Presseschau vom 29. April 2013 – Anke Dürr schreibt im kulturSpiegel über „Disabled Theater“ und andere Produktionen, in denen behinderte Schauspieler mitspielen

Jenseits der Freakshow

Jenseits der Freakshow

3. Mai 2013. Lange seien behinderte Schauspieler aus dem regulären Theaterbetrieb ausgegrenzt gewesen. Nun zeigen zwei zum Theatertreffen eingeladene Arbeiten, wie man dieses System aus den Angeln hebt, so beginnt Anke Dürr im aktuellen kulturSpiegel ihren dreiseitigen Text über Theater mit geistig und körperlich Behinderten, der eine ganze Reihe von Aspekten liefert.

Dürr schreibt, dass die Reaktionen auf Disabled Theater überall ähnlich sein: "Die meisten Zuschauer sind begeistert, einige sind entsetzt. Sie empfinden Bels Arbeit als 'Freakshow', die die Behinderten manipuliert und bloßstellt." Nur kalt lasse einen der Abend nicht. Die Kritiker der Stücks würden Bel vorwerfen, dass "es sei nicht fair ist, die behinderten Schauspieler sich selbst zu überlassen, mit entsprechender Übung und Hilfe wären ihre Tänze sehr viel besser geworden". Bel selbst interessiere, dass die Darsteller vom Theater Hora keine Technik im klassischen Sinn haben, "aber alle wissen, warum sie tanzen". Dürr schreibt, dass man sich den Abend nicht aus sozialen Gründen anschaue und das "trage mehr zur Würde bei als alles andere".

Auch der Glasknochen-kranke Peter Radtke kommt zu Wort, der in den achtziger Jahren mit seinem Solo "Ein Bericht für eine Akademie" tourte und bekannt wurde. "Mit einem behinderten Darsteller kommt ein Realismus auf die Bühne, der den schönen Schein sprengt", erklärt Radtke das besondere, das behinderte Schauspieler auf die Bühne bringen, "er wird nie so gesehen werden wie ein nichtbehinderter Kollege. Er ist immer Prototyp des 'Behinderten' schlechthin", könne aber der Interpretation einer Figur in eine Dimension erweitern.

Radtke habe gerade in Ulm sein eigenes Stück "Die Stunde der Viper" inszeniert, mit Jana Zöll, die ebenfalls Glasknochen hat, und in Sebastian Hartmanns "Krieg und Frieden" Napoleon und das Baby von Lise und Fürst Andrej spielt, sie werde dort zu einem Wesen, das Macht und Ohnmacht, Schuld und Unschuld zugleich verkörpere.

Und zuletzt würdige Anke Dürr dann auch "Dschingis Kahn" von Monster Truck und Theater Thikwa, in dem die geistig Behinderten, die die man früher "mongloide" nannte, Mongolen spielen: "Was sich erst mal anhört wie ein schlechter Witz, entpuppt sich als intelligentes Spiel mit unseren Gewohnheiten: Indem sie Exoten spielen, stoßen die behinderten Schauspieler uns darauf, dass wir sie immer noch als Exoten betrachten. Auch dann, wenn sie nicht auf der Bühne stehen und als Exoten verkleidet sind."

 

Mehr dazu: Martin Krumbholz schrieb die Nachtkritik zu Dschingis Khan, das im September 2012 am FFT Düsseldorf Premiere hatte und Diskussionen auslöste. Den Status Quo des inklusiven Theaters hat Georg Kasch im November 2012 in einem Text festgehalten. Und Simone Kaempf schrieb anlässlich des No Limits Festivals 2011 bereits über die Präsenz geistig behinderter Schauspieler auf der Bühne.

 

Kommentare  
Presseschau Disabled Theater: Exoten
Klingt vernünftig und gut, was Anke Dürr schreibt. Nur eines ändert sich nicht und das gilt besonders stark für Downies: sie sind exoten. Wie will man das bestreiten?
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