Young Europe Blog: Eg - Ik, Ich, I vom Norske Teatret aus Oslo und der Toneelmakerij aus Amsterdam erzählt einen antiken Mythos neu
Narzisstischer Zauber
von Hannah Eßler
Berlin, 17. Mai 2013. Sie ist weiß oder sonnengelb, hat sechs Blätter und einen trompetenförmigen Trichter. Im Deutschen läutet sie namentlich die Osterzeit ein, dann überschwemmt sie förmlich den Blumenmarkt. Zwei Bund schon für fünf Euro bei Rewe oder Penny! Die Allgegenwärtigkeit der Narzisse lässt leicht den Mythos vergessen, der sich um sie rankt. Ein junger Mann von unvergleichlicher Schönheit weist aus Selbstverliebtheit alle Verehrer ab. Eines Tages jedoch wird sein Spiegelbild getrübt durch ein herabfallendes Blatt. Er glaubt sich seiner Schönheit beraubt und ertränkt sich. An seiner Stelle erblüht die erste der stark duftenden Blumen, denen narkotisierende Wirkung nachgesagt wird.
Warum musste Narziss ein so tragisches Ende finden? Weil er sich selbst und seine Schönheit erkannte und beschloss, sie mit niemandem zu teilen, so die Sage. Die Inszenierung "Eg – Ik, Ich, I" des Det Norske Teatret aus Oslo und des De Toneelmakerij aus Amsterdam interpretiert den Mythos neu und spielt mit den Fragen um Identität. Narziss ist hier zweigeteilt – zwei junge Männer stehen mit entblößten Oberkörpern in hautengen grünen Strumpfhosen auf der Bühne. Schön sind sie, vor Kraft strotzende Jäger, die durch den Wald streifen und mit einer sorglosen Brutalität Wild erlegen.
Der Jäger wird zur Beute
Diese naturgeordnete Welt wird gestört durch die Nymphe Echo, bis über beide Ohren in Narziss verliebt, die aus dem Zuschauerraum auf die Bühne stolpert und mit allen Mitteln versucht, Narziss für sich zu gewinnen. Erschwert wird ihr Vorhaben durch einen Fluch, mit dem die Göttin Hera sie für ihre Geschwätzigkeit bestrafte und der sie dazu zwingt, alles Gesagte zu wiederholen.
Narziss wird also vom Jäger zur Beute, was ihm so gar nicht zu passen scheint. Ein Teil von ihm genießt zwar das Ausleben seiner Triebe, aber dass Liebe auf Nehmen und Geben beruht und er seine Schönheit und Kraft plötzlich mit jemandem teilen soll, sieht er nicht ein. Echo versucht vergeblich, den ihr zugewandten Narziss von seiner anderen Hälfte zu trennen; ihre Schreie verhallen ungehört. Immer wieder prallt sie von Narziss ab, wird brutal von ihm zu Boden geworfen, fallen gelassen. Schließlich verstummt sie ganz und Narziss muss sich selbst ins Gesicht blicken. Es bleibt die Frage: Kann ein Mensch sich in zwei teilen, wenn er mit sich nicht mehr einig wird?
Spiegelkabinett der Eitelkeiten
Als Zuschauer leidet, lacht und fühlt mit, hineingezogen in diese Zwischen-Welt, die gerahmt wird von einem hedonistisch-glamournden Bühnenbild - drei bodenlange Lamettavorhänge gleißen im Licht, wirken mit ein paar Vogelgeräuschen wie ein sonnendurchfluteter Laubwald, später wie ein silberner Wasserfall. In der Mitte steht ein kleines Trampolin, darüber schwebt eine Diskokugel, ebenfalls spiegelnd und reflektierend wie ein unerreichbarer Stern. Geschickt verweben die drei energiegeladenen Schauspieler hier die Sprachen, springen leichtfüßig zwischen Englisch, Holländisch, Norwegisch und Dänisch. Auch ein paar deutsche Wörter flechten sie ein, humorvoll kommentiert durch das Ablesen vom Übertitelbildschirm.
Narziss, so wird schnell klar, steckt in uns allen. Ab dem Alter von zwei Jahren erkennen wir uns beim Blick in den Spiegel. Bin das wirklich ich, was ich da sehe, oder nur ein Abbild, eine Projektion, eine verkehrte dazu? Wo endet gesunder Egoismus, wo beginnt Eitelkeit? Habe ich ein Recht darauf, meine Kaugummis für mich zu behalten oder sollte ich sie teilen? Und wozu eigentlich soll Treue gut sein? Am Ende sind sowohl Echo als auch Narziss verwandelt – und viele Fragen an uns weitergeben.
Der Blog ist ein Kooperationsprojekt von nachtkritik.de und der European Theatre Convention im Rahmen des Young Europe Festivals. Seine Inhalte sind nicht Teil des redaktionellen Kontents von nachtkritik.de: Impressum.
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