Die brüchige Schönheit des Irreparablen

von Andreas Klaeui

Zürich, 8. Mai 2013. Alles bleibt unsicher und immer in der Schwebe, nichts ist klar und explizit, durch den Text zieht sich eine sanfte Verweigerung. Ein nebliger Fjord und neblige Berge, dazwischen die Unendlichkeit unbestimmter und niemals ausgesprochener Sehnsüchte. Es ist der bekannte Fosse-Sound, der sich auch durch "Schönes" zieht: die Satzrepetitionen in der unerlösten Endlosschlaufe, "es ist lange her, unglaublich wie die Zeit vergeht", der lakonische Minimalismus, "ja – (lange Pause) – ja". 2001 kam das Stück in Oslo heraus, mit einiger Verspätung bringt es nun Werner Düggelin am Schauspielhaus zur Schweizer Erstaufführung.

Schoenes2 560 ToniSuter uGeheimnis am Fjord: "Schönes"  © Toni Suter

Der Mann, der andere Mann, die Frau: die Figuren haben keine Namen auf dem Besetzungszettel. Der Mann kommt zurück an den Ort seiner Jugend, mit Frau und Tochter, Sommerfrische, die Tochter verliebt sich rasch in einen Jungen aus dem Dorf; es hat bloß insofern eine Bedeutung, als sie am Ende hierbleiben wird und das ungelebte Leben der Eltern (hoffentlich) nicht fortsetzt. Franziska Machens und Christian Baumbach zanken sich wie Kinder, alles ist Entdeckung, Neuheit, erotische Hochspannung bei den beiden.

Spiel der Lebensunmöglichkeiten

Weniger eindeutig liegen die Verhältnisse bei der Elterngeneration. Die Frau (Yvon Jansen) interessiert sich für Leif (Nicolas Rosat), den Jugendfreund des Mannes (Tilo Nest). Die beiden Jungen gründeten gemeinsam eine Dorfrockband; das "Schöne", das sie verband, war wohl die Musik – und eine geheimnisumwitterte Bootsfahrt vor Jahren. Nun sehen sie sich wieder: Einen unendlichen Augenblick lang umarmen sie sich; es ist ein Augenblick der Utopie. Nicolas Rosats Leif bleibt fortan ungeschützt, vorbehaltlos offen für die große Liebe; Tilo Nest rettet sich in plaudernde Verbindlichkeit. Die Frau – die verzweifelt muntere Yvon Jansen – will in ihr Geheimnis dringen, sie prallt an Rosats solitärem Ernst bloß ab mit all ihren gutgelaunten Vorstößen.

Werner Düggelin sieht sie alle mit unerbittlicher Klarheit. Raimund Bauer hat ihm einen sich in heller Ferne verlierenden Holzplankenstrand auf die Bühne gebaut, einen leuchtend leeren Horizont für dieses Spiel der ewigen Lebensunmöglichkeiten. In Düggelins reduzierter, transluzenter Erzählung verliert es alles Kunsthandwerkliche und entwickelt maximale Intensität. Der Mann, Tilo Nest, der sich einzig und allein in der Musik noch findet, in seinem unerträglichen Gitarrengeklimper und diesem Gesang, der die brüchige Schönheit des Irreparablen hat, die Stimme war mal frisch, jetzt ist sie weg.

Tragische Dimensionen

Yvon Jansen mit ihren nervösen Entdeckungsgängen, einen Song lang erkennt sie im Mann den langhaarigen Rocker, in den sie sich einst verliebt hatte, und kreischt wie damals. Nikola Weisse mit einem großen kleinen Auftritt als wissende Mutter – und allen voran Nicolas Rosat, der andere Mann, Leif, für den die großen Gefühle eine ganz und gar unzynische wirkliche Größe haben. Sie erspielen sich tragische Dimensionen, die weit über das Fosse-übliche Nebelgewaber hinausgehen.

Schönes (CHEA)
von Jon Fosse
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Werner Düggelin, Bühne: Raimund Bauer, Kostüme: Bettina Walter, Licht: Markus Keusch, Video: Andi A. Müller, musikalische Beratung: Markus Schönholzer, Dramaturgie: Andrea Schwieter.
Mit: Franziska Machens, Christian Baumbach, Tilo Nest, Nicolas Rosat, Yvon Jansen, Nikola Weisse.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.schauspielhaus.ch


Kritikenrundschau

Fosses Stücke "strukturieren mit unendlichen Wiederholungen von 'ja', 'nein', 'was?', 'schön!' jenes Ungesagte, das zwischen die Menschen diffundiert, sie bedrängt, bedrückt, schliesslich auseinandertreibt", schreibt Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (10.5.2013). Werner Düggelin habe das Gehör dafür wie wenig andere. Düggelin hüte sich taktvoll, mehr zu verraten als der Text. "Und doch erfindet er Geschichten, die den Figuren Konturen verleihen, plastische Tiefe, Abgründe, denen sie fasziniert gegenüberstehen, einer unaufhaltsamen Anziehung ausgeliefert – bis der Schrecken sie zwingt, die Augen zu schliessen." Und Düggelin wäre nicht Düggelin, so Villiger Heilig, "entdeckte er in der melancholischen, ja lebenstragischen Abgründigkeit nicht auch Komik."

Fosses "spröder Minimalismus" liege Düggelin, findet Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.5.2013). Düggelin gelinge etwas sehr "Schönes": "Er macht aus einer deprimierend handlungsarmen Tragödie voller Endlosschleifen, Wiederholungen und leerer Sprachhülsen eine Komödie des Scheiterns, hell und klar, federleicht melancholisch, manchmal sogar fast heiter."

Die Inszenierung kämpfe teilweise gegen den beckettianischen Grundton des Textes an, befindet Alexandra Kedves im Tages Anzeiger (10.5.2013). "Wo Fosses Figuren frustriert klingen, gefangen in der Hässlichkeit ihrer Routinen, aus denen auch die titelgebende Schönheit des Fjords und seiner Farben nicht befreit, malt Düggelin Akzente, inszeniert er Erregungen." Die gesichtslosen Kostüme von Bettina Walter passten perfekt in dieses Stück, "in dem keiner weiss, wos langgeht". "Schönes" sei nicht das tollste Werk des norwegischen Nestroy-Preisträgers; und trotzdem ziseliere der Schweizer Nestroy-Preisträger daraus die eine oder andere Szene, die mit eisiger Hand an unser Herz fasse. "Vieles jedoch bleibt hier in einem fest verschweissten Stadttheater stecken."

 

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