Gefangen in der Stille

von Elisabeth Maier

Würzburg, 20. Juni 2013. Eingesperrt in ihr trauriges Leben, klammern sich drei Wachmänner an Erinnerungen fest. In glaskalten Pförtnerlogen reden die Mittvierziger von einer Zeit, in der ihnen das Leben noch offen stand. Sarah Trilschs dokumentarisches Stück "Ich und die Weltmeere. Weil die Tür vom U-Boot klemmte" fußt auf Interviews mit Mitarbeitern eines Leipziger Sicherheitsdiensts. Dabei reizen die 1986 in Dresden geborene Autorin, die das Leben in der ehemaligen DDR nur aus Erzählungen und aus Geschichtsbüchern kennt, die Biografien der Männer, deren Leben sich mit der Wiedervereinigung radikal geändert hat.

Für ihr Stück gewann Trilsch 2012 den Leonhard-Frank-Preis, mit dem das Mainfranken Theater in Würzburg jedes Jahr einen Dramatiker auszeichnet. Marcus Rehberger hat hier die Uraufführung des Stücks inszeniert. Allzu real ist schon der Bühnenraum, in dem Kristopher Kempf das Spiel mit zertrümmerten Zielen ansiedelt. Drei enge Pförtnerkabinen markieren den engen Lebensradius, in dem sich die drei Männer bewegen. Wie in einem U-Boot sind die Werktätigen in dieser kleinen Welt eingezwängt. Meist ist der Blick aus dem Fenster der einzige Kontakt zur Außenwelt. Frostiges Neonlicht durchflutet ihren Arbeitsplatz. Hinter der riesigen Scheibe schmoren die Wachmänner im eigenen Schweiß und im warmen Duft des Kaffees aus der Thermoskanne.

mft weltmeere1 560 nico manger uLeben hinter Glas © Nico Manger

Anfangs lässt die junge Autorin die drei Männer in der Routine versinken. In der Stille der Nacht warten sie auf Besucher, die nicht kommen. Oder der stündliche Anruf beim Chef der Sicherheitsfirma durchbricht die Einsamkeit für einen Augenblick. Von den Weltmeeren, die Trilsch im Stücktitel spielerisch als Symbol für die endlose Stille der Nachtarbeit verwendet, ist diese Szenerie weit entfernt.

Einziger Kick: der Kampf gegen die Müdigkeit

Da geizt die Autorin nicht mit Ironie. "Wir haben ja den Wermersee gleich um die Ecke. Da ist nur Angeln erlaubt. Aber ich geh trotzdem schwimmen", erzählt der Museums-Wachmann Herr Matz. Roland Appel lässt solche Sätze sofort im Trott ersticken. Unter die Haut geht, wie er das Porträt eines gebrochenen Mannes entwirft: der studierte Ingenieur, der in der DDR-Gesellschaft aufgewachsen ist und dem die Wende den Boden unter den Füßen weggerissen hat.

Aus Angst, seine Glaskanne könnte zerbrechen, holt sich Herr Lehmann den Kaffee aus dem Automaten. Georg Zeies, der kurzfristig für den erkrankten Kai Markus Brecklinghaus eingesprungen ist, jongliert mit den Marotten und Lebensängsten, in die der Beruf seine Figur jeden Tag ein bisschen stärker treibt. Einziger Kick in seinem Leben ist der Kampf gegen die Müdigkeit – und der Pflaumenkuchen, den seine Frau gebacken hat.

Längst überschrittener Zenit

Verdrängte Träume von einer Fußballkarriere, die er nun seinem Sohn in den Kopf pflanzt, treiben Herrn Voigt in seinem kleinen Kämmerchen im Rathaus um. Schmerzlich muss er erkennen, dass sein kleines Leben mit 49 Jahren den Zenit längst überschritten hat. Die feinen Nadelstiche, die Voigt diese Existenz zugesetzt hat, vermittelt Issaka Zoungrana nicht nur mit Worten: Jeder Blick und jede verkrampften Geste verrät den bitter Gedemütigten.

Nah ans Publikum holt Rehbergers straff getaktete Inszenierung die Lebenswelten der Männer, die von der Karriereleiter gefallen sind. Dabei vergibt seine zaghafte Regie die Chance, Trilschs faszinierenden Spagat zwischen Fakten und Fiktion in griffige Bilder zu übertragen. Die große Stärke von Trilschs Text, sich ausgehend vom realen Material vorsichtig die Untiefen der Psyche vorzutasten, erfasst er kaum.

In einer Sprache, die sich bemerkenswert unprätentiös an der Ausdrucksweise ihrer Gesprächspartner orientiert, eignet sich die Autorin ein Stück jüngster Geschichte an. Die junge Dramatikerin zeigt Menschen, deren Werte im rasanten politischen Umbruch zerplatzen wie Seifenblasen. Der sichere Job als Nachtwächter ist die Krücke, mit der sie sich durch ein unüberschaubar gewordenes Dasein hangeln. Aber hinter ihren Kabinenscheiben stirbt das Leben.

 

Ich und die Weltmeere. Weil die Tür vom U-Boot klemmte (UA)
von Sarah Trilsch
Regie: Marcus Rehberger, Bühne und Kostüme: Kristopher Kempf.
Mit: Issaka Zoungrana, Georg Zeies, Rainer Appel.
Dauer: 1 Stunde und 20 Minuten, keine Pause

www.theaterwuerzburg.de

 


Kritikenrundschau

Manfred Kunz schreibt in der Mainpost (21.6.2013): "In Marcus Rehbergers Inszenierung entfaltet sich diese Monotonie der immer gleichen Rundgänge, der gleichförmigen Verrichtungen und Gedanken, der stündlichen Kontrollanrufe und der vielen leeren Zeit dazwischen zu einer Vorhölle für Nachtwächter jeder Art". Zwar hätte man die komische, groteske Seite des Stückes noch mehr betonen können. "Doch allein Rainer Appels feine Ironie, die glänzend dargebotene Spießigkeit des Pedanten reichen aus, um aus einem unspektakulären Text einen feinen und kurzweiligen, sogar nachhaltigen Theaterabend über ein Berufsbild am Rande der Gesellschaft zu machen".

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