Männergespräche

von Jan Fischer

Hannover, 8. September 2013. Sechs Schauspieler, fünf Glaskästen, wenig Bewegung und ein zweistündiges Textbrett voller Tod und Krieg. Nein, Thomas Dannemanns Inszenierung des von dem Historiker Sönke Neitzel und dem Sozialpsychologen Harald Welzer herausgegebenen Buches "Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" ist keine einfache Kost. 150.000 Seiten Abhörprotokolle deutscher Kriegsgefangener aus amerikanischen und britischen Gefangenenlagern haben die beiden für ihr 500 Seiten starkes Buch ausgewertet, verdichtet und kontextualisiert. Dannenmann hat den Text nun fürs Theater noch einmal inszenatorisch abgeklopft.

Irgendjemand muss den Job ja machen

"Soldaten" ist – anders wäre es wohl kaum zu inszenieren gewesen – ein Erzählstück. Fünf der Schauspieler sitzen in jenen Glaskästen auf der Bühne, mal in Uniform, mal in Unterhose, und erzählen von sich und dem Krieg. Hin und wieder kommt ein Aufseher vorbei und verhört seine Gefangenen.

soldaten 280h klauslefebvre u"Soldaten" ist kein Stück über den Krieg.
© Klaus Lefebvre
Die stärksten Passagen sind dabei nicht diejenigen, in denen die Soldaten die Geschichten von Judentötungen erzählen, von ihren Erlebnissen an der Front oder wie sie Flugzeuge abgeschossen und Schiffe versenkt haben – das sind genau die hundertfach schon gehörten Geschichten aus dem Nachmittagsprogramm der 24-Stunden-Nachrichtenkanäle, aus den Memoiren, den Romanen, den Essays oder aus dem Geschichtsbuch. Nein, "Soldaten" ist kein Stück über den Krieg, nicht im Kern. Es ist ein Stück über die Männer, die den Krieg führen mussten. Die stärksten und eindrucksvollsten Passagen sind diejenigen, in denen die Gespräche plötzlich in gruselige Normalität schwappen, die Passagen, beispielsweise, in denen die Männer sich über ihre Arbeit beschweren, wie sich jeder mal über seine Arbeit beschwert, über die Vorgesetzten, die keine Ahnung haben, Kollegen, die alles viel schlechter machen als man selber, solche Sachen. Kein schlechter Job, irgendjemand muss ihn ja machen, könnte besser sein. Das sind Stellen, die so grotesk sind, dass einem der Atem weg bleibt.

"Hättest du auch gerne im 'Untergang' mitgespielt?"

Die Schauspieler spielen dabei angenehm zurückhaltend, fünf Typen eben, die in ihren Gefängniskästen herumlungern, brutale Witzchen machen, sich Zigaretten rumreichen und sich, weil es nichts Besseres zu tun gibt, gegenseitig ihre kaputten Geschichten erzählen, in denen sie mal stolz aufs Morden sind, mal nicht, mal vor Propaganda triefende Monologe halten, mal sich einfach nur nach Frau und Kindern sehnen. Am Ende, als es um den Russlandfeldzug geht, drehen sie ein bisschen auf: Einer beginnt zu weinen, zwei malen sich weiß an, einer schwarz, so lange, bis der Gefängnisaufseher kommt und allen kurz mal zeigt, dass es doch nur ein Theaterstück ist: "Du bist nicht verbrannt, du bist ein Schauspieler, der schwarz angemalt ist", sagt er, und zu einem anderen: "Hättest du auch gerne im 'Untergang' von Bernd Eichinger mitgespielt?"

soldaten1 560 klauslefebvre uSoldaten in Glaskästen. © Klaus Lefebvre

Die Inszenierung versucht sich nicht an unverstellter Authentizität, sondern ist – ähnlich wie die 2011 erschienene Buchvorlage – bestrebt, ihr eigenes Verfertigtsein, Geschichtsbuchgeschichten und die Soldaten als Menschen gegeneinander auszuspielen und daraus ihr Drehmoment zu bauen. Die Buchvorlage löst das Problem mit historischen Einordnungen der Protokolle und ausführlichem Quellenkommentar. Die Inszenierung lässt einfach alles nebeneinander im Raum stehen, ohne forcierte Kontextualisierungen, ohne Erklärungen.

