Häckseltheater oder Was von unseren Büchern bleibt

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 20. Dezember 2007. Möchte man an jedem Theaterabend ein Stück Welt ablesen, so macht es einem dieser nicht gerade leicht. Auf dem Programm steht "Don Quijote nach Motiven des Romans von Miguel de Cervantes", Regie führt der junge Simon Solberg, Spielort ist die Nebenspielstätte schmidtstraße12 des Schauspiels Frankfurt. 

Welt auf dem Theater – erster Versuch
Diesmal könnte eine erste Antwort auf die Frage nach der Welt im Theater heißen: Problem gelöst! Realität oder Fiktion, Wirklichkeit oder Traum alles einerlei – wir spielen Kindergeburtstag! Schließlich ist das ewige Nichtwissen auf der Grenze von Erlebtem und Erdachtem ja auch irgendwie müßig geworden in Zeiten von Reality-TV und Rimini Protokoll. Statt all des Schillerns setzt man lieber auf Klarheit und macht Verspaßungstheater nach Strich und Faden. Zitiert ein bisschen "Matrix" und Martial-Arts-Filme in slow motion und betreibt strumpfmaskierten Amateuranarchismus. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, und das laut. Zu erzählen hat er allerdings wenig.

Welt auf dem Theater – zweiter Versuch
Der zweite Versuch über Welt im Theater könnte davon handeln, warum man zurzeit so gerne Filme oder Romane auf die Bühne stellt. Und dann auch noch das Buch, das die Literaturgeschichte des Abendlandes prägte und mal eben ein neues Genre schuf: den modernen Roman! Der davon handelt, dass sich einer in die bunte Welt der Ritterromane hineinspinnt, fortan als Fleisch gewordenes Remix aus Romanfiguren und -handlungen durch die Lande zieht und alles, was er sieht, nach seinem Glauben formt.

So sagt denn auch Sebastian Schindeggers urkomische Quijote-Gestalt gleich zweimal, dass das Wesentliche darin bestehe, zu glauben, ohne zu sehen. Die Beschwörung aber wird zur leeren Formel. Der Ritter interessiert hier nur als vagabundierender Pappkamerad, der eineinhalb Stunden lang mit seinem Kumpel Sancho Pansa (Moritz Peters) mit viel Getöse einen Don-Quijote-Schnipselabend verzapft.

Knappen-Schnäppchen bei Aldi
Anfangs ist die Arena-artige Spielfläche mit weißer Gaze verhängt, herein galoppiert Don Quijote auf seiner guten Stute. Doch er braucht noch einen Knappen! So geht’s per Videoprojektion in den nächsten Supermarkt, wo er einen Verkäufer an der Kühltheke überredet und flugs auf Sancho Pansa tauft. Das Dream-Team der Literatur ist geboren, der wilde Ritt kann weitergehen.

Am linken Rand der Spielfläche sitzt der Dichter, der im Roman als Herausgeber fungiert. Bert Tischendorf tippt auf seiner Schreibmaschine, murmelt etwas und wird auch schon mal zum Geräuschemacher. Für eine Weile gibt er die Meta-Ebene, die die Fiktionsproduktion ins Spiel bringt, bis es auch damit genug ist und Tischendorf, als tschetschenische Prinzessin verkleidet, noch ein bisschen mitspielen darf.

Welt auf dem Theater – dritter Versuch
Womit wir bei Versuch Nummer drei wären, der vom Abenteuer handeln könnte. "Abenteuer!" ist der Schlachtruf des Abends, aber weh tut sich dabei niemand. Weil die Bühne – also die Welt – nicht groß genug ist, finden die eigentlichen Abenteuer auf Videoprojektionen statt. Und weil wir im Frankfurt des 21. Jahrhunderts sind, kämpft dort Don Quijote nicht mit Windmühlen, sondern mit den Glashäusern des Kapitals, und so rennt Schindegger im Gandhi-Kostüm gegen Hochhaustüren.

Schlaglichtartig wird der wilde Trip des Ritters und seines Knappen nacherzählt, seine Wunderlichkeiten zu Comedystoff vermurkst. Denn er scheitert am laufenden Meter. Weil Scheitern im 21. Jahrhundert aber verdammt unsexy ist, macht Schindegger aus dem Ritter von der traurigen Gestalt einfach den Klassenclown, der keinen Zweifel daran lässt, dass dies alles nur Spaß ist. Und der niemanden zum Mitglauben verführt.

Welt auf dem Theater vier – Verhäckselung
Die Lust, mit der all dies geschieht, ist allerdings beachtlich. Voll Spielfreude wird ein Stück Papier zum Fisch, zum Lagerfeuer oder auch zum Kopfputz eines Indianers, wird das Geklacker und Geklingel der Schreibmaschine zum Getrappel des tapferen Rosses Rosinante, ein umgekippter Einkaufswagen zu einem Streitwagen à la "Ben Hur" und ein Zollstock zu so ungefähr allem, was man sonst noch braucht. Das ist Hardcore-Eskapismus und selbst schon wieder Donquichotterie, die den ganz großen Spaß, den ein paar Jungs miteinander haben, als Inszenierung verkauft.

