Vomitorium der Republik

von Georg Kasch

Berlin, 2. Juli 2013. Es ist eine alte Aufnahme, man hört es am Knistern und Rauschen: Antoine Vumila Muhindo, genannt Vumi, berichtet von seiner Zeit in der kongolesischen Rebellenbewegung. Während sich sieben Performer im Bühnenhalbdunkel die Gesichter und Hände mit Kreideschlamm weißen, klingt Vumis Stimme auf Band euphorisch, als er die Paraden mit einer Theaterbühne vergleicht, weil beim Stillgestanden selbst der Gesichtsausdruck korrigiert wurde. Sei es nicht Ziel der Kunst, die Welt zu verzaubern? Und hätten die Rebellen nicht mit ihren Pistolen Mozart gespielt? Am Ende dann der Bruch: Als Idealist sei er in den Dschungel gegangen, sagt Vumi – und als Fanatiker zurückgekehrt.

Später wird Vumi als Geheimdienstmitarbeiter in einem umstrittenen Prozess zum Tode verurteilt. Das Dokument, das da knistert, war sein Beitrag zu "The Dialogue Series: iii. Dinozord" von 2006 – die Kassette mit seinem Beitrag ließ er aus der Todeszelle schmuggeln.

Gespenstische Klänge

Jetzt, in "Sur les traces de Dinozord" (Auf den Spuren von Dinozord) sitzt er selbst auf der Bühne – nach zehn Jahren Gefängnis und Folter gelang ihm die Flucht, heute lebt er in Schweden. Er ist auch der Grund, warum Tänzer und Choreograf Faustin Linyekula seinen Abend weiterentwickelte – und nun bei Foreign Affairs zum ersten Mal in Deutschland zeigt. Damals war das Stück noch eine Art Doppelepitaph auf seine Schriftstellerfreunde, den an der Pest gestorbenen Richard Kabako und den auf seinen Tod wartenden Vumi. Jetzt ist es – weitgehend mit denselben Beteiligten – ein Requiem auf ein Land, auf die Träume seiner Bewohner, auf die Kunst.

surlestracesdedinozord 560 sammy baloji uSur les traces de dinozord © Sammy Baloji

Dabei bildet Mozarts "Requiem" die verfremdete Klangspur: Ein kleiner Chor singt nur die Männerstimmen, rhythmisch zuweilen frei interpretiert, dazu kommen eine Orgel und Countertenor Serge Kakudji. Gespenstisch klingt das oft, skelettiert. Wie die Knochenmänner, als die die Tänzer später einmal über die Bühne wackeln. Dazwischen sprechen die Performer Texte von Vumi und Kabako. Eine rote Metallkiste ist das einzige Requisit auf der leeren Bühne; hinten gleißt blutrot ein Pfeiler, rechts sitzt Vumi an seiner Schreibmaschine und tippt. Die Kiste enthält Kabakos Nachlass, ein zerfledderter Papierwust, und eines der stärksten Bilder ist es, als einer in die offene, halb ausgeschüttete Kiste ein Mikrofon legt, als könne man so die Texte und Textfragmente zum Sprechen bringen.

Dichtes Netz

Immer wieder setzen "Requiem"-Tonfolgen an, winden sich die Tänzer aus der Hüfte heraus, beben, ja stammeln am ganzen Körper, umsorgen und umhüllen einander in Gruppen. Gefängnisbilder werden eingeblendet, Vumi keilt mit seinem "Monolog eines Hundes" den Abend ein: "Ich bin von der Art derer, die man für den Rest ihres Lebens zum Tode verurteilt, mit geschlossenen Augen, zugehaltener Nase und das Gesicht abgewandt. Ich bin das Vomitorium der Republik."

Wiederholt spricht er davon, der letzte seiner Art zu sein, wie Mozarts "Requiem", Molières letzter Monolog, die letzte Liebe. Ein Dinosaurier. Französisch klingt das wie Dinozord, ein Tänzer der Truppe und Namenspatron des Ursprungsabends. So verdichtet sich allmählich das Netz der Bezüge, der Symbole, der Andeutungen. Dramaturgisch ist der Abend spannungsdicht gebaut: Erst allmählich begreift man, welche Geschichten hier erzählt werden, wird überrumpelt von Vumis Jugendeuphorie – und seinen Beschreibungen der Folter. Man versteht das alles auch dann, wenn man von der krisengeschüttelten Demokratischen Republik Kongo, die sich einst Zaire nannte und zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, wenig weiß.

Totengedenken

Nicht alle Bilder tragen – die im Kopf können sie ohnehin nie übertreffen. Auch zerfasert der Abend gegen Ende hin. Dennoch bleibt er ein starkes Ringen mit der Frage, wie man Schönheit darstellen kann. Und ob man es kann – nach extremen Erfahrungen wie denen, die die jungen Kongolesen gemacht haben. Beim Schlussapplaus verneigen sich die Performer nicht, sondern ziehen sich in eine Ecke auf die rote Kiste zurück, diesem Sammelort letzter Wörter. Sie umarmen sich, lehnen sich aneinander, blicken ernst, nicken kaum merklich mit den Köpfen. Eine starke letzte Geste des Totengedenkens, die auch draußen, in der Sommerluft, lange nicht verfliegen will.

Sur les traces de Dinozord (DEA)
von Faustin Linyekula
Leitung: Faustin Linyekula, Texte: Richard Kabako, Antoine Vumilia Muhindo.
Mit: Serge Kakudji, Dinozord, Papy Ebotani, Djodjo Kazadi, Faustin Linyekula, Maurice Papy Mbwiti, Antoine Vumilia Muhindo.
Eine Produktion von Studios Kabako / Virginie Dupray in Koproduktion mit KVS – Koninklijke Vlaamse Schouwburg (Brüssel)
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.kabako.org
www.berlinerfestspiele.de

 

Kritikenrundschau

Als "wilde Collage aus Tanz, Text und Musik, in der sich die Erzählebenen ständig überlagern", beschreibt Sandra Luzina den Abend im Berliner Tagesspiegel (4.7.2013). Schmerzliche Intensität gewinnt die von ihr auch als "szenische Trauerarbeit" aufgefasste Choreografie aus ihrer Sicht darüber hinaus durch die Präsenz des kongolesischen Dichters Antoine Vumila, der zehn Jahre Folterhaft erduldete, von der in dieser Arbeit ihren Schilderungen zufolge auch die Rede ist. Der Choreograf entwerfe, so die Kritikerin, "das erschütternde Porträt einer Generation, die von Krieg und Terror geprägt ist und deren Träume in Trümmern liegen. Faustin Linyekula und seine Darsteller durchschreiten die Hölle der Erinnerungen. Mit seinem unermesslichen Schmerz und seiner maßlosen Wut ist dieser Abend kaum auszuhalten. Doch er mündet nicht in Resignation."

 

 

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