Wo die Ölfelder blühen

von Wolfgang Behrens

Bayreuth, 27. Juli 2013. And now for something completely different. Ob Frank Castorf bei den Planungen für seine "Ring"-Inszenierung wohl dieser Satz aus der legendären Fernsehserie "Monty Python's Flying Circus" in den Sinn gekommen ist? Der Bruch jedenfalls, mit dem er beim Übergang der Tetralogie vom komödiantischen Mafia-Thriller des "Rheingolds" zur "Walküre" aufwartet, könnte größer kaum sein.

Das Schmiermittel der Macht

Dass ein Zeit- und Ortswechsel stattfinden würde, darauf war man gefasst. Castorf und sein Bühnenbildner Aleksandar Denić hatten verschiedentlich erläutert, dass sie auf der Suche nach einem modernen Schmiermittel der Macht, das dem Nibelungengold entsprechen könnte, auf Erdöl gestoßen seien und diesem nun im Verlaufe des "Rings" auf einer "Reise durch die Zeit, durch die Geografie, durch die Politik- und Sozialgeschichte" (Denić) nachspüren wollten. Nach der Tankstelle an der Route 66 im "Rheingold" folgt in der "Walküre" also ein Ölfeld in Baku am Ende des 19. Jahrhunderts (wobei den konkreten Ort wohl nur erkennt, wer schon vorher wusste, dass es sich um Aserbeidschan handeln soll). Denić hat auf die Drehbühne diesmal ein verwinkeltes, durchaus stimmungsvolles Arrangement aus Holztreppen, Holzverschlägen und Holzgerüsten gesetzt, das von einem ebenfalls hölzern verkleideten, frühindustriellen Bohrturm überragt wird.

walkuere 560 bf enriconawrath uAuf Ölsuche in Baku: Sieglinde (Claudia Mahnke), Hunding (Franz-Josef Selig), Siegmund (Johan Botah) © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Nicht unbedingt zu rechnen war indes mit einem komplett gewandelten Darstellungsstil. Es ist, als habe man mit der Route 66 auch Castorfs Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz verlassen und sei nun in einem Opernhaus eher konventionellen Zuschnitts gelandet. Den ersten Akt der "Walküre" inszeniert Castorf jedenfalls geradezu altmeisterlich: sparsame Gänge, aus der Musik entwickelte Gesten, hin und wider gehende Blicke. Zwischen Sieglinde, Siegmund und Hunding entsteht wie von selbst eine dichte Figurenspannung – was sicherlich auch mit der exzeptionellen und bemerkenswert intensiven sängerischen Darbietung zusammenhängt: Anja Kampe als Sieglinde verfügt über einen wunderbar ausgeglichenen, in allen Registern gleichermaßen durchschlagkräftigen Sopran, den sie zwanglos expressiv zu führen weiß. Johan Botha (dessen Körpermasse ohnehin einer allzu quirligen Personenregie gewisse Widerstände entgegensetzen würde) ist ein fabelhafter Singe-Siegmund, ausnehmend schön in schmelzendem Timbre und Phrasierung. Und Franz-Josef Selig als finster bellender Hunding ist sowieso eine Bank.

Wonnemond und Sahnetorte

Castorf intensiviert die Szene durch behutsamen Video-Einsatz: Erwähnt Siegmund etwa das ihm verheißene Schwert, sieht man Hunding in Nahaufnahme im Innern seiner Behausung liegen, von unruhigen Träumen geplagt. Erst gegen Ende des Aktes streut Castorf ein paar Widerhaken ein: In Sieglindes und Siegmunds glücklichste Momenten ("Winterstürme wichen dem Wonnemond" ff.) schneidet er das rätselhafte Bild einer gierig Sahnetorte in sich hineinschlingenden Frau (Erda?) hinein, als wolle er den schönen Augenblick als unappetitliche Kulinarik denunzieren. Nichtsdestotrotz verfällt das Publikum nach diesem Akt in einen förmlichen Ovationsrausch. Das war, so werden viele gedacht haben, Oper pur.

