Der Staat zeigt seine Muskeln

Moskau, 3. März 2013. Wie unter anderem der Tagesspiegel (3.3.2013, 11:24 Uhr) meldet, haben die russischen Behörden mit einer Visums-Kontrolle die Aufführung von "Die Moskauer Prozesse" des Schweizer Regisseurs Milo Rau unterbrochen. Mehrere Uniformierte in den weinroten Westen des Migrationsdienstes seien unerwartet in das Sacharow-Zentrum in Moskau gekommen und begannen, Rau zu überprüfen.

Milo Rau bezeichnet das, gemäß einer verlässlichen nachtkritik.de-Quelle, als "absurde Vorwände" und betont, dass die Unterbrechung ohne jede Rechtsgrundlage geschehen sei: "Mein Businessvisum ist sehr wohl gültig für eine Theaterperformance oder einen Filmdreh." Das bestreitet hingegen Sergey Kalyuzhny, Leiter des Migrationsdienstes. "Herr Rau wurde gewarnt, den Migrationsbestimmungen zu folgen", sagte er der Nachrichtenagentur RIA Novosti: Raus Businessvisum erlaube keine "Arbeitsaktivitäten". Kern des Streits sei wohl, ob Rau sich in Moskau angemeldet habe oder ob er für das Theaterspektakel eine Arbeitserlaubnis benötige, heißt es. Der Regisseur sprach von einem fast typischen Vorfall bei unliebsamen Kunstprojekten. Auch der ehemalige Premierminister Boris Nemtsov wird in verschiedenen Zeitungen so zitiert: "Die Razzia war Teil einer von Präsident Putin unterstützten anti-westlichen Aktion."

Laut nachtkritik.de-Informationen lief der Zwischenfall wie folgt ab: Mitarbeiter der Migrationsbehörde kontrollierten im Sacharow-Zentrum die Papiere von Milo Rau, die aber in Ordnung waren. Dann störten und unterbrachen orthodoxe Kosaken den Ablauf. Daraufhin rückte die Polizei mit mehreren Wagen an. Es soll auch einen Durchsuchungsbefehl gegeben haben, aber für das falsche Haus. Nachdem die Polizei wieder abzog, wurde die Vorstellung fortgesetzt.

Seit Freitag werden von Rau drei Moskauer Gerichtsprozesse als dokumentarisches Theaterprojekt nachgestellt. Wobei echte Beteiligte zu Wort kommen. Am Sonntag soll das Pussy-Riot-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch auftreten, die einzige der drei Frauen, die nach dem kirchen- und regierungskritischen Kurzauftritt der Band letztes Jahr am 3. März in der Moskauer Erlöserkathedrale auf Bewährung freikam.

(Tagesspiegel / sik)

 

Mehr über die Arbeit von Milo Rau, der 2012 mit Hate Radio zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, im Lexikon.

Mehr über Die Moskauer Prozesse: für nachtkritik.de schrieb Stefan Bläske einen Theaterbrief aus Moskau.

Auch die großen deutschsprachigen Zeitungen hatten KorrespondentInnen nach Moskau geschickt. Was sie gesehen und gehört haben fassen wir in einer Presseschau zusammen.

 

 

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Kommentare  
Milo-Rau-Zwischenfall: einträgliches Genre
Milo Rau hat ein einträgliches genre für sich entdeckt: schlagzeilentheater. Er wäre wohl gerne eine art reaktionärer schlingensief. aber dafür ist seine arbeit zu distanziert, und seine haltung zu vorgeblich neutral.
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