In der Businessburg

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 13. September 2013. Einar Schleefs zu Tode zitierte Frage "Was gehen uns die Nibelungen an?" stellt sich in Jorinde Dröses Inszenierung nicht. Allgemeingültig, immeraktuell und nicht verortet zeigt sie Hebbels Trauerspiel. Ihre Burgunder steckt sie in schnieke Anzüge, die Bühne räumt sie leer und an den Wänden deuten zuweilen Hochhausfassaden keinen Ort nirgends an: Frankfurt, New York oder Tokio.

Von seinem Deutschtum hat Dröse das Stück befreit. Alles scheint sich bei ihr in einem unbestimmten Heute abzuspielen, was das Ensemble immer wieder mit hübsch aufgesetztem Allerweltston und der Gegenwart abgeglotzten Gesten unterstreicht. Auf der riesenhaften Drehbühne des Frankfurter Schauspielhauses türmen sich bis zur Pause vier drehbare Wände, die Burgmauern sein könnten und sich als Videoleinwand benutzen lassen. Es ist eine anthrazitfarben düstere Welt, in die uns der Abend entführt.

die nibelungen 1 560 quer birgithupfeld uFace to Face: Verena Bukal und Nico Holonics  © Birgit Hupfeld

Siggi-Lusche und Titan-Brunhild

Die Burg zu Worms am Rhein scheint dabei irgendwie geschäftsmäßig geführt zu werden. Zu Beginn rüsten sich König Gunther (Sascha Nathan), Hagen (Nico Holonics), Volker (Andreas Uhse) und Giselher (Christian Erdt) fürs männersolidarische Wir-Gefühl. Wie Manager auf Speed schwören sie sich auf Gemeinschaft ein. Der drachenblutgedopte Siegfried stolpert dann wie eine Lusche im Schlafanzug auf die Bühne. Mit Turnschuhen an den Füßen und im Kapuzenshirt gibt Lukas Rüppel, neu im Ensemble, das beinahe unverwundbare Wunderkind, das mit Brunhild die Fremdheit teilt wie ein Geheimnis.

Beide sprengen die Ketten ihres Geschlechterklischees: Weichgespülter Held und titanhartes Weib. Siegfrieds Talente verhalfen Gunther zu seiner Frau Brunhild, seine Leutseligkeit aber bringt ihm wie den Burgundern den Untergang. Brunhild, die er betrog, möchte es ihm heimzahlen, und Hagen trifft Siegfried daraufhin an seiner empfindlichsten Stelle, im Original mit Speer, in Frankfurt mit Pistole. Kriemhild, Siegfrieds Angetraute und Schwester König Gunthers, weiß, dass er's getan und setzt ihren wahnsinnigen Rachefeldzug in Gang. Bei Friedrich Hebbel verschlingt das sehr viel Personal und noch mehr Seiten, bei Jorinde Dröse geht alles mit deutlich reduziertem Personal in drei Stunden über die große Bühne.

die nibelungen 2 280 hoch birgithupfeld u© Birgit Hupfeld

Lara Croft meets Barbie

Constanze Becker verkörpert Brunhild als nicht von dieser Welt stammende stattliche Eiskönigin. Im reizvollen Zusammenspiel mit der zarten Kriemhild der Verena Bukal ist das herrlich anzusehen: Lara Croft meets Barbiegirl. Bukal ist mit dieser Spielzeit vom Mainzer Staatstheater nach Frankfurt gewechselt und leistet sich als Kriemhild einen fulminanten Einstieg. Zu Beginn steht sie wie ein junges Mädchen in Chucks und weißem Rock x-beinig herum, um später als gouvernantenhaft strenge Hohepriesterin des Vergeltungsschlags zu morden. Ihr schmerzensreicher hoher Ton lässt ihre Worte wie Waffen klingen. Das Leiden steht dieser blassen Frau dabei ins Gesicht geschrieben. Hagen, ihr großer Gegenspieler, stirbt aus ihrer Hand, während sie selbst in Frankfurt nicht zu Boden geht. Nico Holonics spielt Hagen von Tronje als hinterhältigen Wurm, also so, wie es ihm gebührt. In besagtem Anzug, mit Angeberuhr am Arm steht er wie ein Aufschneider da, die Hände in den Hosentaschen oder großspurig auf die Hüften gefächert ist er die personifizierte Provokation. Wenn er und Kriemhild aneinandergeraten stehen sie schon einmal Gesicht an Gesicht voreinander, auf Augenhöhe.

Splatter-Morde herbeisehnen

Jorinde Dröse entmythologisiert den Sagenstoff und entidealisiert auch seine Helden, indem sie fast alle als Durchschnittsmenschen präsentiert. Da wirkt dann Etzel (Michael Benthin), Kriemhilds zweiter Mann, wie ein dahergelaufener König in Elternzeit, der mit Sohn Otnit fröhlich Sandkastenkrieg spielt. Und Ute, immerhin die Mutter des Königs Gunther, erscheint wie die Gattin eines mittelständischen Unternehmers im Business-Kostüm. Der Wucht des berühmten Splatter-Epos begegnet Dröse mit fast durchweg unblutiger Grausamkeit und einem gigantischen Raum, den Susanne Schuboth in all seiner Tiefe und Untiefe zu nutzen weiß.

