Genau so denken doch die Männer!

von Christian Rakow

Dresden, 15. März 2013. Ein hehres Ziel hat Jakob Fabian da: "Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen", sagt er. "Vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre diesbezügliche Eignung hin zu betrachten." Und was bietet sich dem anständig vernünftigen Auge dieses Menschenbetrachters dar? Torkelnde Weibsbilder in leichter Bekleidung; Ladies, die bleischwer vom Stuhl rutschen. Na, Prosit. Wenn hier mal nicht Hopfen und Malz längst verloren sind.

Im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden hat sich Hausregisseurin Julia Hölscher also Erich Kästners satirischen Zeitroman "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" von 1931 vorgenommen, der die Großstadt Berlin als Gruselkabinett der sexuellen Enthemmung vorführt: Durch dubiose Nachtclubs und Lesbierinnen-Bars schickt Kästner seinen Helden. Fabian findet hier seine große Liebe Cornelia, verliert sie aber ebenso schnell wieder, als ihm sein Job als Werbetexter gekündigt wird und Cornelia ihrerseits eine Filmkarriere startet.

Leistungsgesellschaft und Partykultur

Rechnet man alles zusammen, dann hat dieser Kleinbürger und selbsterklärte Moralist Jakob Fabian vor allem ein Problem mit einer der Zentralerrungenschaften der Weimarer Republik: der aufkeimenden Frauenemanzipation (die er nur als Perversion aufzufassen vermag). Und einzig weil Kästner diesen Fabian bestechend inaktiv, durchlässig und kühl angelegt hat und dabei das diskreditierte Milieu mit verräterischer Genussfreude schildert, schlägt das tiefgreifende Ressentiment nicht auf das Werk im Ganzen durch. Dem Roman war es vielmehr beschieden, dass ihn die wildgewordenen Kleinbürger der faschistischen Zensur als pornographisch auf den Index setzten.

fabian 580a matthiashorn uTanz den Charleston!  © Matthias Horn

Trotz historisierender Stehkragen-und Bügelfalten-Looks (von Kostümbildnerin Susanne Scheerer) und manch schöner Charleston-Musik bleibt dieser geschichtliche Kontext aus Hölschers Inszenierung ausgespart. Im betongrauen Bar-Ambiente (von Esther Bialas) soll – zumindest laut Programmheft – der Bogen zur heutigen Leistungsgesellschaft und ihrer Partykultur geschlagen werden. Mal abgesehen davon, dass für ein solches Interesse ein Text wie "Sickster" von Thomas Melle wohl tragfähiger wäre, versteckt die bieder am Roman entlang gestellte Szenenfolge an diesem Abend alles, was an dramaturgischen Funken in den Konzeptionsproben gesprüht haben mag.

Getragen von Gruppenchoreographien, die meist eher wie Frühsport denn wie tänzerische Bildfindungen anmuten, treibt der baumlange Philipp Lux als farblos munterer Fabian daher. Hölschers Regie verpflichtet ihn auf Mutters Rockzipfel (unter den der ödipale Held beizeiten dann auch kriechen muss). Gegenüber der zarten, mit gezielter Künstlichkeit glänzenden Cornelia von Lea Ruckpaul bleibt er spröde wie eine Gliederpuppe. Sein Trennungsgespräch mit Cornelia garniert er parallel mit einem schweißtreibenden Beischlaf mit namenloser Dame (Johanna Roggan). Bildideen aus der Gleitcremetube, mit garantierter Abrutschgefahr.

fabian 280h matthiashorn uLea Ruckpaul und Philipp Lux © Matthias HornKorsettenge Rollenzuschreibungen

Es ist bemerkenswert, wie hier ein Frauenkollektiv (von Regie bis Ausstattung und Dramaturgie) anscheinend ohne geringstes Unbehagen und an allen Gender-Diskursen der letzten 30 Jahre vorbei munter den Blick des Mannes von anno dazumal reproduziert. Von den vulgär daher schwankenden Gestalten Marke reiche Gattin will man gar nicht reden (merke: sexuelle Freiheit macht Frauen hässlich). Richtig ernst und gefühlig wird der Abend nur an einer Stelle, ausgerechnet, als Fabians Freund Labude (Thomas Braungardt) erzählt, wie er von seiner Partnerin hintergangen wurde (merke: das durchtriebene Luder!). Der Universitätsassistent, der gegen Labude intrigiert und von Fabian dafür hernach ordentlich vertrimmt wird, ist mit einer weiblichen Schauspielerin (Romy Schwarzer) besetzt (merke: besonders durchtriebene Luder sind auch noch karrieregeil und haben allemal Schläge verdient!). Als Cornelia sich für ihre Filmkarriere entscheidet, legt sie sich sorgsam Strapse an (merke: karrieregeil, durchtrieben, sexuell freizügig, manchmal kommt alles zusammen!). Unproblematisch darf eigentlich bloß Helga Werner als großes Muttertier für ihren Knaben Fabian sein.

Man hat eigentlich nirgends das Gefühl, dass diese korsettengen Rollenzuschreibungen irgendwo aufgebrochen werden. Allenfalls werden sie mit einer hingeworfenen Schutzbehauptung en passant legitimiert. "Genau so denken doch die Männer. Hier sind doch die Frauen so ähnlich, wie ihr sie haben wollt!" Nö, weder noch.

 

Fabian. Die Geschichte eines Moralisten
Nach dem Roman von Erich Kästner
Für die Bühne eingerichtet von Felicitas Zürcher und Julia Hölscher
Regie: Julia Hölscher, Bühne: Esther Bialas, Kostüm: Susanne Scheerer, Musik: Tobias Vethake, Choreografie: Johanna Roggan, Licht: Björn Gerum, Dramaturgie: Felicitas Zürcher.
Mit: Philipp Lux, Thomas Braungardt, Lea Ruckpaul, Helga Werner, Oda Pretzschner, Ahmad Mesgarha, Jan Maak, Johanna Roggan, Romy Schwarzer, Antonio Morejon Caraballo.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Julia Hölscher habe sich daran gehalten, die Vorlage als Tragikomödie zu nehen, so Christian Ruf in der Sächsischen Zeitung (18.3.2013). Es werde aber ein bisschen viel gevögelt in der Inszenierung, "so ziemlich der einzige nachhaltig berührende Moment ist die Abschiedsszene zwischen Fabian und seiner Mutter". Am Ende gibt's auch noch ein paar kalkulierte, durchschaubare und billige Attacken auf eine namentlich nicht genannte, aber natürlich klar erkennbare (Kultur-)Stadt, deren Panorama einem "teuren Begräbnis" gleicht.

Philipp Lux gibt seinem Fabian etwas sehr authentisches, schreibt Gabriele Gorgas in den Dresdner Neuesten Nachrichten (18.3.2013). Dennoch habe es die Geschichte schwer auf der Bühne. Der Inszenierung mangele es an Reibung, gedanklicher wie auch szenischer. "Das Ganze erscheint trotz Dramatik und Turbulenz wie mit einem Weichzeichner überarbeitet." Fazit: das Geschehen bleibe zu brav, es fehlt an Dynamik, an abstrahierter Form. 

 

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