Blut tropft aus jedem Handy

von Jürgen Reuß

Freiburg, 22. September 2013. Vor den Wahlen fällt es besonders auf: Wir sind es gewohnt, Politik als Anhängsel menschlich dramatisierter Personality-Shows zu konsumieren. Die Form der politischen Erzählung ist die werbeästhetisch perfektionierte Soap. So ist man auch gewohnt, Georg Büchners "Dantons Tod" geboten zu bekommen: Die Französische Revolution als personenzentrierte Gewissensaufstellung zwischen Liebe und Tugend.

danton breitenbach weigel 280 hoch maurice korbel uDanton und Robespierre  © Maurice Korbel  

Gegenreaktion

Robert Schusters Freiburger Inszenierung verweigert sich solcher Erwartungshaltung. Sein "Dantons Tod" wirkt wie die Gegenreaktion auf die Inszenierung der Politik als entpolitisiertes Familiendrama zwischen Muttis Raute und aufmüpfigem Stinkefinger. Das geliebte Baden in mit weiblichen Liebesbekundungen gesalbten männlichen Gewissenskonflikten fliegt bei Schusters Stückmontage im Zweifelsfall raus. Hier geht's nicht um bürgerliche Befindlichkeiten, sondern um die Findung eines bürgerlichen Staatsverständnisses, und das ist politics, stupid.

Folgerichtig ist die Bühne in Freiburg ziemlich kahl, der Blick geht weit in die Hinterbühne, in die Eingeweide der inszenatorischen Macht. Eine religiöse Überhöhung von Machtdiskursen wird gleich zu Beginn abserviert, indem Büchners elegante Kurzfassung der Widerlegung der göttlichen Existenz an den Anfang gestellt wird.

Das hat eine interessante Doppelwirkung: Einerseits funktioniert es als Steigerung der Dantonistischen Haltung, dass die Revolution mit Erlangung gewisser Privilegien für die revolutionssteuernde Schicht ihre Pflicht getan hat, sich vom Blutvergießen ab- und zivilisierteren Salonsophistereien zuwendet.

Andererseits verstärkt die Lösung von Gott oder sonstigen quasiereligiösen Substituten die Unerbittlichkeit einer Weltsicht, in der die Zukunft, in der wir leben wollen, frei aushandelbar ist. Das heißt in der Konsequenz aber auch, die Dilemmata der Französischen Revolution nicht als gelöst zu betrachten, sondern als einen Prozess, in dem wir weiterhin mitten drin stecken.

Mordgesellen aus reinem Privilegienerhaltungswillen

Bei Schuster sind wir alle saturierte, revolutionsmüde Dantons. Warum sollten wir uns auf die Seite von Schlächtern wie Robespierre, St. Just, Stalin oder Pol Pot stellen? Schuster möchte an dieser Selbstgewissheit von zwei Seiten rütteln, indem er einerseits die Zuspitzung von Dantons Haltung als Abschwören vom Glauben an die Veränderbarkeit der Welt ins Zentrum des Stücks rückt, und uns andererseits unser privilegiertes Leben nicht in von Blut unbesudelte Hände legen mag.

Es tropft aus jedem Handy, wie Robespierre aus der Büchnerschen Rolle fallend doziert. Dürfen wir der notfalls auch blutigen Revolution abschwören, solange der von Schuster ins heute verlängerte Robespierre im Sekundentakt den Hungertod von Kindern an den Fingern abzählt? Sind wir nicht auch Mordgesellen aus reinem Privilegienerhaltungswillen? Schwankt unsere Haltung zu Revolutionen von Kuba, Libyen bis Ägypten nicht ständig zwischen Unterstützung und Verdammung?danton 560 m.korbel uKleine Fackel der Freiheit (Iris Melamed), mit St. Just (Bozidar Kocevski), Robespierre (Martin Weigel) und Danton (Matthias Breitenbach) © Maurice Korbel

Musterstudie über die Kunst des Timings

Vor dieser Folie haben es Büchners Frauengestalten natürlich schwer und werden gleich mal als allegorisierte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit neu kodiert und betextet – Jean Ziegler, Hannah Arendt, Che Guevara, Heiner Müller. Dem Publikum, das im Theater ja immer auch ein wenig Unterhaltung sucht, macht es so eine Inszenierung nicht leicht.

