Liebesmythos in Quassel-Tonlage

von Ewa Hess

Zürich, 20. Juni 2013. Nicht nur Wagner, sondern auch Marthaler – zwei ganz unterschiedliche Theatergötter hat sich die Basler Compagnie Capri Connection als Ziel ihrer Demontage in "Tristan oder Isolde" auserkoren. Die Truppe um die Regisseurin Anna-Sophie Mahler hat sich seit ihrer Gründung 2006 mit einer Gratwanderung zwischen Parodie und Ernst ein lachbereites Stammpublikum erspielt. In früheren Inszenierungen hat sie mal den französischen Philosophen Jean Baudrillard durch den Kakao gezogen (in Ars moriendi), mal die Teilchenphysik (in Der Urknall). Die Methode bleibt sich gleich: worthülsenreiches dokumentarisches Ausgangsmaterial wird in allen Quassel-Tonlagen variiert, Klischee und Erkenntnis purzeln durcheinander.

Dereinst auf dem Grünen Hügel in Bayreuth

Bei "Tristan oder Isolde" – das Stück feierte gestern im Rahmen der Zürcher Festspiele Premiere – greift Anna-Sophie Mahler ihren eigenen geistigen Vater, Christoph Marthaler, an. In Marthalers musikalisch-parodistischer Kunst erkennt man leicht den Nährboden, auf dem die Capri-Connection-Methode gewachsen ist. Das Quasseln ist zwar kopflastiger, beruht aber auch, wie Marthalers Arbeiten, auf sprachlicher und melodischer Fragmentierung. Kein Wunder: Anna-Sophie Mahler war Marthalers Regie-Assistentin.

tristan capri 560 donata ettlin uWagner im Wohnzimmer: Capri Connection auf der Bühne von Anna Viebrock © Donata Ettlin

Vor sieben Jahren sekundierte sie dem Meister bei seiner Interpretation von Richard Wagners "Tristan und Isolde" auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Diese Inszenierung – als "eiskalt" von der Kritik geschimpft – erreichte schnell Kultstatus und blieb sechs Jahre lang im Bayreuth-Programm. Die Lust und Qual der jährlichen Wiederholung ruhte auf den Schultern der einstigen Assistentin. In einem Akt des theatralischen Stockholm-Syndroms ließ Anna-Sophie Mahler nach der Absetzung des Stücks das große und schwere Bühnenbild von Anna Viebrock zersägen und in die Schweiz transportieren – um sich der Oper auf Kannibalenart zu entledigen, sie sich einzuverleiben.

Bühne von Anna Viebrock reloaded

Am Donnerstagabend fängt alles wie richtig an, sogar das übliche Marthaler-Publikum sitzt in der Zürcher Gessnerallee (etwa der ehemalige Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger). Und auch auf der Bühne, auf schäbigen Sofas und Stühlen, wie sie nur Anna Viebrock ersinnen kann, lümmeln bekannte Gestalten. Jemand spielt Klavier ohne Ton. Doch bevor die nostalgische Stimmung überhandnimmt, machen die Menschen auf der Bühne den Mund auf und man merkt – es ist doch nicht Marthaler.

Anfänglich im besten Sinn. Der Musikologen-Slang bekommt sein Fett ab ("die Fis-A-Ha-Dis-Doppeldominante" des Tristan-Akkords), ebenso der Wagner'sche Liebesmythos ("Wenn ich mir das in letzter Konsequenz vorstelle, die Aufhebung von Frau und Mann"). Dazwischen erklingen bange Fragen ("Wie bin ich da wieder hineingeraten?"). Das ist sehr lustig. Sowohl Susanne Abelein (in einer Art Tierkostüm, mit haarigen Hobbit-Füssen) wie auch Rahel Hubacher (geblümte Hose und affektierte Schweizerdeutsche Aussprache) entfalten ein großes komödiantisches Können. Benjamin Brodbeck und Benny Hauser kreieren eine Geräuschkulisse zwischen Noise und fernen Echos von halb erkannten Gassenhauern.

Höfliche Zitate

Doch etwa in der Mitte des kurzen Stücks (Gesamtdauer: 80 Minuten) scheint der sprudelnde Ideenquell zu versiegen. Noch lacht man unwillkürlich, wenn Susanne Abelein in blonder Perücke Katharina Wagner gibt, die um ihren kranken Vater Wolfgang Wagner (gespielt von Rahel Hubacher) tänzelt und seine sich krampfhaft schräg nach oben ausstreckende Hand niederschlägt. Doch schon der als Marthalers Isolde (im gelben Kostümchen) verkleidete Damian Rebgetz lässt einen ziemlich kalt, der in einer Videoprojektion das Liebesduett säuselt. Anspielungen an die Marthaler-Inszenierung sind zahlreich, bleiben aber harmlos: Ein Mann trägt den Schottenrock – wie Kurwenal in Bayreuth. Eine Frau sinniert über die Lampen – in Marthalers Inszenierung zeigten sie mit Flackern den Energiepegel der Figuren an. Da wird nichts auf die Schippe genommen. Höchstens höflich zitiert.