Und doch kämpft der Abend gewaltig mit Längen, die einen das große Morden direkt herbeisehnen lassen. Den Showdown zelebriert Dröse dann mit albtraumhaften Bildern, die den Vorteil haben, tiefe Assoziationsgräben aufzureißen und den Nachteil, sich allzu schnell zu verbrauchen. Etzel und Kriemhild stehen dann wie Hänsel und Gretel an der Rampe, während die Gesichter ihrer Feinde auf der Hinterwand zu Fratzen irrlichtern und nicht nur Hagens Totenaugen in der Nacht funkeln wie Skelette in der Geisterbahn. Am Ende hat Kriemhild gewonnen und alles verloren. Der Schatz bleibt ungehoben. Es ist das alte Lied.

Die Nibelungen
von Friedrich Hebbel
Regie: Jorinde Dröse, Ausstattung: Susanne Schuboth, Musik: Jörg Follert, Video: Stefan Bischoff, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Sascha Nathan, Nico Holonics , Andreas Uhse, Christian Erdt, Lukas Rüppel, Chantal Le Moign, Verena Bukal, Constanze Becker, Wiebke Frost, Peter Schröder, Michael Benthin und Ferdinand Hasselbeck/Daniel Kravtsenko.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 
Kritikenrundschau

"In den auf kommode Abendlänge gerafften Frankfurter 'Nibelungen' treten Hebbels halb mythische, halb moderne Helden als undressierte Außenseiter beziehungsweise uniforme Anzugträger in einem schummrig halbdunklen, fast leeren, undefinierbaren Raum auf", schreibt Kerstin Holm in der FAZ (16.9.2013). Der Originaltext erklinge in vorzüglicher Diktion, "als sei er gerade frisch geschrieben worden". Als die zentrale Figur des nibelungentreuen Hagen glänze quecksilbrig Nico Holonics. Insgesamt vergegenwärtige Jorinde Dröse die Geschichte aus der Epoche der Völkerwanderung und des religiösen Umbruchs "als prinzipiell zeitlosen Konfliktstoff, der auch in unserer multikulturellen Gesellschaft zu schwelen scheint".

"Die vampiristischen Gestalten der Dröse-Burgunder mit ihren toten-roten Augen in Schwarzweiß, die bei versenkter Drehbühne vom Keller her ins Nachtobjektiv starren und die Zuschauer von der Hinterwand anfallen, dass es Filmflammen schlägt und Jörg Follerts Musik aufdröhnt, geben den 'unspielbaren' Regieanweisungen Hebbels erhaben-unheilvolle Gestalt", findet Marcus Hladek in der Frankfurter Neuen Presse (16.9.2013). Dröse lockere und glätte den Verstext mit Floskeln ("Och Quatsch") und Albereien (Smörebröd!) ein wenig auf. "Eine Schauspielerregie ist das, die der glänzenden Verena Bukal als Kriemhild den verdient meisten, Lukas Rüppel aber unverdient lauen Applaus einbrachte" – Zu überzeugend fast sei er in Siegfried aufgegangen, dem locker-sonnigen 'Niederländer' Toren, "der da frontal agiert als karierter Geck in Adidassen und Kettenhemd-Sweatshirt."

"Es ist dunkel, aber hell leuchten davor der Text und die Dummheit und der Übereifer der Menschen", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (16.9.3013). Jorinde Dröse öffne Hebbels "Nibelungen" nicht ins Große, Politische, "aber, kein Zweifel, außer dem 'Wir'-Gefühl ist nicht viel los mit den Burgundern, und, ebenfalls kein Zweifel, gerade darum interessiert sie sich für diese Leutchen." Die Inszenierung zeige, wie Menschen unter die Räder kommen, wie sie sich und die Ihren ruinieren und wie es Hebbel gelingt, das darzustellen: "spannend, und die Wörter sitzen." Das Ende allerdings, das "längste Massaker der uns bekannten Literaturgeschichte", löst Dröse zur größten Unzufriedenheit der Rezensentin: "Es entbehrt nicht der Ironie, dass das heute so reichlich fließende Theaterblut ausgerechnet hier verweigert wird. Betrüblicher ist, dass das, was Dröse dagegen setzt, so verschenkt ist."

In der Doppelbesprechung mit Roger Vontobels Bochumer Nibelungen schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (9.10.2013): "Die oft beiläufig ironische Inszenierung von Jorinde Dröse und der Dramaturgin Sibylle Baschung deckt kühl auf, worüber manche Fassung des Heldenepos munter hinwegpoltert." Dazu gehöre auch ihr Fokus auf die Ethnisierung von Konflikten, etwa wenn Siegfried als Niederländer gedisst oder der Bericht von der Schlacht gegen die Sachsen in schlecht parodiertem Dialekt vorgetragen werde. "Dröse und ihr starkes Ensemble liefern Denkangebote. Wer mag, wird im Verlauf des Abends ausreichend Assoziationen zu alter und neuer Deutschtümelei entdecken."

 

 

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