Schwermelancholiker und Erzphantast

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 20. April 2013. Ernst Theodor Amadeus (eigentlich: Wilhelm) Hoffmann, geboren 1776 in Königsberg, 1822 in Berlin schon wieder gestorben, ist, so muss man es leider sagen, keine Ausnahmefigur, sondern in seiner unheilbaren Zerrissenheit eines jener typischen unvollendeten Originalgenies der deutschen Romantik: Jurist, Dichter, Maler, Komponist, Mozart-Fan, untreuer Ehemann, Kleine-Mädchen-Beschwärmer, Alkoholiker, Syphilitiker, Freiheitskämpfer, Geisterseher. Und natürlich noch vieles mehr, das alles in einem nicht sonderlich langen und gewiss nicht glücklichen Leben, das dieses verkommene Genie als Schnurrenerzähler in der (in Berlin ja immer noch existierenden) Weinschenke Lutter & Wegner beendet, während ihm vom preußischen Staat wegen Verunglimpfung eines leitenden Polizeibeamten der Prozess gemacht wird.

hoffmannserzaehlungen 560 sebastianhoppe uIn der staubigen Bücherhöhle – oder -hölle? © Sebastian Hoppe

Der Kölner Jacques Offenbach hat aus dieser Vita und aus Hoffmanns Werken eine unsterbliche Oper fabriziert, der Regisseur Markus Bothe hat sie fürs Düsseldorfer Schauspielhaus bearbeitet. Man könnte über den doch allzu pittoresken, fast ein wenig kunstgewerblichen Zug dieser Aufführung ins Räsonieren geraten (Robert Schweers Bühne ist eine gigantische, staubige, in einen Empire-Saal gestopfte Bücherhöhle ohne Dach und doppelten Boden) – man könnte oder müsste, wäre da eben nicht der fabelhafte Schauspieler Christian Ehrich in der Rolle des E.T.A. Hoffmann, der den Abend trägt und sogar zu einem Ereignis macht.

"Ich bin Psycho"

Man vergisst dann zu überprüfen, wie dramaturgisch sinnvoll die einzelnen Geschichtenstränge zu einem schlüssigen Ganzen verknüpft sind: etwa die tragikomische Begebenheit vom "Hund Berganza", der den unsäglichen Bräutigam der geliebten dreizehnjährigen Gesangsschülerin Julia Mark in Bamberg in die Waden oder sonstwohin beißt. Oder das Märchen vom Sandmann, das Hoffmann in eine Horrorgeschichte transformiert hat über den schrecklichen Zauberer Coppelius, der Kindern die Augen stiehlt, um daraus die perfekte Frau zu basteln – das wird hier im Stil einer Stummfilm-Moritat erzählt, mit Zwischentiteln, auf eine Leinwand projiziert. Schnell und effektvoll.

Es ist eine der Thesen des Abends, dass Hoffmann so etwas wie ein früher Popstar war, freilich ohne jedes Selbstvermarktungsgeschick, ohne den Anflug eines PR-Beraters. Dafür  nicht ohne Anflüge eines flagranten Selbstbewusstseins: "Ich bin Fritz Lang", sagt er, "ich bin Metropolis, ich bin Hitchcock. Ich bin Psycho." Und so ist es: Im 20. Jahrhundert hätte die Bündelung von Begabungen, über die Hoffmann verfügte, ihn dazu prädestiniert, einer der ganz großen Filmemacher zu werden. In der Zeit, in der er lebte, war er ein trauriger Underdog, ein Hochbegabter, der sich nicht entscheiden konnte – und doch ein Genie, das ein unverwechselbares Werk hinterließ.

Schauspielerisches Sand im Getriebe

hoffmannserzaehlungen 280h sebastianhoppe uChristian Ehrich als Hoffmann © Sebastian HoppeChristian Ehrich entwickelt aus diesen Vorgaben ein großes Kind. Eine Figur, die mit all ihren liebenswerten Schwächen und Phantasiegespinsten in Kollision gerät mit der sich formierenden Metternichhaftigkeit ihrer Zeit. Mögen die Figuren um ihn herum, all die schrecklichen Juristen, die herzigen Gesangsschülerinnen, die unsäglichen Bräutigame, die verständnisvollen Ehefrauen, die vernachlässigten Töchter, die aasigen Teufelinnen, die musischen Musen, die fidelen Musikanten (drei an der Zahl) – mögen sie noch so viel auf die Bretter hauen, die die Welt bedeuten, aufs Tempo und auf die Tube (oder auch auf die Tuba) drücken: Hier ist mitten unter ihnen immerhin einer, der schauspielerisches Sand im Getriebe ist und nicht das Öl, das die Schnurre zum Schnurren bringt. Ein gewichtiger Schwermelancholiker, ein Erzphantast, der dem Wein zuspricht und den Frauen nachstellt, weil er glaubt, dass es der Wahrheitsfindung dient - und weil es ihn alles kostet. Ein Verlorener. Ein Poet. Ehrich spielt das großartig.

 

Hoffmanns Erzählungen
nach E.T.A. Hoffmann und Jacques Offenbach für die Bühne bearbeitet von Markus Bothe
Regie: Markus Bothe, Bühne: Robert Schweer, Kostüme: Justina Klimczyk, Musikalische Leitung: Henning Beckmann, Korrepetition: Klaus-Lothar Peters, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Christian Ehrich, Moritz Führmann, Dirk Ossig, Winfried Küppers, Verena Reichhardt, Simin Soraya, Patrizia Wapinska, Claudia Hübbecker, Henning Beckmann, Christoph Kammer, Lars Kuklinski.
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

 
Kritikenrundschau

"Der Düsseldorfer Hoffmann-Paraphrase fehlt es an Struktur", schreibt Annette Bosetti in der Rheinischen Post (22.4.2013). "Die Titelrolle agiert als monströse Gestalt, ohne dass die Interaktionen wirklich synchronisiert sind. Einerseits ist sie auf der Suche nach Idealen, andererseits freudianischer Forscher ihrer selbst, getrieben von außen wie von innen. Die Folge: Zerrissenheit und Neurosen." Christian Ehrich gebe diesen Hoffmann "weich, ohne Kontur – kein Held". Auf der Habenseite des Abends werden vermerkt: die "meist ganz ordentlich singenden Schauspieler, die überzeichnen, Karikaturen erfinden, Multiples und Kunstfiguren sind – insbesondere überragend: Claudia Hübbecker als Hoffmanns Frau und Winfried Küppers in verschiedenen Rollen".

"Furioses Spiel mit Fiktion und Realität", so betiteln die Ruhrnachrichten (online 21.4.2013) Britta Helmbolds Bericht von einem "turbulenten Spiel mit der Imagination". Hoffmann lebe in dieser Inszenierung "mit seiner Gattin und Zeitgenossen – und mit seinen erfundenen Figuren, die in der nicht ganz zweistündigen Inszenierung fantasievoll zum Leben erwachen."

 

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