Essig und Böller

von Matthias Schmidt

Halle, 29. Dezember 2007. Los geht es mit einem Knalleffekt: eine Hinterbühnentür wird eingetreten und sieben junge Leute stürmen die "Werft", die kleine Bühne des "neuen theaters". Oh ja, sie stürmen, und sie werden es den ganzen Abend tun. Sie werden eine Pistole auf das Publikum richten, sie werden Bomben bauen und zünden, sie werden wild sein und – natürlich – sie werden kämpfen. Gegeneinander, gegen die sie umgebende Konsumgesellschaft und manchmal auch ohne Sinn und Ziel.

Es ist die Attitüde der Enttäuschten, der innerlich Verrohten, der destruktiv revoluzzernden Wohlstandskids, auf die hier gesetzt wird. Leider wird die Attitüde der Jungs und Mädels vom "Fight Club" in Halle stärker sein als die Charaktere dahinter. Über David Finchers Film "Fight Club" (1999), auf dessen Motiven der Abend beruht, wurde viel debattiert. Über diese Idee, sich selbst durch Gewalt freizukämpfen und schließlich die Kampfzone auszuweiten auf eine als krank empfundene Gesellschaft.

Bombenbauer unter Gruppenzwang

Klar, dass es Vorwürfe der Gewaltverherrlichung gab und klar auch, dass die Bombenattentate der Protagonisten auf die zivile Ordnung als Terror interpretiert wurden. Aus diesem Deutungsgemenge eine nachvollziehbare Bühnenfassung zu fertigen, darf dann auch als ernst zu nehmende Aufgabe verstanden werden. Weh dem, der es am ehesten Armin Petras zutraut! Nach diesem Versuch von Regisseurin Christina Friedrich erst recht. Denn indem sie die beiden Hauptfiguren Tyler (im Film Brad Pitt) und Marla abwechselnd von verschiedenen Schauspielern spielen lässt, verzichtet sie offenbar bewusst darauf, über zwei Menschen eine nachvollziehbare Handlung zu ermöglichen.

Stattdessen agiert fast permanent eine diffuse Menschengruppe, die wohl – das traut man sich kaum zu glauben – so eine Art WIR ALLE sein soll. Und zwar in einer stilistischen Vielfalt, die Schwindel erregend ist. Da werden chorisch Werbeslogans gesprochen, auf ganz lustig getrimmt. Was dann leider weniger lustig ist, als wenn man sie beispielsweise mal ganz ernst nehmen würde. Da werden revueartige Choreografien aufgeführt: Einmal tanzen, dirigiert von einer Stewardess, fünf typische Business-Class-Herren auf der Bühne herum. Und es wird sich sinnschwer – man möchte eigentlich "sich verrenkend" sagen – zu bedeutungsschwangeren englischen Songs bewegt.

Barbies und rosa Dildos vom Fließband

Wer jemals die alte WDR-Rubrik "Schmidteinander-Tanztheater" gesehen hat, schmunzelt still in sich hinein. Über allem schwebt dabei eine unbegreifliche, eine aufgesetzte Wut. Jeder Satz ein Postulat, jeder Schrei eine Anklage, die nahezu hospitalistisch immer wieder auf das Publikum herniederfährt. Was schade ist, denn der Text erreicht mitunter philosophische Höhen. Und er hat durchaus seine komischen Momente.

Doch dieser Humor ist schwarz und könnte seine Schwärze besser ohne Affekt entfalten. Das Wort Portionsbutter etwa könnte sehr komisch klingen. Nur wütend eben nicht. Oder die Geschichte von Marlas rosa Dildo, von dem sich Tyler vorstellt, wie er in Taiwan vom selben Fließband rollt wie die gleichfarbigen Barbiepuppen, die hat ja was. Eigentlich. In Halle wird auch sie zur Anklage gemacht und damit ihrer Pointe beraubt.