walkuere2 560 bf-enriconawrath uGötterpaar nach Russenart: Wotan (Wolfgang Koch) und Fricka (Claudia Mahnke)
© Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Auch in den beiden weiteren Akten unterscheidet sich die Personenführung kaum von einer herkömmlichen Opernregie (falls diese etwas neblige Verallgemeinerung erlaubt ist). Doch zunehmend drängt sich hier der Eindruck auf, dass Castorf schlicht nicht mehr viel anzufangen wusste. Die großen Dialoge des zweiten Aktes und sogar der Walkürenritt des dritten Aktes (mit ein paar auf und ab eilenden, flippig bis martialisch punkig gekleideten Damen) wirken szenisch überaus fad – und man muss unwillkürlich wieder an Castorfs Diktum vom Stadttheater Ingolstadt denken (siehe "Rheingold"-Kritik). Als Besonderheit bleibt zu vermerken, dass die Götter der "Walküre" (Wotan und Fricka) mit denen des "Rheingolds" auch typmäßig nicht allzu viel zu schaffen haben: Castorf scheint die Einzelteile der Tetralogie weitgehend unabhängig voneinander zu denken.

Bohrturm unterm Roten Stern

So wie auch das Bühnensetting gleichsam unabhängig neben der Handlung existiert. Videozuspielungen aus sowjetischen Filmen, in denen Öl, prächtig aussehende Arbeiter, Stalin und die "Prawda" eine Rolle spielen, beglaubigen offenbar den Wechsel zur sozialistischen Ölförderung, der im letzten Akt vollzogen ist: Ein roter Stern glüht nun am Bohrturm, Wotan hat seinen russischen Großgrundbesitzer-Bart verloren und ist ein Wodka-trinkender Funktionär geworden. Eine Aufschrift (einem historischen sowjetischen Plakat nachempfunden) verrät in kyrillischen Lettern: "38 Mio. Tonnen Gasöl im neuen Jahr". Auf das Spiel der Sänger hat das alles aber merkwürdigerweise fast gar keinen Einfluss: Stellte man sie in das Bühnenbild einer beliebigen Bayreuther "Ring"-Aufführung der letzten Jahrzehnte, würde es wohl gleichermaßen (nicht) funktionieren.

walkuere1 560 br enriconawrath uAngekommen im Sozialismus: Wotan, ohne Großgrundbesitzer-Bart (Wolfgang Koch)
© Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Glücklicherweise wird aber auch im zweiten und dritten Akt mitunter hinreißend musiziert und gesungen. Wolfgang Koch als Wotan besticht wie schon am Vortag durch seine außerordentlich differenzierte und auf jedes einzelne Wort reagierende Klanggebung, Claudia Mahnke ist eine stimmstarke, energetisch gestaltende Fricka, und Catherine Forster wagt als Brünnhilde auch ungewohnt leise und introvertierte Töne, die in der so ganz eigenen Bayreuther Akustik wundersamerweise tragen. Kirill Petrenkos Dirigat bleibt auch am zweiten Abend aufregend, ohne sich in den Vordergrund zu drängen: Es sucht nie die Extreme, ist aber jederzeit konturscharf und sorgt nicht zuletzt für eine genauestens austarierte Balance zwischen Sängern und Orchester.


Die Walküre
von Richard Wagner
Inszenierung: Frank Castorf, Musikalische Leitung: Kirill Petrenko, Bühnenbild: Aleksandar Denić, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Rainer Casper, Video: Andreas Deinert, Jens Crull, Dramaturgie: Patric Seibert.
Mit: Johan Botha, Franz-Josef Selig, Wolfgang Koch, Anja Kampe, Catherine Foster, Claudia Mahnke, Allison Oakes, Dara Hobbs, Nadine Weissmann, Christiane Kohl, Julia Rutigliano, Geneviève King, Alexandra Petersamer.
Dauer: 5 Stunden 45 Minuten, zwei Pausen

www.bayreuther-festspiele.de


Übermorgen geht's im neuen Bayreuther Ring des Nibelungen weiter mit "Siegfried" – und damit, so steht zu vermuten, for something completely different. Über Castorfs "Rheingold" zum Auftakt schrieb Wolfgang Behrens gestern an dieser Stelle.


Kritikenrundschau

"Als wollte Regisseur Frank Castorf das grandiose Sänger-Ensemble des Abends nicht allzu sehr bei Arbeit stören, so sanft, fast betulich inszenierte er 'Die Walküre'", berichtet Werner Theurich auf Spiegel Online (28.7.2013) und freut sich über die "musikalische Perfektion". Castorfs seien nicht "mehr Bilder als die ölverbohrte Tristesse" eingefallen, "wenn auch sein Bühnenbildner Aleksandar Denic aus viel Holz ein phantasievolles Haus mit (Bohr-)Turm baute, dessen viele Räume durch die monumentale Bayreuther Drehbühne stets schnell neue Aspekte der Handlung abbilden konnten." Als "wichtige Erklär- und Interpretationskomponente der Handlung" diene wiederum die Filmarbeit. "Das immer flink herumwuselnde Videoteam von Andreas Deinert kommentierte wieder die Handlung mit überraschenden Einstellungen und knalligen Großaufnahmen der Sänger, dazu atmosphärisch prägende Filmeinspielungen à la Eisenstein. Das waren diesmal die lebhaftesten Akzente einer ansonsten beinahe statischen Personenregie."

