Die Erfindung des (West)Theaters

von Andreas Schnell

Bremen, 31. Mai 2013. Ein Gespenst geht um in Bremen – das Gespenst Kurt Hübner. Seit nämlich das Theater Bremen vor einem halben Jahrhundert aus der Regionalliga in die Bundesliga aufstieg, Sie wissen schon: "Bremer Stil", Fassbinder, Zadek, Stein, Ganz, die Erfindung des Regietheaters, seitdem ist die Hübner-Zeit bis heute heimlich oder explizit der Maßstab, an dem Intendanten hier gemessen werden.

Michael Börgerding, seit der laufenden Spielzeit Inhaber dieses Postens, ist sich dieses Erbes nicht nur bewusst, sondern verwies von Anfang an offensiv mit dem umkehrenden schwarzen Pfeil als Logo des Bremer Theaters auf Hübner, der in diesem Jahr rein theoretisch seine 50. Spielzeit begehen würde, wäre er nicht tot – und hätte man ihm nicht nach elf Jahren in Bremen den Stuhl vor die Tür gesetzt.

Wardawas3 560 JoergLandsberg uBremer Stil mit Bremer Stühlen mit Himmel aus Fundus-Fummeln für Projektionen
© Jörg Landsberg

Die Sache mit dem Mythos

Stuhl ist eigentlich ein gutes Stichwort, um über Gernot Grünewalds "Rechercheprojekt" über die Hübner-Jahre zu sprechen: weil man zu Hübner-Zeiten herausfand, dass ein Stuhl als einziges Requisit einer Inszenierung durchaus genügen kann. Aber vielleicht müssen wir doch kurz andeuten, warum ein so gefeierter Theatermann wie Kurt Hübner am Ende im "Dorf mit Straßenbahn", wie manche Bremen schmähen, nicht bleiben konnte. Nicht alle Bremer nämlich liebten ihn. Da war zum Beispiel Kultursenator Moritz Thape, der ausdauernd und letztlich erfolgreich Hübners Absetzung betrieb. Womit wir dann doch schon mittendrin sind in "War da was?", das gestern im Kleinen Haus in Bremen Premiere hatte.

Eine Sache ist nämlich der Mythos. Eine andere ist die Sicht der Zeitgenossen. Die Zeit dazwischen erzeugt wiederum Reibungsverluste und Unschärfen, zumal wenn es um eine Kunst wie das Theater geht, die jeden Abend neu entsteht und – zumindest damals – nicht ohne weiteres per Aufnahme zu speichern war. Diese Ebenen in ein Verhältnis zu setzen und auf unaufgeregte Weise nachvollziehbar zu machen, ist Grünewald auf sehenswerte Weise gelungen.

Der Vermieter von Bruno Ganz

Schon die Exposition ist klug konstruiert: Fünf Schauspieler schickte Grünewald auf die Suche nach Hübners Spuren, darunter zwei, die schon lange am Theater Bremen arbeiten (Guido Gallmann und Susanne Schrader), zwei, die noch neu in Bremen sind (Peter Fasching und Lisa Guth), und einen Gast (Cornelia Dörr). Sie sollten mit Zeitzeugen sprechen, um die Frage "War da was?" zu beantworten. Dabei stießen sie auf Professoren, Politiker wie Senator Thape, auf Schauspieler, Bühnenarbeiter und andere Bedienstete des Theaters wie Kurt Hübners Sekretärin, aber auch auf Zuschauer oder Bremer Typen wie den Alt-68er Olaf Dinné, der zwar bekannte, eigentlich nie im Theater gewesen zu sein, aber immerhin in Peter Zadeks Film "Ich bin ein Elefant, Madame" mitspielte und zeitweise der Vermieter von Bruno Ganz und anderen Mitgliedern des legendären Ensembles war.