Ein Theatermacher sagte neulich, er sehe nicht ein, weshalb er Leuten Geld geben sollte, um ihnen dabei zuschauen zu können, dass sie das tun, was ihnen Spaß macht. Bei dieser Verhäckselung des Don Quijote gilt der Einwand umso mehr, bekommt der Zuschauer doch keinen Hinweis darauf, wozu er da eigentlich geladen ist.

 

Don Quijote
nach Motiven des Romans von Miguel de Cervantes
Regie: Simon Solberg, Bühne: Bernd Schneider, Ausstattung: Sebastian Hannak, Video: Philipp Batereau.
Mit: Sebastian Schindegger, Moritz Peters, Bert Tischendorf, Michael Lucke.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

 Laut Jürgen Berger (Süddeutsche Zeitung, 29.12.2007) hat man es bei dieser Inszenierung mit einer "verspielten Annäherung an die phantastische Traumwelt des traurigen Ritters" zu tun. Regisseur Solberg, der sich "in die erste Regieliga" vorarbeite und "mit schnellem, phantasievollem Theater" überzeuge, inszeniere "Don Quijote" auf der "Grenze von fiktionaler Medien- und tatsächlicher Bühnenwelt". Er umspiele "raffiniert die Schnittstelle von Film und Bühne, indem er den Don aus der Mancha zusammen mit Sancho Pansa von der Bühne verschwinden und in einzelne Leinwandabenteuer abtauchen lässt, bevor sie vom Abenteuer wieder ausgespuckt werden und durch die Leinwand auf die Bühne hechten". Auf diese Weise zeige er, "dass man einen Traumtänzer wie den Quijote unbedingt als Wanderer zwischen Medienwelten choreographieren kann, auch wenn dem Regisseur in der Hitze der Inszenierung gelegentlich das Gespür für rhythmische Wechsel abhanden kommt".

In der Rhein-Main-Ausgabe der FAZ (22.12.2007) schreibt ein begeisterter Michael Hierholzer, dass Simon Solberg "die exzellente Umsetzung eines hinreichend bekannten Stoffes" gelungen sei, "ein kurzweiliges Spektakel, das nie in Klamauk und Klamotte abgleitet, aber mit vielen skurrilen Bildern, absurden Begegnungen und einigem Wortwitz aufwartet." Ein Einfall folge auf den anderen, und nur bei ganz wenigen möchte Herr Hierholzer abwinken. Auch, dass "Computerspiele und ihre Ästhetik eine gewisse Rolle spielen", scheint aufzugehen, der "wunderbaren Scheinwelt der neuen digitalen Medien erliegt dieser Don Quijote wie viele andere Zeitgenossen." Und so scheint der Abend für den Rezensenten einzulösen, was die Unterzeile seiner Kritik sagt: während Don Quijote ein Einzelner war, "ist die Flucht in imaginäre Welten heute ein Massenphänomen".

Judith von Sternburg vermutet in der FR (22.12.2007), dass dieser Don Quijote "zu viele Computerspiele gespielt, zu viel Radio gehört, zu viel Fernsehwerbung gesehen, vielleicht zu viele Kung-fu-Hefte angeschaut" hat. Das leuchte natürlich ein, heißt es, "sogar so sehr, dass es an sich schon ein wenig fade ist." An der Aktualisierung sei dennoch der "liebevolle Aufwand" und die "inhaltliche Einfachheit erstaunlich." Der Schauspieler Sebastian Schindegger unterhalte einen "anderthalb Stunden lang mit einer Materialschlacht."

In der Frankfurter Neuen Presse (22.12.2007) beginnt Marcus Hladek seine Rezension allen Ernstes so: "Ach, wäre dem Kritiker in der Experimental- und Jugendbühne doch der Spiralblock entwunden worden. Das wäre noch eine starke Bühnentat und Grund zur Aufregung." "Stattdessen" (!) beginne die Cervantes-Verhackstückung als schlechtes Straßentheater, mit "Lärm- und Lichtgewitter" und einem "Ritter Quijote in traurigem Unterhemd und Salatschüsselhelm." Weiter heißt es, dass "mehr als vage Anstöße von seinem abgedroschenen Zerrbild nicht gewollt waren". Die Nebenspielstätte schmidtstraße 12 kriegt auch ihr Fett weg: "Literaturtheater ist an diesem Ort nicht gewollt", aber die Schauspieldependance habe auch kein gültiges Modell dagegenzusetzen, und die Schauspieler werden "fern der dramatischen Fleischtöpfe in postdramatischen 'Rollenspielen' verbrannt."

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