Bei Lucas Wiegelmann auf dem Onlineauftritt der Welt (27.7.2013) machen sich – zumindest was seine Regiewahrnehmung angeht – erste Anzeichen von Resignation bemerkbar: Castorfs Regie habe sich "nicht gesteigert. Sie stagniert bestenfalls." Das Öl-Thema bleibe "Behauptung" und "Staffage." Castorfs "Erzählweise ist nicht chronologisch, sondern wechselt wild in Raum und Zeit; die Figuren tauchen immer in neuen Kostümen und Umständen auf". Der Kritiker fühlt sich an den Kinofilm "Cloud Atlas" von Tom Tykwer erinnert. Die Filmeinspielungen werden kritisiert, weil sie die Konzentration ablenken: "Die handelnden Personen spielen ihr Wagnerdrama, singen von Weltende und Liebesschmerz, und alle paar Szenen blendet Castorf auf Videoleinwänden Schwarzweiß-Filmchen von historischen Ölbohrungen ein. Zwischen diesen Bildern und dem Bühnengeschehen gibt es keine Verbindung. Mit dem Effekt, dass die Musik und der Gesang immer wieder in den Hintergrund gedrängt werden."

Die ersten zwei von vier "Ring"-Opern haben für Reinhard J.Brembeck von der Süddeutschen Zeitung (29.7.2013) "szenisch einige Rätsel" aufgeworfen. "Denn Regisseur Frank Castorf, dessen freche Genialität 30 Jahre schon die Theaterwelt begeistert, lässt bisher nicht erkennen, wohin er Richard Wagners Vierteiler 'Der Ring des Nibelungen' zu bringen gedenkt. Offenbar zielt er als guter dialektischer Materialist auf eine Synthese, die sich aber wohl erst am Mittwoch in der 'Götterdämmerung' zeigen darf." Dirigent Petrenko wird dafür gefeiert, wie er "mit unbändiger Lust einen fein gearbeiteten Flickenteppich aus Tönen" webt. "Frank Castorf kann die Möglichkeiten dieses modernen Klangbilds im spielfreudigen 'Rheingold' deutlich besser nutzen als in der statuarisch gespielten 'Walküre'", wo das Zusammenspiel von Video und Szene auch nicht mehr so "frappierend gut" wie im "Rheingold" funktioniere. "Das liegt an der, im Vergleich zum lebendig witzigen Vorabend, konventionellen Personenführung. Nun gibt es keine Feinheiten und Geheimnisse zu filmen, die die Geschichte voranbrächten."

"Das Tollste" an diesem neuen Bayreuther "Ring" sei "das Teufelskerlchen Kirill Petrenko" als Dirigent, jubelt Manuel Brug in der Welt (29.7.2013), der ein "famoser Geschichtenerzähler" sei und "glänzend über alle klangdramaturgischen Mittel" verfüge. Aber auch für Castorfs Regie hat er viel Lob übrig, berichtet über „ein entspannt souveränes "Rheingold" als scherzohafter Vorabend, wie er im Regietheaterbilderbuch steht" und die "Walküre" als "statisches Gegenteil: Dunkel, Schlagschatten, eine bühnenhohe surrealistische Holzkonstruktion als glühbirnchenbeleuchtete Mischung aus Bohrturmkathedrale, Freisitz, Werkhalle und angeklebter Hundingshütte nebst Truthahnkäfig." Castorfs "inhaltlich-ästhetische Prinzipien" lauteten: "Sex, Öl und Videospiele". Halbzeitfazit nach zwei von vier "Ring"-Opern: "Auf Aktion folgt Reduktion, auf Billig-Glamour Politik als Diskontinuum. Wir wissen nicht, wie das wird, was Castorf auf dem "Siegfried"-Weg zum Berliner Alexanderplatz so einfällt. Aber wir können jetzt schon sagen: Es wird wohl eine bedeutende Inszenierung werden, die vielleicht sogar an die längst verklärte Chéreau-Tetralogie anknüpfen kann."

