Der Pfuh-Effekt

von Michael Stadler

München, 17. März 2013. Es ist kein "pfui" und auch kein "puh", das der Tod ausstößt, wenn er die Zeit, nachdem sie ihn beim Menschen vertreten hat, aus ihrem Dienst entlässt und sein Regiment wieder übernimmt. Wenn er dann da sitzt, die Hände im Schoß, ein bisserl einsam ist und bereit für die Ewigkeit. Nein, er sagt "na endlich" und dann "pfuh", spinnt die alte Mutter Linde ihre Geschichte weiter und amüsiert sich königlich. Was für eine Pointe: "pfuh"! Ihr Mann Otto lacht mit, während Nachbarin Edith probehalber auch mal "pfuh" sagt. Ediths Lover, der Sepp, findet das alles auch komisch, aber im Sinne von "traurig". Und dann fällt den Vier nichts weiter zum Zeitvertreib ein. Der Prolog ist zu Ende, und das Stück geht richtig los: "räuber.schuldengenital" von Ewald Palmetshofer.

Leben und Sterben und so weiter

Die Marschrichtung deutet der preisgekrönte Dramatiker aus Oberösterreich am Anfang seines jüngsten Werks schonan: Es geht hier um die ersten und die letzten Dinge, um das Gebären und das Leben und das Sterben und das Erben und so weiter, wenngleich Palmetshofer sich in eine weder übermäßig tragische, noch immens lustige, und wenn schon komische, dann eher traurige Unendlichkeit hineindenkt. Die Alten sind unsterblich wie die Götter und haben sogar weiterhin Spaß am Sex, während die zwei Söhne von Linde und Otto gerne schon das Erbe einkassieren würden. Fortpflanzen, das bedeutet sich schuldig machen, und der Vater trägt den Schuldenberg weiter hervorragend in der Hose. Seine ewigen Gläubiger heißen Franz und Karl, so heißen auch die Brüder in Schillers "Die Räuber", aber das Zeug zum Klassiker haben sie nicht. Sie sind vielmehr Vertreter dieser erbärmlichen Generation, die keine Ahnung hat, was das ist: sicheres eigenes Einkommen.

raeuber 09 280 hoch andreas pohlmann uUlrike Willenbacher, Arnulf Schumacher
© Andreas Pohlmann

Mutloser Respekt

Palmetshofer zeichnet seine Figuren vage, entwickelt in seinen Satzschleifen sozialkritische Ansätze und (sprich-) wortverspielte Pointen, die weder knallen noch ganz verpuffen. In Wien erlebte dieser Text seine Uraufführung durch Stephan Kimmig. Nun nahm sich Alexander Riemenschneider des Stücks für die deutsche Erstaufführung auf der Resi-Nebenbühne des Marstalls an. Der 1981 geborene Regisseur behandelt diesen Palmetshofer behutsam. Man könnte auch sagen: etwas mutlos. Mit viel Respekt. Man könnte sagen: zu viel Respekt.

Optisch eröffnet sich eine Art düstere Endzeitparty mit vereinzelt bunten Lebenslustzeichen. Ein weites, von Neonröhren umrandetes Spielquadrat hat Bühnenbildnerin Rimma Starodubzeva eingerichtet und mit dunklen Holzstückchen bedeckt. Hier hat schon mal was gelodert. Hier ist was abgebrannt. Einen schwarzen Mast richten die Darsteller mächtig phallisch auf, und er wird gegen Ende wieder fallen. An den daran angebrachten Leinen hängen dunkle Bändchen und vereinzelt glitzerndes Lametta. Zudem leuchtet ein Bündel Luftballons knallig und wird später von Karl böse zerpiekst. Und dann ist da noch ein rot gekleidetes Kind mit blutigen Knien, das immer wieder auftaucht. Eine stille Vorausahnung. Es ist das Kind, das Karl und Franz mit der Nachbarinnentochter Petra zeugen und zuletzt auf die Welt loslassen werden.