Wardawas2 560 JoergLandsberg u War da was? Ja, und zwar Peter Fasching, Lisa Guth, Cornelia Dörr, Susanne Schrader und Guido Gallmann  © Jörg Landsberg

Und natürlich "war da was". Und natürlich gehörten dazu auch weniger charmante und glanzvolle Seiten der Schöpfer des Bremer Stils, wie Psychoterror, interne Streiteren und Selbsthilfegruppen innerhalb des damals noch über 30-köpfigen Schauspielensembles.
Allerdings, eine immanente Schwäche von Oral History, erzeugt die beträchtliche zeitliche Distanz Lücken, Unschärfen, Widersprüche, die Grünewald keineswegs aufzulösen oder zu glätten sucht. Im Gegenteil. Sie durchziehen den Abend geradezu leitmotivisch, als Stocken, als Pause, als "Wie war das noch gleich?"

Luft aus dem Mythos lassen

Das Bühnenbild von Michael Köpke übersetzt diese Brüche in einen Raum, der mit einem Haufen Stühle bestückt ist (einer davon übrigens aus Fassbinders "Bremer Freiheit"), die im Verlauf immer wieder neu und sinnig angeordnet werden, sowie einem Schwung Kostüme aus dem Fundus, die eine Projektionsfläche bilden, auf der die wenigen erhaltenen Bilder von damals fast bis zur Unkenntlichkeit aufgebrochen werden.

Sonst geschieht wenig auf der kargen Bühne. Nur ab und an deuten die fünf Schauspieler Bewegungen an, die aus dem modernen Tanz kommen könnten – bekanntlich auch so eine Bremer Erfolgsgeschichte – und steigen nur am Ende in Kostüme. Meist berichten sie im lockeren Plauderton von ihren Begegnungen mit den Zeugen, deren Stimmen sie aufgezeichnet haben, auch sie oft kaum verständlich, und sei es wegen des berüchtigten Bremer Nuschelns.

Und genau diese Unklarheiten auf verschiedenen Ebenen macht Grünewald produktiv, wobei er durchaus einiges über die Hübner-Jahre erzählt, nicht zuletzt aber auch eine ganze Menge über das Wesen der Überhöhung. Selbst wenn er vielleicht ein wenig zu nett zu diesem mythisch aufgeblähten Intendanten-Gespenst ist, das Grünewald immer mal wieder mit dem realen Kurt Hübner überblendet, um dann mit Anekdoten wie der Erzählung seiner einstigen Sekretärin, dass er seinen Arbeitstag in der Regel mit zwei Stunden cholerischem Geschrei eröffnete, geradezu liebevoll die Luft herauszulassen.

 

War da was? Die Hübner-Jahre
von Gernot Grünewald
Regie: Gernot Grünewald, Ausstattung: Michael Köpke, Ton und Video: Jonas Plümke, Musik: Daniel Sapir, Dramaturgie: Viktorie Knotkova.
Mit: Cornelia Dörr, Peter Fasching, Guido Gallmann, Lisa Guth, Susanne Schrader.
Dauer: ca. 2 Stunden, keine Pause

www.theaterbremen.de

 

 Kritikenrundschau

"Die Bühne selbst erinnert zunächst mehr an Ionesco als an Hübner", schreibt Johannes Bruggaier in der Kreiszeitung (3.6.2013). "Im fahlen Licht atmet dieser Raum Dachbodenatmosphäre, zumal die fünf Protagonisten des Abends darin wie neugierige Kinder in einer fremden Gerümpelkammer agieren." Erzählt würden "die Anekdötchen und Geschichtchen, die seit Jahr und Tag in Bremen die Runde machen". Die Sache ziehe sich. Und weil der Abend zwischen Fiktion und Dokumentation beliebig changiere und statt Charaktere bloße Rechercheure zeige, bleibe er "darstellerisch belanglos".

"War da was? Doch, alle sind sich einig, dass da was war", schreibt Rainer Mammen im Weserkurier (2.6.2013) und lobt: Die Recherchen würden in einer "intelligenten, abwechslungsreichen Choreographie" präsentiert.

Die Zeitreise gelingt, so Alexander Kohlmann (Dradio Fazit Kultur vom Tage, 1.6.2013). Man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Die Bühne sei anfangs wie ein vergessener Fundus, dann entspinne sich ein Mosaik aus Zeitzeugeninterviews, Bildern, Tönen. Wie ein Nachhalt einer vergangenen Epoche.

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