In seiner Doppelbesprechung der ersten beiden "Ring"-Abende vermag Niklaus Hablützel von der taz (29.7.2013) keine Regiearbeit von Frank Castorf zu erkennen. Er stört sich wie schon im "Rheingold" an den Filmeinspielungen in der "Walküre" und würdigt die Bühnenarchitektur der Ölbohrstation: "Wieder eine in allen Einzelheiten historisch exakt nachgebaute, im Ganzen aber grotesk mit Lämpchen, Treppen, Galerien, Nebenflügeln und Tanks ausgestattete, gewaltige Holzkonstruktion füllt den Bühnenraum und stellt immer wieder neue, überraschende Spielflächen und Kulissen zur Verfügung." Hier bewähre sich "die Geistesverwandtschaft dieser imaginären Architektur mit der Wagner'schen Idee des Gesamtkunstwerkes". Die Sängerin überzeugen den Kritiker nur musikalisch, nicht schauspielerisch: "Der abwesende Frank Castorf hat sie offenbar auch auf den Proben nicht weiter belästigt. Sie fuchteln hilflos mit den Armen, wenn sie eine Art von Schauspiel wenigstens andeuten möchten."

Während für Peter Hagmann von der Neuen Zürcher Zeitung (29.7.2013) dieser neue Bayreuther "Ring" musikalisch "zu einer bedeutsamen Wegmarke werden könnte", wird von der Regie Vergleichbares nicht behauptet. "Irritierend" sei "weder der Versuch Castorfs, sich als Regisseur in die Interpretation der Tetralogie einzumischen, noch sein eigenwilliger Denkansatz. Störend ist vielmehr der szenische Aktionismus: die Macht, mit der sich das Optische in den Vordergrund zu drängen sucht. Die Bildschirme fügen dem schon ausreichend komplexen Geflecht der Ebenen in Wagners Musiktheater eine weitere hinzu – ausserdem eine, welche die Aufmerksamkeit besonders absorbiert und das Zuhören erschwert." Mit Bühnenbild und Kostümen funktionierte "Die Walküre" konzeptionell gleichwohl "nicht übel, zumal sich der Regisseur in den entscheidenden Stellen der 'Walküre' vornehm zurückzieht und das Feld den Darstellern für eine semi-konzertante Wiedergabe überlässt."

Daniel Ender vom Standard (29.7.2013) ruft schon einmal vorsichtig Dirigent Petrenko zum "Star" des Bayreuther Festspielsommers aus. "Ein derartiger Ausgleich zwischen transparenten Strukturen und glühender Dramatik dürfte seit dem legendären 'Jahrhundert-Ring' von 1976 mit Pierre Boulez als Dirigent nicht mehr erreicht worden sein." Für ihn fällt "Die Walküre" im Vergleich mit dem "Rheingold" am Vorabend "übersichtlicher" aus. "Die sparsamer eingesetzten Zuspielungen bringen - in deutlich zu erkennender volksbildnerischer Absicht - sowjetische Propaganda und die 'Prawda'." Dort wo die Einspielungen aussetzten, "wird die Szene rasch statisch, sodass vor allem Siegmund und Sieglinde in fast klassischem Rampentheater Raum für große sängerische Leistungen erhalten: Johan Botha nutzte diesen strahlend wie eh und je, Anja Kampe mit lyrischer Eleganz." Fazit: "Trotz des vielen schwarzen Golds ist die Tetralogie bisher also kein glatter Rutscher. Bis auf die große thematische Klammer blieben zu viele ölverschmierte Fäden in der Luft hängen, um eine Deutung erkennbar werden zu lassen."

"Die Bilderflut kam zum Erliegen. Mit Beginn des 'Ersten Tags' von Wagners Tetralogie zieht auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses beinah wieder altvertraut-gemütliches Stehtheater ein", berichtet Wilhelm Sinkovicz in der Presse (29.7.2013) und preist vor allem die musikalische Leistung: "Dirigent Kirill Petrenko kostet mittels minuziöser Durchleuchtung und Aufhellung des Klanggefüges das koloristische Raffinement des Wagner'schen Orchesterklangs bis zur Neige aus. Darüber geht ihm der dramaturgische Spannungsbogen nie verloren. Eine Tugend, die Frank Castorf in Bezug auf sein Theater längst als unzeitgemäß verabschiedet hat, feiert in Tönen triumphale Auferstehung."

