Knopf oder Jörg Schur oder als Schauspieler Jörg Schur, der Jan Knopf spielt, antritt. Sozusagen Verfremdung. Brecht und Theater und so weiter. Vor allem lustig geht's weiter, süffisant, alle inzwischen auf einer Seite, auf der unseres Brechts, der so ungreifbar wie unangreifbar ist.

Was als hübsche Theater-Idee begann, verkommt zusehends zu einer Kabarett-Veranstaltung, bei der man ununterbrochen seine Sicht auf die Literatur und die Welt bestätigt bekommt. Wenn nicht der Vorsitzende hin und wieder die Erklärung, die Brecht immer wieder verlesen will, wütend zerreißen würde, vergäße man beinahe den ernsthaften Hintergrund: Brecht wurde ja in den USA als "Enemy Alien" bezeichnet und verdächtigt, Kommunist zu sein. Später ging er sogar in die DDR.

Das mit dem Zerreißen der Erklärung ist ein Running Gag. Am Schluss darf er sie nämlich vorlesen. Und was macht er? Er holt eine kleine Spieluhr heraus, die das Lied mit dem Haifisch kann. Bevor wir allerdings entscheiden müssen, ob der Brecht neben all der Schmeichelei diese Radikalverniedlichung auch noch verdient hat, startet ein Video: Sogar irgendwo in Afrika singen sie das Solidaritätslied Brechts. Danach ist dann Schluss, und es ist wirklich gut so.


Enemy Alien Brecht
von Sebastian Seidel
Konzept und Plagiate: Sebastian Seidel, Sounds and Visuals: Eric Zwang-Eriksson, Assistenz und Technik: Gianna Formicone, Mitarbeit: Anne Schuester.
Mit: Florian Fisch und Ralph Jung, Special guests: Kurt Idrizovic, Jan Knopf.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.brechtfestival.de
www.sensemble.de
www.theater-augsburg.de


Letztes Jahr beim Brechtfestival gab es in Augsburg u.a. Brechts Kaukasischen Kreidekreis (Regie: David Benjamin Brückel) und Schillers Die Räuber (Regie: Fabian Adler) zu sehen.

 

Kritikenrundschau

"Zwischendurch vergnüglich, insgesamt wenig erhellend," schreibt Frank Heindl vom Internetportal Die Augsburger Zeitung (6.2.2013). Denn so unkonkret wie Sebastian Seidel Brecht nun präsentiere, sei dieser nun doch nicht gewesen – "durchaus möglich aber, dass das Augsburger Festival diesen Mythos zu befördern hilft." Dass Brecht in Ausburg als feindlicher Ausländer gegolten habe, sei lange her. Heute scheine er eher zu jedermanns Freund stilisiert zu werden. "Diesem Gedanken hätte man ein paar prächtige Brecht-Zitate entgegenhalten können." Seidels Stück aber kämpfe mit Pappkameraden, führe eine neue Ebene in eine Debatte ein, die doch eh bereits Metaebene sei, diskutiere über die Diskussion der Diskussion. "Was dabei herauskommt, ist Klamauk".

 

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