Worte statt Wandel

von Hartmut Krug

Dresden, 7. Juni 2013. Drei Personen, allesamt mit wuscheliger Perücke dem Autor ähnelnd, umrunden aufmerksam die schmale Bühne. Sie suchen und forschen nach neuem Sinn, wenn sie die großen Buchstaben umstellen, die die Bühne mit dem Titel des Stückes ausfüllen. Dabei werden spielerisch neue Wörter geschaffen, und neue Buchstabenkonstruktionen schaffen reale Funktionen, werden zum Waschbecken oder zu Schreibgeräten, zu Computern.

Ein schönes Bild, mit dem die dozierende Erzählung von Ingo Schulze zu Beginn in Dresden für einen Moment einen theatralen Ausdruck findet. Dann aber rauschen die Wörter, erst aus dem Off, dann aus den Mündern der drei Schauspieler. Die nehmen ihre Ingo-Schulze-Perücken ab und werden zu Figuren aus einem Brief, den sie gemeinsam, mal direkt, mal konjunktivisch, mal in kleinem Dialog berichtend, vom Vortrag ins Spiel zu überführen suchen.

Die Rolle des Schriftstellers

Ein junger, erfolgreicher Schriftsteller schreibt einem Museumsdirektor, warum er einen versprochenen Text über ein Kunstwerk bisher nicht geliefert habe. Es ist ein erzählter Text, nicht nachdenklich und offen, sondern fertig mit seinen Gedanken und Urteilen, abgeklärt räsonierend und resümierend. Er bedient Leser und Zuhörer mit Meinung, statt sie mit Widersprüchen zu fordern. Es geht um die Rolle des Schriftstellers.

Ein junger, erfolgreicher Schriftsteller durchdenkt seine Beziehung zu einem älteren Schriftsteller namens B.C., der vor der Wende aus der DDR, wo er im Gefängnis gesessen hatte, in die Bundesrepublik ausgereist war. Dort wurde er in die undifferenzierte Rolle eines Dissidenten gedrängt – mit der Einspielung einer Anne-Will-Talkrunde zum Unrechtsstaat DDR erklärt die Inszenierung, was von B.C. gefordert wurde. Doch dieser, obwohl anfangs herumgereicht in Schriftstellerkreisen, fand weder seinen Platz noch sein Thema in der neuen Gesellschaft und vermochte nicht mehr zu schreiben. Genaueres, Tieferes, Präziseres, über diese irgendwie recht bekannte Abnick-Aussage Hinausführendes aber erfährt man nicht. Und warum der junge Schriftsteller namens "Ich", auch er aus dem Osten, nach der Wende einfach Erfolg hat, auch nicht.

Thesenfiguren müssten lebendig werden

Wohl, klar, weil er den Marktgesetzen folgt. Doch auch er ist ein ehemaliger DDR-Bürger, der B.C. bewundert und noch ein Exemplar des einzigen von diesem in der DDR erschienenen kritischen Buches besitzt. Nachdem die beiden Schriftsteller sich bei einer Lesung kennengelernt haben, bleiben sie in distanziertem, seltenem Kontakt.

So weit, so bekannt und nicht ohne Klischees. Nun aber würden wir gern mehr wissen, jetzt müsste der eigentliche Text beginnen. Er könnte mehr, könnte Individuelles wie Gesellschaftliches über die beiden Autoren und von ihren Erfahrungen mit dem Kultur- und Literaturbetrieb vermitteln. Das heißt: Die beiden Schriftsteller müssten sinnlich und lebendig werden. Doch sie bleiben Thesenfiguren, auch wenn Holger Hübner als freundlicher, nachdenklicher, auch mal gegen den gesellschaftlichen Opportunismus aufbrausender B.C. und Matthias Reichwald als Ich ihren Figuren durchaus Lebendigkeit und einige Prägnanz zu geben vermögen.

Szenisches Referat

Christoph Fricks Inszenierung ist, trotz manch medialer Garnierung, vor allem szenisches Referat. Eines etwas geschwätzigen und eher schwachen Textes über Rolle und Möglichkeiten des Schriftstellers zwischen einem untergegangenen und einem munter bewusstlos lebendigem Staat. Nur punktuell gelingt die Auflockerung der Erzählung zum Theaterspiel. Wenn B.C. langwierig dem Ich Reinhard Muchas monumentales Kunstwerk "Das Deutschlandgerät" erklärt, wird seine Demonstration zu einer schweren Bedeutungsmetapher. Dieses Kunstwerk, das zeigt, wie Alltagserfahrungen und Handlungen zu Kunst werden, bezieht sich auf ein technisches Gerät, mit dem die Bahn Dinge wieder aufs richtige Gleis heben kann. Also hebt sich die Bühne hydraulisch, bis sie, jetzt schräggestellt und Schwarzrotgold gefärbt, die Menschen abrutschen und B.C. unter ihr sein Grab finden lässt.

Etwas Genaueres erfahren wir über B.C. in einem langen Gespräch nach seinem Tod, in dem seine Lebensgefährtin Elzbieta Kühn, die ihn finanziert hatte, dem Schulzeschen Ich einiges über B.C.s Leben in der Bundesrepublik erzählt. Sonja Beißwenger, die diese Figur mit schön distanzierter Lebendigkeit ausstattet, vermag dennoch diesem allzu langen Erklärungstext keine tiefere Spannung zu geben. So bleibt von dieser Uraufführung einer Erzählung vor allem die Erinnerung an drei Schauspieler, die mit großer Lebendigkeit Schulzes langatmigem und kurz gedachtem Text doch einige spielerische Lebendigkeit einhauchen.

 

Vom Wandel der Wörter. Ein Deutschlandbericht (UA)
von Ingo Schulze
Regie: Christoph Frick, Bühne und Kostüm: Alexander Wolf, Video: Sami Bill, Musik: Martin Schütz, Licht: Michael Gööck, Dramaturgie: Julia Weinreich.
Mit: Sonja Beißwenger, Holger Hübner, Matthias Reichwald.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Bereits den Text auf dem der Abend basiert, findet Michael Bartsch von den Dresdener Neuesten Nachrichten (10.6.2013) nicht sehr spannend. Auch die Aufführung insgesamt entläßt ihn ohne größeren Erkenntnisgewinn.

Für Rainer Kasselt von der Sächsischen Zeitung (10.6. 2013) handelt es sich bei Ingo Schulzes Vorlage um einen sehr persönlichen und mutigen Text. Zwar sei kein großer sinnlicher Theaterabend daraus entstanden, aber wegen seiner "Thesenartigkeit" handele es sich doch um eine wichtige Farbe im Spielplan. Regisseur und Bühnenbildner stellten sich ganz in den Dienst dieser Vorlage und versuchten, ihn mit fantasievollen Einfällen umzusetzen. Das gelinge nicht durchgehend. Doch speziell die drei Schauspieler sorgten für Spannung und Widersprüche.

In der Süddeutschen Zeitung (14. Juni 2013) widmet sich Helmut Schödel ausführlich dem "großartigen Text des führenden Schriftstellers der Wendegeneration". Nur kurz geht er auf die Szene ein, die "unter der Projektion einer technischen Zeichnung und neben zwei Monitoren wie eine Installation" wirke. "Die Schauspieler bemühen sich redlich, immer neue Situationen zu skizzieren - aber das ist der Fluch des theatralischen Übergriffs auf eine wunderbar flüssige Prosa: Sie kommen einem vor wie Handwerker, die sie einreißen, Bühnenarbeiter."

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