Auch die andere große Dekonstruktion des Abends – jene des romantischen Liebesmythos – fällt für Capri-Connection-Verhältnisse recht zahnlos aus. Hat sich die freche Truppe diesmal zu viel vorgenommen? Weder Marthaler noch die Liebe trauen sich die federführenden Damen Mahler, Abelein und Hubacher so richtig anzugreifen. In einer Smalltalk-Parodie wird ein Mädchengespräch auf die Schippe genommen, in dem ein serieller Tristan sich ebenso seriell in einen öden König Marke wandelt. Die Parodie könnte ebenso gut ein Klischee-Austausch im echten Leben sein – das ist zu wenig veräppelt. Nur gut, dass ganz zum Schluss die Worte verstummen und Stefan Wirth einfach nur mit Inbrunst das Liebestod-Thema in die Tasten eines echten Flügels reinhaut.


Tristan oder Isolde
Ein Pastiche von Capri Connection
Idee, Konzept: Susanne Abelein, Rahel Hubacher/Anna-Sophie Mahler, Kris Merken
Szenische Leitung, Gesang, Geige: Anna-Sophie Mahler, Spiel, Texte: Susanne Abelein, Rahel Hubacher.
Melodica, Spieluhr: Benjamin Brodbeck, Licht, Bass: Benny Hauser, Musikalische Beratung, Piano: Stefan Wirth, Gesang (Video): Damian Rebgetz, Bühne: Duri Bischoff (nach einem Bühnebild von Anna Viebrock), Kostüme: Nic Tillein, Dramaturgie: Kris Merken, Beratung: Boris Nikitin, Ton: Thomas Winkler, Video: Florian Olloz, Produktionsleitung: Christiane Dankbar, Management: Boris Brüderlin.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.capriconnection.ch
www.gessnerallee.ch



Kritikenrundschau

Dass dieser Wagner-Pastiche nicht beim andeutungsreichen Kopftheater bleibt, dafür sorgen aus Sicht von Jörg Huber in der Neuen Zürcher Zeitung (24.6.2013) "die Bühnenpräsenz von Susanne Abelein und Rahel Hubacher, aber auch Szenen wie die köstlich skizzierte Stabübergabe von Wolfgang Wagner an seine Tochter Katharina". Auch sei da ja noch Wagners Musik: "Ganz allmählich überlässt sich die fünfviertelstündige Produktion dem Sog dieser Klänge, die Benjamin Brodbeck auf Spieluhr und Melodica zunächst nur andeutet, die zu Benny Hausers satten Bässen Raum gewinnen und durch zugespieltes Material weitere Farben erhalten. Schliesslich lässt Stefan Wirth, der die Ekstase zu Beginn des Abends auf geschlossenem Klavierdeckel gestisch vorausgenommen hat, die Musik zu 'Isoldes Liebestod' auf dem Flügel aufrauschen, bis sie sich in der finalen Auflösung erschöpft."

"Entwickelnde Liebe" und viel Sachkenntnis der Regiesseurin hat Benjamin Herzog vom Sender SRF 2 dem Abend abgelauscht. Anna-Sophie Mahler bringe den Stoff höchst überzeugend auf den Punkt, also auf den Inhalt des Stofs: "Was bedeutet Liebe heute für uns?" Fazit: ausgesprochen sehenhs- und hörenswert.

Der Abend sei "eine Annäherung an Wagners Meisterwerk, die natürlich ebenso fragmentarisch bleibt wie der Bühnenraum, so Alfred Ziltener in der Südostschweiz (22.6.2013). "Persönliche Eindrücke, Interpretationsversuche, Parodien und quasi improvisatorisch nachgespielte Szenen fügen sich zu einem mal amüsanten, mal nachdenklichen Gang durch das Stück".

"Hochkomisch, selbstironisch und gerade dadurch 'nah bi de Lüt'" sei der Abend, schreibt Alexandra Kedves im Tages Anzeiger (22.6.2013). Und stammelt weiter vor Glück: Wagner-wonnig und Foucault-informiert sei 'Tristan oder Isolde'. "Man könnte aber auch einfach sagen: Es ist toll!"

 

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