Alles erzählen, ein bisschen ausstellen

Manchmal klicken die Geschichten zusammen – beispielsweise wenn es um Erinnerungen an schöne Frauen und Witze über Bordelle geht und die Erzählungen plötzlich zu Vergewaltigungen während der Eroberung von Paris kippen – und manchmal eben nicht. Vor allem das Ausstellen der eigenen Methoden, der Hinweis auf das Gemachtsein des Stückes als Stück kommt dabei zu kurz, und außerdem in Form von zwei, drei Witzchen, die man auch hätte weglassen können.

Dadurch, dass die Inszenierung immer alles erzählt, ein bisschen ausstellt und das dann geradezu zwanghaft nebeneinander stellen will, wird sie sehr lang, und vor allem gegen Ende geht ihr die Puste aus – Kürzungen, vor allem in den Passagen, in denen doch wieder nur die bekannten Kriegsverbrechen der Wehrmacht nacherzählt werden, hätten sicher gut getan. Und dem wirklich interessanten Aspekt der Inszenierung – dem Psychogramm der dem zweiten Weltkrieg ambivalent gegenüber stehenden Soldaten – mehr Raum zum Atmen gegeben. So aber bleibt eine im Großen und Ganzen eigentlich gelungene Inszenierung am Ende in ihrer eigenen Unentschlossenheit stecken, weil sie nicht genau weiß, ob sie vom Krieg oder den Soldaten erzählen will, von der Vergangenheit oder der Frage, wie wir damit umgehen.

 

Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben
von Sönke Neitzel und Harald Welzer
Regie: Thomas Dannemann, Bühne: Dirk Thiele, Kostüm: Regine Standfuss, Dramaturgie: Kerstin Behrens.
Mit: Jakob Benkhofer, Philippe Goos, Mathias Max Herrmann, Dominik Maringer, Oscar Olivo, Andreas Schlager.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhannover.de

 

Regisseur Thomas Dannemann ist von Hause aus Schauspieler, ausgebildet an der Ernst-Busch-Schule, und wurde 2004 in der Kritikerumfrage der Zeitschrift "Theater heute" zum Schauspieler des Jahres gekürt. Als Regisseur arbeitete er unter anderem in Stuttgart und Köln, in Hannover inszenierte er auch Troilus und Cressida (1/2012).


Kritikenrundschau

Viele Sätze dieser Aufführung klingen lange und schmerzlich nach, so berichtet Jutta Rinas in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (10.9.2013) über einen "eindrucksvollen, teils schwer aushaltbaren Theaterabend". Mit "Mut zur Reduktion" hätten Thomas Dannemann und seine Dramaturgin Kerstin Behrens die Abhörprotokolle der Wehrmachtssoldaten zu einer Spielfassung verarbeitet und dann "als eine Art Kammerspiel" auf die Bühne gebracht. In den Vitrinen des Bühnenbildes, das "auf eindrucksvolle Weise schlicht und komplex zugleich" sei, werde "durchweg überzeugend" agiert und Identifikation mit den Soldaten und ihren Geschichten verhindert.

"Beklemmung" haben die Wehrmachtserzählungen auch bei Evelyn Beyer von der Neuen Presse (10.9.2013) ausgelöst. Im Ganzen hält sie das "Wagnis" dieses Abends für "gelungen", formuliert aber auch Einwände: Die "Vielstimmigkeit des Materials" werde von den Darstellern "exzellent umgesetzt", "doch werden Zwischentöne oft in der schieren Masse erdrückt. Es fehlen Pausen, ein Nachwirken." Gerade die Anhäufung von Berichten über die Massenvernichtung der Juden gegen Ende weise zwar "auf den erschütternden Umfang der Gräuel hin, verführt aber in der Menge zum Abschalten."

Regisseur Thomas Dannemann gelingt aus Sicht von Alexander Kohlmann in der taz (11.9.2013 das Kunststück, "dem faszinierenden Quellenmaterial noch eine eindringliche Theaterebene hinzuzufügen". Statt sich aus Respekt vor dem Material auf eine konzertante Lesung zurückzuziehen, erzähle Dannemann "mit seinem Laborsetting eine eigene und in sich schlüssige Geschichte." Und zwar mit einem einfachen Experiment: "Raus aus den Uniformen, ab in die Dusche." Dannemann zeige auf diese Weise Soldaten, "die aus ihrem Referenzrahmen Krieg" herausgehoben seien. Die alte Anpassung weiche schrittweise der neuen Wirklichkeit: "bis die einst mordenden und fickenden Kämpfer frisch gestriegelt entlassen werden."

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