Um so bewundernswerter die Leistung der Schauspieler. Wie Matthias Breitenbachs schnoddrig-desillusionierter Danton das Zögern, ob fliehen oder bleiben, aufs Schuhanziehen fokusiert, ist wie eine Musterstudie über die Kunst des Timings. Wenn Martin Weigel dem Redner Robespierre die Körpersprache Obamas gibt, ist das angenehm unaufdringlich verwirrend. Und Bozidar Kocevskis Brandrede als St. Just ist trotz aller inhaltlichen Widrigkeiten extrem auf die Barrikaden treibend.

Für Teile des Publikums war diese dreieinhalbstündige Hardcore-Politik-Inszenierung bereits in der Pause zum Weglaufen. Als hätte Schuster das geahnt, setzt das Stück nach der Pause mit Camilles Reflexion darüber ein, dass das Publikum eh nur zufrieden ist, wenn man ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff nimmt, ihm Rock und Hosen anzieht, ihm Hände und Füße macht, das Gesicht färbt und das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen lässt, bis es sich zuletzt verheiratet oder totschießt. Aber um das zu sehen, kann der enttäuschte Zuschauer ja Politik im Fernsehen gucken.

 

Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Robert Schuster, Bühne & Kostüme: Sascha Gross, Licht: Markus Bönzli, Komposition: zeitblom, Video/Videoschnitt: Jens Dreske, Robert Schuster, Dramaturgie: Josef Mackert.
Mit: Matthias Breitenbach, Konrad Singer, Martin Weigel, Bozidar Kocevski, Iris Melamed, Linda Lienhard, Roger Bonjour.
Dauer: 3 Stunden, 30 Minuten, eine Pause

www.theater.freiburg.de

Weitere Inszenierungen von Dantons Tod? Zuletzt legten Robert Teufel in Mannheim, Christian Stückl in München, Jette Steckel in Hamburg und Claus Peymann in Berlin ihre Sichtweisen auf das Drama vor.

 

Kritikenrundschau

Von "pathetischen Überfrachtungen und dramaturgischen Schieflagen" spricht Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (23.9.2013). Erzählbar sei die Handlung in Schusters mit dem Dramaturgen Josef Mackert erarbeiteter Fassung kaum. Dass die Chronologie der Ereignisse durch die starke Umschichtung von Textpassagen allenfalls angedeutet werde, ist das eine. Zum anderen suche der Regisseur nach Anknüpfung an die gesellschaftspolitische Gegenwart durch den Einbau fremder Texte u.a. von Heiner Müller und Jean Ziegler. Die dadurch entstehende Umgewichtung einzelner Figuren findet die Kritikerin nicht schlüssig und auch für die Lesart des Stückes durch die Inszenierung nicht wirklich fruchtbar.

Jürgen Berger findet in seiner Kritik für Spiegel-Online (23.9.2013) maches an diesem Abend schön gedacht, hat aber letztlich nicht nur im Fall der aktualisierten Tugendexkurse des Robespierre doch den Eindruck, in der Volkshochschule gelandet zu sein. Robert Schuster folge den Figuren dieser "postrevolutionären Familienaufstellung bis in den letzten Winkel ihrer privaten Motivlagen" . In einem Punkt allerdings beraubt er sich dem Eindruck Bergers zufolge genau dieser Möglichkeit. "Den Frauen an der Seite der Revolutionäre gesteht er zwar noch Rudimente des Büchner-Textes zu, entfernt sie ansonsten aber aus der Inszenierung."

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