Einhegen war gestern, von morgen an wird ausgehegt

von Kai Krösche

Wien, 12. April 2013. Am Ende schauen die Geister der Plebs noch einmal über den verbarrikadierten, großbürgerlichen Hauseingang hinein. Viel zu sehen gibt's in der ausgeräumten Villa nicht mehr, schließlich haben die organisierten Mittellosen den gesamten Besitz der Hausherrin peu à peu geklaut (oder wie sie es nennen: "ausgehegt"), so lang, bis nichts mehr übrig blieb. Geister, Aushegungen, Verbarrikadierung – was ist denn passiert?

"plebs coriolan" heißt das neue Stück von Kevin Rittberger, das er nun in eigener Regie auf der Bühne des Wiener Schauspielhauses zur Uraufführung brachte, doch wer eine zeitgenössische Modernisierung des Shakespeare'schen "Coriolanus" erwartet, wird schon bald eines Besseren belehrt: Im Zentrum des Stücks stehen nicht die Machthaber, die Besitzwahrer der Gesellschaft, sondern die Plebs, die besitzstandslose Masse. Doch ebenso wenig wie um plumpe Modernisierungen bemüht sich Rittberger um realistische Milieustudien: Ein Gegenentwurf muss her, eine andere Möglichkeit des Daseins, vielleicht gar der Versuch einer Utopie – so zeichnet Rittberger das mögliche Bild einer organisierten Masse, zusammengehalten durch ihr Nicht-Haben. Ihr Ziel: Ein gewaltloser Umsturz der Verhältnisse mittels kollektiven "Aushegens", nicht zugunsten des Einzelnen, sondern zum Vorteil aller.

Das Spiel der Selbstverletzung

Die Welt von morgen soll nicht mehr durch die Einhegungen, die Beschränkungen und Umzäunungen von gestern bestimmt werden; und um die gewaltsame Übernahme zu vermeiden, richtet das quasi-pazifistische Kollektiv die Gewalt gegen sich selbst. Fingierte Überfälle samt selbst und untereinander gegenseitig zugefügter Schuss- und Hiebverletzungen sollen die Aushegungen durch geschickten Versicherungsbetrug für alle Seiten so harmlos und unbemerkt wie möglich machen.plebscoriolan1 560 alexi pelekanos uDie wohlbetuchte Hausherrin (Myriam Schröder) und die Ausheger © Alexi Pelekanos

Allein, die wohlbetuchte Hausherrin der auszunehmenden Villa kommt schnell hinter das Spiel. Nur allzu bereit gibt sie, die nur zwei Mal wöchentlich Fleisch isst und bei ihren Schuhkäufen darauf achtet, dass auch ja kein Tierleder oder Blut ausgebeuteter Kinderarbeiter an den Sohlen klebt, sie, die Gute, ihr Hab und Gut her. Sie müssten doch nur fragen, die Ausheger, denkt sie sich, und sie gäbe ihnen gleich alles freiwillig. Doch die Ausheger fragen nicht, spielen weiterhin ihr Spiel der Selbstverletzung. Was, wenn einmal einer nicht so bereitwillig seinen Besitz an sie veräußert, was, wenn sich einmal jemand mit Waffengewalt wehrt, so fragt sich die Hausherrin schließlich und beantwortet ihre Frage gleich selbst: Mit vier Schüssen streckt sie die vier Ausheger, vergeblich auf eine Reaktion wartend, nieder.

Rittberger übersetzt seine komplexe gesellschaftliche Phantasie in mal schrill-überzeichnete, dann wieder melancholisch-düstere Bilder: Auf der kargen Bühne des Schauspielhauses, auf die Bühnen- und Kostümbildnerin Janina Brinkmann das kaum mehr als solches erkennbare Rudiment eines Designerhaussalons gebaut hat, lässt er in knapp zwei Stunden eine Utopie gleichsam entstehen wie scheitern. Myriam Schröder zeichnet ihre Rolle der Hausherrin als eine zwischen Überheblichkeit und undurchschaubarer Sympathie für jene, die sie bestehlen, hin- und hergerissene Großbürgerin: Ständig schwingt sie ihre Arme, stets spielt sie die Pose aus, als müsse sie einem Klischee entsprechen, dem sie selbst zu entkommen versucht.

Undurchdringliche Logik, uneindeutiger Kosmos

Hanna Eichel, Barbara Horvath, Steffen Höld und Gideon Maoz in den Rollen der vier Ausheger bilden eine heterogene Einheit – hier agieren vier unterschiedliche Individuen miteinander, die lediglich durch ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit zur Masse der Besitzstandslosen und ihren Glauben an eine neue Welt geeint sind. Die spannendste, weil vielschichtigste und undurchschaubarste Rolle fällt Thiemo Strutzenberger zu: Als Notar und Freund des Hauses tritt er in den passiven Widerstand gegen die Übernahme durch die neue Ordnung; seinen stoischen Glauben an die herkömmliche Ordnung versucht er mittels der Aufzeichnung seiner Hirnströme festzuhalten. Solange alle Werte im normalen Bereich sind, so die undurchdringliche Logik, ist die Welt um ihn herum auch noch die alte. Lieber zerstört er sich selbst, rammt sich das Messer erst zwischen die Finger und dann in den Bauch, als das gemeinsame Mahl mit den Aushegern zuzubereiten. Angeschlagen und versehrt, lädiert und blutend wird er am Ende dennoch Recht behalten.