Weder noch

Riemenschneider und sein Team haben ein paar schöne Einfälle, aber es wird zu wenig aus ihnen gemacht: Statt einem Rollstuhl wie bei Palmetshofer gleitet Nachbarin Edith mit einem Stuhllift auf einer hinten angebrachten Schiene hin und her. Aber nicht mal die langsame Motorik des Gefährts kann den durchweg mittelgängigen Rhythmus der Inszenierung stören. Dabei liegt im gleichmäßigen Gang der Dinge durchaus eine gewisse Komik: Die vitalen Älteren lassen sich von den bedürftigen Jüngeren nicht aus der Ruhe bringen. Miguel Abrantes Ostrowski und Sierk Radzei ziehen sich als Brüderpaar Clownsmasken für ihren bevorstehenden Raubzug über. Ihre Eltern (Arnulf Schumacher und Ulrike Willenbacher) ahnen Übles, wollen aber trotzdem glauben, dass der Söhne Liebe Grund für die Heimkehr ist und lassen sich getrost zur guten Nacht von den Clowns küssen. Nachbarin Edith (Renate Jett) hängt hingegen wie ein Vampir am Arm ihrer duldsamen Tochter Petra (Valerie Pachner) oder turtelt mit ihrem Liebhaber Sepp (Alfred Kleinheinz) auf dem Stuhllift. Libido forever.

Die sieben Darsteller haben das Stück im Griff und finden zu einem sanft grotesken Ton. Aber viel Möglichkeit zum Glänzen ergibt sich nicht. Immerhin: Wenn Franz und Karl ihren Raubüberfall vermasseln, steigert sich die Inszenierung für einen Moment zu einem absurden Crescendo. Nach dem Tumult müssen all die Älteren dran glauben und sind zuletzt doch wieder lebendig. Und nicht nur das: Es kommt der neue Nachwuchs. Zwei Väter, eine Mutter. Ergibt ein beängstigendes Kind. Großes Grauen erzeugt diese Inszenierung jedoch nicht. Auch keinen Jubel und keinen Ärger. Pfuh.

 

räuber.schuldengenital (DEA)
von Ewald Palmetshofer
Regie: Alexander Riemenschneider, Bühne: Rimma Starodubzeva, Kostüme: Lili Wanner, Musik: Arne Jansen, Licht: Uwe Grünewald, Dramaturgie: Veronika Maurer
Mit: Arnulf Schumacher, Ulrike Willenbacher, Renate Jett, Alfred Kleinheinz, Sierk Radzei, Miguel Abrantes Ostrowski, Valerie Pachner, Merle Lang oder Elisa Wenz (als das Kind).
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.residenztheater.de



Kritikenrundschau

In der Süddeutschen Zeitung (21.5.2013) findet Christine Dössel, der "sprachphilosophische Sinnforscher Palmetshofer" habe mit seinen Stücken Nachspiele schon "deshalb verdient, weil er ein ungemein gewiefter Satztüftler ist, der mit seiner rhythmisierten, den Alltagsjargon hochartifiziell in den Blankvers dirigierenden Personenrede einen komischen, lakonisch-poetischen Sound erzeugt, auf den sich das Theater eingrooven muss". Dieses Eingrooven gelinge in der braven Inszenierung von Alexander Riemenschneider allerdings nicht so gut, weil Riemenscheider "sich zu wenig traut und auch seinen Schauspielern zu wenig zutraut und Luft rauslässt, wo er Gas geben und zuspitzen müsste."

Anders als die Schiller'schen "Räuber" bei der Uraufführung 1782 in Mannheim fand Palmetshofers "räuber.schuldengenital" bei der deutschen Erstaufführung wie auch bereits bei der Wiener Uraufführung Ende vergangenen Jahres eine "freundliche Aufnahme", berichtet Mathias Hejny in der Münchner Abendzeitung (21.5.2013). "Die rhythmisch wie philosophisch hochgejazzten Dialoge und die an diesen seltsam unbeteiligt wirkende Inszenierung sind nicht mehr als kunstgewerbliche Anstrengungen mit überschaubarem Erregunspotenzial. Generationskonflikte sind, so scheint es hier, auch nicht mehr, was sie einmal waren."

 

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