Seelenschmerz der Simulanten

Die parodistischen Szenen des Abends, sie liegen dagegen goldrichtig: Die Selbsthilfegruppe von Kranken und Simulanten, wo man den Seelenschmerz zu einer Kugel rollt und in das Universum schießt, ist das gelungenste Beispiel dafür. Mehr davon wäre eine Befreiung gewesen. Der verkrampfte Ruf nach Befreiung hingegen – wovon mag man ja noch verstehen, aber wofür bleibt angesichts der Unordnung in den Köpfen der Figuren und der Inszenierung verborgen – er wirkt angestrengt und überambitioniert.

Wenn es am Ende nach Essig und Böllern riecht und die sieben Spieler blutbeschmiert auf der Bühne liegen, da ist man froh, dass nun Schluss sein muss. Aber dann stehen sie doch noch einmal auf, um noch mal eine dieser merkwürdigen Choreografien aufzuführen. Erst dann ist es wirklich aus. Die Schauspielstudenten, die hier agieren, ach, sind zu bedauern. Und die Zuschauer auch.

 

Fight Club
nach Motiven von Chuck Palahniuk und David Fincher
Regie und Bühne: Christina Friedrich, Kostüme: Susanne Uhl, Dramaturgie: Maria Viktoria Linke.
Mit: Lisa Bitter, Stefanie Rösner, Benjamin Berger, Matthias Faust, Ronny Miersch, Bastian Reiber, Benjamin Schaup.

www.kulturinsel-halle.de

 

 

Kritikenrundschau

Für die Frankfurter Rundschau (31.12.2007) ist Stefan Keim nach Halle gefahren und fand dort zwar die agierenden Schauspielstudenten nicht untalentiert, vermisste aber an der Aufführung insgesamt die existenzielle Abgründigkeit der Vorlage. So würfen sich die Akteure zwar mit Energie in die Stunts, "krachen gegen die schmuddelig-gelben Wände, beschmieren sich mit Theaterblut. Die Wirkung von Kinobildern können sie nicht erreichen, deshalb überdreht Regisseurin Christina Friedrich manche Gewaltexzesse ins Groteske. Ein Sog, wie ihn David Finchers Film bewirkt, bleibt aus. Die Zuschauer geraten nicht an die Grenzen eigener Emotionen. Man sieht begabten jungen Leuten zu, die Spaß daran haben, sich auszutoben, Blutcocktails in der Happy Aua."

Recht angetan ist Andreas Hilger in der Mitteldeutschen Zeitung (31.12.2007), der besonders die junge Schauspielertruppe feiert ("Die glorreichen Sieben"). Aber auch Christina Friedrichs Inszenierung entspricht aus seiner Sicht "auf überraschende Weise" Temperatur und Ton des Films von David Fincher. Allerdings verläuft diese "Selbstbehauptung des Theaters gegen den Film" für ihn nicht ganz ohne Verluste, da die Absage an ein stringentes Erzählen, das Switschen zwischen den Identitäten den untrainierten Zuschauer vor Probleme mit der verrätselten Handlung stelle. Da diese jedoch vom Hedonismus einer Generation geprägt worden sei, die ihr trügerisches Sicherheitsgefühl längst in den Trümmern der Twin Towers beerdigen musste, scheint ihre Haltbarkeit für Hilger ohnehin überschritten. "Was bleibt, ist ein diffuses Gefühl der Entfremdung, das die Inszenierung außerordentlich geschickt und mit Gespür für ihren mittelbaren Anlass gestaltet."

Kommentare  
Fight Club in Halle: empfehlenswert
diese kritik finde ich wirklich völlig daneben. wenn jemand so dieses stück interpretiert, ist er wirklich auf das buch und auf den film festgefahren.
warum sollen sie denn nicht tanzen? warum sollte portionsbutter komisch klingen? ich empfand dieses stück als sehr gut und empfehlenswert und bewundere, was diese noch jungen schauspieler da geleistet haben. man sollte auch bedenken, dass dieses stück nicht durch einen vorgefertigten text entstanden ist, sondern durch die diskussion über buch, film und eigene eindrücke der schauspieler und beteiligten. dieses stück als 'essig und böller'-abend abzustempeln, finde ich schlichtweg falsch.
zu Fight Club/Halle: Leute vom Haus rechtfertigen sich
Schön, dass Leute vom Haus (sprich: neues theater halle) hier ihre Inszenierung rechtfertigen!
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