Wellen- und Wolkenschieber

von Sarah Heppekausen

Gladbeck, 5. September 2013. Sie arbeiten sich für gewöhnlich an der Sprache ab. Die britische Live-Art-Truppe Forced Entertainment praktiziert meisterhaft die allmähliche Verfertigung von Vorstellungen beim Dauerreden, an manchen Abenden auch mal sechs Stunden lang, oder länger. Wenn sie mit Ironie und Intellekt ihre end-losen Geschichten erzählen ("And on a the Thousandth Night") oder auch die gut erzählte Geschichte selbst zum Thema machen (The Coming Storm), kann jeder Satz eine neue Welt entwerfen. Dann ist ihr hintersinniges Spiel eins der Minimalgesten und der Sprache.

Narration ohne Stimme

Diesmal ist das anders. Ihre neue Inszenierung "The Last Adventures", die jetzt bei der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde, ist kein Kopftheater, das innere Bilder provoziert. Es ist Bildertheater, bei dem man nach Worten für all die dargestellten Atmosphären suchen mag. Vielleicht liegt das daran, dass die Gruppe um Regisseur Tim Etchells diesmal nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Soundcollagisten Tarek Atoui gearbeitet hat. Der libanesische Klangkünstler hat nicht einfach die Musik zum Stück komponiert, sein elektronischer Geräusche-Mix gibt vielmehr den Ton an für eine Narration, die ihre Stimme verloren hat.

thelastadventure1 560 joerg baumann u© Jörg Baumann

Dabei war am Anfang doch das Wort. Die ungewohnte Masse an Performern – das fünfköpfige Forced-Ensemble wird von elf Gast-Darstellern unterstützt – schleppt Stühle auf die Bühne, um in einer Art Klassenzimmer-Chor die Phrasen zweier Sprachlehrer nachzuplappern. "Nachts ist der Himmel schwarz. Schwarz ist keine Farbe." Oder: "Eine Tür kann sich nicht erinnern. Eine Hand kann nicht sehen." Die folgenden selbstreflexiven Sätze über die Nicht-Bedeutung ihres Redens werden dann aber schnell vom dröhnenden Geräusch-Gewitter verschluckt. Wer sich gerade noch auf Inhalte konzentrieren wollte, wird ausgebremst. Sprache wird Sound, Erzählung ein Bilder-Potpourri.

Auf dem Spielplatz der Suggestion

Und aus dem Wort-Wald wird ein sichtbarer. Die Performer tragen menschhohe Baum-Schablonen über die Bühne. In der auratischen Gladbecker Maschinenhalle Zweckel werfen sie riesige Schatten auf die hohen Steinwände der Industriehalle. Licht und Ton scheinen mit ihnen zu flattern. Dann rüsten sich die Darsteller mit Töpfen und Küchensieben, Wischmob und Golfschläger zum Kampf, aus dem Wald wird ein Kriegsschauplatz. Da tanzen die Soldaten-Performer in den Tod, rote Bänder lassen sie wie spritzende Blutschwalle um sich fliegen. Skelette treffen auf Burgfräulein, Roboter auf Drachen. Die Axt jagt den Baum, dann jagt der Baum die Axt. Forced Entertainment feiern ein Requisitenfest auf dem Spielplatz der Suggestion. Die Helden und Landschaften fantastischer Erzählungen sind hier spaßige Referenz-Andeuter, Bedeutungsträger sind sie nicht. Denn Tim Etchells hat gar kein Interesse daran, eine Geschichte zu erzählen. Wie gewohnt seziert er diese als ein formales Element des Theaters.

thelastadventure2 560 joerg baumann u© Jörg Baumann

Die Performer lassen die Wellen tanzen und die Wolken schweben wie im Kinder-Kulissen-Theater. Nicht weniger aktiv ist Soundmacher Tarek Atoui an seinem Mischpult. Er gestikuliert, wenn er Töne produziert. Laptop und Kabelgewirr werden unter seinen Händen zum Plattenteller, auf denen er schauerlich-verzerrte Klänge produziert. Sie alle sind die Hersteller eines amüsanten Bühnenspektakels, das diesmal zwar größer, lauter und Assoziations-offener erscheint. Das aber auch weniger berührt, weniger hintergründig und bissig ist als frühere Arbeiten der Briten. Die sonst so unaufdringlich-untertriebenen und dabei hochkomischen Performer gehen zu oft in der Masse unter. Diese Inszenierung bleibt auf Abstand.

Am Ende, wenn das Klangmeer ausgetobt hat und auch die letzte Wellen-Wiegerin von der Bühne abgetreten ist, strahlt längst das helle Saallicht. Gnadenlos ernüchternd. Die Performer haben eben keine Bilder entstehen lassen, sie haben sie vorgeführt. Sehens- aber wenig bedenkenswert.

