Russisch mit Akzent

von Hartmut Krug

Jena, 11. Juli 2013. Der Kampfplatz zwischen Gut und Böse, auf dem in Bulgakows Roman um den Sinn der moralischen Existenz des Menschen gerungen wird, ist auf der breiten Spielfläche vor dem Theaterhaus Jena von Verkaufsstellen begrenzt. Zwar prangt von einer Projektionswand ein Zwiebelturm-Kirchenensemble, doch die Verkaufswerbungen, Öffnungszeiten auf Deutsch, aber auch kyrillische Buchstaben und das internationale "Sale"-Schild zeigen, dass es in der Bulgakow-Version des jungen Regieduos Moritz Schönecker/Johanna Wehner nicht mehr nur um das alte stalinistische Russland geht. Sondern um die Vorstellungen und Bilder, die wir uns von ihm machen.

Halb zehn ist es und mittlerweile dunkel, wenn die sechzig Statisten, zehn Schauspieler und vier Musiker, auf die breite Spielfläche vor dem Theaterhaus strömen. Die bunte Menschenschar in Kostümen aus vielen Zeiten und Kulturen macht mächtig Effekt, wenn sie ruhig in den Mond schaut, bevor sie geordnet wieder abgeht. Viel mehr muss die Statistenschar diesmal auch nicht tun.

Sechzig Jenaer Statisten

Gewannen diese alljährlich zum Auftakt der Jenaer Kulturarena vorgestellten Spektakel ihre Wirkung oft aus dem Charme und Einfallsreichtum, mit dem Laien- und Schauspielerspektakel ineinander übergingen, so bleibt die Statistenschar diesmal vor allem attraktive Füllmasse in phantasievollen Kostümen (von Veronika Bleffert und Benjamin Schönecker). Immer mal wieder überflutet sie die Bühne oder tobt sich in einem der seitlichen, verglasten Verkaufs- und Gesellschaftsräume aus. Im Zentrum aber steht das Personenspiel.

Bulgakows Roman, 1940 geschrieben, aber erst 1966 zur Veröffentlichung zugelassen, ist von philosophischen Streitdialogen bestimmt. In Jena verknüpft eine Erzählerin die vielen Erzähl- und Bedeutungsebenen, während sich die Inszenierung (nicht immer erfolgreich) daran versucht, dem Zuschauer die vielen figurenreichen Handlungsstränge zu entwirren. Bulgakows historischer Text bietet eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus, poetische, philosophische und religiöse Diskurse, eine Liebesgeschichte, eine Künstlertragödie und, so würde man neudeutsch sagen, noch viel mehr.

Streitgespräch mit dem Teufel

Die an Goethes Faust orientierte Geschichte lässt den leibhaftig im Moskau der 30er Jahre in der Maske eines ausländischen Magiers auftauchenden Teufel die spießige Szene aus Literaten (und Spekulanten, die in Jena keine Rolle spielen) durcheinanderwirbeln. Wenn der Literaturfunktionär Berlioz und der Lyriker Besdomny über dessen Jesus-Poem diskutieren, führt der Teufel ihnen die wahre Geschichte von Pontius Pilatus in Spielszenen vor.

meisterundmargarita1 560 joachim dette uHere he is: Pontius Pilatus, gespielt von Kay Dietrich © Joachim Dette

Der an eigener Feigheit verzweifelnde Pontius wird später immer wieder mit neuen Szenen zwischen die Moskauer Handlung geschnitten, wofür stets eine lustige Reihe lebendiger Säulen aufmarschiert. Der Funktionär verliert seinen Kopf unter einer Straßenbahn, die aus Pappe hereingetragen wird. Der Lyriker, der den Teufel verhaften lassen will, kommt in die Irrenanstalt - was mit herrlich ironisch Behandlungsszenen im Film gezeigt wird.

Auch Besdomnys Gespräche in der Anstalt mit dem Meister genannten Iwan, dessen Pilatus-Roman politisch abgelehnt wurde, sind meist im Film zu sehen. Später springen Figuren vom Film in Bühnenszenen und zurück: Wie Frank Castorf vor elf Jahren Bulgakows Roman mit viel Film in fünf Stunden auf die Bühne brachte, so macht es das Regieduo in allerdings nur der Hälfte der Zeit auch.

