Deutsche Theaterlandschaft als UNESCO-Kulturerbe?
Ensemble- und Repertoirebetrieb schützen
23. Mai 2013. Der Deutsche Bühnenverein möchte sich dafür einsetzen, dass die Theater- und Orchesterlandschaft Deutschlands in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird. "Es geht darum, den Ensemble- und Repertoirebetrieb zu erhalten und die Orchesterlandschaft mit ihren kontinuierlich arbeitenden Besetzungen zu schützen", so Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, gegenüber nachtkritik.de. Verschiedene Medien berichteten zuvor unter Berufung auf ein Interview mit Klaus Zehelein.
"Die Idee besteht im Bühnenverein schon länger", so Bolwin. Doch Deutschland habe erst vor Kurzem das entsprechende UNESCO-Übereinkommen für immaterielles Kulturerbe unterzeichnet. "Eine Aufnahme wäre zunächst ein kulturpolitisches Signal, das klar macht, dass Kommunen und Länder alles tun müssen, um die Kulturlandschaft so zu erhalten."
Über konkrete Auswirkungen oder Regelungen könne zwar noch nichts gesagt werden, "aber zum Beispiel bei Spartenschließungen, wovon der Tanz immer mehr bedroht ist, wird man sich Fragen stellen müssen. Den Kölner Dom als Weltkulturerbe kann man ja auch nicht einfach verfallen lassen." Auch gehe es darum, Kontinuität in den Arbeitsverhältnissen zu schützen und nicht nur projektweise mit selbstständigen Künstlern zu arbeiten, wie es in anderen europischen Ländern der Fall ist.
Eine endgültige Enscheidung über die Antragstellung wird bei der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins am Wochenende gefällt. Sollte eine Aufnahme erwirkt werden, so gilt noch abzuwarten, in welche der drei UNESCO-Listen des immateriellen Kulturerbes: So gibt es eine "Repräsentative Liste", eine "Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes" sowie ein "Register guter Praxisbeispiele".
(mw)
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Die deutschen Theater werden mit dem Versuch des Deutschen Bühnenvereins, die deutsche Theaterlandschaft von der UNESCO zum Kulterbe erklären zu lassen (siehe auch die nachtkritik.de-Meldung oben), an diesem Wochenende einen großen Schritt Richtung Musealisierung unternehmen, schreibt Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung (24.5.2013). Ein solches Ansinnen hat es Steinfeld zufolge zwar schon einmal, vor gut zehn Jahren gegeben, "als Antje Vollmer, damals Vizepräsidentin des Bundestags, im Namen der Grünen für die Aufnahme der 'deutschen Theaterlandschaft' in den Katalog der ewigen Dinge plädierte. Aus Steinfelds Sicht ist dieses Ansinnen nicht nur mit "kühnen kulturpolitischen Behauptungen" sondern auch handfesten Anmaßungen verbunden: Die erste dieser Behauptungen ist für Steinfeld die 'deutsche Theaterlandschaft' selbst: "Sie ist, in ihrem Reichtum und ihrer Vielgestalt, ein Vermächtnis der deutschen Kleinstaaterei und der langen Abwesenheit einer nationalen bürgerlichen Öffentlichkeit. Kann man ein solches Erbe unter Bestandsschutz stellen?" Die zweite Behauptung sei die Einzigartigkeit dieser Landschaft. Für Thomas Steinfeld unterstellt diese Behauptung nämlich, "dass es andere, mindere schützenswerte 'Theaterlandschaften' gebe." Die dritte und stärkste Behauptung aber sei der Anspruch auf Rettung. "Oder genauer: Was hat man sich unter der 'deutschen Theaterlandschaft' vorzustellen, die da geschützt werden soll?" Zur deutschen 'Theaterlandschaft' gehörten zwar Häuser und Bühnenmechaniken, Eintrittskarten und Garderobenständer in unvergleichlich großer Zahl: "Um die hundertfünfzig öffentliche Theater mit Vollbetrieb gibt es in Deutschland, ungefähr genauso viele Spielstätten ohne festes Ensemble, und es kommen mindestens dreihundert private Theater hinzu." Nichts von alledem jedoch ergibt für Steinfeld eine 'Landschaft'. So erkennt er in der Initiative des Bühnenvereins zwar einen Versuch der Notwehr gegen die strukturellen und ökonomischen Bedrohungen deutscher Stadt- und Staatstheater, aber auch "ein erhebliches Maß an bürokratischer Borniertheit".