 

The Last Adventures
von Forced Entertainment und Tarek Atoui
Regie: Tim Etchells, Komposition und Live Sound: Tarek Atoui, Text: Tim Etchells, Bühne: Richard Lowdon.
Mit: Robin Arthur, Richard Lowdon, Claire Marshall, Cathy Naden und Terry O'Connor (Performer Forced Entertainment), Mark Etchells, Nada Gambier, Phil Hayes, Maria Jerez, Leja Jurišić, Kuselo Kamau, Thomas Kasebacher, Teja Reba, Bruno Roubicek, John Rowley und Kylie Walters (Gast-Performer).
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.ruhrtriennale.de

www.forcedentertainment.com
www.tarekatoui.com

 

Ebenfalls bei der Ruhrtriennale kam im August das begehbare wie computergesteuerte Stück über die internationalen Waffenhandel Situations Rooms von Rimini Protokoll heraus.

 

Kritikenrundschau

Die Schauspieler würden sehr gut improvisieren, schreibt Bettina Jäger in den Ruhrnachrichten (7.9.2013). Doch nur da macht sich aus Sicht der Kritikerin die Klasse von Forced Entertainment bemerkbar. In den besten Momenten erinnern die Kriegsopfer sie an Bilder von Dix oder Grosz. "Aber absichtlicher Dilettantismus bleibt hier doch Dilettantismus. Dass Krieg eine üble Sache ist, hatten wir schon nach den ersten zehn Minuten der (sehr langen) 80 Minuten verstanden."

"Tim Etchells und seine Mitstreiter bleiben ihrem Konzept, mit jeder lieb gewonnenen Theatertradition brechen zu wollen, so treu, dass ihre experimentellen Ausbruchsversuche schon selbst zur Tradition zu erstarren drohen", schreibt Pedro Obiera auf dem WAZ-Portal Der Westen (7.9.2013). Zwar würden Aktionen in Klang- und Geräuschwolken gehüllt, die das Szenische bisweilen ins Alptraumhafte verzerrten. Allerdings erweist sich Tarik Atouis Sound-Repertoire aus Sicht des Kritikers "für eine 70-minütige Performance letztlich als so begrenzt, dass auch hier ein Gewöhnungseffekt einsetzte, der den Gesamteindruck der zwiespältigen Produktion bekräftigte."

Das Entertainment sei in diesem Antirepräsentationstheater "irgendwie verloren gegengangen", so Nicole Strecker in der Sendung "Fazit" vom Deutschlandfunk (6.9.2013) Gelungen sei nur der Mittelteil des Abends: "wenn Etchells sich im Figurenfundus der Fiktionen bedient und einen Clash der Illusionen inszeniert." Hier entstehe dann "ein wunderbar verschrobenes Wimmelbild". Weniger gut bekommt dem Abend aus ihrer Sicht die "bizarre, sich ständig ändernde Mixtur aus Geräuschen: elektronisches Fiepen, ein asiatisches Zupfinstrument, eine einsame Trompete, Senderstörung. Ein Klangchaos, das die Sätze der Performer unter sich begräbt."

Als "kitschfrei", "wenig moralisierend und am allerwenigsten stringent erzählt" empfindet Hans-Christoph Zimmermann in der taz (10.9.2013) diesen Abend. Regisseur Tim Etchells setze anders als in früheren Arbeiten hier weniger auf Erzählung als auf Bilder und "bohrt damit den gewaltigen Erinnerungsspeicher des Zuschauers an, holt Gesehenes, Erträumtes, Visionäres ans Licht." Vielfach bleibe allerdings "rätselhaft, was Etchells damit will". "Ein Schlachtgemälde aus dem Kinderzimmer? Ein juveniler Totentanz? Eine Ikonografie von Kriegsdarstellungen?", fragt der Kritiker. "Man stöbert das eigene Märchenarsenal durch, freut sich an dem fabulierenden Gestus, doch letztlich bleibt es beim blinden Tasten im Assoziationenwald."

Für Marion Ammicht von der Süddeutschen Zeitung (13.9.2013) besitzt der Abend "bezaubernde Momente", wenn die Akteure "flache, hölzerne Baumkulissen hin- und her schieben, Schatten tanzen und Tarek Atouis elektronische Klangverdichtungen mit Licht und Bewegung hinreißende poetische Rückkoppelungen heraufbeschwören." Allerdings verdichten sich diese Eindrücke nicht zu einem positiven Gesamturteil: "In Erinnerung bleibt ein gewaltiges Zischen und Krachen, ein Gurgeln und Schmurgeln, ein Raunen und Wehen. Eine große in der gigantischen Halle mit den schlafenden Riesenschnecken zurückgebliebene brachliegende postdramatische Verheißung, eine enorme Kulissenschieberei und schließlich und endlich: Viel Lärm um nichts."

Kommentare  
Last Adventures, Gladbeck: ohrenbetäubend und nichtssagend
Am letzten Sonntag als ich da war, waren die Klänge teilweise Ohrenbetäubend, es gab überhaupt keine Bühnenbeleuchtung und die sogenannte "Performers" wirkten nur gelangweilt. Kein Wunder. So war es: Nichtssagend und eine Stunde zu lang.
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