Young Europe Blog: Wozu ist eigentlich Theaterpädagogik gut?
Betreuter Initialschock
von Jenny Sréter
Berlin, 13. Mai 2013. Bleich, hohlwangig, mit blankem Oberkörper schufteten die Sträflinge in fahlem Licht und schrien im tiefsten Bass ihr Leid heraus. Qualverzerrte Gesichter, geschundene Leiber, die ihre Beile und Spaten im Rhythmus der donnernden Musik schwangen – diese Menschen flößten mir Angst ein. Um mich herum verschluckte alles die Dunkelheit, ich war mutterseelenallein mit diesen erbärmlichen Kreaturen. Jedenfalls bis die nächste Szene in warmem Gelb erstrahlte und Frauen sangen. Der Schock steckte mir noch in den Knochen, aber mein Puls beruhigte sich und ich sah wieder die anderen Zuschauer um mich herum. Mein erstes Theatererlebnis war eine Schultheaterproduktion von "Les Misérables" am Gymnasium meines Bruders – und der Moment, in dem mich das Theater für immer in seinen Bann schlug.
Kleinkindprogramme und Golden Gorkis
Ich habe diesen Initialschock auch ohne weitere Betreuung überstanden. Weil die ersten Erlebnisse mit Theater aber so entscheidend sind, sorgen sich Theaterpädagogen um die erste Kontaktaufnahme der Jüngeren und Allerjüngsten mit Theater. Neben den Stadt- und Staatstheatern bieten vor allem die Kinder- und Jugendtheater ein breites Angebot: Am Theater an der Parkaue toben sich bei TUKI – Theater und Kindergarten bereits 3-Jährige auf der Bühne aus. Aber auch für Schülern aller Altersstufen bieten die Theater Programme an. Die GRIPS-Klassen des Berliner GRIPS-Theaters etwa wollen jungen Menschen den Zugang zum Theater nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Produzenten ermöglichen.
Theaterpädagogik umfasst aber nicht nur die dramaturgische Betreuung von Schulklassen und praktische Theaterarbeit in Jugendclubs, Workshops und ähnlichen Formaten: Am Maxim Gorki Theater beispielsweise können auch über 55-jährige bei den Golden Gorkis ihre Spielwut ausleben. Auch im Angebot: theaterpädagogischen Programme rund um Inszenierungen, etwa Publikums- und Werkstattgespräche.
Grenzüberschreitendes Arbeiten
Während es dabei um die Wahrnehmung von Theater geht, ist Young Europe ein Beispiel für produktionsorientierte Theaterpädagogik. Hier entstanden im Austausch mit oder durch Jugendliche aus sieben Ländern und acht Theatern aus Zypern, Ungarn, Deutschland, Finnland, Norwegen, Niederlande und Frankreich neue Stücke und Inszenierungen. Dabei gab es unterschiedlichen Arbeitsmethoden: Beispielsweise haben acht Mädchen und Jungen aus Berlin und Helsinki über eine Internetplattform kollektiv das Stück 15:15 erarbeitet. "Eg - Ik, Ich, I" aus Oslo und Amsterdam hingegen hat der niederländische Autor Oscar van Woensel verfasst. Es beruht jedoch auf künstlerischen Beiträgen von Jugendlichen, die Kurzfilme gedreht und Interviews geführt haben.
Die an Young Europe beteiligten Jugendlichen konnten also in unterschiedlicher Weise bei der Gestaltung der Stücke mitreden. Für die ETC stand im Vordergrund des Programms, Stücke für Jugendliche in ganz Europa zu entwickeln, um so das Repertoire des europäischen Kinder- und Jugendtheaters zu erweitern. Denn auch die Kinder- und Jugendtheater in Deutschland klagen darüber, dass es hier an Auswahl mangelt. So werden alle Stücke ins Englische übersetzt. Der ETC ging es aber vor allem auch darum, die Mehrsprachigkeit im Theater zu fördern und zugleich die These zu widerlegen, Theater sei an eine Landessprache und damit an Landesgrenzen gebunden: Zweisprachige Stücke wie "Fragen Fragen – La vache et le commissaire", eine Koproduktion von Theatern in Strasbourg und Karlsruhe, beweisen das Gegenteil.
Der Blog ist ein Kooperationsprojekt von nachtkritik.de und der European Theatre Convention im Rahmen des Young Europe Festivals. Seine Inhalte sind nicht Teil des redaktionellen Kontents von nachtkritik.de: Impressum.
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