Voraussetzungen für die Aufnahme in die Unesco-Liste ist aus Sicht von Matthias Heine auf Welt-online (25.5.2013) "eine gewisse Musealisierung, ein künstlerischer Stillstand und eine Versiegelung gegenüber kulturellen Verunreinigungen durch die Gegenwart und die Zukunft". Also genau das Gegenteil jener Offenheit, Aktualität und globalen Vernetzung, die Heine zufolge gerade von den Mitgliedern des Bühnenvereins beschworen werden würden. Das Geschichte des deutschen Theaters sei aber "anders als die des japanischen Kabuki-Theaters oder des sizilianischen Puppentheaters, die beide auf der Liste stehen – längst nicht abgeschlossen. Aber einigen seiner Vertreter scheint der Schutz unter der Glasvitrine der Unesco-Konvention wichtiger zu sein als eine lebendige Entwicklung."
"An der Qualität der Kunst (...) ändert eine solche Versiegelung der Verhältnisse ebenso wenig, wie sie die Frage beantwortet, warum Kulturen eigentlich untergehen", schreibt Christine Lemke-Matwey in der Zeit (29.5.2013).
(sle/sd)
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ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2013/05/23/drk_20130523_1609_22bebb24.mp3
Bitte den gesamten Link anzeigen! Dort kann man das Interview nachhören.
Naja, mal sehen, wer da morgen so bei der Podiumsdiskussion des Bühnenvereins präsent sein wird, in Kiel. Ich persönlich halte die Aufbereitung der Nordsektionsseite des Vereins (siehe dort "under construction") und die Klärung der Frage, ob es noch die Norddeutschen Theatertreffen (alle zwei Jahre ??) geben soll, um mein "ewiges" Beispiel zu nennen, allerdings für dringlicher als diese großen STAATSAKTIONEN im Weltmaßstab. Die Kieler Stadtbücherei hat die monatlichen Theatermagazine aus dem Programm genommen, dafür aber immerhin zwei gut frequentierte Hundemagazine. Statt dieser großen Gesten und weltschweifigen Kulturtätigkeit gäbe es, so mein Eindruck, für so einen Verein genug zu tun, jeweils vor Ort seine Hausaufgaben zu erledigen..
für ein Weltkulturerbe gibt es kein Geld, nur Verpflichtung.
Sie können gern Preise zahlen für nichtsubventioniertes Theater. Dann schauen Sie sich die Preise der Eventkultur an. Musicaltheater, viel Unterhaltung, Mainstream und wenig Kultur. Das ist meine Sicht. Ich finde diese deutsche Theaterwelt vielseitig, nach wie vor innovativ und erhaltenswert, auch in Rostock und Senftenberg.
Ist es nicht ein Gut, dass in Deutschland im Jahr mehr Menschen ins Theater gehen, als in die Fußballstadien. Beides hat seine Berechtigung.
Denken Sie einfach einmal etwas nach. Sie schreiben fast zu jedem Stück einen Beitrag, sehen also viel, bilden sich ihre Meinung, auch bei Preisen dann um die 150€? Können Sie sich das leisten?
Es ist so gut, dass es in fast jedem deutschen Theater Karten für Sozialhilfeempfänger (3€) gibt. Zuminsest hat jeder die Möglichkeit, an Kultur teilzunehmen. Man muss dann nur auf sechs Bier verzichten.
Reden wir unsere Theaterlandschaft nicht schlecht, sie ist einzigartig!
www.welt.de/kultur/buehne-konzert/article116500410/Stehen-Deutschlands-Theater-vor-der-Ausrottung.html
Außerdem schreibe ich zu Stücken keine Kommentare. Das sollte ihnen schon aufgefallen sein. Denn ich bin kein Kritiker.
das Kulturerbethema. Herr Oberender jedenfalls schätzte diesen Gegenstand eher skeptisch ein als eine unnötige Abwehr-/Defensivhaltung. Herr Zehelein dagegen erhofft sich, damit überhaupt ein öffentliches Bewußtsein für den Gegenstand "schleichendes Theatersterben aufgrund der prekären Kommunalkassenstände"
zu erreichen. Ich denke, daß bezüglich dieser Hoffnung Skepsis nicht ausbleiben kann; und das Problem ist alles andere als neu. Offensiv will auch Zehelein sein, vor allem nicht zum Nachmittagsbetreuer für Ganztagsschulen werden. Aber, wie offensiv verhält sich der Bühnenverein sonst ?? Die Diskussion begünstigte meine Frage nach dem Norddeutschen Theatertreffen leider nicht, so daß ich an prominenter Stelle selbst nachgefragt habe. Bislang brachte ich nur zur Kenntnis, daß die Sektion Nord des Vereines eigenständig ist und ich mich an diese wenden müsse; man solle nicht aufgeben und sich immer wieder bemerkbar machen. Nun, ich sah bei der gestrigen Stephens-Premiere und heute bei der Diskussion durchaus Redakteure von "Die Deutsche Bühne" (sie werden ganz sicher von der Podiumsdiskussion berichten). Möglicherweise kann einer von ihnen oder ein Nordintendant oderoderoder mir endlich die Frage beantworten, was aus diesen Treffen werden soll; ich denke nämlich, daß solche gerade in Zeiten des Internets einen neuen Aufwind erfahren könnten, erst recht wenn es dann wirklich dazu käme, daß die beteiligten Theater nicht nur am Tage ihrer Sache vor Ort verweilen, sondern es zu einem wirklichen Treffen und Erfahrungsaustausch auch zwischen Publikümern der verschiedenen Städte kommen würde. Ich glaube, daß soetwas bei den NRW-Theatertagen und in Bayern zB. durchaus fruchtbar praktiziert wird: warum nicht auch im Norden ?? Bitte, nk, auch Ihre Seite hat einen Niedersachsenschwerpunkt, müßte es da nicht mit dem Teufel zugehen, nicht an irgendeiner Stelle näher auf dieses Thema eingehen zu können, Gehör zu finden bei der Intendantin X, dem Intendanten Y ???
