Keinparteienstaat mit Mutti

von Dennis Baranski

Mannheim, 26. Juni 2013. Wer Jonathan Meese mit einer Auftragsarbeit bedenkt, der weiß, was er bekommt und was er hernach zu verantworten hat. Seit rund anderthalb Jahrzehntenten sind das die immer gleichen Versatzstücke, die immer gleichen Gesten, die immer gleichen Provokationen. Wenn der Bürgerschreck mit "Generaltanz den Erzschiller" bei den Mannheimer Schillertagen auf der Schauspielhausbühne nicht schockierte, dann deshalb, weil sein teuerster Trumpf längst verspielt ist: das Überraschungsmoment.

jmeese 280 warburg uDie "Diktatur der Kunst" fordert Meese schon seit langem, hier 2009 bei seiner Performance "Erzstaat Atlantisis" in Remagen © WarburgAls Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Blöde schafft, proklamiert er, wie gewohnt durch betont vernachlässigte Trimm-Dich-Sportjacken-Robe zum armen Irren stilisiert, erwartungsgemäß seine Diktatur der Kunst und bedient sich dafür reichlich – und nicht minder vorhersehbar – anstößiger Nazisymbolik. Ständig und ohne Unterlass hebt Meese in einer weitgehend konzeptlosen Strammstehen-und-Marschieren-Choreographie den Arm zum Hitler-Gruß, das erste Hakenkreuz findet sich nach knapp zwanzig Minuten auf eine Alien-Gummipuppe gekritzelt, von Anfang an schilt er ungestört die "Furz-Pups-Demokratie".

Mutti, Hitler, Schiller – alle cool

Zwischen allerlei Gerümpel – Gummihähnchen und -würsten, Spielzeug und einem mit Meese-Collagen verzierten Pult – veitstanzt und brüllt der pickelhaubenbewehrte Prediger seine altbekannten Propagandafloskeln schäumend vor Mitteilungswut in das ausverkaufte Haus und prophezeit: 2023 sei die Erde vollkommen demokratiebefreit.

Dazu quält Meese das Publikum mit seiner Lieblingsmusik in Endlosschleife. Zehnmal wird "You" von Boytronic wiederholt, ebenso oft ist "Daddy cool" von Boney M. zu hören, wobei sich letzteres als dankbare Folie für live eingeblökte Textvariationen erweist. Nicht allein Daddy, vor allem Mutti ist hier cool, Hitler sowieso, Schiller wird die Ehre daseinsberechtigend zuteil.

Achse Berlin-Bayreuth

Und natürlich Richard Wagner. Immer wieder Wagner. 2016 inszeniert Meese auf dem Bayreuther grünen Hügel "Parsifal" und es scheint, als entfalte das Engagement zusätzlich identitätsstiftende Kräfte. Von der "Achse Berlin-Bayreuth“ ist da die Rede, zum "Zentrum der Macht" seines Regimes erklärt er die oberfränkische Stadt sogar. Das durchaus Medien-affine Haus Wagner schenkte dem Kultur-Punk seinen größten Triumph und darf sich im Gegenzug über einen monströs motivierten Botschafter freuen.

Während aber Punks lange vor Meese unter Verwendung frappierend ähnlicher Ästhetik mit der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) als verfassungskonformem Organ noch "die totale Rückverdummung der Menschheit" oder "Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich" forderten, gehen dessen Provokationen weit über demokratische Schmerzgrenzen hinaus. Ihm sei Hitler nicht konsequent genug gewesen, seine "Diktatur der Kunst" solle ausnahmslos alle Parteien "wegwischen", Deutschland sich als "Keinparteienstaat ausbreiten".

Unter so viel Totalitarismus wendet sich das Publikum in Mannheim kopfschüttelnd ab – am Ende ist der Saal zu drei Vierteln leer. Schreiend davonlaufen muss auch hier niemand mehr. Und doch birgt gerade diese zermürbende Redundanz einen im höchsten Maße bedenklichen Effekt: Wenn die inflationäre Verwendung nationalsozialistischer Symbolik und des einschlägigen Vokabulars zu Gleichgültigkeit führt, droht die durch das Festival-Motto aufgerufene kritische Masse zu scheitern. Mundtot gequatscht von der Kunstfigur Jonathan Meese, der ausgestellten Kuriosität, die beschützt hoch oben in ihrem goldenen Käfig auf einer seltenen Sonnenseite des Kulturbetriebs prominent baumelt.

 

Generaltanz den Erzschiller (Guido Quiller ist der totalste Don Gin Schiller, balletiert Euch, wie Schnurrl' – Nonninei, es bruzzelts: Dr. Schillerz) (Schiller Mi On. s. v. p.)
Theaterperformance von und mit Jonathan Meese
Dauer: 2 Stunden, 45 Minuten, durchgehender Einlass

www.schillertage.de

 

 

Kritikenrundschau

"Nein, ein Skandal war das nicht", konstatieren Stefan M. Dettlinger und Ralf-Carl Langhals vom Mannheimer Morgen (28.6.2013). Zu Schiller habe Meese "wenig zu sagen, seine Bayreuth-Werbung in Sachen Wagner geht vor", eine "Auseinandersetzung mit Inhalten" sei "nicht zu vernehmen". Die in Mannheim zusammenströmende Bildende-Kunst-Welt schaue allerdings anders auf diesen "Nonsensmessias" als die "textaffine Theaterwelt". "Bilderreichtum, Gesamtkunstwerk, performatives Erlebnis und Dada-Tradition wecken andere Erwartungshorizonte als Schiller-Exegese." Nur wenigen sei es allerdings gelungen, das "Crossoverprojekt" wirklich "lustig" zu finden – "zu sehr drückt Erznervensäge Meese auf die Redundanztube seiner Kunstdiktaturdauerschleife". "Anfänglichem Erwartungsdrang, es könnte ja noch etwas kommen, folgt immer größere Langeweile." "Nicht Meese, sondern der Umgang mit ihm" sei hier "der Skandal. Was bleibt zu sagen? Entmeeseiert euch endlich - und: Der Kaiser ist nackt!"

Franz Schneider von der Rhein-Neckar-Zeitung (28.6.2013) möchte anmerken, "dass Meeses drastisch spektakulären Sätze und Gedanken nicht so ganz originell sind und sehr wohl ihre Geschichte haben". Origineller sei "Meese selbst, wie er sich inszeniert in immer weiteren Wiederholungen, bis sich jeder Sinn in schleifenartiger Dauerwiederholung entleert". Der Künstler Meese brülle sich im "Generaltanz" "Mut an, Mut für Bayreuth."

 

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