Medialer Volleinsatz

Es gibt eine Fülle medialen Assoziationsmaterials, überall flimmert es. Mal toben Disney-Figuren, mal wird ein Ulbricht-Bild animiert, und eine dreiköpfige Band begleitet die wandlungsfähige Schauspielerin und Sängerin bei ihren schrecklich kitschig-schönen Liedern voller Anspielungspotential, während sich Margarita, die verheiratete Geliebte Iwans, sich im schwarzen Lederkostüm in der Walpurgisnacht opfert, um Iwan wieder zu finden. Wenn der Teufel in die Wohnung Nr.50 des unter die Straßenbahn geratenen Berlioz einzieht, sieht man in Filmeinspielungen zahlreiche Personen, die (zu Stalins Zeiten) verschwunden sind, wie sie sich mit einem Knall in Luft auflösen.

Die Aufführung besitzt viele schöne, phantasievolle Szenen, sie prunkt mit Einfällen und intensiven Schauspielern. Die skurrilen Begleiter des Teufels, sein dicklich-rotziger und bösartiger Kater und sein hässlich fröhlicher Gehilfe Korowjew, sind für die Komik verantwortlich, während Ella Kaiser dem Teufel eine bösartig schillernde Geschäftsmäßigkeit gibt und Lena Vogt ihre Margarita zwischen Poesie und Energie wechseln lässt und die Männer in all ihrer Schrillheit beeindruckend diszipliniert bleiben.

Szenen, Themen, bunte Effekte

Jeder Versuch, Bulgakows Roman auf die Bühne zu bringen, erwies sich bisher als kühnes Unterfangen. Der Jenaer Versuch, mit ihm unterhaltendes Freilichttheater der bunten Effekte zu bieten, sich mit Phantastik, Parodie und Assoziationsmaterial eine eigene Fassung zu schaffen, wirkt besonders ehrgeizig, aber nur partiell gelungen. Denn der Inszenierung mangelt es doch öfter an einem Gefühl für die Länge der Szenen und das konkrete Spannungspotential des Geschehens. Ellenlang das hin und her Telefonieren auf der Suche nach einem vom Teufel nach Jalta Gezauberten, viel zu ausufernd die magische Demonstration des Teufels und seiner Gehilfen, gezeigt als Fernsehshow. Und so hängt das Szenen- und Themengewirr immer wieder durch und der erschöpfte Zuschauer erreicht Mitternacht mit Müh.


Der Meister und Margarita
nach Michael Bulgakow
Textfassung Johanna Wehner, Moritz Schönecker, Jonas Zipf
Regie: Moritz Schönecker & Johanna Wehner, Dramaturgie: Jonas Zipf, Bühne/Kostüme: Veronika Bleffert & Benjamin Schönecker, Komposition: Joachim Schönecker, Video: Peer Engelbracht & Stephan Komitsch, Die Teufelsband: Kay Kalytta, Carsten Daerr, Andreas Buchmann, Natalie Hünig (Gesang).
Mit: Benjamin Mährlein, Lena Vogt, Ella Gaiser, Mathias Znidarec, Yves Wüthrich, Natalie Hünig, Sebastian Thiers, Oliver Konietzny, Kay Dietrich, Tina Keserovic und 60 Statisten. Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause.

www.theaterhaus-jena.de

 

Kritikenrundschau

Bulgakows "Meister und Maragarita" erzähle "von der lähmenden Angst in einer autokratischen Gesellschaft, die die Menschen deformiert und zu willenlosen Werkzeugen einer Ideologie macht", schreibt Frank Quilitzsch in der Thüringischen Landeszeitung (13.7.2013). Der Jenaer Abend hingegen erzähle davon, "wie man diese Angst – heute – verlacht". Das Duo Moritz Schönecker und Johanna Wehner forme "den Epochenroman um zu einer Gogolschen Bürokratensatire, was im Großen und Ganzen das Geschehen tatsächlich auch trägt. Mit dem Unterschied: Viel Zwerchfell, wenig Gänsehaut."

"Trotz Kopfball, Matroschkafolklore, Ulbrichtbild und Klappsmühlen-Klischee – das junge Team blättert mit schönem Ernst den Bulgakowschen Kosmos auf", meint hingegen Angelika Bohn in der Ostthüringer Zeitung (13.7.2013). "Bei aller Buntheit, allem dreisten Spaß" bietee die Inszenierung "viele konzentrierte und intensive Momente, bietet trotz Microports und Lautsprechergedröhn Sprechtheater pur". Zwar gebe es "Details, deren Konturen im Spektakel verschwimmen", doch "um so erstaunlicher, wie es gelingt, immer wieder Zäsuren zu setzen. Fesselnd, wahrlich unverwüstlich, die Geschichte der Begegnung zwischen Pontius Pilatus und Jeschua, ganz aktuelle Politik der Mordauftrag an Afranius".

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