daß heutige System der Landes-, Stadt-, Staats-, Nationaltheater eher ein Kind "jüngerer Zeit" und diente dem NS-Staat durchaus zur Gleichschaltung des Theaterbetriebes, und verwies darauf, sich einmal genau anzusehen, wie das im Einzelnen zuvor organisiert war ! Wird aber über "Kleinstaaterei" das Thema aufgemacht, könnte sich auch schnell ein Diskussionsverlauf entwickeln, der nichts mit der Frage mehr zu schaffen hätte "Warum die deutsche und nicht irgendeine andere Theaterlandschaft ?", es mag viele schützenswerte geben, und möglicherweise läßt sich auf eine Oberender und Zehelein kombinierende, offensive Weise für diese eine weiterdiskutieren (das "Gerechtigkeitsproblem" der Süddeutschen halte ich für ein Scheinproblem, so skeptisch ich nach wie vor dem Ansatz gegenüber bin)..
diesen dynamischen Prozess in den theatergebäuden finde ich tatsächlich immateriell, die historischen theatergebäude dagegen materiell. auch soll es wohl nicht um einzelne theaterbeispiele gehen, sondern um das gesamte system, prinzip, muster, beschreibenswert als genom in der dann kulturgemeinschaft menschheit.
ich kann daran nichts konservativ konservierendes finden, sondern fände eine solche verchristliche beschreibung konsequent.
ich drücke dem bühnenverein die daumen.
Das Förder- und Subventionsprinzip in Deutschland ist eine Art staatliches Vertriebssystem für Theaterproduktionen. Vertriebssysteme mögen eine Art immateriellen Wert darstellen. Eine Wahrheit aber bleibt, dass dieses Vertriebssystem, sollte es durch die UNESCO geschützt werden, materielle Werte sichern soll, eben die staatliche Finanzierung. Hier dürfte wohl der Hauptwiderspruch für ein solches Ansinnen liegen. Es tarnt unter dem Begriff „immateriell“ ein System der Geldbeschaffung für Theaterschaffende. Das hat nichts mit Häme zu tun, sondern stellt ein wirkliches Problem dar, denn die Form der Finanzierung allein stellt noch keinen immateriellen Wert dar, sondern ist ein Instrument zur materiellen Sicherung eines durch und durch heterogenen Wertes, der sich in einer Vielzahl von künstlerischen Ausdrucksformen Geltung verschafft. Die damit geförderten Theaterformen sind aber jede für sich nicht zwingend schützenswert im Sinne der UNESCO, denn sie unterliegen historischen Trends und einem stetigen Wandel.
der UNESCO zu finden. Ähnlich sieht es ja in Trier, Koblenz, Pforzheim, Leipzig etc aus. Alte Kulturdampfer denen langsam die Puste, respektive das Publikum ausgeht. Das ist aber irgendwie auch eine sehr reizvolle Vorstellung: Alles wird wie beim Kloster Lorsch in einem Moment festgefroren, dann werden Bustouristen rangekarrt und ein gut bezahltes Ensemble nudelt bis zum Ende aller Tage die ollen Kamellen. Teils ist da ja schon Realität - 500 Vorstellungen Zauberkröte landauf, landab - ewig grüßt die Königin der Nacht.
deshalb ist ihre aussage, werter herr baucks, für mich kein widerspruch, sondern bestätigung.
Schön für sie. Bei etwas weniger Pathos und einer nüchternen Betrachtung hält ihre Meinung aber keiner Überprüfung stand. Soll die UNESCO entscheiden. Wir werden sehen.