Rittberger nimmt den eigenen Text nicht ernster als nötig, umschifft geschickt sowohl Pathos als auch die Gefahr eines aufdringlichen politischen Diskurses. Stattdessen schafft er mit elegischen Videoprojektionen, die an den Epilog zu seiner Düsseldorfer "Puppen"-Inszenierung erinnern, und den soghaften Klangflächen der isländischen Komponistin und bildenden Künstlerin Kira Kira eine surreale Kunstwelt. Das Ergebnis ist ein in sich geschlossener und ästhetisch dichter Theaterkosmos, der sich gerade in seiner Uneindeutigkeit dem Verdacht des Holzhammers entzieht und Raum lässt für neue Gedanken, die den Rahmen des Denkbaren zu sprengen versuchen.

 

plebs coriolan
von Kevin Rittberger
Uraufführung
Regie: Kevin Rittberger, Bühne/Kostüm: Janina Brinkmann, Musik: Kira Kira.
Mit: Hanna Eichel, Barbara Horvath, Steffen Höld, Gideon Maoz, Myriam Schröder, Thiemo Strutzenberger.
Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

"Sechs Personen suchen einen Sinn", schreibt Norbert Mayer über Kevin Rittbergers Stück in der Presse (14.4.2013). Zwar wirke der Text "sehr hermetisch, sogar bis zur Fadesse", doch das Ensemble agiere "mit so viel Raffinesse und Charme, dass die 110 Minuten anspielungsreicher Anarchie ohne größere Geburtsschmerzen vergehen. Die Schauspieler verstehen es, das Publikum augenzwinkernd zum Verbündeten für ihren Raubzug zu machen. Die Botschaft dieses Plebs ist brutal simpel: Her mit dem Zaster!"

In "plebs coriolan" frage Kevin Rittberger, "woran man heute herrschende Klasse und 'Volksmasse' erkennt und wie sie sich zueinander verhalten", sagt Margarete Affenzeller im Standard (15.4.2013) und freut sich über eine "ganz spezielle, fast schüchterne Form des Slapstick" in der Aufführung. "Dazwischen aber entstehen Längen: Da konnte das Theater die vielen klugheitsschweren Sätze des Stücks nicht aufwiegen."

Kevin Rittberger schöpfe "wie kein anderer aus der neuen Erfolgsgeneration aus dem Fundus klassischer und aktueller Politologie, Soziologie, Kapitalismuskritik", meint Hans Haider in der Wiener Zeitung. Rittberger wolle "der Kopflastigkeit in seinem monologreichen Lehrstück gegensteuern mit komischer Übertreibung, Ironie, Blödelei. Doch Jammer, Kränkung, Wut aller bei der Verteilung ('Einhegung') der Güter der Welt Zukurzgekommenen bleiben als düstere Folie hinter seinen intellektuellen Purzelbäumen fühlbar." Viel "doppelt ironisch Verdrehtes" kehre sich am Ende nochmals um, und das "sensationell harmonierende Schauspielhausensemble" entledige sich "der überkalkulierten Wortlast zuletzt mit leerem Schönsprech".

"Was wie eine gute Idee klingt, erweist sich schnell als Kopfgeburt", schreibt Cathrin Kahlweit in der Süddeutschen Zeitung (19.4.2013). Der Abend sei insgesamt "weniger Kapitalismuskritik als Klamotte, mehr Hörspiel als Theaterstück", bestehe aus "eher krude(n), manchmal komische(n), fast immer ermüdende(n) Monologe(n)", unterbrochen von einigen durchaus heiteren Spielszenen, die jedoch eine überkomplexe Geschichte erzählten. "Dem Ensemble - allen voran Myriam Schröder als wohlhabende Aristokratin -, das sich den Schneid nicht abkaufen ließ, muss man zugute halten, dass es sich mit den Monologen bravourös herumschlug und für einige slapstickartige und tatsächlich versöhnliche Momente sorgte."

 

Kommentare  
plebs coriolan: unmotivierter Slapstick
Wohl spürt Kevin Rittberger die hölzerne Zeigefingerrhetorik des eigenen Textes, hat ihr aber wenig entgegenzusetzen als brachial boulevardeske Überdeutlichkeit und reichlich unmotivierten Slapstick. Text und Inszenierung sind so plakativ, der regiezugriff so brav, dass der gedankliche Raum schnell abgegangen und vom aufmerksamen Beobachter als ebenso eng und leer erkannt ist wie die lieblos dahin gezimmerte Bühnenandeutung von Janina Brinkmann mit Schreibtisch und Holzbänken. Und so breitet sich die simple Utopiebehauptung unendliche eineinhalb Stunden aus, ohne irgendwo hinzuwollen, es sei denn zur Ausstellung der eigenen Famosität. Doch zum Glück gibt es Thiemo Strutzenberger: Sein traurig resignierter Blick, seine geisterhaften, immer einen Tick zu spät kommenden Bewegungen, seine Worte, die stets wirken, als kämen sie von ganz woanders her, als stünde sein eigenes sprechen neben ihm – sie alle bringen das brüchige Konstrukt von Text und Inszenierung ohne Mühe zum Einsturz. Wie er fast regungs- und vermeintlich ausdruckslos die utopische Apotheose des gemeinsamen Apfelrotkohlessens als hohle Geste offenlegt, ist atemberaubend und lässt den Ewiggestrigen als einzigen Menschen, als einzig Denkenden und Fühlenden zurück. Wäre diese ironische Volte intendiert, man könnte sie meisterhaft nennen.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/06/13/agitprop-mit-apfelrotkohl/
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