Wenn die Luftballonherzen aufgeblasen werden ...

von Ralf-Carl Langhals

Heidelberg, 1. März 2013. Ein hübsches Paar, und ein nettes. Die Art, wie Feli und ihr Mann Pep miteinander umgehen, ist von liebevollem Spieltrieb und entwaffnender Jugendlichkeit geprägt. Das verrät der Text von Kleist-Förderpreisträgerin Marianna Salzmann ohnehin, und Regisseur Paul-Georg Dittrich hat es sich auf phantasievolle aber auch überbordende Weise zur Aufgabe gemacht, diese Besonderheit jungen Eheglücks mit dem dicken Stift und allerlei spaßigem Kindergeburtstagsschabernack szenisch nachzuzeichnen. Doch dann begegnet Barkeeperin Feli der noch spaßigeren Lil und es gilt, was das Fernsehen schon in den 70ern zu wissen glaubte: "Drei sind einer zuviel" – und Gatte Pep (erstmal) raus.

Tollende, schmollende Amour Fou

Das ist im Jahre 2013 erstaunlich, denn die Zeiten haben sich seitdem geändert. Wie man/frau emotional und sexuell glückselig wird, darf jeder selbst herausfinden. Ob der Weg nun Hetero, Homo, Bi, Patchwork oder offene Beziehung heißt, lässt die Gesellschaft mittlerweile weitgehend selbst im hintersten Niederbayern kalt. Und das ist natürlich auch gut so (und war ein langer, steiniger Weg). Als menschliche Individualerfahrung wird daraus freilich immer noch eine große Sache, aber eben trotz hoher sprachlicher und dramatischer Handwerklichkeit nicht zwangsläufig ein relevantes Theaterstück, wie Salzmanns Uraufführung "Schwimmen lernen" im Heidelberger Zwinger beweist.

schwimmen03 560 florian merdes uDas Aquarium des Lebens? © Florian Merdes

Zwei junge Frauen verlieben sich. Das ist schön, aber auch schon alles, selbst wenn es mit launigem Sprachwitz und gelegentlich auch zarter Poesie erzählt wird. Karen Dahmen (Feli) und Karolina Horster (Lil) spielen das Paar in einer Wildheit, die wahrlich mitreißend ist. Wie junge Hunde tollen und schmollen sie. Gerne folgt man ihnen auf ihrer sommerlichen Amour-fou-Tour in Lils Schwarzmeerheimat, auch wenn die Regie mit Wasserpistolen, Taucherbrillen und Farbschmierereien (rosa!) immer wieder eine Spur zu dick aufträgt.

Neben dem obligatem Indipendent-Emotionalisierungsklang von The Notwist und The XX spielen natürlich auch Filmabenteuerheldinnen wie Ridley Scotts "Thelma and Louise" tragende Rollen. Es mag in der Natur der lesbischen Sache liegen, dass Benedikt Crisand als verlassener Gatte trotz furioser Kasperle-Einlagen außen vor bleibt. In den Zuschauerraum gesetzt oder aber im Freeze auf der Bühne stehengelassen zu werden, hat er weder als Darsteller noch als liebender Mann verdient.

schwimmen06 560 quer florian merdes uKarolina Horster (Lil), Karen Dahmen (Feli)  © Florian Merdes

Das schwere Los der Kleinfamilie

Die Geschichte würde durchaus auch als Zweipersonenabend gut laufen, hätte Marianna Salzmann mit ihrer Begabung zum Szenischen Schreiben nicht einen doppelten Boden eingebaut. Ihre Erzählweise folgt keiner Chronologie, sondern klärt uns nach und nach, mal voraus-, mal rückschauend, über das mutmaßliche Geschehen auf. Mutmaßlich deshalb, weil gegen Ende auch die Variante angeboten wird, dass der gelebte Teil dieser Frauenbeziehung eben nur ein Traum war und Feli sich aus Liebe für Pep entschied.

"Wir tragen das schwere Los, die Kleinfamilie gut zu finden", lässt Salzmann die durch Barockperücken zu bäuerlichen Freundinnen aus der Heimat mutierten Darsteller sagen. Vielleicht ist dies die Botschaft des Stückes und das eigentliche Problem dieser Dreieckgeschichte. Irgendwann ist es auf der Plastikfolienkletterbühne Pia Dederichs dann auch gut mit Unterwassergeknutsche (Video: Steffen Kraska); spätestens aber dann, wenn Luftballonherzen aufgeblasen werden.

Und wie wir wissen, kommt am Ende immer der Schluss. Von Eifersucht, Klammern, Langeweile und Alltagsabnutzungen bleiben also auch Lil und Feli nicht verschont. Und bei Pep gibt es immerhin Apfelmus und Schwiegereltern, beides hat nach diesem homoerotischen Sommernachtstraum am schwarzen Meer wieder neuen Reiz.

 

Schwimmen lernen (UA)
von Marianna Salzmann
Regie: Paul-Georg Dittrich, Dramaturgie: Sonja Winkel, Ausstattung: Pia Dederichs, Video: Steffen Kraska.
Mit: Karen Dahmen, Karolina Horster, Benedikt Crisand.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

 


Kritikenrundschau

Michael Laages sagt in Fazit auf Deutschlandradio Kultur (1.3.2013), es gehe in dem Stück um den Einbruch einer neuen Liebe in eine alte. Feli verliebe sich in Lil vom Schwarzen Meer und ziehe mit ihr ans Schwarze Meer, plötzlich sei Feli die Fremde. Der Text habe poetische Qualitäten, allerdings sei er stark redundant, wenn die "Mädels sich anfangen zu streiten". Die beiden seien "psychopathologisch angehaucht". Das Zentrum sei die Hingabe an "etwas, was fremd ist", die Schauspielerinnen seien sehr gut, der Mann sehr an den Rand gedrängt, die Inszenierung erfinde sehr viel "Spielastik" dazu. Sehr schön, wenn mittels Video eine Figur aus sich heraus steigen, herumwandern und zu sich zurückkehren könne.

Der Text biete "eine Burleske jenseits gekonnter Wortspiele", sagt Cornelie Ueding in der Sendung Kultur heute auf Deutschlandfunk (2.3.2013), weshalb in der Uraufführung "folgerichtig die Bilder sprechen". Diese würden die "Lücken" zwar nicht füllen, "die der bruchstückhafte, ganz und gar nicht wortmächtige Text offen lässt, offen lassen muss". Aber sie "ergänzen ihn assoziativ, malen aus und zeigen, wie sich die Figuren, wie sich Menschen fühlen, die keine Sprache für Selbstverlust und Ambivalenzen haben. Von Anfang an werden sehr persönliche Dinge per Mikrofon in die Welt geschrien, Entschlüsse in Bild und Werbeslogan an eine Glaswand gepinselt, Affektzustände mittels eines Windgebläses ausgedrückt." Die Art und Weise, wie das vom "hoch motivierten, spielfreudigen, jungen" Darstellertrio bewältigt wird, wird gelobt.

Salzmanns Text stoße den Zuschauer "nach allen Regeln der Dekonstruktion ins heiß-kalte Wasser einer Dreiecksgeschichte", schreibt Volker Oesterreich für die Rhein-/ Neckar-Zeitung (4.3.2013). Erzählt werde "in wilden, nicht chronologisch angeordneten Szenen und kleinen Cuts". Doch der "Text vermag es nicht, ein tieferes Interesse für die Konflikte der Figuren zu wecken" und die Regie bediene sich der "sattsam bekannten Zutaten der Avantgarde von vorgestern". Allein das Spiel des Darstellertrios sei von "hoher Intensität".

 

 

 

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