Schiffbrüchiger Roulettetisch

von Tobias Prüwer

Leipzig, 28. Februar 2013. Nüscht geht mehr: Welche Institution verkörpert die westlichen Werte am besten? Es ist die Spielbank, darin sind sich Fjodor Dostojewskij und Jean-Luc Godard einig. In "Die Spieler" geht Regisseur Frank Heuel ihren Entdeckungen nach und verwandelt die Leipziger Schaubühne Lindenfels ins Casino der havarierten Costa Concordia. Spieler, Publikum und Personal treffen im Schiffsbauch aufeinander. Ihre Begegnungen und das gemeinsame Glücksspiel fordern gehörigen Einsatz. Die Gewinnbilanz indes fällt zugunsten der Bank aus. Denn das Vabanquespiel dieses Theaterabends geht nicht ganz auf.

"Welcher Spielertyp sind sie?"

Beim Eintritt in diese Spielhölle erhält jeder Zuschauer eine orange-schreiende Signalweste und die Anweisung, sie anzuziehen. Dann betritt die Gruppe von rund 40 Personen einen kleinen Kinosaal, wo auf der Leinwand die Sicherheitshinweise abgespult werden. "Theater + Kino = Schiffe, die sich Nachts begegnen" ist zu lesen, bevor die Gruppe in den Bauch des imaginären Schiffes weitergeleitet wird. Zwei Podeste sind hier in der Saalmitte aufgebaut, am Rand stehen drei Kabinen. Dann passiert zunächst: Nichts. Das Setting erinnert an den programmatischen Auftakt vor einem Jahr, als das Kulturhaus mit Ein Neunundzwanzigster Februar seinen neuen Theaterschwerpunkt begründete. Auch damals besaßen die Besucher aktiven Teilnehmerstatus und mussten partizipieren. Das geschah in intimen, aber keinesfalls blamablen Einzelsituationen. "Die Spieler" überträgt das Konzept auf die Gruppenkonstellation.

die spieler2 560 nn u© Schaubühne LindenfelsDie am letzten Februartag 2012 erreichte berührende Unmittelbarkeit, das vorweg, erreicht der neue Mitmachtheater-Light-Abend nicht. Zwei Männer und eine Frau erscheinen plötzlich aus den Schiffskajüten. Sie verteilen Jetons und rufen zum Zocken auf. Bedienste mit Black-Jack- und Roulettetisch-Bauchläden stehen dafür bereit, der ganze Saal ist Spielfläche. Die Darsteller versuchen, die Zuschauer in lose Gespräche zu verstricken. "Brauchen sie nicht auch manchmal mehr Geld?" - "Welcher Spielertyp sind sie?" – "Ich war noch nie ein Spieler, dafür fehlte mir immer der Ehrgeiz", lässt mein Nachbar wissen. Damit bringt er die gesamte Inszenierung auf den Punkt. Denn Trotz – oder wegen – der Ambitioniertheit will sich eine unverfängliche Situation nicht einstellen. Auch als sich die Zuschauer auf ein rings um den Spielflächenrand gespanntes, nummeriertes Band setzen und somit selbst zum Wetteinsatz werden, nimmt der Eindruck des Gekünstelten nicht ab. Existenziell wird es nicht, wenn hier das ganze Leben zum Roulette erklärt wird. Einige Zuschauer pellen das Innere aus den als Jetons herhaltenden Schokotalern und schieben es in den Mund.

In Signal-Orange auf dem Abstellgleis
Mehr und mehr flechten sich nun Dostojewskij-Dialoge um die unglückliche Beziehung zwischen Aleksej und Polina aus "Die Spieler" ins Dargebotene. Nach einem weiteren Positionswechsel, um die zwei Podeste werden Kissen und Liegestühle drapiert, nimmt das Publikum auf einer unbequemen Treppe am Rande Platz und folgt längeren konzentrierten Sprechtheaterszenen, ohne weiter einbezogen zu werden. Dadurch fällt der Abend abrupt in zwei Teile, von dem der zweite der zähere ist. Sollte man vorher über sich selbst nachdenken, irgendwie direkt berührt werden, so findet man sich nun in einer traditionellen Sprechtheatersituation wieder, in der reduziert ein Klassiker gegeben wird. In Signal-Orange auf dem Abstellgleis fühlt man sich irgendwie albern.

Warum Regisseur Heuel mittendrin vom zuschauerintegrativen Ansatz, der zuvor als konzeptionelle Klammer der Schaubühneninszenierungen präsentiert wurde, abweicht, erschließt sich nicht. Dieses weiterzuverfolgen und über die Inszenierungsdauer zu intensivieren, wäre der bessere Weg gewesen. Dann hätte sich vielleicht jene Unmittelbarkeit des vergangenen Jahres wieder eingestellt, die Zuschauer und Schauspieler direkt zusammenbringt und die jeweilige Rollenposition sprengt. Diese Chance verschenkt der Abend nach einer immerhin vergnüglich-kurzweiligen ersten Hälfte. Das zugegebenermaßen bestehende Risiko einer solchen Gemengelage wollte der Regisseur des schiffbrüchigen Roulettetisches offensichtlich nicht wagen und sucht das Heil im Konventionellen.

 

Die Spieler
nach Fjodor Michailowitsch Dostojewskij und Jean-Luc Godard
Regie: Frank Heuel Dramaturgie: René Reinhardt Raum: Elisabeth Schiller-Witzmann.
Mit: Johannes Gabriel, David Jeker, Laila Nielsen Mitwirkende: Anna Gubanova, Anton Wasilew, Alexander Borodulin, Johannes Lutkow, Konstantin Schimanowski, Igor Stelmashov, Wladimir Degtyar.
Dauer: 2 Stunden

www.schaubuehne.com

 

Kritikenschau

Der Abend punkte eine ganze Weile mit reizvollen Spielideen, so Steffen Georgi in der Leipziger Volkszeitung (2.3.2013). "Ins Stadium 'Überforderung als Anforderung" schraubt es sich indes nicht." Nahtlos münde die Inszenierung in der Konvention. Das Verlangen, "dem Melodramatischen etwas Figurenpsychologie abzuringen", wolle nicht recht gelingen.

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