Ausgiebig preist Ulrich Amling vom Tagesspiegel (29.7.2013) Petrenkos Dirigat: „Wer an der Modernität Wagners nach allzu altmeisterlichen Zelebrationen zu zweifeln begann, kann in Bayreuth aufatmen. Petrenko kehrt nichts unter den Klangteppich, lässt Wagners zugespitzter Harmonik ihre Gewalt, doch er drückt nicht nach. Was immer zart angelegt ist, wird mit größter Feinheit musiziert. Nur ins weihevolle Schreiten wechselt der Ausdauerläufer am Pult dafür nie." Zu Castorfs Leistung weiß er weniger zu berichten: Der Maestro "scheint scheint sich in der 'Walküre' mal regiefrei genommen zu haben. Die Sänger geistern sich selbst überlassen durch einen Bohrturm."

Nach den ersten beiden "Ring"-Abenden "konnte man den Eindruck haben, dass hier zwei verschiedene Regisseure am Werk waren", schreibt Peter Uehling in der Berliner Zeitung (29.7.2013). "'Das Rheingold' am Freitag war ein greller, virtuos arrangierter Gangsterfilm in einem Motel an der Route 66, ‚Die Walküre' am Samstag ein gedämpftes, sparsam inszeniertes Kammerspiel auf einem Ölfeld in Aserbaidschan." Dabei behaupte Aleksandar Denics Bühnenbild durchweg "Dinge, die von den Figuren nicht gespielt werden", wird kritisiert. Lob auch hier für Dirigent Petrenko: "Wie sich Linien aufeinander zu bewegen und korrespondieren, das hat man bei Wagner wohl noch nie so plastisch gehört."

Dieser neue Bayreuther "Ring" habe "keine Handlung, erzählt keine Geschichte", schreibt Eleonore Büning in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.7.2013). "Er kippt stattdessen, aus großen Eimern, kleingehäckselte Second-Hand-Story-Splitter in die schönen Bühnenbilder hinein." Überhaupt sei die Ausstattung "das Stärkste" an Castorfs Neuinszenierung: "die detailverliebten Kostüme, die schnelle Lichtregie, die live produzierten Videos, vor allem aber die grandiosen Bühnenbauten, die sich der junge serbische Theater- und Filmdesigner Aleksandar Denić ausgedacht hat." Dagegen liege "Castorfs größte Schwäche" in diesen ersten beiden "Ring"-Abenden in dem "Umstand, dass er diesmal das Regieführen wegließ", d.h. dass er darauf verzichtet sichtbar zu machen, was zu hören ist. In der "Walküre" gäbe es ebenso wie im "Rheingold" ein "filmreifes, mehrstöckiges Bühnenbild zu bewundern". Jedoch "diesmal stehen die Figuren, Götter und Menschen, wie Anziehpuppen in der schönen Gegend herum. Sie sind sich weitgehend selbst überlassen." Hier sei mitunter "Herumstehtheater" zu beobachten, "das könnte ebenso gut vor fünfzig Jahren von Wolfgang Wagner inszeniert worden sein". Großes Lob erhält das Dirigat von Petrenko: "So überzeugend farbenklar und gestenreich spricht diesmal die Musik, so sirenenhaft verführerisch und kraftvoll begleitet das Orchester die Sänger, so leicht und transparent kommt das daher, dass man seinen Ohren kaum traut."

Konzenptionell ist dieser Ring aus Sicht von Christine Lemke-Matwey in der Zeit (1.8.2013) – (wo sie den ganzen Zyklus in einem bespricht) – durchaus ein Wurf. Doch in der Umsetzung sieht sie "eine gar grässliche Wurstigkeit, Lustlosigkeit, Langeweile" walten. Letztlich sei, so die Kritikerin, eben doch vieles bloß assoziativ und rein zufällig, "da mö­gen einem Aleksandar Denićs filmreife Bühnenbil­ der noch so sehr den Atem rauben". Die vier Stationen des Zyklus hätten wenig miteinander zu tun. Auch deshalb, weil es in Wagners Ring "nicht nur ums Scheitern sozialer Utopien" gehe und "die alte Systemkritik am Kapitalismus, sondern im­mer wieder auch ums Disparate." Um das, was herausbreche aus dem herrschenden Diskurs. "Kirill Petrenko kontere der Regie "mit ei­nem vorzüglich analytischen Dirigat. Seine Tempi überzeu­gen, vieles hat man so überhaupt noch nie gehört, vieles ist so fein modelliert, als sei die Partitur ein Bergwerk mit tiefen stollen und geheimnisvoll glitzernden Grot­ten – und Petrenko der Scout mit der Stirnlampe darin."

 

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